Samstag, 25. Juli 2009


Was gerade passiert
(Ich habe diesen Text weiter unten, als er noch nicht fertig geschrieben war, veröffentlicht. Hier die vollständige Version)

Sie werden auch diesmal gewinnen, die Arschlöcher, sagt meine Mutter, die noch niemals Arschloch gesagt hat, aber Mutter, daß Du Arschloch gesagt hast, ist ein Zeichen, es geschehen … nach dreißig Jahren ist
ein Wunder geschehen
, Mutter ist skeptisch.

Teheran, sagt die Expertin im Radio, ist der Revolutionen schon müde.
Wieviele Revolutionen hat denn Teheran schon gehabt?
Je nachdem, sagt Kuros, was man als Revolution gelten lassen möchte, und bestellt einen Verlängerten schwarz, er ist Soziologe und Tiermediziner.
Und Österreich?

Wenn man das, was gerade passiert, Revolution nennen möchte, sagt Kuros, und bestellt noch ein Wasser, wenn man das Revolution nennen will, hat Teheran seit den Achtzehnhundertundvierziger Jahren fünf Revolutionen erlebt - alle dreißig Jahre also eine.

Die Kellnerinnen im Sperl sind die besten der Welt, und seit ich nicht mehr in der Webgasse wohne, vermisse ich sie. Erstens, sagt Kuros, aber auf die wird immer vergessen, gab es die Revolution der Babi, in den 1840er und 50er Jahren, die - nachdem sie den Islam abgeschafft hatte - in die Baha’i-Religion mündete, die Babi wurden vom schiitischen Klerus und den Kajaren-Kaisern brutal unterdrückt - und in der Islamischen Republik sind die Baha’i vogelfrei.
Zweitens die konstitutionelle Revolution, die den Kajaren-Kaisern eine demokratische Verfassung aufoktroyierte, die aber von den
Pahlewi-Kaisern außer Kraft gesetzt wurde, drittens, Mossadegh, Anfang der 1950er, der bekanntlich das Erdöl verstaatlichen wollte und 1953 von den Amerikanern weggeputscht wurde, dann aber, viertens, die islamische Revolution, die in Wahrheit eine linke Revolution war, sagt Kuros, die Islamisten haben sie aber usurpiert.
Aber geh, sagt mein - politisch gut informierter - Freund Kaweh, der in den 70er Jahren sein Maschinenbaustudium an den Nagel gehängt hat, seither ist er politischer Aktivist und Rezeptionist in einem Grazer Hotel. Aber geh, die Revolution ist von Anfang islamisch gewesen, und im Gegenteil, wir Linken waren es, die - aber vergeblich - versuchten, auf den Zug dieser Revolution aufzuspringen.
Wer ist die
?, fragt Kuros, und zeigt auf eines der Fenster, durch das jetzt ein Frauengesicht in das Sperl hineinschaut, auf uns, als sie merkt, daß sie bemerkt worden ist, wendet sie schnell ihren Kopf ab - und weg. Die kenne ich doch von wo - doch von wo?

Revolutionen, sagt Kuros, sind Operationen. Die Herren - ich meine, die Damen und Herren - Chirurgen haben vor 30 Jahren im Bauch der Patientin ihr Besteck liegen lassen, und deshalb seit 30 Jahren die Schmerzen. Aber die Patientin hat natürlich von Operationen genug. Nie wieder Operation!, ruft das Volk in Teheran, Nie wieder Revolution!, so wie die Österreicher Nie wieder Krieg! rufen und Nie wieder Faschismus! Die Österreicher? Nie wieder Faschismus? Nicht alle. Bei weitem. Da hat der Dritte Herr Nationalratspräsident ja schon recht, für den Antifaschismus ein Schimpfwort zu sein scheint. Aber den Islam genannten Faschismus, sagt Kuros, kann man nicht mittels Gandhi bekämpfen. Man müsse schon an die Bauchdecke ran.
Aber - bitte - diesmal mit professionellen Chirurgen.

Fuck the Iranian Revolution - Michael Jackson is dead!, hat jemand getwittert. Er war ja auch der einzige schwarze Superstar ever, sagt Kuros. Neben Obama, sagen Kaweh und ich, unisono. Aber ein Schwarzer war er bei Gott nicht, sagt Kaweh, optisch zumindest. Ich weiß jetzt, woher ich sie kenne - die vorhin durch das Fenster geschaut hat, und ich erzähle unaufgefordert von ihr, und daß sie Du als optischer Moslem gesagt hat, zu mir, obwohl ich ihr mehrmals erklärt hatte: Ich bin kein Moslem, resp.: Ich war niemals Moslem, und ich hatte, als Nachsatz zu Moslem, eines dieser Worte verwendet - eines dieser Worte, die auch Kaweh verwendete, als Nachsatz zu islamisch, als er vorhin meinte, diese Revolution sei von Anfang islamisch gewesen.
Hattest Du - seinerzeit einen Bart?, fragen Kaweh und Kuros.
Nein, ich war so wie jetzt, aber … ich schau … ich bin halt …
… ein Orientale, sagt Kaweh, und für die ist ein Orientale immer ein Moslem. Als Ebadi den Nobelpreis gekriegt hat, haben sie ja auch alle geschrieben, die erste Muslima, die den Nobelpreis …
Aber die ist doch Moslemin …
Das moslemisch wirst Du nie wieder los, sagt Kuros, es ist wie ein biologisches Merkmal.
Was heißt nie-wieder-los?, will ich sagen, ich hatte dieses Moslem ja nie, und sage tatsächlich: Heutzutage wirst Du Deine biologischen Merkmale sehr wohl wieder los – siehe Jacko. Oder das Geschlecht kannst Du Dir ja auch umwandeln lassen. Oder ist das Geschlecht vielleicht nicht biologisch?
So sicher wäre ich da nicht, sagt Kuros. Ihr kennt - Judith Butler?, und er erklärt uns, nachdem er sich eine Marlboro bestellt hat, Judith Butler, die gezeigt hätte, daß nicht nur das Gender kulturell konstruiert sei, sondern auch der gemeinhin als biologisch gegeben aufgefaßte Sex, was ich - auch nach dem dritten Erklärungsversuch - nicht zu kapieren vermag.

Ich fasse, in Gedanken, das Gesagte zusammen - während sich meine Gedanken auf das blasse Frauengesicht zubewegen, von vorhin, hat sie rote Haare gehabt? Es ist Jahre her. Oder braun? - ich fasse, in Gedanken, das Gesagte zusammen: Das Merkmal Moslem ist ein eigentlich kulturelles, das heutzutage aber wie ein biologisches angesehen wird, biologisch, weil es an biologischen Merkmalen - Haut-, Haar-, Augenfarbe - festgemacht wird, und biologisch, weil es als unveränderbar gilt, obwohl aber andrerseits biologische Merkmale heutzutage durchaus veränderbar sind - siehe, den Jackson, die Geschlechtsumwandlung, die genetische Manipulation.

Nachts träume ich, ich säße mit Kuros und Kaweh und einer Menge TeheranerInnen im Sperl, eine Tischrunde, Frauen und Männer, ich bin Angeklagter und die anderen die Jury. Es heißt, ich, der Angeklagte, soll tanzen, der Tanz sei eine Zeugenaussage, ich bin nämlich Zeuge und nicht Angeklagter, ich kann aber nicht, sage ich. Auf den Tisch!, sagt die Jury, sie flüstert, das Flüstern ist ein hinausposauntes Kommando: Auf den Tisch!
Allaho-Akbar!, sage ich, was Gott-ist-groß heißt - aber auch: Das gibt’s doch wohl nicht! resp.: Also bitte!
Allaho-Akbar!, sage ich, Also bitte!, ich skandiere dieses Allaho-Akbar!, und die Tischrunde klatscht, resp. die Jury, im Rhythmus meines Skandierens von diesem Allaho-Akbar!
Später stehe ich auf dem Tisch, ich brülle: Allaho-Akbar!, Also bitte!, Allaho-Akbar!, Also bitte!, Allaho-Akbar!
Die Kellnerinnen, im schwarzen Kellnerinnengewand, recken ihre Arme nach oben, im Rhythmus, meines Allaho-Akbars, Also bitte! Ich bin, will ich sagen und singen, kein Moslem, glaubt mir, ich war niemals Moslem. Es geht aber nicht. Kein Laut. Es bewegen sich bloß meine Lippen.

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