Mittwoch, 26. Februar 2014

Warum uns Psychotherapie nicht weiterhilft - Plädoyer für Psychoanalyse (2)



Unser Analytiker sei Teilnehmer einer Intervisionsgruppe – wo er die Möglichkeit hat, mit KollegInnen über schwierige Situationen und Fälle zu sprechen. In der Gruppe wird ihm klar, wie sehr - und in welch vielschichtiger Weise - jenes „Zeitproblem“ auch für ihn ein Problem darstellt: Nicht zuletzt, indem es seine Arbeit stört – und dies in einem spezifischen Sinn.

Anders als in der herkömmlichen Rollenverteilung zwischen einem Produzenten - sagen wir einem Tischler - und seinem Kunden, ist der Analysand nicht bloß Kunde und Konsument eines vom Psychoanalytiker - als Produzenten - produzierten Ware. Das „Produkt“ der psychoanalytischen Behandlung - wie auch aller anderen Formen der Psychotherapie – sollte ja eine, wie immer geartete, Veränderung „im“ Analysanden/Patienten sein. So gesehen, ist der Analysand nicht bloß „Kunde“, sondern zugleich Arbeitsgegenstand (das würde dem Holz des Tischlers entsprechen). Und weil in der Psychoanalyse das Reden das Arbeitsmittel darstellt, und es in der Regel der Analysand ist, der den Großteil der Rede-Arbeit leistet, ist der Analysand auch das Arbeitsmittel (vergleichbar der Kreissäge des Tischlers). 

Vor allem aber ist der Analysand ein – sich selbst bearbeitender – Arbeiter bzw. Produzent. Also Tischler und Kunde zugleich.

Was aber macht der Analytiker?

Die Psychoanalyse, so ein dem Psychoanalytiker Jaques Allain Miller zugeschriebenes Bonmot, sei "besser" als der Kapitalismus. Während der Kapitalist den Arbeiter - dafür, daß er von dessen Arbeitskraft profitiert - einen Lohn zahle, lasse der Psychoanalytiker die Analysandin arbeiten - und bekomme dafür auch noch bezahlt.

wird fortgesetzt

Dienstag, 25. Februar 2014

Warum uns Psychotherapie nicht weiterhilft - Plädoyer für Psychoanalyse (1)


Beginnen wir mit einer fiktiven Geschichte. Eine junge Architektin, verheiratet, erfolgreich, Mutter einer Tochter, begibt sich in psychiatrische Behandlung. Sie leidet an Panikattacken, ohne (für sie) erkennbaren Grund. Ihr Psychiater beginnt eine medikamentöse Behandlung, verbunden mit „klärenden Gesprächen“. Die Behandlung wird nach eineinhalb Jahren unterbrochen, da die Patientin aus beruflichen Gründen ins Ausland geht. 
In der letzten Sitzung vor dem Umzug gibt sie an, die Panikattacken „gut im Griff“ zu haben, und äußert den Wunsch, die Psychopharmaka bald abzusetzen. Ihr Psychiater empfiehlt ihr, auch im neuen Wohnort einen Facharzt aufzusuchen.

Zwei Jahre später kehrt die Patientin – auch diesmal aus beruflichen Gründen – an ihren Heimatort zurück, und meldet sich wieder bei ihrem ehemaligen Psychiater. An Panikattacken leide sie nicht mehr, die Medikamente habe sie „in Eigenregie“ abgesetzt - die Symptome seien nicht wiedergekehrt. Nun aber habe sie den Wunsch nach einer Psychoanalyse (ihr „alter“ Psychiater arbeitet auch als Psychoanalytiker). Sie durchlebe gerade eine „Partnerkrise“, gleichzeitig mit einer „beruflichen Identitätskrise“, beides sehe sie „auch als Chance“, beides würde sie sich gerne „mithilfe der Psychoanalyse anschauen“.

Unser Psychiater weist auf  den Konflikt zwischen seiner (früheren) Rolle als medikamentenverordnender Arzt und seiner Rolle als Psychoanalytiker hin – willigt aber schließlich ein, die Patientin in Psychoanalyse zu nehmen.

Bald fällt auf, daß die Analysandin fast immer zu spät zu den Sitzungen kommt. Diese beginnen häufig mit zwanzig-, dreißig, sogar vierzigminütiger Verspätung. Unserem Analytiker erscheint dies umso erstaunlicher, als die Patientin während der Phase der psychiatrischen Behandlung stets pünktlich erschienen war.

Seine Versuche das Problem, das eine Fortsetzung der Analyse ernsthaft gefährdet, auch nur zu benennen, scheitern aber am massiven Widerstand der Patientin.

Sie kenne ihr „Zeitproblem“, das ihre Freundinnen regelmäßig zur Weißglut bringe, habe es in einer früheren Therapie - einer Gesprächstherapie - „durchanalysiert“, und wolle sich nicht immer wieder damit konfrontieren. Für sie sei ihr Unpünktlichsein ein Stück Freiheit, das sie sich nicht nehmen lasse, so sei ihr Lebensstil, sie sei bereit den Preis dafür zu bezahlen - und basta.

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Mittwoch, 19. Februar 2014

Zizek in Teheran (70)



- Trotz seiner Großzügigkeit/Hilfsbereitschaft, oder gerade wegen, glaubt Mickey, daß ihn der Vater der wohlhabend-weltoffenen Familie verachtet.

- Nun zum politisch-essayistischen Teil: In der ursprünglichen Version hatten sich - in Nachahmung des Romans Lebens-Ansichten des Kater Murr (1822) des Dichters E.T.A. Hoffmann - Passagen, in denen die Geschichte Mickeys erzählt wird und die sogenannten Lebens-Ansichten eines ebenfalls Mickey genannten Teheraner Katers abgewechselt.

- Die Lebens-Ansichten des Kater Mickey drehen sich um einen Begriff: Teheranismus.

- Teheranismus, wie ihn Kater Mickey versteht, ist die teils bewußte, teils latente Tendenz der Teheranisten (i.e. der Experten für Teheranistik) in Nicht-Teheran - zumal in Amerika und Europa -, Teheran als

Hort des Despotismus, der Barbarei und der Finsternis

zu präsentieren, und Nicht-Teheran - gerade dadurch und im Gegensatz dazu - als

Ort der Zivilisation und des Lichts.

- Die Entwicklung des Teheranismus hat, folgen wir den Ansichten des Kater Mickey, mit der geheimen (noch heute in Nicht-Teheran kaum beachteten, ja geradezu unbekannten)

Teheran-Expedition Napoleons

begonnen. Im Gefolge jenes Feldzugs hätten, so der Kater, tausende Wissenschaftler aus Paris Teheran überschwemmt - und vermessen.

- Zitat: „Zoologen, Ethnologen, Archäologen, Linguisten zeichneten ein ‚wissenschaftliches Bild’ von den eroberten Teheranern und ihrem Land...“ Und: „Die Teheranistik hat Teheran und den Teheraner zum Objekt der Wissenschaft gemacht – jedoch nie zum Subjekt“.

- Später verwarf der Übersetzer die Idee, seine essayistisch-politischen Gedanken als Lebens-Ansichten eines Katers zu präsentieren.

- Denn im Gewand von Lebens-Ansichten eines Katers laufen politisch- essayistische Gedanken Gefahr, als Parodie aufgefaßt zu werden. Nichts lag dem Übersetzer aber ferner.

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Donnerstag, 13. Februar 2014

Zizek in Teheran (69)


Über den Inhalt jener mehr politisch-essayistischen als literarischen Texte will ich nichts wissen, LeserIn. Kann mir schon vorstellen ... Du nicht? Ich weiß. Don’t worry, der Gefängnisarzt berichtet eh unaufgefordert.

Oder wir bilden - einen Kompromiß. Ich erspare mir, den Inhalt eines der - mehr politisch-essayistischen als literarischen - Texte des Übersetzers aus den siebziger Jahren in direkter Rede (des Gefängnisarztes) wiederzugeben. Ich gebe ihn Dir summarisch wieder:

- Name des Textes: Mickey
- Protagonist: Mickey
- Mickey ist der (Spitz)name, den sich
- Siamak, so der tatsächliche Name des Protagonisten, selbst gegeben hat.
- Am Anfang des Textes (Kindheit und frühe Jugend) wird Siamak auch Sia genannt.
- Später, aus Liebe zu Amerika: Mickey.
- Mit Amerika sind gemeint: Die Vereinigten Staaten. Nicht der Kontinent.
- Noch Später, schon in Amerika, wird er sich Siamac schreiben.
- Mickey besitzt einen Glücksbringer, einen Schlüsselanhänger in Form der Freiheitsstatue.
- Der Schlüsselanhänger ist aus Messing.
- Mickey ist der Sohn einer Putzfrau und eines Vorarbeiters einer Teheraner Büromöbelfabrik.
- Wächst jedoch im Haus einer wohlhabend-weltoffenen Familie auf.
- In Nord-Teheran.
- Es handelt sich bei der wohlhabend-weltoffenen Familie in Nord-Teheran um die des Besitzers der Büromöbelfabrik, in der Mickeys Vater als Vorarbeiter arbeitet.
- Mickeys Mutter, die Putzfrau, lebt im Haus der wohlhabend-weltoffenen Familie in Nord-Teheran, wo sie kocht, putzt und die Kinder betreut.
- Ihren Mann, Mickeys Vater, den Vorarbeiter, sucht sie nur gelegentlich auf.
- Später: Siamak, resp. Mickey heißt in Wahrheit: Seyyed Ali.
- Siamak nennt er sich, oder nennen sie ihn, in der, oder im Umfeld der wohlhabend-weltoffenen Familie.
- Mickey ist hin- und hergerissen zwischen Batul, der Tochter der Köchin des Hauses (schwarze Haare, mollig, zwei Jahre jünger als Mickey)
- Und Asita, der jüngeren Tochter des Hauses (blonde Haare, schlank, zwei Jahre  jünger als Mickey).
- Genauer gesagt: Die beiden Mädchen rivalisieren um Mickey.
- Mickey hat den proletarischen Charme eines Jungen aus Süd-Teheran (dort wohnt der Vorarbeiter-Vater des Jungen. Den er nur selten besucht).
- In der Beschreibung seiner Wirkung auf Frauen und Mädchen ist die Rede von einer Mischung aus Charme und Bestialität.
- Später: finanziert der Vater der wohlhabend-weltoffenen Familie Mickey ein Studium an einer Elite-Universität in Teheran-West.
- Mickey soll Atomphysiker werden.
- Aber Mickey hat nur den Fußball im Kopf.
- Und die Mädchen.
- Und v.a.: Amerika.

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Mittwoch, 5. Februar 2014

Zizek in Teheran (68)



„Der Übersetzer wurde in ganz Teheran berühmt. Erst als

Regisseur/
Drehbuchautor/
Schauspieler

von bzw. in Kinofilmen, dann als

Regisseur/
Drehbuchautor/
Schauspieler

von bzw. in Teheraner Telenovellas.“

Und obwohl dieser Ruhm, LeserIn, aus jener - mit sich selbst abgeschlossenen – Wette resultierte, daß er bei jedem beliebigen Teheraner Literaturwettbewerb mit einem grottenschlechten, politisch jedoch grottenkorrekten Text reüssieren würde können, ließ sich, wie nicht anders zu erwarten, der Übersetzer von seinem Ruhm als

Regisseur/
Drehbuchautor/
Schauspieler

hin-, und von seiner Berufung zum Schriftsteller wegreißen, um an seine Berufung als

Regisseur/
Drehbuchautor/
usw.

zu glauben.

„Aber im Grunde hatte er Schriftsteller werden wollen. Und blieb, auch auf den Höhepunkten seines Hin- und Weggerißenseins von seinem Ruhm als

Regisseur/
Drehbuchautor/
usw.

seinem Vorsatz, Schriftsteller werden zu wollen, treu. Wie er mir während eines Spaziergangs am Teich mitteilen sollte, die Spaziergänge am Teich sind inzwischen eine Art - zwar nicht häufig jedoch gelegentlich stattfindendes - Ritual, wie er mir also bei einem Spaziergang am Teich mitteilen sollte, habe er auch auf dem Höhepunkt seines Ruhms als

Regisseur/
Drehbuchautor/
usw.

heimlich weitergeschrieben, heimlich, weil in den Jahren des Ruhms als

Regisseur/
Drehbuchautor/
usw.

ihm das Schreiben wie ein obszönes Geheimnis vorgekommen war, das er vor der Öffentlichkeit, Verwandten und Freunden schützten hätte müssen.“

Aber Du mußt Dir das Schreiben des Übersetzers nicht als literarisches vorstellen, LeserIn, resp. nicht als rein literarisch. Auch die literarischsten seiner literarischen Texte - das Oeuvre des Übersetzers umfaßt bis auf Ausnahmen nur kurze bis sehr kurze Texte - auch die literarischsten seiner literarischen Texte (sagt, bei einem jener Spaziergänge, am Teich, der Übersetzer dem Gefängnisarzt), würden sich wie Essays lesen (mitunter aber erst auf dem zweiten Blick), wie politische Essays, umso politischer je näher die Revolution heranrückt.

Über den Inhalt jener mehr essayistisch-politischen als literarischen Texte will ich nichts wissen. Kann mir schon vorstellen ... Du nicht, LeserIn? Ich weiß. Don’t worry, der Gefängnisarzt berichtet eh unaufgefordert.

wird fortgesetzt