Montag, 30. August 2010

Wunderland 13. Teil














Café Naderi, Teheran




„Ich entschied mich für das Messer“, der Feine wandte sich an seine Brüder, „das die Eltern aus Japan mitgebracht hatten, und das Mutter immer mein bestes Stück nannte. Ich wollte ihm das Messer ein paar Mal direkt und mit voller Wucht ins Herz stechen, dann müßte er sofort tot sein, und ich hätte genug Zeit, um zu fliehen. Es war mir klar, daß meine Chancen, nach dem Mord davonzukommen, praktisch Null waren, aber das ließ mich kalt. Sollte ich doch davonkommen, wollte ich nach Japan. Warum gerade Japan, weiß ich nicht mehr, wegen des Messers wahrscheinlich. In Japan wollte ich japanisch studieren, und die Werke klassischer, japanischer Dichter in die Sprache Teherans übersetzen. Ich schrieb Sam, daß ich ihn gerne treffen wollte, und schlug einen Termin vor, den er ein paar Tage später bestätigte.

An einem kalten, aber sonnigen Tag im März betrat ich zur vereinbarten Zeit das Naderi, übrigens zum ersten Mal. Das Messer befand sich in einer alten Schultasche, die ich auch als Student gelegentlich noch benützte. Ich schaute mich um, Sam war nirgends zu sehen, bis ein Mann mit Vollbart von seinem Tisch aufstand, zu mir kam - es war Sam - und mich überschwenglich begrüßte, und mir die Wangen küsste. Das irritierte mich, so daß ich meinen Plan, ihn zu töten, vergaß, ich begrüßte ihn meinerseits und setzte mich an seinen Tisch.
Sam begann zu reden – ich weiß nicht mehr was -, da fiel mir meine Tötungsabsicht wieder ein. Ich öffnete die Tasche, zog das Messer, und tötete ihn mit mehreren -“. „Was?“, rief der Junge laut, und erregt, und alle in der Deutschsprachigen Gemütlichkeit drehten sich zu uns um. Der Feine lachte. „Nein. Ich zückte das Messer, richtete es auf Sam, und wollte es in seine Brust rammen, auf einmal schien die Luft zwischen meiner Faust und Sam, wie soll ich sagen, aus einem Medium zu bestehen, das weich war, wie Nivea-Crème, dann immer zähflüssiger und härter wurde, wie hartes Plastilin - in diesem Medium bewegte sich das Messer wie in Zeitlupe, bis die Messerspitze Sams Brust erreicht hatte, genauer, einen Punkt unterhalb seines Brustbeins. Ich hatte in Mutters Anatomiebüchern“, der Feine wandte sich an mich, „unsere Mutter hatte eine Zeit lang, bevor sie sich für die Montanistik entschied, Medizin studiert, und ich hatte in einem ihrer Bücher ein Kapitel über die Anatomie des Herzens studiert, und war zu dem Schluß gekommen, daß man, wenn man das Herz treffen will, das Messer nicht direkt in den Brustkorb, sondern, von einem Punkt unterhalb des Brustbeins aus, schräg nach oben stechen muß. Die Messerspitze berührte also diesen Punkt, unterhalb von Sams Brustbein, aber ich konnte das Messer nicht weiterbewegen - das Medium war jetzt steinhart.

Sam hatte die ganze Zeit zugschaut, ganz entspannt, wie mir schien, und fragte schließlich: Was führst Du auf? In diesem Moment erschien ein alter und dicker Kellner, vom Akzent her Armenier, und fragte uns, was wir treiben würden.
Wir sind Künstler, sagte Sam, vom Theater. Schauspieler. Wir proben eine Szene, in der ein Dichter seinen Förderer umbringen will. Der Kellner lachte: Und warum will er seinen Förderer umbringen?
Weil er Dichter ist, sagte Sam. Der Kellner lachte wieder und servierte Sam eine Kaffeetasse, in der sich kein Kaffee befand, sondern Schnaps.
Du trinkst Schnaps? Sam nahm die Klinge vorsichtig zwischen die Finger und entzog mir das Messer. Das Medium zwischen Sam und mir hatte sich in Luft aufgelöst, und auch ich öffnete meine Faust ohne Widerstand. Klar, sagte Sam, in Bezug auf meine Schnaps-Frage, weißt Du‘s nicht mehr? Doch, sagte ich - in der Schule galt Sam schon mit sechzehn als trinkfest, ich hingegen hatte noch nie Alkohol konsumiert -, aber Du bist doch der Vorsitzende der Revolutionären Frommen. Ich nicht mehr, sagte Sam, aber Du".

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Freitag, 27. August 2010

Wunderland 12.Teil



"... und der Beschluß, zu töten, war das Gegengift gegen die üble Melange".


Proletarische Volksfront

„Aber wie kam Sam, der Antirevolutionär und Sohn eines Wurstfabrikanten, zu den Revolutionären Frommen, resp. das Manuskript meines Frauenhassers zu Sam, resp. Sam zu dem Mädchen?

Du wirst Dich fragen, schrieb Sam, wie ich zu Deinen Versen gekommen bin. Meine Frau hat sie mir zum Lesen gegeben – sie sagte: 'Lies mal, das ist was für Dich'.
Ich brauchte Minuten, ich schwöre es, bis ich kapierte, daß mit ‚meiner Frau‘ natürlich das Mädchen gemeint war, und als ich es endlich kapierte … aber ich will Euch mit der Beschreibung meines Seelenzustands nicht langweilen, es ging mir, wie es einem Zwanzigjährigen halt geht, den sein Mädchen ohne Abschied und Erklärung verläßt, und der dann erfährt, daß sie geheiratet hat, nicht irgendwen, sondern seinen Klassenfeind - im doppelten Sinne des Wortes. Um es komplizierter zu machen, ist der Verlassene ein unbekannter, junger Dichter, und der Klassenfeind macht ihm das Angebot, ihn berühmt zu machen.

In den wenigen Zeilen, so Sam, die meine Frau mir gezeigt hat - mehr wollte sie mir nicht zeigen, so sehr ich sie darum bat - habe ich eine tiefe Verwandschaft zu den Idealen und Prinzipien von uns Revolutionären Frommen entdeckt - und weil er davon ausgehe, daß es von solchen Versen mehr geben müsse, schlage er, zur Besprechung unserer Zusammenarbeit zu beiderseitigem Nutzen, ein Treffen im Naderi vor, einem bekannten Künstler-Kaffeehaus in Teheran-Mitte.

Ich beschloß, den Brief zu vernichten, dann ihn an die Proletarische Volksfront zu schicken, die auf Anschläge auf Kleriker und deren Anhängerschaft spezialisiert war, ein paar kannte ich ja von der Volksfront“, der Feine wandte sich an den Groben, der, aber widerwillig, nickte, „Schließlich beschloß ich, es selbst zu erledigen. Zu dem Treffen, das er vorgeschlagen hatte, hinzugehen, und ihn grußlos zu töten. Sobald ich den Beschluß gefaßt hatte, fühlte ich mich, wie soll ich sagen, ganz frei. Es war der schönste Moment. Alles, was mich je geplagt hatte, schien nie existiert zu haben - die Sache mit Mutter“, der Feine wandte sich an den Groben, der wieder nickte, „die Geschichte mit dem Mädchen, der Konflikt mit dem Vater, und daß ich dünn war, und Brillenträger, und unsportlich, und die Zweifel, ob meine Dichtung es wert war, sie Dichtung zu nennen - und das ganze Persönliche verschmolz mit der Enttäuschung über die Revolution, die längst nicht mehr die unsere war, und, um ehrlich zu sein, sie war es niemals gewesen, sondern von Anfang an eine Revolution der religiösen Faschisten – das Persönliche verschmolz mit der Enttäuschung über die Revolution zu einer üblen, wie man in der Provinz hier gesagt haben würde, Melange, die meine Dichterseele vergiftete - und der Beschluß, zu töten, war das Gegengift gegen diese Melange. Bloß hatte ich mich, trotz der ganzen Revolution, nie mit dem Töten beschäftigt. Bei der Revolution hatte es natürlich Tote gegeben, aber das eigentliche Töten kam erst später. Auch kannte ich niemanden, der sich mit dem Töten auskannte, d.h. ich kannte die von der Volksfront, aber wiederum nicht so gut, daß ich mich ihnen hätte anvertrauen wollen - ich mußte mir selbst helfen. Zuerst dachte ich an einen Revolver. Da ich aber in praktischen und vor allem technischen Dingen sehr ungeschickt bin, ein weiterer Bestandteil jener üblen Melange, und den Umgang mit einem Revolver erst hätte lernen müssen, ich Sam aber so schnell wie möglich töten wollte - der Gedanke nicht so schnell wie möglich töten zu können, wäre unerträglich gewesen -, mußte ich auf den Revolver verzichten. Vergiften erschien mir zu weiblich, Erwürgen kam, weil Sam sportlicher und kräftiger war, nicht in Frage. Blieb das Messer".
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Dienstag, 17. August 2010


Wunderland 11. Teil

"Aber wie kam Sam zur Vereinigung zur Förderung der revolutionären Frömmigkeit revolutionärer Männer, resp. das Manuskript meines Frauenhassers zu Sam, resp. Sam zu dem Mädchen? "

Vereinigung zur Förderung der revolutionären Frömmigkeit revolutionärer Männer




"Das Mädchen konnte es nicht gewesen sein, andrerseits mußte sie es gewesen sein, niemand außer ihr – und mir - hatte das Manuskript, außer das Manuskript wäre ohne ihr Wissen, resp. gegen ihren Willen in andere Hände geraten. Aber wie - in so kurzer Zeit?

Es war sechs Tage her, daß ich dem Mädchen das Manuskript geschickt hatte. Sollte sie geantwortet haben, könnte ihre Antwort schon eingelangt sein, dachte ich, und ging zum Briefkasten - wo mich die zweite Überraschung erwartete. Ich hatte einen Brief, allerdings von Sam. Er entschuldigte sich beim hochverehrten und lieben Kollegen, daß er sich, so lange nicht gemeldet hätte, das wunderte mich, wir waren niemals Freunde gewesen, ich verachtete ihn wegen seines Vaters und wegen AC/DC, er wäre ein Bewunderer meiner Dichtung, das wunderte mich noch mehr, während unserer Schulzeit hätte er sich niemals getraut, es zu sagen, vor allem würde er jene in der Beschaulichkeit publizierte Stelle meines Jahreszeitengedichts bewundern,

Bald kommt der Frühling,
Dann sind wir frei,
Nicht ewig währt die Tyrannei,
die er den Auftakt unserer Revolution nannte, das wunderte mich am meisten, weil Sam die Revolution, die er, wie wir alle, für eine proletarische hielt, immer nur verächtlich gemacht hatte. Ihr Weicheier, Sie verzeihen, der Feine wandte sich wieder an mich,ich zitiere nur Sam, Eure Revolution bringt die ganze Proleten-Bagage aus Süd-Teheran an die Macht - und dann habt Ihr nichts mehr zu lachen, Ihr Salon-Revoluzzer.
Nachdem er nun einige Verse meines, wie er schrieb, genialen Frauenhassers hätte lesen dürfen, könnte er mit seiner Bewunderung nicht länger an sich halten, vor allem der Vers
Du mußt sie bezwingen!
Du mußt sie erziehen!
usw.
hätte es ihm angetan, und in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Vereinigung zur Förderung der revolutionären Frömmigkeit revolutionärer Männer hätte er sich erlaubt, dem Vorstand derselben den Vorschlag zu machen, diesen meinen Vers als Parole für eine von jener Vereinigung orchestrierten Demonstration Teheraner Männer gegen die Demonstrationen privilegierter, vom Ausland gesteuerter Frauen der amerikanisch orientierten Teheraner Oberschicht zu verwenden.
Der Vorschlag wäre angenommen worden, und Lawasani, der besagte Dirketor des Teheraner Rundfunks - Gott habe ihn selig -, und ein Freund, so Sam, der Familie, hätte ihm zugesagt, Deine Parole zur besten Sendezeit auszustrahlen - und danach immer wieder -, um der schrillen Propaganda der Imperialisten, die sonore männliche Stimme Teherans entgegenzuhalten. Wenn mir darüber hinaus gelungen sein sollte, Dir im ganzen Teheran zur Berühmtheit zu verhelfen, wäre mir das eine Ehre.
Mir schwirrte der Kopf und ich war absurderweise geschmeichelt, obwohl mir die Vereinigung der revolutionären Frommen mitnichten zur Berühmtheit verholfen hatte - wie gesagt, meinen Namen hatte niemand genannt. Aber wie kam Sam, ein Antirevolutionär und Sohn eines Wurstfabrikanten, zu den Revolutionären Frommen, resp. das Manuskript meines Frauenhassers zu Sam, resp. Sam zu dem Mädchen?

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Montag, 16. August 2010

Wunderland 10. Teil


"There is nothing as practical as a good theory"



High Five


"Die Schülerinnen hatten ihre Schuhe ausgezogen, obwohl es sehr kalt war, Teheran liegt“, der Feine wandte sich wieder an mich, „am Fuße des Elburz, und im Gegensatz zu den Vorstellungen der Menschen bei uns, in den Bergen, sind die Winter in Teheran sehr kalt. „Wir hatten im Winter oft schneefrei“, sekundierte der Junge. Der Grobe fuhr fort, abwechselnd auf den Feinen zu schauen - voller Grimm -, resp., an dem Feinen vorbei, in die Luft. „Trotz des Winters hatten die Schülerinnen also ihre Schuhe ausgezogen, weil der, nach der Revolution eingesetzte neue Fernseh-Direktor einige Tage zuvor diesen berühmt gewordenen Satz gesagt hatte - in welchem Zusammenhang, weiß ich nicht mehr -, er fühle sich ausschließlich den Bloßfüßigen verpflichtet.
Ich schweife ab. An und für sich war ich ja, wie man in den Bergen hier sagt, darauf erpicht, berühmt zu werden, wozu dichtet man sonst?, aber nicht anläßlich einer Demo von Unrasierten und Schnauzbärtigen gegen Frauenrechte und für die Kleiderordnung der Klerikalrepublik. Übrigens fragte ich mich, und nicht erst bei dieser seltsamen Demo, woher all diese Schnauzbärtigen und Unrasierten auf einmal herkamen. Aus unserem Teheran doch nicht. Seltsam, daß ich angesichts meines plötzlichen Berühmtwerdens ausgerechnet diesen Gedanken hatte, und keinen anderen - bei genauer Betrachtung war ich jedoch überhaupt nicht berühmt - die unrasierte und schnauzbärtige“, der Feine wandte sich wieder an mich, „Sie verzeihen, Bagage hatte ja bloß meinen Vers skandiert:
Du mußt sie bezwingen!
Du mußt sie erziehen!
usw.,
ohne den Verfasser zu nennen. An jenem Tag waren die meinen Vers skandierenden Unrasierten - vermutlich als Gegengewicht gegen die Frauenproteste - so oft im Fernsehen zu sehen, und auch an den folgenden Tagen, daß mein Vers in Teheran bald in aller Munde war, vor allem bei der pubertierenden Jugend war sie äußerst beliebt, die ein Begrüßungsritual daraus machte: Der erste Jugendliche schlägt mit der Handfläche seiner erhobenen Rechten - wie beim amerikanischen High Five - auf die Handfläche der ebenfalls erhobenen Rechten des anderen, und sagt:

Du mußt sie bezwingen!,
woraufhin der zweite Jugendliche seine Linke erhebt und auf die - nun ebenfalls erhobene - Linke des Ersten schlägt und sagt:

Du mußt sie erziehen!,
woraufhin der Erste wiederum seine Rechte erhebt, auf die nun ebenfalls erhobene Rechte des Zweiten schlägt und sagt:

Wir sind in Teheran!,
wonach der Zweite wieder seine Linke erhebt und auf die, ebenfalls erhobene Linke des Ersten schlägt, und sagt:

Und nicht in Berlin!
Daraufhin brechen beide in schallendes Gelächter aus, welches in der Regel gekünstelt wirkt, aber manchmal durchaus authentisch.“
Während der Feine das Begrüßungsritual beschrieb, hatte der Junge mehrmals enthusiastisch genickt, der Grobe einmal, und widerwillig, beide kannten das Ritual offenbar.

Wie die Schnauzbärtigen auf meinen Vers gekommen waren - diese Frage stellte ich mir erst nach der Frage, woher die ganze religiöse, Sie verzeihen, Bagage, dahergekommen war, dann aber stellte sich die Frage umso heftiger, da nur ich von jenem Vers wußte, nicht einmal die Kollegen vom Poesieclub, mit denen ich kaum mehr Kontakt hatte, wußten davon, nur ich – und das Mädchen. Also mußte das Mädchen den Vers an die religionsfaschistische“, der Feine wandte sich wieder an mich, „Sie verzeihen, Bagage weitergegeben haben, was ich mir aber nicht vorstellen konnte. Das Mädchen war alles andere als eine religiöse Faschistin, auch nicht ihre Eltern. Zwar waren ihre Eltern, die aus dem Süden stammten, konservativ, wie gesagt, aber keine Faschisten, und nicht einmal religiös - ich hatte ja mit den Eltern des Mädchens nur ganz selten gesprochen, da ich mich wegen meiner Liebe zu ihrer Tochter vor ihnen genierte, in diesen seltenen und eher kurzen Gesprächen hatten mich beide davor gewarnt, mich mit der Politik nur oberflächlich zu befassen, There is nothing as practical as a good theory, hatte die Mutter gesagt, die Amerikanistik studiert hatte, und der Vater: Ohne eine gute Theorie führt die Revolution in den Abgrund.“
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Donnerstag, 12. August 2010

Wunderland 9. Teil

"Wie wunderte ich mich,
als ich im Fernsehen tausende
Unrasierte, resp. Schnauzbärtige
einen Vers aus meinem Frauenhasser

rezitieren hörte ..."






"Trotz meiner Beschäftigung mit dem zweiten Teil des Frauenhassers war ich, wie gesagt, ein Wrack - oder gerade weil: Die Arbeit am Frauenhasser hatte meine Sehnsucht und meinen Hass und mein Bedürfnis nach Rache, statt sie zu besänftigen, überhaupt erst entfacht, und nur die dramatische Zuspitzung der Revolution lenkte mich von meinem Liebesleid ein wenig ab. Es war die Zeit als der Kaiser Teheran verließ. Wenig später brach sein Regime zusammen und wir hatten gesiegt. Unmittelbar nach dem Sieg der Revolution begannen aber die Klerikalen ihre MitstreiterInnen eine nach der anderen kalt zu stellen. Die Liberalen und Bürgerlichen, die Nationalreligiösen, dann die Religionsmarxisten und Kommunisten. Als allererste mußten aber die Frauen daran glauben, die Seite an Seite mit den Männern - wie schon bei der konstitutionellen Revolution vor hundert Jahren - gekämpft und den entscheidenden Anteil am Sieg gehabt hatten. Einen Monat nach der Flucht des Kaisers brachte das Komitee für Frauen und Sittengefährdung mehrere Erlässe heraus, in denen den Teheranerinnen extrem strenge und, wie ich sagen muß, kuriose Bekleidungsvorschriften gemacht wurden. Seitdem sind den Teheranerinnen nur blaugraue, graue oder schwarze Kleider erlaubt. Über Dunkelbraun wurde lange debattiert. Nicht nur im Komitee, sondern auch im Revolutionsrat. Nach dem plötzlichen Ableben zweier säkularer Mitglieder des Revolutionsrats wurde Dunkelbraun abgelehnt, und ihre Haare dürfen die Teheranerinnen entweder nur kurz oder hochgesteckt tragen, blondes Haar ist ihnen verboten, den Männern aber nicht. Bei uns, in Teheran“, der Feine wandte sich wieder an mich, „sind - entgegen der falschen Vorstellung, bei uns hier in den Bergen, daß wir in Teheran alle schwarz seien - blonde Haare gar nicht so selten. Wie man bei Ihnen ja auch sieht.“ „Zu mir sagen sie in der Deutschsprachigen Provinz semmelblond“, sagte ich, im Tonfall von Menschen, die sich über ein Unrecht beklagen.
„Nach der Bekanntmachung der Erlässe“, sagte der Feine, ohne auf semmelblond einzugehen, „gingen hunderttausende Teheranerinnen auf die Straße, um gegen diese zu protestieren. Sie skandierten:


Keine Bekleidungs-Fad-ess-e!
Wir pfeiffen auf Eure Er-lässe!

bzw.:


Wir sind die falsche Adresse
Für Eure Bekleidungs-Fad-ess-e
Als ich die Frauen-Demo im Fernsehen sah - das Fernsehen war damals noch nicht gleichgeschaltet, oder noch nicht ganz - mußte ich an das Mädchen denken. D.h. ich hatte die ganze Zeit schon an das Mädchen gedacht, und mein Studium an der Schöngeistigen Fakultät, das ich jenem Herbst vor dem Sieg der Revolution begonnen hatte, war mir, wie man in der Provinz hier gesagt haben würde, ganz Blunzn, aber als ich die Frauen-Demo im Fernsehen sah, mußte ich noch mehr an das Mädchen denken, als ohnehin schon - ich war sicher, daß sie dabei war, sie hatte sich ja immer als RevolutionärIn gefühlt, wie alle in der Klasse, ausgenommen den Sam und jenen den Proleten genannten Kameraden, wir waren zusammen - das Mädchen und ich – bei allen Demonstrationen gewesen, hatten Flugblätter verteilt, unter Lebensgefahr usw. Als ich jene Frauen-Demo im Fernsehen sah, bei der das Mädchen, wie ich sicher war, dabei gewesen sein mußte, wurde mein Liebesleid, wie soll ich sagen, unerträglich, ich beschloß ihr zu schreiben, und da ich wußte, daß sie vorgehabt hatte, sobald sie zum Studieren anfangen würde, von ihren Eltern auszuziehen, sah ich im Telefonbuch nach – und fand tatsächlich ihre Adresse.
Ich setzte mich hin, um dem Mädchen zu schreiben, und all die Dinge, die ein junger und empfindsamer Revolutionär, der mitten in der Revolution von seinem Mädchen verraten und verlassen worden ist, diesem schreiben würde, gingen mir durch den Kopf, auf einmal beschloß ich, ihr gar nicht zu schreiben, stand auf, nahm das unfertige Manuskript meines Frauenhassers zur Hand, ging in ein Fotogeschäft, ließ es kopieren und schickte die Kopie an die Adresse des Mädchens. Jene Verse, die ich Ihnen vorhin“, der Feine wandte sich an mich, „ins Deutsche übersetzte, hatte ich mit Leuchtstift markiert:

Versuche sie also nicht zu verstehen.
Wie soll das auch gehen?
Sie versteht sich ja selbst nicht,
Und bevor sie dich bricht
Komm zum Verstand -
Und nimm ihr, bitte, das Heft aus der Hand
Du mußt sie bezwingen, Du mußt sie erziehen,
Wir sind in Teheran – und nicht in Berlin!


Wie wunderte ich mich, als ich, nach nicht einmal einer Woche, im Teheraner Fernsehen tausende unrasierte, resp. schnauzbärtige Männer einen Vers aus meinem Frauenhasser rezitieren hörte, als wäre dieser, wie soll ich sagen, eine Parole:

Du mußt sie bezwingen!
Du mußt sie erziehen,
Wir sind in Teheran!
Und nicht in Berlin!
Es handelte sich um eine Gegendemo von religiösen Faschisten, die sich gegen eine Demo von Schülerinnen richtete, die gegen die Bekleidungs-Erlässe protestieren - wie die Teilnehmerinnen der Massendemo einige Tage zuvor -, aber diesmal vor dem Gebäude der Fernsehanstalt."
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Sonntag, 8. August 2010

Wunderland 8. Teil

Und bevor sie dich bricht/ Komm zum Verstand -/ Und nimm ihr, bitte, das Heft aus der Hand ...
Teheran
"Mittlerweile war ich übrigens selber ein Wrack. Und mußte einsehen, daß man - entgegen der Aussage Antschenanis -, wenn einem Liebesleid widerfährt, sowohl zum Dichter werden als auch brechen kann.
Aber ich will meinen Frauenhasser fertig erzählen. Die Kunde, daß ein junger Revolutionär aufgrund einer Frauengeschichte der Revolution verloren gegangen sei, macht in Teheran die Runde. Eines Tages erscheint eine Abordnung eines Süd-Teheraner Revolutionskomitees im Elternhaus des Jungen, um den Unwilligen zu ihrem Führer - einem alten und, wie soll ich sagen, weisen Revolutionär - zu schleppen, den ich in Anlehnung an Antschenani Intschenini genannt hatte. Der Alte geht mit dem Jungen in eine von Revolutionären frequentierte Wirtschaft, wo sie eine Flasche Hunde-Arak zu trinken begrinnen, den Teheraner National-Schnaps, aus Rosinen, und als der Junge besoffen ist, sagt der Alte: Du hast ein Pussyproblem. Pussyproblem“, der Feine wandte sich wieder an mich, „war damals in Teheran - oder vielmehr auf gut Teheranisch Pussi-po-rob-lem - ein aus Amerika importierter, unter männlichen Intellektuellen Teherans verbreiteter Ausdruck, v.a. bei Studenten und Gymnasiasten, für das Liebesleid eines Mannes, und die Obszönität dieses Ausdrucks war ein Ausdruck der Solidarität mit dem männlichen Proletariat in Süd- Teheran. Daß Pussyproblem ausgerechnet aus Amerika stammte, erscheint paradox, noch paradoxer ist, daß die prominentesten Revolutionäre in ganz Teheran TeheranerInnen waren, die in Amerika studiert hatten.
Und Pussyproblem ist das Stichwort, auf das der Junge gewartet zu haben scheint - wie eine Eiterbeule bricht sein Liebesleid aus ihm heraus. Die Frau mußt Du Dir holen, sagt der Alte. Wir helfen Dir. Der Junge ist perplex, resp. glaubt, der Alte, der - wie man in den Bergen hier gesagt haben würde - auch schon angeheitert ist, scherze mit ihm. Als er bemerkt, daß es der Alte ganz ernst meint, muß er lachen, und kann nicht aufhören zu lachen, Wir sind Revolutionäre, sagt er schließlich, und keine Banditen.

Natürlich sagen der Junge und der Alte das alles in Versform, aber ich habe die meisten Verse von damals vergessen, und es gelingt mir während des Erzählens nur selten“, der Feine wandte sich wieder an mich, „sie in deutsche Verse zu übertragen, wie es z.B. vorhin der Fall war, mit ‚Dichter und bricht er‘.
Aber zurück zum Frauenhasser. Der Alte sagt dann: Ich sage Dir was, und beginnt eine Predigt zu halten, und am Ende der Predigt ist mein Frauenhasser auch schon zu Ende - wie gesagt, ich habe ihn niemals zu Ende geschrieben. Das wahre Ziel einer Revolution, so der Alte, bestünde nicht in der Zerschlagung eines Regimes, sondern in der Zerstörung der Moral. Man müsse die bestehende Moral komplett zerstören und einstampfen – nur dann könne eine neue, revolutionäre Moral entstehen. Aus der Sicht der revolutionären Moral sei es z.B. ein Verbrechen, wenn ein Revolutionär wegen eines Pussyproblems der Revolution den Rücken kehre, resp. müsse. Hingegen sei es nicht nur kein Verbrechen, sondern ein Gebot der revolutionären Moral, wenn ein“, der Feine wandte sich wieder an mich, „Sie verzeihen, ich zitiere ja bloß aus meinem Frauenhasser Teil 2, wenn ein hübsches Stück Arsch entführt, vorübergehend seiner Freiheit beraubt, und zu seinm Glück gezwungen werden würde. Der Ausdruck Hübsches Stück Arsch war vom Amerikanischen abgeleitet - a nice piece of ass, und es gilt für Das hübsche Stück Arsch genau dasselbe, was ich Ihnen vorhin“, der Feine wandte sich wieder an mich , „über Pussy-po-rob-lem gesagt habe.
Denn es gehe aus den Ausführungen des Jungen unmißverständlich hervor, so der Alte weiter, daß ihn das Mädchen ohnehin liebe - nur aus weiblichem Trotz habe sie sich dem Sohn des Textilschweins an den Hals zu geworfen, und am Ende seines Sermons erklärt der Alte, daß die Frauen ohnehin nicht wüßten, was sie wollten, daß sie nicht nur für den Mann ein Rätsel seien, sondern vor allem für sich selbst, daß man sie zu ihrem Glück daher zwingen müsse, daß der revolutionäre Mann seine Frau, oder Frauen, in die Hand nehmen, und keinen nonsense von ihr, oder ihnen, akzeptieren dürfe, daß die Frau den Mann, der sie bezwinge und zähme - entgegen dem Unsinn, den die kaiserlichen Medien verbreiten würden -, dankbar sei, weil sie nur als Gezähmte und Bezwungene glücklich sein könne, daß aber eine Frau, deren Mann nicht imstande sei, sie zu zähmen, diesen versklaven oder zerstören würde.
Die Predigt des Alten endet - das weiß ich noch – mit den folgenden Versen:

Versuche sie also nicht zu verstehen.
Wie soll das auch gehen?
Sie versteht sich ja selbst nicht,
Und bevor sie dich bricht
Komm zum Verstand -
Und nimm ihr, bitte, das Heft aus der Hand
Du mußt sie bezwingen, Du mußt sie erziehen,
Wir sind in Teheran – und nicht in Berlin!"

Mittwoch, 4. August 2010

Wunderland 7.Teil

Wie soll ein Wrack für die Revolution kämpfen können ...?

"Soweit Der Frauenhasser. Ich beschloß, zum Dichter zu werden, resp. es zu bleiben, statt am Verlust des Mädchens, wie es Antschenani formuliert hatte, zu brechen, und - um meiner Existenz als Dichter einen Auftrieb zu geben - eine Fortsetzung von Antschenanis Der Frauenhasser zu schreiben.
Dieser zweite Teil des Frauenhassers war natürlich ebenfalls in Versen verfaßt, und sollte in der Gegenwart spielen, d.h. in der Gegenwart von damals, d.h. im Teheran der 70er Jahre, und erzählte von einem jungen, empfindsamen Revolutionär, der ein Mädchen aus Süd-Teheran liebt. Seine Geliebte, die er - wie ich in jenen Teilen meines Werkes, die ich tatsächlich fertig gestellt habe, immer wieder betone - über alles liebt, seine Geliebte sollte ihn daran hindern wollen, die Revolution, wie soll ich es sagen, auszuüben - ich wußte allerdings nicht, warum sie ihm bei der Ausübung der Revolution im Weg stehen wollte. Die Varianten, die mir eingefallen waren – sie wäre aus Gründen der Zugehörigkeit ihrer Eltern zur Oberschicht eine Feindin der Revolution, oder sie hätte Angst, daß ihrem Geliebten beim Ausüben der Revolution etwas zustoßen könnte - schienen mir zu abgedroschen. Davon abgesehen, kann ein Mädchen aus Süd-Teheran“, der Feine wandte sich wieder an mich, „wo die Unterschicht haust, nicht gut aus Gründen der Zugehörigkeit ihrer Familie zur Oberschicht gegen die Revolution sein. Eine dritte Variante fiel mir aber nicht ein, und ich beschloß, die Arbeit an jenen Teilen meines Frauenhasser Teil 2, in denen die Gründe, warum die Geliebte unseren Revolutionär bei der Ausübung seiner Revolution im Weg stehen möchte, hätten behandelt werden sollen, vorerst beiseite zu lassen - und verfaßte zunächst jene Passagen, die davon handeln, daß das Mädchen, unseren Revolutionär, der von der Revolution auf keinen Fall lassen will, zugunsten des Sohnes eines Teheraner Textilfabrikanten verläßt, und daß dieser Verrat den jungen Revolutionär natürlich erschüttert - unzwar mehr, als er sich einzugestehen bereit ist. Bei diesen Passagen blieb es dann auch. Ich habe den Frauenhasser niemals fertig geschrieben.
Jedenfalls kann unser Revolutionär nicht mehr schlafen, und ständig muß er daran denken, wie er zuschauen mußte, wie das Mädchen auf dem Motorrad jenes Kapitalistensohnes davonfährt - ich hatte jene Szene, die ich, neben dem Kiosk, im Schanigarten sitzend, erlebt hatte, in mein Epos übernommen – in Wirklichkeit wußte ich natürlich nicht, wer der Motorradfahrer, der mir das Mädchen weggenommen hatte, war. Im Frauenhasser Teil 2 hatte ich ihn – angelehnt an Sam - zum Sohn eines Teheraner Industriekapitalisten gemacht.
Für unseren jungen Revolutionär wird die Situation schließlich unerträglich - er muß einsehen, daß es, wie die Bewohner der Berge hier gesagt haben würden, so nicht weitergehen kann. Er hatte sein Mädchen geopfert, um der Revolution zu dienen, jetzt war er dabei, auch die Revolution zu verlieren, denn er konnte weder essen noch schlafen noch einen Gedanken fassen – und wie soll ein Wrack für die Revolution kämpfen können?"
wird fortgesetzt