Mittwoch, 27. Februar 2013

Zizek in Teheran (30)

Machen wir es kurz, LeserIn. Die Snackfrau sagt noch ein paar Mal: Sie kennen die Schrift. Und ich: Welche Schrift? Bis uns der Dialog zu fadisieren beginnt.


Die Snackfrau, der Kürze wegen im Folgenden die Snack genannt, richtet sich auf, der Abstand unserer Gesichter verringert sich drastisch, ohne daß sich der Abstand zwischen meinen Lippen und dem – noch immer heißen - Verlängerten braun sich verringert hätte.

Die gewunderten Vögel

sagt die Snack, und sollte ich je, in Graz oder in Teheran, eindringlich angeschaut worden sein, dann von der Snack, als sie

Die gewunderten Vögel

sagt. Resp. sie deklamiert es.

Die gewunderten Vögel – jedesmal, wenn sie die eingebläuten Phrasen abgeleiert haben, gehen sie mit den Worten Verfluchter Kerl! in seiner Seele auf, den einzigen Worten, deren sie, um eine echte Empfindung auszudrücken, überhaupt fähig sind. Den Sinn der Worte verstehen sie nicht, haben aber eine Empfänglichkeit für den Gleichklang der Laute.

Ja, sage ich. In Zeitlupe, um meinen inneren turmoil - weiß ich, warum hier ein englisches Wort stehen muß. Konfrontiert mit sexuellen Peinlichkeiten, so mein Lehranalytiker, Kinz, neigten wir dazu, ins Englische auszuweichen. Aber was die Snack deklamiert, während sie mich eindringlich anschaut, ist weder peinlich noch sexuell. Ja, sage ich. In Zeitlupe, um meinen turmoil in Schach zu halten, Nein, LeserIn, turmoil hat weder mit Turm zu tun noch mit Öl. Die gewunderten Vögel – ich kenne das. Das sagte der Gefängnisarzt. Das erste Mal als er wie ein Verrückter, aber ein höchst intelligenter, zu reden begann.

… verstehen sie nicht, haben aber eine Empfänglichkeit für den Gleichklang der Laute

Santiago oder Karthago

Chinesentum oder Christentum

Abendrot oder Atemnot

Ackermann oder Ariman

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Sonntag, 24. Februar 2013

Zizek in Teheran (29)

Machen wir es kurz, LeserIn. Auch wenn Du glaubst, Dich schadlos halten zu können, an meinem Unbehagen, durch meine Schilderung der Snackfrau, wie sie in den Verlängerten bläst – bekanntlich kommt Verlängerter von Verlangen – mit ihren fein geschnittenen, dennoch vollen Mädchenlippen, die Nähe unserer Gesichter etc. etc. Das wäre - daß Du Dich schadlos halten willst, an meinem Unbehagen, wäre, gelinde gesagt, unfair.

Was bei der Tötung des Elektrischen tatsächlich passiert ist, zu schildern, habe ich Dir erspart, LeserIn, d.h. nachdem ihn Schirin auf den blaulackierten griechischen Stuhl gesetzt hat. Um Dich zu schonen. Das will ich nachholen (das hier ist Literatur, Leserin, ich sagte es schon. Also lies weiter und spar Dir das Wortspiel mit nachheulen).

Aus gutefrage.net, die Ratgeber Community


Frage von sinner1, 05.08.2010 - 11:11

Gibt es Leute, die den elektrichen Stuhl überlebt haben - und ist es wahr, daß sie dann die strafe "abgessesen" (lol) haben und frei sind?

 
Liebe/r sinner1,

bitte achte etwas mehr darauf, Deine Frage aussagekräftiger zu formulieren, damit jeder erkennt, welchen persönlichen Rat Du damit genau suchst. Du erhöhst so die Chance auf hilfreiche Antworten.

Herzliche Grüße,

Oliver vom gutefrage.net-Support


 
Hilfreichste Antwort ausgezeichnet vom Fragesteller

Antwort von aixDs 05.08.2010 - 11:14

Die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl hinterläßt durch das Verbrennen der inneren Organe des Opfers sichtbare Spuren. Oft werfen die Stromstöße den Gefangenen nach vorn in die angelegten Haltegurte; er uriniert, entleert den Darm oder erbricht Blut. Augenzeugen berichten immer wieder, daß die Luft vom Geruch verbrannten Fleisches erfüllt ist.
Obwohl bereits nach dem ersten Stromstoß Bewußtlosigkeit eintreten soll, ist dies nicht immer der Fall. Als 1946 im Bundesstaat Louisiana Willie Francis, ein 17jähriger Schwarzer, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden sollte, überlebte er den ersten Versuch. Ein Augenzeuge berichtete: Ich sah, wie der Beamte an dem Schalter drehte und wie die Lippen (des Gefangenen) anschwollen, sein Körper sich spannte und streckte. Ich hörte, wie der verantwortliche (Beamte) den Mann draußen anschrie, er solle mehr Saft (Strom) geben, nachdem er gesehen hatte, daß Willie Francis noch nicht tot war. Der von draußen schrie zurück, mehr sei nicht möglich. Dann keuchte Willie Francis: Hört auf. Laßt mich Luft holen.

Später berichtete Willie Francis: Ich fühlte ein Brennen in meinem Kopf und meinem linken Bein und schlug gegen die Gurte. Ich sah kleine blaue, rosa und grüne Punkte. Ein neuer Hinrichtungsbefehl wurde ausgestellt und Willie Francis ein Jahr später exekutiert, nachdem der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten entschieden hatte, daß eine zweite Hinrichtung nicht gegen die Verfassung verstoße.

Als Alpha Otis Stephens im Dezember 1984 in Georgia auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde, berichtete die New York Times, daß der Gefangene den ersten, um 12.18 Uhr ausgelösten zweiminütigen Stromstoß überlebt und acht Minuten lang nach Luft gerungen habe, bevor ein zweiter Stromstoß ausgelöst wurde. Nach dem ersten Stromstoß sackte er in sich zusammen. Kurz darauf aber sahen Zeugen, wie er nach Luft rang. In den sechs Minuten, die verstrichen, bis die Körpertemperatur sich wieder normalisiert hatte und die Ärzte ihn untersuchen konnten, atmete Alpha Otis Stephens etwa 23mal. Der zweite -- tödliche -- Stromstoß wurde um 12.28 Uhr ausgelöst, nachdem zwei Ärzte noch Lebenszeichen an ihm festgestellt hatten.

Als John Louis Evans im April 1983 auf dem elektrischen Stuhl in Alabama hingerichtet wurde, waren nach Augenzeugenberichten drei Stromstöße von jeweils 1900 Volt erforderlich, bevor - nach 14 Minuten - sein Tod festgestellt werden konnte. Die Hinrichtung von William Vandiver auf dem elektrischen Stuhl am 16. Oktober 1985 in Indiana soll 17 Minuten gedauert haben. Fünf Stromstöße waren erforderlich, bis man Vandiver für tot erklärte.

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Freitag, 22. Februar 2013

Zizek in Teheran (28)

Auch hat Gott, obwohl er nicht existiert, das Gerücht in die Welt gesetzt, das Leben (und mit Das Leben meint er natürlich sich selbst) schreibe die besten Geschichten. Das ist, gelinde gesagt, übertrieben, resp. bullshit.

Nicht die besten, die effektvollsten.

Grell. Wird das Licht. Oder greller. Wie aus dem Nichts erscheint (von wegen Gott) ein brünettes Mädchen, T-Shirt, Stewardesskappe, das T-Shirt zu kurz, ergo nabelfrei, die Bemerkungen der Fernseh-Soziologen über die Freiheit in den Gefängnissen Teherans erscheinen in einem neuen - grelleren - Licht. Wie bei den Teheraner Bundesbahnen, TBB, schiebt die Brünette eine mobile Snack-Bar, unendlich hübsch ist auch sie nicht, aber erotisch, stracks zu mir.

- Sie wünschen?

Ich muß (sie) erst (an)schauen.

Einen Verlängerten braun.

Meine Handschellen sitzen eng, beten kann ich gut, aber nicht den heißen, weißen Plastikbecher mit der Aufschrift

Gib mir Kaffee! Sonst raste ich aus!,

in dem sich der Verlängerte schon befindet, halten. Das Mädchen entspannt sich, die Bewegungen, mit denen sie mir den heißen, weißen Plastikbecher an den Mund führt, sind ruckartig. Ein Robotermädchen. Aber nicht wirklich. Sie bläst in den Kaffee und flüstert:

- Sie kennen also die Schrift.

Eine Feststellung.

Welche Schrift?

Die Snackbarfrau lächelt, der Kürze wegen im Folgenden Snackfrau genannt.

- Kommen Sie. Leugnen funktioniert nicht. Wir wissen alles.

Und lacht jetzt, auf ihr eigenes Wir wissen alles hin, prustend und schrill und spritzt mich, wegen der Nähe unserer Gesichter und ihres prustenden Lachens, an, und bläst und prustet und spritzt. Der Verlängerte zittert.

- Das heißt, alles eh nicht. Sonst müßten wir ja nicht fragen.

- Bin ich nicht wegen des Elektrischen hier?

- Des Elektrischen?

Die Snackfrau ist deutlich jünger. Als ich. Das hatte ich leider vergessen. Und kann die Fernsehserie Der sein Haus auf den Schultern trägt vulgo Morad der Elektrische folglich nicht kennen.

Was ich in der Öffentlichkeit einer Polizeiwachstube noch nie gemacht habe, LeserIn: Ich beginne zu singen, und wundere mich zeitgleich über meine Schamlosigkeit:
Pa be har jayi misare
adame khane be dusch
taghate mundan nadare
adame khane be dusch

Wo immer er hinkommt
Kann er nicht bleiben.
Der sein Haus
Auf den Schultern trägt

Die Titelmelodie.

- Die Fernsehserie! Ich weiß schon! Aus den 70ern. Das waren Zeiten

In den 70ern war sie bestimmt nicht geboren.

- Meine Mutter singt das immer.

- Er wurde ermordet.

- Wer?

- Der Elektrische. In der Deutschen Schule. Jetzt das Internat Islamischer Mädchen.

Sehr wahrscheinlich will die Snackfrau wieder lachen. Aber schüttelt nur den Kopf.

- Kooperieren bitte. Nicht ablenken. Sie kennen also die Schrift?

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Sonntag, 10. Februar 2013

Zizek in Teheran (27)

Oberhalb des Nummernspenders haben sie einen Flatscreen angebracht, nicht um die Nummern anzuzeigen, die an der Reihe sind, wie bei Matteo & Lorenzo, sondern es läuft eine Sendung des Zweiten Kanals des Teheraner Fernsehens. Zwei Gelehrte einer Teheraner Uni lächeln und diskutieren über Demokratie im Gefängnis. Ein Rasierter und ein Unrasierter.

Daß die Demokratie in den Gefängnissen Teherans weit fortgeschritten sei, sagt der Rasierte, zu weit, sagt der Unrasierte, so weit, sagt der Rasierte, daß man in den Gefängnissen Teherans freier sei als in Freiheit, was nicht schwer sei, sagt der Unrasierte. Beide lachen das sonore Lachen Teheraner Gelehrter.

Du glaubst, LeserIn, daß dieses Zusammentreffen, daß ich im Gefängnis sitze, d.h. in der Polizeiwachstube, die allerdings der Warteraum der Ambulanz eines Unfallkrankenhauses sein könnte - und just läuft im Fernsehen eine Diskussion über Demokratie im Gefängnis, daß das ein Kunstgriff von mir sei? Hast Du den Anfang des Romans vergessen?

Erstens: Es gibt keinen Gott.
Zweitens: Versucht er uns ständig zu unterhalten.

Und drittens, muß man natürlich hinzufügen, ist er ein Unterhalter auf dem Niveau der Drehbuchautoren von Seifenopern. Aber er versteht sich viertens auf Effekte.

Daß ich also im Gefängnis lande, d.h. in der Wachstube, und just läuft im Fernsehen eine Diskussion über Demokratie im Gefängnis ist nicht, wie Du vermutest, LeserIn, ein Kunstgriff von mir, sondern die Wahrheit, resp. eine Intervention Gottes, der uns unterhalten will. Gelegentlich hat er Erfolg. Mitunter begegnen uns Zufälle, die bedeutungsvoll scheinen, wie die Sendung über die Demokratie in den Gefängnissen Teherans, just als ich im Gefängnis lande, oder im Vorhof desselben, in der Polizeiwachstube, die aber die Ambulanz eines Unfallkrankenhauses sein könnte.

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Donnerstag, 7. Februar 2013

Zizek in Teheran (26)

Ingeborg an den Analytiker

In Teheran bist du, Analytiker? In Graz bist. Teheran heißt nichts. Außer: Daß  du in Graz  bist. Im Keller. Begraben. Vor mir. So sehr liebst Du mich? Verräter.

Ich liebe dich nicht. Nicht dich. Erinnerst du Dich an T.? Der mich die Sprache Teherans lehrte? Mit dem Akzent?

Nur Disch, Ingeborg, isch sch-e-wore, Ingeborg, nur Disch. 

Dann hat er versprochen, fur misch zu kochen. Teheranisch. Isch sch-e-wore.

Erinnerst Du Dich? Wann also kochst Du für mich?

Karl werde ich verlassen.

Ingeborg



Die Polizeiwachstube ist die Ambulanz eines Unfallkrankenhauses. Zwei Sitzreihen. Ich und die anderen Polizei-Patienten auf orangen Sitzschalen, ein knallroter Nummernspender vis à vis an der Wand. Wie die Trillerpfeiffe des Schiedsrichters. Auch die italienische Eisdiele Lorenzo & Matteo Tozzi, Mitglied der

Vereinigung italienischer Eiserzeuger Teherans
,

führen ihre Eisdiele im Hedayat-Boulevard, vor dem sich an Sommerabenden eine immens lange Schlange bildet, schon in vierter Generation - auch die italienische Eisdiele der Eisdealer Lorenzo & Matteo Tozzi hat, wie die Skiverleihe der Teheraner Ski- und Snowboardregion Dizin, genau den gleichen, knallroten Nummernpender, mit dem Unterschied, daß neben dem Nummernspender in der Eisdiele ein Monitor installiert ist, der die Nummer anzeigt, die an der Reihe ist. Im Unterschied zu der Polizeiwachstube und den Skiverleihen in der Ski- und Snowboardregion Dizin.

Ich bin die 208.

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Dienstag, 5. Februar 2013

Zizek in Teheran (25)

Es dauert bis ich kapiere, daß eine Katastrophe passiert ist. Ich will nicht. Ich habe Medizin studiert. Aber ich wollte nie. Notarzt werden schon gar nicht. Immer nur die Theorie, die mich interessierte. Ich bin unpraktisch und Ihr habt mich verachtet.

Der Elektrische liegt am Boden und röchelt. Ich renne um ihn herum. Gerade, daß ich nicht zucke und zacke wie er. So viel ist klar. Er wird sterben. Mit ihm die Kindheit hunderttausender, wenn nicht Millionen. Inklusive meiner. Hilfe, LeserIn! Ich habe ein Handy. In der Hosentasche. Das Tragen von Handys in Ihrer Hosentasche kann Sie impotent machen. Freilich, Hodenkrebs wäre mir lieber, ich hätte fast Hosenkrebs gesagt. Am liebsten Lungenkrebs. Aber wem passiert das schon.

122 : Feuerwehr. Die beiden 2er sind Schläuche. Schlangen. Ouroboros. Die sich selbst in den Schwanz beißen. Ein Schelm, wer, schon wieder, an Pornographie denkt.

Ouroboros,
LeserIn, mit rollenedm R zu lesen, ist Mythos.
Siehe Platon, Timaios.

Kennst Du nicht. Ich weiß. Ist es denn ein Widerspruch, bei Mythos an Pornographie zu denken?

133: Polizei. Drehe die linke 3 bis ein spiegelverkehrter 3-er entsteht und vereinige den spiegelverkehrten 3-er mit dem nicht-spiegelverkehrten zu einer 8. Eine Handschelle. Dir ist nicht zu helfen, LeserIn, ich weiß, Du hast wieder eine Porno-Assoziation. Noch bevor Du Dich Deiner Porno-Assoziation aber hingeben kannst, klickt eine Handschelle. Um mich herum mußt Du Dir ein Kordon Teheraner Rettungsleute, Feuerwehr- und Polizeibeamte vorstellen. Auf einmal. Kommt uns das bekannt vor?

Ich jedenfalls bin verhaftet.

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