Mittwoch, 30. Juli 2014

Zizek in Teheran (76)



Der Text auf den A4-Blättern, die Fuladi M2 überreicht - und die dieser jetzt in der Hand - hat, ist natürlich länger. Und enthält Anmerkungen, die im oben stehenden Text nicht enthalten sind.

So sind etwa die Worte

Zeitpunktes noch genau

im Satz

Ich erinnere mich des -  Zeitpunktes noch genau

unterstrichen. Ebenso das Wort

Spätherbsttage,

dieses allerdings doppelt. Ein auf das Wort

Spätherbsttage

zeigender Pfeil verbindet das Wort

Zeitpunktes

mit ersterem Wort. Neben den ebenfalls unterstrichenen Worten

starke Nebelbildung

steht in Klammern: gem. ist Propaganda!. Des weiteren ist zum Beispiel das Wort


Wunder

unterstrichen sowie die Worte

völlige Veränderung der Willensrichtung

- und nach den Worten völlige Veränderung der Willensrichtung steht in Klammern: gem. ist Gehirnwäsche. Auch die Worte

Weltordnung, Entmannung und gebieterisch

sind unterstrichen, die Worte

Verwandlung in ein Weib,

das Wort 

Befruchtung 

sowie die Worte

Göttliche Strahlen

und

zum Zwecke der Erschaffung neuer Menschen

Nach den Worten

Göttliche Strahlen

steht in Klammern: seegestützte Laserwaffen (April 2013!), und nach den Worten

zum Zwecke der Erschaffung neuer Menschen

wieder: Gehirnwäsche.

wird fortgesetzt

Dienstag, 29. Juli 2014

Zizek in Teheran (75)



Ja, sagt Hadi Fuladi. Kennst Du den You Tube-Kanal Webdriver Torso?

Er kenne ihn, ja. So wie vermutlich auch Du, LeserIn. Daher spare ich mir eine Erklärung - die ich Fuladi oder M2 in den Mund legen müßte - und verweise auf einen Artikel des SpiegelOnline:  

http://www.spiegel.de/netzwelt/web/webdriver-torso-geheimnis-um-80-000-youtube-clips-geloest-a-974241.html

Solltest Du diesen Text nicht online lesen, möge Dir der folgende Auszug aus dem Artikel genügen:

Wer lädt Zigtausende Videos auf YouTube hoch, auf denen nichts Spannenderes zu sehen ist als Farbflächen, untermalt von Pieptönen? Seit Wochen gehen Blogs und Nachrichtenseiten dem Geheimnis von "Webdriver Torso" nach.

[...]

Über 80.000 Videos listet derYouTube-Account von "Webdriver Torso" auf - und alle beinhalten ziemlich genau das Gleiche: eine elf Sekunden lange Abfolge von jeweils zehn Folien mit verschieden großen Vierecken in Rot und Blau. Sie erinnern vage an die minimale Kunst von Piet Mondrian, wäre da nicht die nervende Untermalung mit elektronischen Pieptönen, die fast klingt wie aus einem alten Internet-Modem. Keinerlei Hilfe bieten die Titel der Werke wie etwa "tmpz 5mCs", "tmpxNpWov" oder "tmp JODoF". Im September 2013 wurde das erste dieser Videos hochgeladen, an manchen Tagen kamen neue im Sekundentakt hinzu.

[...]


(SpiegelOnline, 10. Juni 2014)

Aber Fuladi geht es nicht um Webdriver Torso. Sondern – wir lassen ihn am besten selbst reden.

- Unter einem dieser Videos fand ich die Kommentare eines users, der sich Teheran_1260 nennt. Die "Kommentare" haben aber nichts mit Webdriver Torso und den Debatten über die Bedeutung und Herkunft der Videos zu tun, sondern ergeben einen langen, auf mehrere "Einzelkommentare" verteilten zusammenhängenden Text.

- 1260 ... kommt mir das nicht irgdnwie -

- Ich - habe es ausgedruckt. Hadi Fuladi reicht M2 mehrere A4-Blätter.

[...] Ich erinnere mich des Zeitpunktes noch genau; er fiel zusammen mit einer Anzahl schöner Spätherbsttage, an denen Morgens jedesmal starke Nebelbildung stattfand. In dieser Zeit traten die Zeichen der Verweiblichung an meinem Körper so stark hervor, daß ich mich der Erkenntnis des immanenten Zieles, auf welches die ganz Entwicklung hinsterbte nicht längre entziehen konnte. In den unmittelar vorausgegangenen Nächten wäre es vielleicht, wenn ich nicht noch der Regung männlichen Ehrgefühls folgend, meinen entschiedenen Willen entgegensetzen zu sollen geglaubt hätte, zu einer wirklichen Einziehung des männlichen Geschlechtsteils gekommen; so nahe war das betreffende Wunder der Vollendung. Jedenfalls war die Seelenwollust so stark geworden, daß ich selbst zunächst am Arm und an den Händen, später an den Beinen am Busen am Gesäß und an allen anderen Körperteilen den Eindruck eines weiblichen Körpes empfing.

Einige Tage fortgesetzter Beobachtung dieser Vorgänge genügten, um eine völlige Veränderung der Willensrichtung in mir herbeizuführen. Nunmehr wurde mir unzweifelhaft bewußt, daß die Weltordnung, die Entmannung gebieterisch verlange, mochte sie mir persönlich zusagen oder nicht, und daß mir daher aus Vernunftgründen gar nichts Anderes übrig bleibe, als mich mit dem Gedanken der Verwandlung in ein Weib zu befreunden.

Als weitere Folge der Entmannung konnte natürlich nur die Befruchtung durch Göttliche Strahlen zum Zwecke der Erschaffung neuer Menschen in Betracht kommen [...]

wird fortgesetzt 

Sonntag, 27. Juli 2014

Zizek in Teheran (74)



M1 und das Erste Teheraner Heimorgelorchester suchen nämlich einen neuen Texter. Nicht wegen des gesellschaftskritischen und – gelinde gesagt - anstößigen Charakters ihrer bisherigen Songtexte. Gegen den gesellschaftskritischen und - gelinde gesagt - anstößigen Charakter der Texte hat M1, im Unterschied zu seinem staatstragenden Bruder, überhaupt nichts. Aber er stört sich an der – bzw. am Nichtvorhandensein der - Qualität.

Viel ärger drán
Als Tehe-rán
ist Isfa-hán
An jedem zweiten
K-rán
Dort hängt
Ein jugendlicher
Delinquent

Das ist kein Exempel für die schlechte Qualität der bisherigen Songtexte. Nein. Sondern der neue Textdichter, ein gewisser Hadi, hat M1 diesen Text gemailt. Hadi Fuladi. Den M2 – um seinem Bruder einen Gefallen zu tun (siehe oben) und auch wegen des gesellschaftskritischen und - gelinde gesagt - anstößigen Charakter der bisherigen Texte – für ihn und das Erste Teheraner Heimorgelorchester ausfindig gemacht, und mit ihm kurzgeschlossen hat. M2 kennt Fuladi von seiner Zeit an der elitären Geheimen Geheimdienstschule der Islamischen Republik, Kaderschmiede des Teheraner Informationsministeriums. M2 hat Fuladi als scharfsinnigen, wenn auch verträumten, von den Kommilitonen verachteten und bewunderten Schüler der Geheimdienstschule in Erinnerung.
M1 übrigens hatte - trotz Drängens ihres Vaters, des verblichenen Führers - das Studium an der Geheimen Geheimdiensschule verweigert.

M2 sitzt jetzt. In einem Teheraner Fahrrad-Café. Hadi gegenüber. Das Fahrrad-Café ist kein Kaffeehaus auf Rädern. Sondern eine Kombination aus Kaffeehaus und Fahrradwerkstatt. Hoch an der Backsteinwand hinter der Bar hängen Fahrräder, zum Teil uralte Modelle.

Ich weiß, sagt Hadi.

M2 öffnet den Mund, um.

Daß Du die mails von M1 liest.

Ihn wieder zuzumachen.

Der Songtext war für Dich bestimmt. Du weißt schon - Viel ärger drán/ Als Teherán/ ist Isfahán ...

M2 seufzt. Kapiert. Und lacht.

Alles klar, LeserIn? Hadi Fuladi hat den obenstehenden Songtext an die E-Mail-Adresse von M1 geschickt. Im Wissen, daß M2 den E-Mail-Verkehr seines Bruders, M1, überwacht. Der Songtext ist nur ein Vorwand gewesen. Fuladi hat M2 veranlassen wollen, an einem ungestörten Ort, mit ihm reden zu wollen. In Wahrheit wollte Fuladi, an einem ungestörten Ort mit M2 reden.

Woher Fuladi weiß, daß M2 den E-Mail-Verkehr seines Bruders überwacht?

Weiß ich nicht.

Warum sich M2 mit Fuladi treffen will?

Sollte aber klar sein. M2 ist alarmiert. Wegen des obenstehenden Textes. Dessen - fehlende - Qualität macht ihm nichts. Er stößt sich aber an dem schon wieder gesellschaftskritischen und - gelinde gesagt - anstößigen Charakter.

Warum sich Fuladi – an einem ungestörten Ort - mit M2 treffen will?

Soll er selbst sagen.

Aber erst M2. Der seufzt, wie gesagt. Kapiert. Und lacht.

In Wahrheit wolltest also Du mit mir reden.

Ja, sagt Hadi. An einem ungestörten Ort.

In der Schule, der Geheimen Geheimdienstschule, hatten sie Hadi Fuladi verachtet, siehe auch oben, als neurotischen Sonderling, und bewundert. Bewundert, weil scharfsinnig. Aber verachtet mehr als bewundert. Monk – der neurotische, Du weißt schon, Privatdetektiv der TV-Serie - war der ehrenvollste seiner Spitznamen.

Ja, sagt Hadi. Kennst Du den You Tube-Kanal Webdriver Torso?

wird fortgesetzt

Sonntag, 20. Juli 2014

Zizek in Teheran (73)



Um dem Führer zu helfen, sich ernsthafter und öfter mit den Angelegenheiten der Republik zu befassen, hat sein Bruder, M2, zwei grundsätzliche Strategien. Mal verfolgt er die eine. Mal die andere.

Mal malt er Katastrophen an die Wand. Von der Verstärkung des Sanktionsregimes der

Amerikaner

bis zum Zerfall des Vielvölkerstaates Teheran in viele Einzel-Teherans - nach einer Militärintervention der Amerikaner. Bis zu seinem Tod hatte ihr Vater, K, der verblichene Führer, versucht (wollen wir ihn, K2 nennen, um ihn vom Republiksgründer K1 zu unterscheiden) die Amerikaner vom zivieln Charakter des Teheraner Nuklearprogramms zu überzeugen. Aber leider, leider und so weiter.

Mal versucht er, indem er seinem Bruder einen Gefallen erweist, ihn dazu zu bewegen, daß im Gegenzug er (M1) ihm (M2), einen Gefallen erweist, indem er sich – Du hast es erraten, LeserIn - ernsthafter und öfter mit den Angelegenheiten der Republik befaßt.

Letzteres ist im Moment der Fall. M2 versucht M1 einen Gefallen zu tun. Genau genommen, versucht er, die Folgen seines Versuchs, seinem Bruder, dem Führer der Islamischen Republik sowie des Ersten Teheraner Heimorgelorchesters, einen Gefallen zu tun – wie sagt man in Graz –, auszubügeln.

Kompliziert. Aber es wird komplizierter.

Ich habe vergessen zu sagen: Das Erste Teheraner Heimorgelorchester ist zwar nicht sehr bekannt, gänzlich unbekannt aber auch wieder nicht. Im Internet kursieren zahlreiche Musikclips. Du magst fragen, wie M1, der junge Führer der Republik, seine Mitgliedschaft im Ersten Teheraner Heimorgelorchester geheim zu halten vermag. Denn daß der Führer der Islamischen Republik in der Öffentlichkeit als Führer einer Synth-Pop-Band mit gesellschaftskritischen und – zurückhaltend formuliert – anstößigen Texten in Erscheinung tritt, ist nicht opportun. Das wird Dir einleuchten.

Die Antwort ist denkbar banal: M1 benützt einen Gesichtsschleier, um sein Gesicht zu verschleiern. Wie Frauen der Küstengebiete im Süden von Teheran. Er tritt also in der Öffentlichkeit als Frau in Erscheinung. Das heißt also nicht. In Erscheinung.

Und hier, nicht bei dem (Nicht-)In-Erscheinung-Treten von M1, als Frau, sondern hier bei den Texten des Ersten Teheraner Heimorgelorchesters kommt M2 ins Spiel. Mit seinem Versuch, M1 einen Gefallen zu tun, resp. mit seinem Versuch, die Folgen seines Versuchs, seinem Bruder einen Gefallen zu tun, auszubügeln.

M1 und das Erste Teheraner Heimorgelorchester suchen nämlich einen neuen Texter. Nicht wegen des gesellschaftskritischen und, zurückhaltend formuliert, anstößigen Charakters der bisherigen Texte. Gegen den gesellschaftskritischen und, zurückhaltend formuliert, anstößigen Charakter der Texte hat M1 - im Gegensatz zu seinem staatstragenden Bruder - überhaupt nichts. Er stört sich aber an der Qualität. D.h. am Nichtvorhandensein. Derselben.

Viel ärger drán
Als Tehe-rán
Ist Isfa-hán
An jedem zweiten
K-rán
Dort hängt
Ein jugendlicher
Delinquent

wird fortgesetzt