Donnerstag, 20. Dezember 2012

Der Maulwurf - von Gerhard Hammerschmied

Anläßlich einer Lesung in Klagenfurt hatte ich das Glück, Gerhard Hammerschmied kennenzulernen. Hammerschmied ist Philosoph, Autor, Theologe, Romanist, und einer der vielseitigsten real existierenden Geistesmenschen. Der Schwerpunkt seiner Lehrtätigkeit an der Universität Klagenfurt ist die aktuelle französische Philosophie. Er hat unter anderem über die Phänomenologie Husserls, Lacans Religionsphilosophie, Kafkas Hermeneutik des ungeschriebenen Gesetzes, aber auch über Fragen der Entwicklungspolitik (Väter. Sonne. Kapital. Philosophische Variationen über Herrschaft, Armut und Entwicklung. Passagen 1996 sowie Milde Gabe. Bruchstücke einer Philosophie der Spender. Passagen 1998) publiziert.
In der Burggasse (Drava 2012), einem vielschichtigen, erschütternden Text, erzählt Hammerschmied die Geschichte seiner Familie und deren jüdischen Nachbarn während der nationalsozialistischen Herrschaft in Judenburg.

Im folgenden Hammerschmieds wunderschön kafkaeske Parabel

Der Maulwurf

Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, hielt seine schützende Hand über dieses Institut, das einige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, in einer Betonwüste lag. Es hielt den an sie grenzenden Wohnsilos den Hintern hin, so formulierte es der an Musils Worten entlang lebende Germanist.

Die Maulwürfe lehren die Schmetterlinge das Fliegen, so ist es, seufzte der Biologe, die Vögel das Innerste und Dunkelste des Universums. Der Bücherkundige stimmte lebhaft zu: Da sie blind sind wie die Fledermäuse, meinten sie, dass alles in der Ordnung sei. Nach dem Genuss einiger Regenwürmer werfen sie ihre Hügel und zeigen so der Welt, die es zu diesem Behufe geben musste, welche Bedeutung sie hätten. In der Nacht, wenn keine Gefahr droht, lieben sie auch den Wind, der um ihre kleinen Ohren pfeift; dann kehren sie zufrieden zurück in ihr Erdloch und, begegnen sie einer Wühlmaus, grüßen sie diese ehrerbietig, diese kluge Kennerin aller Gänge und Winkel. Die Blinden haben jedoch andere Geheimnisse als wir sie haben.

Fabelwesen sind keine Tiere, aber auch keine Menschen, und kleine Häufchen machen sie alle, sonst wären sie ja Götter. Sie winkten der Kellnerin energisch zu, ein Getränk reicht eben nicht, um den harten pädagogischen Alltag hinter sich zu lassen. Ein Maulwurf, der eine Wühlmaus werden wollte, der Alkohol schreibt die schönsten Geschichten. Er hatte die schärfsten Zähne und scharte viele kleine, schwächliche Artgenossen um sich, die sich auch ruhig beißen ließen, wenn es galt, diesen fetten, aufgeblähten Kriecher zu verteidigen. In scharfen Winternächten durften sie dann in seiner Nähe die Wärme genießen. Einige hatten dadurch äußerst geruhsamen Grabdienst, andere schätzten die Anerkennung, wenn sie es schafften, ganz allein einen großen Hügel zu gestalten, zur Ehre des Großen. Und man wusste ja außerdem nie, welche Geheimnisse er plötzlich hervorbringen könnte, zwischen zwei fetten Regenwürmern, die man ihm zutrug, neben den aller Erde entbehrenden Klagen seiner Gegner. Die Wühlmaus, gab er vor, mit der er die prächtigsten Beziehungen unterhielt, von Erdwesen zu Erdwesen, erzähle ihm alles, was zum besseren Leben für alle führen könne, und zur Ordnung. Er gab es weiter, an alle, die ihn hören wollten, damit der innere Maulwurf in jedem von ihnen sehend werde. Friedvoll vereint saßen sie im Gemeinschaftsloch, die Schnauze zu ihm erhoben, die Ohren gespitzt, die feinen Härchen der Weisheit entgegengestreckt und manch unerbitterlicher Maßnahme.

Die Tür des kleinen vorstädtischen Gasthauses ging auf, herein kamen drei Kollegen, die man herzhaft grüßte, als sie sich am anderen Ende des Lokals niederließen.
Die Stimmen der beiden wurden leiser und etwas eindringlicher, so als ob man sich am Sarg eines mäßig geliebten Nachbarn unterhielte. Ein tiefer Schluck, und noch einer, nachdem man die Gläser aneinander zum Klingen brachte.

Wie willst du nun mit deiner Geschichte erklären, dass die Wühlmaus diesen fetten Maulwurf, der nicht einmal der Maulwurfsprache mächtig ist, aus diesem seinem Loch entfernte? Sie wusste doch immer schon, dass er keinem einzigen Regenwurm selber nachging? Und dass der alte, frühere, so nett und freundlich war, seinen Untertanen persönlich die Gänge zuwies. Warum sollte diese dumme Maus dem Vielfraß einen neuen Gang zuteilen, der erst mühsam verbreitert werden musste? Es muss gebissen werden und gefressen. Deine Geschichte ist unter der Erde, noch ehe der letzte Satz geschrieben ist.

Die Kollegen am anderen Ende der Wirtshauswelt drehen ihre Köpfe wie Uhus in der Nacht ihrer Wahrheit, krächzen und halten Ausschau nach treulosen Maulwürfen und Wühlmäusen, suchte der Germanist nach einer Wendung in seiner Fabel.

Sie werden sich überfressen, damit endlich Ruhe herrscht.
Und Gerechtigkeit.
Ja Gerechtigkeit.
Und Kollegialität.
Sie lachten. Ein Bier noch.
Auch Schüler kamen in das Lokal, gingen artig zum Dichter, zum Biologen, grüßten so herzlich als es ihr junges Alter zuließ.
Einen Maulwurf entfernt tuschelte es in die Rauchschwaden der Gäste hinein.

Zwei Schüler gingen, einer entschloss sich, auf das freundliche Handzeichen der beiden Kollegen hin, zu bleiben.

Das Übliche halt, doch kein Geschwätz, auch keine Zukunft, so wie sie die Alten haben wollen, nach all den Jahren und Prüfungen. Über andere sprach man nicht, es fehlte das Interesse. Kein Lob, kein Tadel.
Ein Maulwurf kroch in ihnen empor, der Germanist erzählte diese Fabel, die sich selbst in die Erde erzählte.

Eines Tages, versuchte sich der Schüler an dieser Geschichte, hielten die ausgemergelten und unterwürfigen Tiere Rat. Die alte und kluge Maulwurfsmutter mit besonders langen und empfindsamen Sinneshaaren verschaffte sich Gehör. Für nicht allzu lange Zeit arbeiteten sie noch mehr, bis an den Rand der Erschöpfung. Doppelt so viele Regenwürmer brachten sie dem alten Sack, der sie in seiner Gier verschlang und endlich zerplatzte. Die Soldaten des Alten brachen in feierliches Pfeifen aus, fielen den halb verhungerten Tieren in die Arme und bedankten sich. Sie genossen das Leben, Freude herrschte in den Gängen, bis der nächste kam.

Das ist doch traurig, mein Junge, geht es immer so weiter, in deinem Alter so große Weisheit. Es sind doch bloß Tiere. Also, genießen wir die Zeit, die dann bleibt, sprach der Biologe.
Er wird bald platzen.
Ja, er wird bald platzen.
Das Lachen kehrte zurück.

Die Uhus am anderen Ende der Stube versuchten sich in ihrer Neugier an einer vollständigen Drehung ihrer Köpfe, brachen sich das Genick und merkten es nicht.

Es war spät geworden, man bezahlte, verabschiedete sich herzlich und ging.

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