Samstag, 9. November 2013

Zizek in Teheran (58)



Ich begegnete dem Übersetzer beim Tai Chi im Wald. In der Betonlichtung. Tai Chi ist einmal die Woche. Der Sportwart war krank. Ich vertrat ihn. Er ist vermutlich nebenbeschäftigt.

Die Betonlichtung ist eine Lichtung im Gefängniswald, und das Werk Namwars. Noch unter dem Kaiser hatte sich die Verwaltung bei Vater und den Behörden über das Dickicht zu beschweren begonnen. Nicht über das Dickicht der Bäume, vielmehr über die Rucksack- und Schubladenzellen und Baumhäuser und die künstlichen Inseln im Teich - aber vor allem über das Baumhäuser, Inseln, Rucksack- und Schubladenzellen untereinander und mit dem Boden verbindende Netz aus (zum Teil ein- und ausfahrbaren) Treppen, Strickleitern Rampen und (zum Teil beweglichen) Brücken.

Fünf Jahre nach der Revolution - der Justizapparat hatte wieder zu funktionieren begonnen, auch abseits der Revolutionsgerichte - erreichten die Gefängnisbürokraten die Errichtung der Lichtung. Den Aufrtag erhielt wieder Namwar. Ohne auf Bäume, Baumhäuser, Brücken, Rampen, Treppen Rücksicht zu nehmen, ließ er in der Mitte des Waldes eine quadratische Fläche roden, genau genommen ist es ein Kubus.

Sie verkleinerten den Teich, reduzierten die Anzahl der Inseln, und betonierten den Waldboden im Bereich der Lichtung, weshalb sie die Lichtung, die – wie bei Bosketten in der Gartenarchitektur des Barock - durch geometrisch exakt geschnittene Bäume eingefaßt wird, Betonlichtung nennen.

Ein paar der schönsten Baumhäuser fielen der Rodung zum Opfer. Das Spiegelbaumhaus verschonten sie aber, wegen der Touristen wahrscheinlich.

Der Übersetzer gehört zu einer Gruppe Älterer, die regelmäßig Tai Chi praktizieren. Die Jüngeren trainieren im Studio oder spielen Tischtennis. Oder Fußball. Nach dem Ende der Einheit, ich hatte bloß zugesehen, und war in Gedanken woanders, steht er abseits, zwischen zwei Kiefern, am Rande der Lichtung. Ich reiche ihm einen Bic-Kugelschreiber, und ein auf ein Clipboard befestigtes Formblatt. Die Inanspruchnahme einer Turneinheit muß vom Häftling bestätigt werden. So will es die Verwaltung.

Der Übersetzer nimmt den Kugelschreiber, einen orangen Bic mit blauer Schriftfarbe, unterschreibt aber nicht, sondern hält ihn mir vor die Nase, als hätte nicht ich ihm den Kugelschreiber gereicht, sondern er sei im Begriff, ihn mir zu reichen, steckt ihn in die Hosentasche seiner Trainingshose, nimmt aus der Brusttasche seiner Trainingsjacke einen zweiten Bic – der sich von dem Kugelschreiber, den ich ihm gereicht habe, nicht unterscheidet - zieht dessen Stöpsel heraus, mit der Leichtigkeit eines Tänzers oder Tai Chi-Meisters  (aber eigentlich erinnert mich diese Leichtigkeit an Pan Tau, einen aus der Zauberwelt stammenden, distinguierten Herrn, in einer tschekoslowakischen Serie der 1970er Jahre. Den liebten ich und meine Schul- und Straßenkameraden über alles) und mit rhythmischen Bewegungen des Zeigefingers zeigt er auf das Innere des Bics, und steckt den Stöpsel wieder hinein.

Daß er das Formblatt nicht unterschrieben hatte, fiel mir erst im Büro auf, woraufhin ich den Stöpsel wieder aus dem Bic herauszog, weniger elegant als der Übersetzer, im Inneren des Kugelschreibers fand ich, um die Miene gewickelt, ein Papier. Das überraschte mich nicht, etwas derartiges hatte ich erwartet – worauf ich noch zurückkommen werde. Das Papier ziehe ich mithilfe einer Pinzette heraus und entfalte es, ein kleines Blatt, natürlich, darauf ist folgendes zu lesen, d.h. zunächst ist gar nichts zu lesen, die Schrift ist außerordentlich klein, ich muß eine Lupe benützen:

Ich werde keine Drehbücher schreiben.

wird fortgesetzt

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