Samstag, 30. August 2014

Warum wir immer dümmer werden (3)



In den 1980er Jahren wurden in den Gefängnissen der Islamischen Republik Iran zahlreiche junge  Frauen – allesamt politische Gefangene – vor ihrer Exekution vergewaltigt. Die Vergewaltigungen hatten einen theologischen Hintergrund. Nach islamischer Überlieferung gelangen Jungfrauen, die sterben, ins Paradies. Die Vergewaltigungen sollten das verhindern. Um die Vergewaltigungen ihrerseits islam-rechtlich zu legitimieren, zwang man die Frauen, knapp vor ihrer Exekution, mit einem ihrer Wächter eine sogenannte Zeitehe einzugehen. In einigen Fällen erhielten die Eltern der Exekutierten das Brautgeld1.


Die Legitimierung der Vergewaltigungen via Zwangsverehelichung wäre allerdings vielleicht gar nicht notwendig gewesen. Wie Ezzat Mossalanejad ausführt2, sehe der Koran zwar Strafen für außerehelichen Geschlechtsverkehr – nicht jedoch (oder zumindest nicht explizit) für Vergewaltigung vor. Zugleich gestatte er die sexuelle Versklavung ungläubiger weiblicher Kriegsgefangener3. In der Islamischen Republik Iran werden (bestimmte) politische Gefangene als Menschen betrachtet, „die gegen Gott Krieg führen“ (moharabe ba khoda). Dieser Logik folgend, könnten - so Mossalanejad - weibliche politische Gefangene als Kriegsbeute angesehen werden, deren „Versklavung“ - und ergo Vergewaltigung - im Sinne des Korans legitim sei.

Wie auch immer. Was uns an diesen düsteren Aspekten der islamischen Revolution hier interessieren sollte, ist, daß sie das gängige Argument, die Islamisten - im Iran und anderswo - würden „den Islam bloß benützen“, in Wahrheit ginge es nicht um den Islam, sondern um andere (machtpolitische, ökonomische, „imperialistische“ etc.) Zwecke, in beeindruckender Weise ad absurdum führen.

Hätten wir es „lediglich“ mit Vergewaltigung zu tun, könnten Argumente wie die folgenden vielleicht Anspruch auf Gültigkeit erheben: „Es geht hier um ein machtpolitisches Kalkül, das ‚mit dem Islam nichts zu tun’ hat4 - indem die Machthaber selbst dafür sorgen, daß Informationen über die Vergewaltigungen an die Öffentlichkeit gelangen, festigen sie ihre Machtposition durch die Verbreitung von Angst und Schrecken“, oder: „Die Wächter 'mißbrauchen den Islam', um ihre Gelüste zu befriedigen.“ etc. etc.

Hier geht es aber offensichtlich um die Lösung eines kniffligen theologischen Dilemmas: Wie läßt es sich verhindern, daß Frauen als Jungfrauen sterben, ohne gegen die Gesetze der Religion zu verstoßen? Die für die Vergewaltigungen und Exekutionen Verantwortlichen waren keine (oder nicht bloß) zynische Machtpolitiker - sondern gläubige  Moslems. Wären sie nichts als zynische Machtpolitiker gewesen, wäre ihnen die Überlieferung, wonach Jungfrauen nach dem Tod ins Paradies kommen, gleichgültig.

Fiel das Entsetzen meines Freundes Kave in die Kategorie Noch-immer (wie kommt es, daß es in einem mitteleuropäischen Land des 21. Jahrhunderts noch immer so etwas wie Rassismus gibt) – so fällt unser Entsetzen über jene theologisch motivierten Vergewaltigungen (oder jüngst über die Verbrechen des Islamischen Staates im Irak und in Syrien) in die Kategorie Schon-wieder.

Wenn nicht als völlig „jenseitig“ und bizarr, empfinden wir Phänomene wie jene Vergewaltigungen oder den Islamischen Staat als erschreckend unzeitgemäß. Als hätte ein verrückter Wissenschaftler urzeitliche Ungeheuer mittels Zeitmaschine in die Jetztzeit gebracht – und auf die Menschheit losgelassen.

Spontan reagieren wir auf solch erschreckende Anachronismen mit dem Impuls, sie ungeschehen machen zu wollen - indem wir das Unzeitgemäße als zeitgemäß zu denken versuchen.

wird fortgesetzt

1 Siehe z.B.:


http://www.amontazeri.com/farsi/Khaterat/html/1097.htm

Shahrooz Kave. With Revolutionary Rage an Rancor: A Preliminary Report on the 1988 Massaccre of Iran's Political Prisoners. Harvard Human Rights Journal. 2007, (20 vol), S. 231 und S. 239

Ahmadi Jaleh. Political Prisoner: Iran and Afghanistan. Encyclopedia of Women and Islamic Cultures: Vol. II, Familiy, Law and Politics. Suad Joseph (ed.), Leiden-Boston 2005, S. 556-567 

Ezzat Mossallanejad in Haideh Moghissi (ed). Muslim Diaspora: Gender, Culture and Identity, Routledge 2006, S. 566 - 567 

„O Prophet, Wir erlauben dir deine Gattinnen, denen du ihre Mitgift gabst und die Sklavinnen [...] von dem, was dir Allah als Beute gab.“ Henning, Max: Der Koran. Aus dem Arabischen übertragen, Stuttgart 1960, S. 406, Sure 33, Vers 50

4 Von der – berechtigten - Frage ob „Islam“ und „Machtpolitik“ überhaupt ein einander ausschließendes Gegensatzpaar bilden, wollen wir hier absehen. Diese Frage erhebt sich selbstverständlich auch in Zusammenhang mit anderen Religionen, sollte aber nicht pauschal abgehandelt, sondern in jedem einzelnen Fall gesondert untersucht werden.

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