Donnerstag, 2. Oktober 2014

Warum wir immer dümmer werden (9)


Konstantin Ziolkovski - fast tauber Vater der sowjetischen Raumfahrt

Als sich jedoch Khomeyni an die Spitze der revolutionären Bewegung setzte, sprengte der Rekurs zum Islam den Rahmen des Symbolischen, er wurde real. Halluzination statt Erinnerung.

Und die Oktoberrevolution? Ausgerechnet diese, ihrem Selbstverständnis nach marxistische Revolution, scheint ganz ohne den - nach Marx für Revolutionen charakteristischen - Rekurs auf vergangene Epochen ausgekommen zu sein. Man könnte hier allenfalls Lenins weltanschauliche Verankerung in den Ideen der Narodniki anführen, Vertreter einer literarischen und sozialrevolutionären Bewegung, die aus der Tradition russischer Bauern schöpften, und von einer Gesellschaft abseits des westlichen Kapitalismus träumten. Aber die Ideen der Narodniki waren zu Lebzeiten Lenins nicht wirklich tot, und mußten - im Unterschied zu den historischen Beispielen, von denen bei Marx die Rede ist - nicht erst wiederbelebt werden.

In den revolutionären Diskursen im Russland des beginnenden 20. Jahrhunderts finden wir allerdings – und zwar abseits von Lenin - ein überraschendes Äquivalent für die von Marx beschriebenen revolutionären Rückwendungen zur Vergangenheit. In Alexander Kluges zehnstündiger „Verfilmung“ des Marxschen Kapitals, Nachrichten aus der ideologischen Antike, berichtet Boris Groys von den Biokosmisten, einer Gruppe radikaler russischer Denker, die überzeugt waren, daß der Kommunismus so lange unvollendet bleiben würde, solange die Revolution nur die Gesellschaft der Lebenden befreite. Am Ziel sei der Kommunismus erst dann, wenn es der Wissenschaft gelänge, die Toten wieder zum Leben zu erwecken. Die Generationen vor uns, die gelitten hätten, ohne erlöst worden zu sein. Und erst dann, wenn – neben der Abschaffung des gewöhnlichen Privateigentums – auch das „Privateigentum an (Lebens)zeit“ abgeschafft worden wäre, so daß alle Menschen gleich lang – und zwar unendlich lang – leben würden, erst dann sei die Geschichte am Ziel.

Die Biokosmisten, die sich konsequenterweise intensiv mit Themen wie Unsterblichkeit und Verjüngung befassten, übten großen Einfluß auf die frühe sowjetische Wissenschaft aus - aber auch auf Künstler wie Krassimir Malewitsch. Laut Kluge arbeiteten zeitweise bis zu 46 Institute der sowjetischen Akademie der Wissenschaften an der Entwicklung eines Mittels zur Erlangung der Unsterblichkeit1. 1926 gründete Alexander Bogdanov, ein Jugendfreund Lenins, das Institut für Bluttransfusion, mit dem Ziel den Alterungsprozess mittels Blutaustausch zu verzögern, wenn nicht zu verhindern. Ihm selbst kostete eine Bluttransfusion das Leben. Und die Raketen-forschungen Konstantin Ziolkovskis, der die zum Leben erweckten Toten – für die es auf der Erde zu wenig Platz geben würde - auf andere Planeten bringen wollte, machten ihn zum Vater der sowjetischen Raumfahrt.

wird fortgesetzt

1http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/buecher_aktuell/46920_Kluge-Alexander-Das-Bohrern-harter-Bretter.html

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