Mittwoch, 4. Dezember 2019

"Exekution ist keine Kunst!" (1)


Bildergebnis für Asterix
Asterix und Obelix sind häufig mit köstlichen Anachronismen konfrontiert
„Exekution ist keine Kunst!“ 

„Exekution ist keine Kunst!“ lautete ein Protestschild gegen Scaffold, eine Installation des US-Künstlers Sam Durant, die im Park des renommierten Walker Centers in Minneapolis aufgestellt worden war – ein Holzgerüst als Anspielung auf den Galgen als eine „für die amerikanische Geschichte zentrale Architektur“1. 

Scaffold ließ sich zwar als allgemeiner Hinweis auf die Praxis der Exekution durch Erhängen in der Geschichte der Vereinigten Staaten interpretieren. Die Proteste verstanden die Installation aber explizit als Anspielung auf die größte Massenhinrichtung in der US-Geschichte: Die Exekution von achtunddreißig Angehörigen der Dakota, nach der Niederschlagung des Sioux-Aufstandes, 1862, im unweit von Minneapolis gelegenen Mankato.

In den Debatten um Scaffold, die weite Teile (nicht nur) der kunstinteressierten Öffentlichkeit (nicht nur) in den USA erfassten, ging es – wie nicht anders zu erwarten – um Topoi wie „Cultural Appropriation“ und „White Supremacy“. Interessieren soll im Folgenden aber ein anderer, unterbelichteter Aspekt dieser und ähnlicher Kontroversen: Welche Auffassung von Kunst mag der Wahrnehmung einer aus Holzbalken bestehenden künstlerischen Installation als Exekution zugrunde liegen? Es geht hier selbstverständlich nicht um die „Kunstauffassung der Angehörigen der Dakota“. Solcherart Positionen begegnen in Kunstdebatten der letzten Jahre immer wieder und werden, etwa in den USA, sowohl von Angehörigen der weißen Mehrheit als auch von jenen nicht-weißer Minderheiten vertreten.2 

Asterix und der Protest gegen Exekution in der Kunst 

Als ich von den Protesten gegen Scaffold las, führte mich eine Kette von Assoziationen von der Parole „Exekution ist keine Kunst!“ zu René Goscinny, dem unsterblichen Erfinder von Asterix, der letzteren immer wieder mit köstlichen Anachronismen konfrontiert. In Asterix bei den Schweizern lässt er ihn etwa, zusammen mit Obelix, in einer Art „Autobahnraststätte“ einkehren. Ein Kellner bemerkt, dass sie, wenn sie Glück hätten, Zeugen eines Unglücks auf der Wagenbahn werden könnten. In ähnlich anachronistischer Weise könnte man sich den Slogan „Exekution ist keine Kunst!“ auf einem Protestschild gegen jene im alten Rom übliche Synthese aus „Tragödie und Gladiatorenkampf“3 vorstellen, über die der Kulturhistoriker Ludwig Friedländer schreibt:

„Auch eigentlich theatralische, besonders pantomimische Vorstellungen fanden in der Arena statt, nur daß die Schauspieler verurteilte Verbrecher waren, die eigens dazu unterrichtet und eingeübt wurden, und daß sie Tod und Martern nicht fingierten, sondern wirklich erlitten. In kostbaren, golddurchwirkten Tuniken und Purpurmänteln, mit goldenen Kränzen geschmückt, traten sie auf; doch wie aus den todbringenden Gewändern der Medea fuhren plötzlich Flammen aus diesen prächtigen Kleidern, in denen die Elenden grauenvoll umkamen.“4 

Von den Besuchern jener grausamen Schauspiele scheinen postmoderne Subjekte, die eine künstlerische Anspielung auf Exekutionen gleichsam als realen Akt der Exekution wahrnehmen, Welten zu trennen. Ähnliches scheint auch für jene zeitgenössischen Leser(innen) zu gelten, die dafür eintreten, bestimmte Werke der Literatur mit Warnhinweisen zu versehen, sogenannten Trigger Warnings, da eine Konfrontation mit bestimmten Passagen dieser Werke ihre Gefühle, etwa als Angehörige einer sexuellen, ethnischen, religiösen ... Minderheit, verletzten und sie in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigen könnte.

Aus der Sicht der Psychoanalyse könnten die Dinge aber ganz anders liegen. Wenn ein Analysand seiner Analytikerin zuruft: „Sie langweilen sich gerade mit mir!“, könnte sie ihn auf den banalen Umstand aufmerksam machen, dass es sich bei dieser Zuschreibung um seinen Gedanken handelt. Und dass es für den analytischen Prozess hilfreich sein könnte, zu prüfen, was dieser Gedanke mit dem Analysanden selbst zu tun haben mag – mit seinen aktuellen und vergangenen Erfahrungen etc. Unabhängig davon, ob sich die Analytikerin nun tatsächlich langweilen mag oder nicht. 

Eine psychoanalytische Intervention 

Wenden wir diese simple Strategie auf die Parole „Exekution ist keine Kunst!“ an, könnten wir ihrem Urheber folgendes zurufen:

„Bevor du – bezugnehmend auf eine Kunstinstallation wie Scaffold – ausrufen kannst: ‚Exekution ist keine Kunst!’, musst du diese symbolische Anspielung auf Exekution zunächst als realen Akt der Exekution aufgefasst haben. Um dann deine Imagination einer realen Exekution in den symbolischen Rahmen einer Kunstinstallation zu projizieren – und ausrufen zu können: ‚Exekution ist keine Kunst!’“

Was abgelehnt wird, die Exekution, liegt also im Auge des Betrachters.  Hinter der Parole „Exekution ist keine Kunst!“ steht, so gesehen, eine Kunstauffassung, die zwischen Realität und Kunst, zwischen der symbolischen  und der realen Ebene keinen Unterschied macht.

Hatte in jenen antiken Theaterstücken die Aufhebung der Differenz zwischen dem Symbolischen (dem gespielten Tod des Tragödienmimen) und dem Realen (das tatsächliche Sterben der Verurteilten) auf der Ebene der Produktion von „Kunst“ stattgefunden, findet sie heute auf der Ebene ihrer Rezeption statt: Mehr und mehr Zeitgenossen – bei den Protesten gegen Scaffold und den Forderungen nach Trigger Warnings handelt es sich um zwei von vielen Beispielen für diese Tendenz5 – scheinen in ihrer Rezeption von Filmen, Theaterstücken, Werken der Literatur und der bildenden Kunst ebendiese Differenz auszublenden. Als handelte es sich nicht um Werke der Kunst – sondern um konkrete Realität. Als würden auf den Brettern von Scaffold tatsächlich Menschen exekutiert und als würden literarische Werke, in denen von Gewalt, Mord oder Krieg die Rede ist, Gewalt, Mord oder Krieg nicht bloß beschreiben, sondern real produzieren. Nennen wir diese Kunstauffassung konkretistisch. 

Das Kunstschreckliche und das Kunstschöne 

Vergleichen wir die Haltung der Besucher jener altrömischen Spektakel mit der von Zeitgenossen, die gegen Scaffold „als Exekution“ protestierten oder Trigger Warnings für bestimmte Werke der Literatur fordern, haben wir es im antiken Rom mit Rezipienten zu tun, die auf reale Exekutionen in theatralischen Vorstellungen mit Genuss reagieren, in den Reaktionen auf Scaffold und bei den Forderern von Trigger Warnings hingegen mit Zeitgenossen, bei denen eine imaginierte Exekution oder die bloße Beschreibung von Mord oder Krieg Furcht, Abscheu und Proteste auslöst.

Was bei den alten Römern Genuss und heute (als imaginiertes und auf Kunstwerke projiziertes) vielfach Abscheu und Ablehnung evoziert(e), gehört einer Kategorie an, die wir in Anlehnung an den (und in Kontrast zum) Begriff des Kunstschönen – ein für die ästhetische Theorie von Kant und Hegel bis Adorno zentraler Begriff – das Kunstschreckliche nennen könnten. 

wird fortgesetzt 

1 Dies ist keine Exekution, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Juni 2017 

2  Darüber hinaus müssten wir, um die Berechtigung der Zuschreibung „Kunstauffassung der Angehörigen der Dakota“ beurteilen zu können, wissen, wie repräsentativ jene Auffassung für Angehörige der Dakota sein mag. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um die grundsätzliche Ablehnung von Scaffold durch einzelne Angehörige der Dakota, sondern um die Frage, wie weit diese der – in der Aussage „Exekution ist keine Kunst!“ implizierten – Position, es hätte sich bei Scaffold um Exekution gehandelt, zustimmen würden. 

3 Theodor W. Adorno, Ästhetik (Vorlesungen 1958/59), Frankfurt am Main 2017, S. 72 

4 Ludwig Friedländer, Sittengeschichte Roms, Leipzig 1922, S. 90 

5 Vergleiche Hanno Rauterbergs sehr erhellenden Essay Wie frei ist die Kunst?, Frankfurt am Main 2018

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