Montag, 3. August 2020

Zizek in Teheran 206

monsterscenesad

Ich war damals
Vor allem im Beisein von Mädchen
Sehr schüchtern
Zumal von hübschen
Oder wenn jemand des Trostes bedurfte
Je größer das Bedürfnis nach Trost, desto schüchterner ich
Alles was ich sagen wollen würde
Kommt mir deplatziert und/oder banal vor

Narges schluchzte und redete
Ohne (für mich) erkennbaren Zusammenhang
Und was ich in weiterer Folge in der neighborhood
Über die Geschichte hinter der Hecke erfuhr
Vor allem von Mutter
Und was ich mir selbst in weiterer Folge
Zusammenzureimen versuchte
Entbehrte im Grunde ebenfalls
Jeden Zusammenhangs

Ich gebe zu
Ich habe übertrieben, LeserIn
Ganz so zusammenhanglos war die Geschichte hinter der Hecke
Respektive was ich von Narges und in der Folge in der neighborhood und vor allem von Mutter erfuhr nun auch wieder nicht
Ich fasse zusammen:
In der Deutschen Schule
Namentlich in der Klasse von Narges, gab es eine berüchtigte (obwohl aus fünf Mitgliedern bestehend)
Viererbande
Genannte Bande.
Ursprünglich hatte sie wahrscheinlich aus vier Jungen bestanden
Dem Dariusch (Namensvetter jenes Königs des antiken Teheran
Ich Dariusch, König der Könige, König von Teheran, Hystaspes Sohn, des Arsames Enkel usw.)
Dem Parvis (gleichfalls Namensvetter eines altteheranischen Königs), jenem Giw, zu dessen Geburtstag ich eingeladen worden war (und auf den wir gleich wieder zurückkommen werden) und einem, dessen Namen ich nicht mehr weiß.

Die Bande war einmal ins Lehrerzimmer gedrungen, im Hauptgebäude der Schule, und hatte die Postfächer einiger der LehrerInnen mit Isolierband verklebt
Mit dem Vermerk: Verstorben!
Hauptgebäude und Lehrerzimmer sagte Narges auf Deutsch
Um es dann in die Sprache Teherans zu übersetzen
Und hatten dafür
Und für manch anderen Streich einen Tadel erhalten (i.e. einen Eintrag ins Klassenbuch)
Auch Tadel sagte Narges auf Deutsch
Tadel, Hauptgebäude, Lehrerzimmer habe ich mir bis heute gemerkt
Im Unterschied zu jenen Worten, die ich für die Aufnahmeprüfung lernen mußte, und die ich bald wieder vergaß
Bis ich nach Beginn meiner sogenannten Liebesbeziehung mit Narges ernsthaft mit dem Erlernen der deutschen Worte begann.

Die Viererbande hatte also, Gerüchten zufolge, hinter der Hecke
Eine Geisterbahn gebaut
Diese wollten Narges und ihre Freundin erkunden
Und plötzlich war ja die Freundin verschwunden
Und statt der Geisterbahn war sie diesem Baby begegnet, sagte Narges, respektive
Etwas Kaltes
Berührte
Auf einmal meine Schulter


Andrerseits, LeserIn: Was passiert in einer Geisterbahn sonst als das
Etwas Kaltes
Berührt
Auf einmal meine Schulter
?
Oder die Sache dem Baby (s.u.)?

In der Hecke
Sagt Narges
War dieses Baby
In einem Spiegel
Oder war es ein Bildschirm?
Ich weiß nicht

Und schluchzt
Es war schrecklich

Das Baby war weder ein hübsches
So Narges, noch süß
Es hatte den Körper eines Babys, jedoch das Gesicht eines Monsters
Wie Mary Shelleys Baby in jenem Film von Ken Russel
Dessen Namen ich immer vergesse
Und den ich damals nicht kannte
Weil er ja damals noch nicht gedreht worden war
Narges versuchte ein Wort für das schreckliche Baby zu finden
Erst in der Sprache Teherans dann auch im Deutschen

D.h. sie sagte ein Wort auf Deutsch
Monster zum Beispiel
Und fragte

Obwohl sie die Sprache Teherans genau so gut beherrscht und beherrschte wie ich oder besser
Was Monster in der Sprache Teherans heißt
Ich sagte Efrit
Woraufhin sie Efrit ins Deutsche übersetzte
Mit Teufel
Woraufhin ich den Teufel ins Teheranische übersetzte
Ahriman
Woraufhin sie Ahriman ins Deutsche übersetzte
Mit Satan
Den ich wieder mit Scheytan in die Sprache Teherans übersetzte

(Wie kommt es fragst du, daß die Narges und ich, wie beschrieben, hin und her übersetzten, wo ich doch die deutschen Worte, die ich für die Aufnahmeprüfung lernen mußte, gleich wieder vergessen hatte, gesetzt ich hätte sie an jenem Abend am Djub noch nicht vergessen gehabt, wäre es nicht unwahrscheinlich und höchst seltsam, daß jener Lernbehelf für die Kandidaten der Aufnahmeprüfung der Deutschen Schule von Teheran die Worte Monster, Teufel und Satan enthalten haben sollte? Ich weiß es nicht LeserIn. Wirklich nicht. Meine Erinnerung ist mir fremd, respektive ich ihr. Als sei sie die eines andren.)

Um es (für dich, LeserIn) komplizierter zu machen
Fing sie mitten im Hin und her Übersetzen
Auf einmal an, mich
Wie soll ich sagen
Mit Worten zu herzen
D.h. daß sie mich auf einmal
Anders als sie mich sonst
(Wenn sie mich sonst überhaupt anschaute)
Anschaute
Anschaute
Und sagte Sachen wie
Süß bist du
In der Sprache Teherans: Nazi
(Mit Betonung auf a)
Respektive
To khoobi
Du bist gut (zu mir)
Wobei dieses Hin und her Übersetzen
Während des verbalen Herzens nicht aufhörte
Indem Narges zum Beispiel fragte, was
Süß bist du
Obwohl sie es eigentlich wissen mußte
In der Sprache Teherans heißt
Ich sagte Nazi
Oder sie sagte
(Diesmal in der Sprache Teherans)
To Mahi
Ich übersetzte: Du bist der Mond

In einem der illustren deutschen Bücher der Narges werde ich später
Oder war es auf Youtube hörte ich die folgenden Zeilen

Du bist mein Glück, groß wie ein Planet
Du bist die Sonne, die niemals untergeht

Du bist der Mond, der meine Nacht erhellt
Du bist mein Stern, der nie vom Himmel fällt

Weit besser gefällt mir jedoch jener Zweizeiler vom Ramin (der, der schiach aber dumm sagte), der die traditionellen Teheraner Dichter – verzeih mir, LeserIn – verarschen soll:

Der Mond ist rund
Und ich tu's kund


Vermutlich wegen dieses
Herzens mit Worten
Und weil sie den Kopf an meine Schulter lehnte, trotz meines Dünnseins, und ich meine Arme um ihre Schulter legte usw.
Begab es sich
Daß ich plötzlich
(Obwohl ich damals im Beisein von Mädchen
Sehr schüchtern war, LeserIn
Zumal von hübschen
Oder wenn jemand des Trostes bedurfte
Je größer das Bedürfnis nach Trost, desto schüchterner ich
Alles was ich sagen wollen würde
Kommt mir deplatziert und/oder banal vor)
Begab es sich
Daß ich plötzlich Sachen sagte wie
Alles wird gut, Mädchen!
(Vielleicht gar
Mein Mädchen!
)
Oder
Halt durch!
Ist ja gut!
Respektive
Bist tapfer!
Was ihr übrigens ihre Mutter, die deutsche, zu sagen pflegte
– siehe oben.

Narges legte die Hände um meinen Nacken
Als wollte sie küssen
Küßte aber nicht und sagte
Gehen wir ins Kino?
Ich wußte sofort
Und war im siebenten Himmel (der Liebe)
Welchen Film sie meinte

Hamsafar mit Gugusch, respektive Googoosh

https://www.youtube.com/watch?v=UB-UEPFjnmw

Lassen wir das lieber

Ich war also, obwohl ungeküßt, im siebenten Himmel (der Liebe)
Auf einmal sagt sie
Frankenstein!
Mit Rufzeichen
Und ich:
Wie Frankenstein?
Und sie
Das Baby! Hatte das Gesicht vom Frankenstein.

Da fällt mir das Kurz-Comic ein
Von Giws Geburtstag
Jene Werbung, du weißt schon, für Spielzeugfiguren für amerikanische kids
Im ersten Bild siehst du einen Dicken, Typus verrückter Professor, mit Glatze, das böse Mädchen im Bikini und Frankensteins Monster
Von dem ich annahm, es würde nicht Frankensteins Monster, sondern bloß Frankenstein heißen
Der Professor sagt
                                       I need a girl for the experiment
Das böse Bikini-girl sagt
No problem, Dr.
Und Frankenstein
No problem, heh heh

(Das alles und das Folgende wußte ich damals, weil des Englischen noch kaum mächtig, noch nicht (so genau). Später habe ich das Comic, viel später, nach langer Suche im Internet wieder gefunden sowie folgenden Artikel der New York Times von Nov. 16, 1971

Nabsico Picketed Over Monster Toys (Untertitel: Sick Toys make a Sick Society)

https://www.nytimes.com/1971/11/16/archives/nabisco-picketed-over-monster-toys.html)

Im nächsten Bild siehst du den Professor, das böse Mädchen und Frankenstein vor der nächtlichen Silhouette New Yorks. Frankenstein hat das Mädchen, von dem der Professor gesagt hat, das er es for the experiment braucht, gerade gefangen
Das, wie der Grazer gesagt haben würde
Frischgfangte Mädchen schreit
Help! Help!
Daraufhin der Professor
Keep her quiet
Daraufhin die böse junge Frau im Bikini
Don’t worry. This is New York. No one will help her.

Die nächste Szene spielt wieder im Labor des Professors, respektive in seiner (geheimen) Kammer
Dieser kratzt sich am Kopf und murmelt etwas über sein Experiment
Das jetzt startet
Im Hintergrund steht die Narges
Festgeschnallt in diesem mannshohen Reagenzglas
Sie sagt nichts.
Warum sie nachts allein in New York, im kurzen türkisfarbenen Top und der kurzen Hose, unterwegs war, so daß der Frankenstein sie fangen und hat herbringen können, weiß ich jetzt nicht
Interessiert mich jetzt auch nicht
Mir schwirrt der Kopf
Die Narges hält die Hände um meinen Nacken
Ohne zu küssen
Und schaut mich schon wieder so an
Oder noch immer
Anders als sonst
Und sehe den Professor
Die Glatze sich kratzen
Und sagt was über das Experiment
Mit der Narges im Reagenzglas
Ich bin maßlos erregt
Und geniere mich für meine Erregung
Ist schon mehr eine Panik
Als eine Erregung.

Was dann passierte
Weiß ich jetzt nicht
Habe es wohl
Aus Scham
Aus meinem Gedächtnis gelöscht
Daß ich wie von der Tarantel gestochen, aufgestanden und weggerannt bin
Habe sie dann nicht mehr gesehen
D.h. jahrelang nicht
(Respektive wir haben uns
Sehr wohl immer wieder gesehen
Auch zwischen jenem Abend am Djub
Und unserem Wiedersehen in der schönen Cafeteria des Alten Flughafens von Teheran (s.o.)
Nicht mehr kann ich sie ja gar nicht gesehen haben
Sie war meine Nachbarin
Und habe diese Begegnungen
Vermutlich aus Scham
Aus meinem Gedächtnis gelöscht)

wird fortgesetzt

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