Sonntag, 21. November 2010


Warum wir über den Islam nicht reden können (1)

Als Rassismus getarnte Ablehung des Islams – oder: Warum gerade die Araber?

Ein Nicht-Iraner, der einen Iraner als Araber bezeichnet, macht diesen Fehler kein zweites Mal. Zu verstörend ist dessen, für den ahnungslosen Nicht-Iraner ganz unerwartete Reaktion. Zu sagen: Iraner mögen keine Araber wäre untertrieben. Man kann durchaus von einem hasserfüllten Ressentiment sprechen.

Würde es unser nicht-iranischer Gesprächspartner wagen, nach den Ursachen dieses Ressentiments zu fragen (in der Realität würde er es, nach der Reaktion seines iranischen Gesprächspartners, eher nicht), würde er dahingehend aufgeklärt, daß der kulturell hochstehende Iran im 7. Jahrhundert von den „primitiven“ Arabern erobert wurde. Würde der Nicht-Iraner an dieser Stelle nicht das Thema wechseln (was in der Realität wohl der Fall wäre), würde er erfahren, daß der Iran auch von Alexander dem Großen und den Mongolen erobert wurde, daß der Mongolensturm im 13. Jahrhundert stattfand, also jüngeren Datums ist als die arabische Eroberung. Daß die Mongolen bei ihrer Eroberungszügen ungleich brutaler vorgingen als die Araber (die auch nicht zimperlich waren). Daß es aber im Iran weder ein Ressentiment gegen Mongolen noch gegen Griechen gibt. Unser nicht-iranischer Gesprächspartner müßte sich daher die Frage stellen: Warum gerade die Araber?


Die Antwort auf diese Frage wird die Tatsache berücksichtigen müssen, daß – im Unterschied zu den Griechen und den Mongolen – die Araber den Iranern den Islam „gebracht haben“ - und man muß kein Psychoanalytiker sein, um daraus zu schließen, daß die Iraner den Islam meinen, wenn sie die Araber bashen. Bewußt oder – in den meisten Fällen – unbewußt scheint die Chiffre Araber für den Islam zu stehen: Die tiefsitzende, meist unbewußte Abneigung gegen die eigene Religion tarnt sich als rassistisches Ressentiment. (1)


Ist – umgekehrt - die Ablehnung des Islams Rassismus?


In Europa gibt es dazu ein interessantes Pendant, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Recht(sextrem)e Parteien, die mittlerweile bis tief in die sogenannte politische Mitte hinein die Diskurshoheit erobert haben, reden über den Islam und meinen die Türken, wie z.B. in Österreich, oder - wie etwa in Frankreich - die Araber. Auch hier handelt es sich, wie im Falle des iranischen Anti-Arabismus, nicht um einen bewußten, rein taktisch motivierten Etikettenschwindel. Der Anti-Islamismus der europäischen Rechten (und Konservativen und Teilen der Sozialdemokratie ...) ist durchaus authentisch. Als es zum Beispiel anläßlich der Erstürmung der sogenannten Gaza-Flotte durch israelisches Militär im Mai 2010 in Wien zu antiisraelischen Demonstrationen kam, an denen vorwiegend Muslime teilnahmen, und bei denen auch offen antisemitisch gehetzt wurde („Hitler erwache!“), war es ausgerechnet die traditionell antisemitische FPÖ, deren Repräsentanten sich häufig an der Grenze zur nationalsozialistischen Wiederbetätigung bewegen, die sich darüber am lautesten echauffierte.


Bis hierher scheinen die Debattenlage, und auch mögliche Lösungsansätze, klar auf der Hand zu liegen: Man müßte den Rassisten einfach die Anti-Islam-Maske (gerade auch, wenn sie diese selbst verinnerlicht haben) vom Gesicht reißen, und das rassistische Ressentiment in all seiner Erbärmlichkeit bloßstellen. In der Realität der politischen Debatte erscheint die Sache aber nicht so einfach. Mittlerweile scheint es sich nämlich nicht mehr um eine simple Vertauschung (Ablehnung des Islams statt Rassismus) zu handeln, sondern um eine seltsame Verschmelzung der beiden Diskurse, die, nachdem sie nun einmal passiert ist, irreversibel erscheint. Und die sich - paradoxerweise - am besten an den Reaktionen deklarierter Gegner rassistischer Hetze ablesen läßt.


Etwa in dem Anfang November publizierten (an sich unterstützenswerten) Aufruf deutscher und österreichischer Intellektueller „Schluß mit der Integrationsdebatte“. Es heißt dort:



„Islamfeindlichkeit bietet eine wesentlichen Anknüpfungspunkt für mediale Auseinandersetzungen, denn Islamfeindlichkeit wird nicht als Rassismus anerkannt“.


Für die Verfasser des Aufrufs ist Islamfeindlichkeit also Rassismus. Statt die Vertauschung der beiden Diskurse (des Anti-Islam-Diskures mit dem Diskurs der Rassisten) zu kritisieren - was zur Voraussetzung hätte, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich um zwei grundverschiedene Debatten handelt - und den Anti-Islam-Diskurs als Ersatz-Diskurs für Rassismus zu entlarven, werden, ganz im Gegenteil, Anti-Islam-Diskurs und Rassismus miteinander identifiziert – und der Diskurs der Rassisten damit zementiert: Wer Islamfeindlichkeit mit Rassismus gleichsetzt, erklärt die Zugehörigkeit zum Islam zu einem unabänderlichen, quasi-"rassischen" Merkmal.


wird fortgesetzt




(1) Den in diesem Absatz ausgeführten Gedangkengang verdanke ich dem brillanten Aufsatz "Warum die Feindschaft zu den Arabern?"

"چرا دشمنی با عرب"

http://www.aramesh-dustdar.com/index.php/article/69/

des iranischen Philosophen Aramesh Dustdar.


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