Freitag, 20. Mai 2016

Was mit Österreich nicht stimmt (3)


Thomas Glavinic

2005 – fünf Jahre nach dem Eintritt der FPÖ in die sogenannte schwarz-blaue Regierungskoalition mit der ÖVP - spaltete sich Haider von ihr ab und gründete seine eigene Partei, das „Bündnis Zukunft Österreich“. Die Rest-FPÖ unter Heinz Christian Strache entwickelte sich daraufhin noch weiter nach rechts und mutierte, so der Politikwissenschaftler Heribert Schieder, zur „Burschenschafterpartei“. 

Die – im Hinblick auf die anstehende Stichwahl nicht unwesentliche - Frage, ob es sich bei der FPÖ um eine rechtsextreme Partei handelt oder nicht, wird übrigens von (praktisch) allen Politikwissenschaftlern, die sich mit ihr beschäftigt haben, überraschend eindeutig beantwortet.

1993 qualifizierten Brigitte Bailer und Wolfgang Neugebauer die „von Haider repräsentierte Hauptströmung der FPÖ“ als rechtsextrem. 

Piero Ignazi bezeichnete die Partei 1994 als „post-industrial extreme right party“. 

Christopher C. Husband nannte sie 1996 das erfolgreichste Beispiel des Rechtsextremismus in Westeuropa.

Für Karin Liebhart stellte sie 1998 die „zentrale Kraft des österreichischen Rechtsextremismus“ dar.

2001 - also nach dem Regierungseintritt der FPÖ - befand Max Preglau, daß die vom Stil her scheinbar postmodern-populistische Partei ideologisch-gesellschaftspolitisch weiterhin als „tendentiell rechtsextreme Partei“ zu verorten sei.

2004 schrieb Oliver Geden, daß „gemäß der Bestimmungselemente rechtsextremer Ideologie“ die FPÖ auch nach Haiders Amtszeit „in ideologischer Hinsicht als rechtsextreme Partei“ klassifiziert werden müsse. 

Siegfried Jäger und Alfred Schobert bezeichneten 2006 in einer diskursanalytischen Studie die Einordnung der FPÖ in die Kategorie „Rechstpopulismus“ als „verharmlosend“.

Und 2007 schrieb der bereist erwähnte Heribert Schiedel, die FPÖ sei bis zur Parteispaltung 2005 „ein Sammelbecken ... politischer Strömungen auf deutschnationaler oder völkischer Grundlage gewesen, die sich zwischen den Polen Rechtsextremismus und ... Liberalismus“ bewegt hätten. Unter Haider, der, nicht zuletzt aufgrund taktischer Überlegungen, um eine „Erweiterung des politischen Spektrums“ bemüht war, hätte die FPÖ dann eine „modernisierte Spielart des Rechtsextremismus“ repräsentiert. Nach Haider sei es zu einem „Rechtsruck“ in Richtung „Burschenschafterpartei“ gekommen. Schiedel dokumentierte eine „zunehmende Grenzverwischung zwischen organisiertem Rechtsextremismus und Neonazismus“, wobei sich die FPÖ öffentlich von Neonazis distanziere.

Heute, schrieb Schiedel 2014, lasse sich die FPÖ nur als „rechtsextrem“ bezeichnen – auch „wahltaktische Frontbegradigungen“ änderten daran nichts.

Auch der deutsche Politikwissenschaftler Richard Stöss bezeichnete die FPÖ in seiner 2010 publizierten Studie Rechtsextremmus im Wandel als rechtsextremistisch.

Im selben Jahr untersuchte Philipp Mittnik Radikalisierungstendenzen unter Parteiobmann Strache und kam zu dem Schluß, daß es sich bei der FPÖ „eindeutig um eine rechtsextreme Partei“ handeln würde.

2011 klassifizierten Eckhard Jesse und Tom Thieme die FPÖ im Überblickswerk Extremismus in den EU-Staaten als rechtsextremistisch. Und Florian Hartleb ordnet die Partei im selben Sammelband dem „weichen Rechtsextremismus“ zu.

Daran, daß der – in der Regel – freundlich und verbindlich auftretende Kandidat Norbert Hofer eine harmlosere politische Strömung repräsentieren würde als es der Kandidat Jean Marie Le Pen 2002 tat, kann der Unterschied zwischen Österreich 2016 und Frankreich 2002 also nicht liegen. Zumal Rechtsextremismus in der von der historischen Bürde des Holocaust belasteten österreichischen Gesellschaft noch einmal etwas anderes bedeutet als in Frankreich – auch wenn österreichische (und andere europäische) Medien die FPÖ seit Jahren als „rechtspopulistisch“ schönreden.

Oder rührt der Unterschied zwischen Österreich 2016 und Frankreich 2002 daher, daß sich in den Debatten nach dem ersten Wahlgang der österreichischen Bundespräsidentenwahl 2016 eine Stimme zu Wort meldete, die im Frankreich des Jahres 2002 gefehlt hatte – die des Schriftstellers Thomas Glavinic? 

wird fortgesetzt

Keine Kommentare: