Samstag, 3. Juli 2010

Wunderland 3. Teil

Machte dennoch keine Anstalten, mich mit Rockmusik zu befassen ...

„Fangen wir an.“, sagte der Grobe.
„Fangen wir an.“, sagte der Feine und er hielt, zum Zeichen, daß er noch ein Bier bestellen wollte, sein Glas in die Höhe. „Ich werde alles erzählen“, und zum Groben: „Du kannst Dich an Shirwani erinnern? Sam Shirwani?

Ich war, als ich den Feinen Sam sagen hörte, überzeugt, daß sich die Tatsache, daß man einen Teheraner Sam nannte, dem Einfluß der Amerikaner verdankte, dem Teheran ja nach den Angaben des Feinen vor der klerikalen Revolution ausgesetzt war - dem Einfluß der Amerikaner verdankte sich übrigens auch meine Frage über Teheran, die ich den Brüdern noch stellen wollte. Später erfuhr ich, daß Sam der Name eines Teheraner Helden der Mythologie sei.


„Sam“, sagte der Feine, an den Jungen, resp. an mich gewandt, „war mein Schulkamerad in der Parastu-Schule, in Nord-Teheran - Sam war alles andere als ein Freund, aber für mein Leben sollte er, wie soll ich sagen, wichtiger werden als alle Freunde zusammen. Sam war der Sohn eines Nord-Teheraner Wurstfabrikanten, dessen Produkte“, der Feine wandte sich jetzt an mich, „in Teheran jeder Greissler und jeder Supermarkt im Angebot hatte, und auf allen Fernsehstationen, und als Leuchtreklame an Hochhäusern und Verkehrsknotenpunkten und Autobahn-Ausfahrten waren die Wurtsprodukte von Sams Vater präsent, und ich glaube ohne zu übertreiben behaupten zu können, daß die Wurstprodukte von Sams Vater die in der Geschichte Teherans am besten beworbenen Produkte darstellen. Dennoch wurde Sam nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, wegen den Wurstprodukten seines Vaters von uns, seinen Klassen- und Schulkameraden, gehänselt, im Gegenteil – er war der beliebteste Schüler im ganzen Gymnasium. Wie zu erwarten gewesen wäre sage ich nicht wegen der in Teheran, wie auch in den Deutschsprachigen Bergen der Wurst inhärenten Lächerlichkeit, sondern weil der Gedanke an eine proletarische Revolution uns damals beherrschte - wir alle, die wir aus Familien der Mittel- und Oberschicht stammten, wie alle Gymnasiasten in allen Gymnasien Teherans, wir empfanden uns alle als proletarisch und infolgedessen als revolutionär - dennoch war die Revolution die ja bald darauf tatsächlich stattfand, keineswegs proletarisch - sondern klerikal. Was ich sagen wollte: In Anbetracht unseres proletarisch-revolutionären Bewußtseins wäre zu erwarten gewesen, daß Sam, dessen Vater einer der größten Kapitalisten im ganzen Teheran war, bei uns, seinen Mitschülern, unbeliebt gewesen wäre, was aber, wie schon gesagt, überhaupt nicht der Fall war, er war im Gegenteil der beliebteste aller Schüler. Mag sein, daß Sam's Beliebtheit mit der Tatsache im Zusammenhang stand, daß er einer der besten Fußballer in unserer Schule war, wenn nicht überhaupt der beste, obwohl damals in Teheran der Fußball keineswegs als proletarischer Sport galt, wie es z.B. hier, in den Bergen, der Fall ist, sondern im Gegenteil als amerikanisch und kapitalistisch, was natürlich lächerlich ist, weil man den Fußball in Amerika weit weniger liebt als bei uns. Dann war Sam – und auch das muß man, was seine Beliebtheit betrifft, in Rechnung stellen - Rockmusiker, er hatte als Kind schon E-Gitarre gelernt - und mit fünfzehn gründete er eine Band, die sich in Anlehnung an die Originalband aus Australien AC/DC nannte.

Ich kannte mich mit Rockmusik nicht aus, was ich sehr bedauerte, ich hätte mich gerne mit Rockmusik ausgekannt, weil sich mit Rockmusik auszukennen bei uns in der Schule als cool galt, ich machte dennoch keine Anstalten, mich mit Rockmusik zu befassen, wohingegen ich mich intensiv mit der Teheraner Lyrik befaßte - vor allem mit der traditionellen, weniger mit der modernen –, ich hatte schon in der ersten oder zweiten Unterstufe begonnen, Gedichte zu schreiben, also mit zehn oder elf. Je älter ich wurde, desto häufiger schrieb ich Liebesgedichte - und dann kam das Mädchen“ - und bis zum Ende sagte der Feine das Mädchen, ohne einen Namen zu nennen. „Das Mädchen hatte ein schmales Gesicht, das ihrem schmalen Körper entsprach, dunkle Haare und eine dunkelbraune Haut, im Unterschied zu der lhellen bis sehr hellen Haut der anderen Mädchen unserer Schule, die alle aus Nord-Teheran stammten.

Das Mädchen stammte aus einer im Süden von Teheran angesehenen Buchhändlerdynastie, sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater waren BuchhändlerInnen, die, als ich die vierte Klasse besuchte, in unser Viertel gezogen waren, wo sich auch unser Gymnasium befand, um vis à vis unseres Gymansiums eine Buchhandlung zu eröffnen. Diese Buchhandlung werde ich niemals vergessen, d.h. den Geruch, die Buchhandlung bestand aus einem schmalen, länglichen Raum, mit einem Holzboden, und ich glaube, der Geruch der Buchhandlung war der Geruch jenes Holzbodens, der übrigens dem Holzboden dieser Gaststube hier ähnelte …“ „Das ist ein Schiffsboden“, sagte ich, und es war, als hätte der Schiffsboden wieder zu schwanken begonnen.

„Die Buchhandlung hatte einen Vertrag mit unserem Gymnasium, wir durften dort Bücher entlehnen, und wenn jemand ein entlehntes Buch behalten wollte, wurde die Entlehngebühr vom Kaufpreis abgezogen.
Vor der Eröffnung der Buchhandlung kannte ich nur die Bücher unserer Eltern, Gott habe sie selig, obwohl ich auch schon vor der Eröffnung der Buchhandlung, wie soll ich sagen, ein Bücherfanatiker war, unsere Mutter“, der Feine wandte sich an mich, „war Bergbau-Ingenieurin, und besaß viele Sachbücher, die mich nicht sonderlich interessierten, aber der Vater“, der Feine suchte den Blickkontakt, zuerst mit dem Jungen, und dann mit dem Groben, der ihn aber verweigerte, „erinnert Ihr Euch, der Vater hatte, neben seinen Romanen - übrigens auch etliche deutschsprachige - zahllose Werke unserer alten Teheraner Meister. Wie die meisten meiner Teheraner Altersgenossen schrieb ich damals Gedichte, und wie ich meine, gar nicht so schlechte, einmal hatte Die Beschaulichkeit, das Teheraner TV-Magazin, über die Vermittlung einer Kousine der Mutter, einer Sportjournalistin, ein Gedicht von mir publiziert, das sich vordergründig mit dem Jahreszeitenwechsel befaßte, und mit den Worten endete:

Bald kommt der Frühling,
Dann sind wir frei,
Nicht ewig währt die Tyrannei.

Es war im letzten oder vorletzten Jahr der Herrschaft des Kaisers. Dennoch wurde das Gedicht unzensiert abgedruckt, vermutlich waren die Redakteure der Beschaulichkeit, wie wir alle in Teheran, vom Virus der Revolution infiziert, die als proletarische anfing und in eine klerikale mündete.


Nach der Veröffentlichung meines Jahreszeitengedichts wurde ich plötzlich berühmt. Nicht im ganzen Teheran, aber ich galt in der Schule fortan als Poet, und gründete zusammen mit einigen anderen Jungen einen Poesie-Club, den Club der Toten Dichter. Ich weiß schon“, sagte der Feine, nachdem er meinen irritierten Blick registriert hatte, „ich weiß, der Film ist erst später entstanden, da gab es unseren Poesie-Club nicht mehr, und nicht einmal mehr das Gymnasium, aber der Film hat mich derart beeindruckt, und so sehr an unseren Poesie-Club erinnert, daß ich ihn im Nachhinein Club der Toten Dichter genannt habe, und wie wir ihn damals tatsächlich genannt hatten, habe ich wieder vergessen. Der Club hatte außer mir noch vier Mitglieder, glaube ich, lauter unsportliche Brillenträger. Um die Poesie der alten Teheraner Meister zu fördern, schrieben wir Gedichte im Stil jener Alten, die wir einander in der Teeküche der Buchhandlung der Eltern des Mädchens vorlasen. Wir hatten auch eine Wandzeitung, Die Welt im Wort oder Das Wort in der Welt.

Einmal saß ich auf einer Bank, im Pausenhof des Gymnasiums, und aß mein Wurstbrot ­- auf Anraten unseres Kinderarztes gab mir unsere Mutter, weil ich so dünn war, täglich ein Wurstbrot, das mußte ich essen -, da stand auf einmal das Mädchen vor mir. Ob sie etwas fragen dürfte? Sie stand vor mir in einer Jeanshose, die werde ich niemals vergessen, eine gewöhnliche Jeans, bloß daß deren Blau dunkler war, und, wie man in der Deutschsprachigen Provinz gesagt haben würde, fader als die Jeanshosen der Mädchen aus Nord-Teheran. Das Mädchen hatte bis dahin mit mir überhaupt nicht gesprochen, obwohl sie seit Monaten unsere Schule, resp. unsere Klasse besuchte. Die Menschen in Süd-Teheran“, der Feine wandte sich wieder an mich, „sind in der Regel konservativ eingetellt, die im Norden in der Regel modern, und die Eltern des Mädchen waren, wie mir das Mädchen später erzählte, ganz besonders konservativ, so daß das Mädchen auch mit den anderen Jungen in unserer Klasse nicht sprach – wohingegen die anderen Mädchen unserer Klasse, die aus Nord-Teheran, pausenlos mit den Jungen sprachen. Ich weiß, daß Du Gedichte schreibst, sagte das Mädchen, auch sie täte das. Ob sie dem Club der Toten Dichter beitreten dürfte?


Das Mädchen hatte mich, seitdem sie das erste Mal unsere Klasse betreten hatte, beschäftigt. Mir gefiel ihre Schüchternheit und was die Kameraden ihre Unschuld nannten, Immerhin, hatte Arman gesagt, ein ständig rülpsender, Kamerad, dessen Vater mehrere Diskotheken besaß, und den wir den Proleten nannten, was aber trotz unserer proletarisch-revolutionären Haltung nicht wertschätzend gemeint war, immerhin, hatte Arman gesagt, ist sie im Unterschied zu den anderen keine Hure. Das Mädchen hatte mich also beschäftigt, wegen ihrer, von den Kameraden sogenannten Unschuld, aber auch wegen ihres Körpers, das schmal war, aber trotz schmal, wie soll ich es sagen, sehr weiblich, ich hatte vor, über ihren Körper, ihre Schüchternheit und ihre Unschuld je ein Gedicht zu verfassen. Als sie mich fragte, ob sie mich etwas fragen dürfte, war ich aufgesprungen, und wußte nicht, was ich mit meinen Händen und meiner Wurstemmel anfangen sollte. Um ihre Frage zu beantworten, nickte ich, reden konnte ich nicht, weil ich aufgeregt war, aber sie konnte das Nicken nicht sehen, weil sie - als sie mich fragte, ob sie mich etwas fragen dürfte - ihren Kopf gesenkt hielt. Sie hatte dann aber, ohne mein Nicken gesehen zu haben, ihre Frage gestellt, offenbar hatte sie ihre erste Frage aus reiner Etikette gestellt. Im Süden“, der Feine wandte sich wieder an mich, „sind die Menschen konventioneller und höflicher als die Menschen im Norden. Das Mädchen hielt also ihren Kopf gesenkt während sie sprach, aber als sie sagte, sie schreibe Gedichte, hob sie ihn, und ich sah ihre Augen, und in ihren Augen ein Leuchten. Ich hatte niemals zuvor Augen leuchten gesehen, und hatte mich immer gefragt, was das denn heißen soll, daß Augen leuchten. Nun wußte ich es. Aber ich habe an jenes Leuchten in den Augen des Mädchens keine Erinnerung mehr, ich weiß zwar, daß in jenem Moment ihre Augen leuchteten, aber es gibt daran kein Erinnerungsbild, weil ich mich damals, als sie den Kopf hob, und ihre Augen leuchteten und sie sagte, sie schreibe Gedichte, auf einmal in das Mädchen verliebte, und weil die Erinnerung an dieses Mich-auf-einmal-in-das-Mädchen-Verlieben die anderen Erinnerungen an jenen Augenblick ausgelöscht hat - abgesehen vom Erinnerungsbild an jene Semmel, die ich in der Linken hielt, nachdem ich sie zwischen meiner Rechten und meiner Linken hin und her geschoben hatte, weil ich auf einmal nicht mehr gewußt hatte, was ich mit der Semmel und mit meinen Händen, anfangen sollte.


Andere Erinnerungen zeigen mich und das Mädchen Hand in Hand, im Hemingway-Park, was ihre aus dem Süden stammenden Eltern, wenn sie es denn gesehen hätten, umgebracht hätte. In diesen Erinnerungen ist es immer Sommer, ich habe das Mädchen aber niemals geküsst. Dann die Erinnerung an diesen Hügel, ebenfalls im Hemingway-Park, auf dem wir sitzen, Rücken an Rücken, und lesen, das Mädchen hat mich gelehrt Romane, zu lieben, aber auch Comics, bevor ich mich in das Mädchen verliebte, glaubte ich, wie alle in unserer Klasse, Comics und Cartoons seien amerikanischer Schund.


Das Mädchen hatte immer gesagt, ich sei der einzig interessante Junge im ganzen Gymnasium. Und Sam, fragte ich, alle reden von Sam. Und sie: Sam sei, wie man in der Provinz hier gesagt haben würde, genau der gleiche Prolet wie der Armin, und außer den Schulbüchern lese er sicher überhaupt keine Bücher. Im foglenden Schuljahr kam es zur ersten Krise unserer Liebe - wenn es denn Liebe war, ich bin mir im Nachhinein nicht mehr so sicher, d.h. ich bin es, was mich betrifft schon, aber lassen wir das. Am letzten Schultag, zugleich der letzte Tag des alljährlich sattfindenden Projektunterrichts, hatte unser Club ein Dichterfest organisiert, die Clubmitglieder sollten selbst verfaßte Gedichte verlesen, inkl. des Mädchens, das Mädchen war, soweit ich mich erinnere, das sechste und jedenfalls einzige weibliche Mitglied des Clubs -, und als Höhepunkt unseres Festivals hatten wir an die Vergabe eines Literaturpreises gedacht. Ich war über die Maßen enttäuscht, daß nur eine Handvoll, übrigens lauter Jungen, für unseren Literaturwettbewerb überhaupt einen Text eingereicht hatten, obwohl wir uns alle, was die Werbung für den Literaturwettbewerb anbelangt, über die Maßen angestrengt hatten, vor allem das Mädchen und ich, trotz unserer beider Schüchternheit, d.h. wir alle im Club waren schüchtern, und Brillenträger, allerdings trug das Mädchen Kontaktlinsen.


Das Desinteresse der Kameraden an unserem Dichterfest kränkte mich umso mehr, weil ich gleichzeitig mit ihrem überwältigenden Interesse an ein Rockkonzert von AC/DC konfrontiert war, Sams Rockgruppe, das am ersten Tag des Projektunterrichts hätte stattfinden sollen, man sprach von nichts anderem, und überall in der Schule hatten Mitarbeiter von Sams Vaters Wurstpalast, einem Gebäudekomplex, unweit der Schule, in dem sich
Kinos,
Diskotheken,
Schönheitssalons,
eine Sauna,
und Bars
befanden, und diverse Restaurants, wo es in den unterschiedlichsten Variationen Wurst gab, Hotdogs, Pizze und Pasta mit Wurst, Reis mit Wurst, Burger und Sandwichs und Salate mit Wurst, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, es gab ein Wurst-Eis, dessen Gechmack ich niemals vergesse, und Wurstkaugummis - überall in der Schule hatten die Wurstpalast-Männer Werbeplakate für das AC/DC-Konzert affichiert, sogar in der Buchhandlung der Eltern des Mädchens.

Drei Tage vor dem Konzert verkühlte sich Sam, und man sprach von nichts anderem als von dieser Verkühlung, am Samstag, an dem das Konzert hätte stattfinden sollen, dem ersten Tag des Projekt-Unterrichts, waren auf den Werbeplakaten orange Streifen angebracht, mit der Aufschrift: Verschoben auf Donnerstag, dem soundsovielten! Ich werde den Anblick dieser orangen Streifen niemals vergessen, am Donnerstagabend hatten wir unser Poesiefest, und falls das Konzert von Sam am selben Abend stattfinden würde, würde kein Schwein, Sie verzeihen“, der Feine wandte sich an mich, „kein Schwein zu unserem Poesiefestival kommen. Ich war schockiert, und ohne mich mit den anderen vom Club, zu beraten, stürmte ich in das Büro der für den Projekt-Unterricht zuständigen Geschichte- und Geographie-Professorin“, der Feine wandte sich an den Groben, „Du kennst sie, die Teherani. Ich war an und für sich ein Schüchterner, das sagte ich schon, aber sobald ich die Streifen mit der Aufschrift: Verschoben auf Donnerstag! sah, fiel die Schüchternheit von mir ab, und ich lief zur Teherani, ich hatte ganz leise zu sprechen begonnen, dann expoldierte ich, und begann, auf einmal, zu schreien, ein Verbrechen sei das, dem Konzert des Sohnes eines Wurstmagnaten und Kapitalistenschweines vor ein proletarisches Literaturfest den Vorzug zu geben - in Wahrheit waren unsere Gedichte im Stil der Alten verfaßt, wie gesagt, insofern also keineswegs proletarisch, aber ich wußte, daß die Teherani einem Kommunistendynastie angehörte, ihre Großmutter hatte während der Konstitutionellen Revolution - sie war Kommunistin und Feministin gewesen – einem Gardeoffizier das Ohr abgebissen“, der Feine wandte sich wieder an mich, „wir hatten, resp. wir haben in Teheran seit 1840 alle dreißig Jahre eine Revolution. Fräulein Teherani verhielt sich mehr als freundlich zu mir, trotzdem oder weil ich geschrien, und mich als Repräsentant eines proletarischen und zornigen Poesie-Clubs dargestellt hatte, ich sollte später erfahren, daß Teherani keineswegs Kommunistin war, sondern Buddhistin. Buddhist zu werden, war in Teheran schon damals in Mode, mit ihrer Familie hatte sie gänzlich gebrochen und haßte die Politik. So was liebt die Jugend, sagte die Teherani, womit sie die Rockmusik meinte, oder vielleicht Sam, man müsse die Jugend verstehen, sie klang, als wäre sie alt, und auch ich, dabei war sie damals maximal 30, was uns aber schon sehr alt vorkam, Leichenschändung, hatte Arman gesagt, jener rülpsende Kamerad, als von einer Affäre Sams mit einer 30-jährigen Professorin die Rede gewesen war - oder war sie Trainerin in einem Fitnesstudio im Wurstpalast?, wie auch immer, ich war damals siebzehn. Die Jugend, wiederholte die Teherani, liebe solche Musik, das sei nun mal so, und die einzige Möglichkeit, das Konzert vor den Ferien stattfinden zu lassen, sei der Donnerstagabend, davor sei nicht zu erwarten, daß Sam genese - und danach seien die Ferien. Als Alternative für unser Poesifest käme jeder andere Abend der Projekt-Woche in Frage, der große Pausenhof, den ich schon ein halbes Jahr zuvor für den Donnerstag reservieren hatte lassen, sei aber - an diesen anderen Abenden – besetzt, womöglich sei das aber ohnehin besser, nein, sicher sogar, denn zu unserer Veranstaltung würden ohnehin nicht die Massen erwartet, so sei halt die Jugend, wir sollten das Poesiefest am besten an einem anderen Abend abhalten – und auf jeden Fall am kleinen Pausenhof, da würde es nicht weiter auffallen, wenn die Massen nicht kämen – aber bitte auf keinen Fall am Donnerstagabend, da würde ja am großen Pausenhof AC/DC auftreten. Der große Pausenhof, sagte ich, ist doch … am Donnerstagabend schon seit Monaten für uns reserviert! Theoretisch, sagte die Teherani, ja, und natürlich könntet Ihr darauf bestehen, daß Euer Poesiefest, am Donnerstagabend, auch tatsächlich am großen Pausenhof stattfindet, aber überlegt Mal - in diesem Moment wurde mir schwarz vor den Augen, überlegt Mal, niemand würde es einsehen, wenn das Poesiefest im großen Pausenhof stattfinden würde, und Sam auf den kleinen ausweichen müsste, was lächerlich wäre, und außerdem, es hätte doch keinen Sinn - der kleine und der große Pausenhof liegen doch nebeneinander, wenn Ihr das Poesiefest am großen Pausenhof abhalten würdet und Sam sein Rockkonzert am kleinen Pausenhof, würdet Ihr beim Vorlesen Eurer Gedichte, Eure eigenen Stimmen nicht hören.

Ich war aufgestanden und hatte das Büro der Teherani wortlos verlassen, die in meiner Erinnerung mein Aufstehen überhaupt nicht bemerkte, und fortfuhr, über die Jugend zu reden, wie sehr sie die Rockmusik liebe, als PädagogIn habe man es in Teheran schwer heutzutage usw. Ich ging stracks zu unserer Direktorin, deren Büro sich vis à vis des Büros der Teherani befand, die Direktorin war eine mollige Dame, um die vierizig, und keinesfalls hübsch, nicht so hübsch jedenfalls wie die Teherani, die mir persönlich aber gar nicht gefiel, alle anderen fanden sie jedoch überwältigend hübsch, Die mußt man, Sie verzeihen“, der Feine wandte sich wieder an mich, „die mußt man gefickt haben, sagte Arman, der besagte Prolet, es ging das Gerücht, daß die Teherani und die Lawasani, so hieß die Direktorin, miteinander nicht konnten, ich unterließ es daher nicht, darauf hinzuweisen, daß unseres Erachtens die Teherani an allem schuld sei. Wir haben vor Monaten bei Fräulein Teherani den großen Pausenhof für unser proletarisches Projekt reserviert, und jetzt kommt der Sohn dieses Wurstfabrikanten und Schweins mit seiner amerikanischen Band und wird krank und wir - sollen das Feld räumen? Ist das im Sinne - ich wollte sagen, im Sinne der Revolution, die damals ja schön langsam in Gang kam, da fiel mir ein, daß die Lawasani und ihre Familie als kaisertreu galten, nicht zu Unrecht, sie wurde gleich nach der Revolution, und auch ihr Ehemann, von einem Sondergericht für Pädagogen erschossen, im Übrigen unter dem Beifall“, der Feine wandte sich an den Groben, „der kommunistischen Medien, Du weißt es, die jedes Todesurteil der Sondergerichte begrüßten, und immer mehr Todesurteile forderten, bis dann das Regime der klerikalen Faschisten die Kommunisten selbst abzuschlachten begann. Ich wollte also sagen, Nein ich sagte tatsächlich: Ist das im Sinne der Revolution? Nein, sagte die Lawasani, stand auf und ging in das Büro der Teherani und kam kurz darauf, von ihr begleitet, zurück . Die Teherani war blaß. Selbstverständlich könnt Ihr das Fest am Donnerstag am großen Pausenhof abhalten – dann wollte sie noch etwas sagen, sagte aber nichts mehr und verließ das Büro der Direktorin, ohne sich von mir oder von ihr verabschiedet zu haben.



wird fortgesetzt

Keine Kommentare: