Samstag, 10. Juli 2010

Wunderland 4. Teil

Wie ein Bewohner eines fernen Planeten in das Revolutions-Teheran gebeamt ...


"Ich begab mich auf die Suche nach den Kollegen vom Poesie-Club, es war der erste Tag des Projekt-Unterrichts, und der Jahreszeit entsprechend fanden fast alle Projekte im Freien statt. Die meisten Kameraden fand ich bei einem Öko-Projekt, auf der Suche nach Schnecken, und bald hatte ich alle zu einer Sondersitzung in unserem Sonderbüro, das uns die Teherani zur Verfügung gestellt hatte, versammelt, inklusive des Mädchens. Ich berichtete von den Vorkommnisen und meinem Auftritt bei Teherani und Lawasani, und wie ich die Teherani gezwungen hätte, unser Anrecht auf den großen Pausenhof zu bestätigen – und daß ich mit dieser meiner Intervention den Angriff von AC/DC, dieses Symbols des Amerikanismus, auf den großen Pausenhof abgewehrt hätte.
Die Kameraden schwiegen und ich wunderte mich, daß sie schwiegen und nicht in Jubel ausbrachen, kaum daß ich diesen Gedanken hatte, passierte genau das: Einer nach dem anderen stand auf und äußerte sich zustimmend bzw. lobend über meine Intervention, der Enthusiasmus steigerte sich und gipfelte beim letzten der Kameraden in eine Lobeshymne. Nur das Mädchen hatte nichts gesagt.
Und Du?, fragte ich, Was meinst Du?
- Ich bin dagegen.
- Wogegen?
- Daß wir das Poesiefest am großen Pausenhof abhalten. Die Teherani hat recht. Und AC/DC - ich meine die richtige Band - ist nicht amerikanisch. Sondern australisch.

Das Mädchen hatte mir noch nie widersprochen, oder sie hatte es schon, d.h. sie widersprach mir fast immer, aber sie hatte es nie in Gegenwart meiner Kollegen vom Poesie-Club getan. Ich widersprach ihr meinerseits, sie wiederum mir, und die Situation eskalierte. Keiner der Kameraden wagte es, für einen von uns Partei zu ergreifen, schließlich stand ich auf und bedeutete dem Mädchen, mir nach draußen zu folgen, was sie - zwar widerwillig - auch tat.
Draußen wollte ich sie zur Rede stellen, sie war aber schneller, zumal ich, wegen der Art, wie sie im Club widersprochen hatte, noch fassungslos war, und als sie ihre Argumente, die sie vor den Kameraden schon vorgebracht hatte, zu wiederholen begann, sagte ich nichts mehr. Im Grunde sagte sie dasselbe, was die Teherani auch schon gesagt hatte, daß - wenn das Fest im großen Pausenhof stattfinden sollte -, es auffallen würde, wenn niemand käme, sie sagte niemand, das werde ich niemals vergessen, und zweitens, daß wir wegen des höllischen Lärms von AC/DC nicht imstande sein würden, beim Vortragen unserer Poesie unsere eigenen Worte zu hören, und wir würden uns drittens nur unbeliebt machen, und lächerlich, wenn sich auf dem kleinen Hof die Fans von Sam die Füße zertreten müßten, während wir - falls uns überhaupt jemand käme - den ganzen großen Pausenhof zur Verfügung haben würden.
Ich hatte das Mädchen noch nie so erregt gesehen, sie war rot im Gesicht, aber nicht aus Scham, wie es oft der Fall gewesen war, und mit jedem Satz, den sie sprach, resp. jedem Wort, wurde sie wütender, sie beendete ihre Brandrede mit einer Drohnung: Falls wir das Fest tatsächlich am Donnerstagabend und am großen Pausenhof abhalten sollten, würde sie der Veranstaltung fernbleiben und überhaupt aus dem Poesie-Club austreten, mit Idioten wolle sie nichts zu tun haben, das sagte sie - und ging.
Ich stand da, wie ein Bewohner eines fernen Planeten, den man ganz unerwartet in das Revolutions-Teheran des Jahres 1978 gebeamt hat – wir alle schauten damals mit Begeisterung Raumschiff Enterprise, und auf die Idee, die Serie, weil sie aus Amerika stammt, als kapitalistisch zu bezeichnen, wäre keiner gekommen. Dann schüttelte ich den Kopf und dachte mir: Weiberei, und ging zurück in das Sonderbüro, um das weitere Vorgehen in Sachen AC/DC zu besprechen, resp. mich von den Kameraden weiter feiern zu lassen.

Wir hielten unser Poesiefest am Donnerstagabend, und natürlich im großen Pausenhof ab, Sams AC/DC traten am kleinen Pausenhof auf, und wie das Mädchen und die Teherani vorausgesagt hatten – und wie eigentlich jeder vernünftige, nicht durch poetische, resp. proletarisch-revolutionäre Verschrobenheit, Sturheit und Trotz Verblendete wissen hätte sollen -, kamen die Massen zu Sams AC/DC, im kleinen Pausenhof, wo sie sich gegenseitig die Füße zertraten, und uns verfluchten - zu uns kamen, abgesehen von unseren Clubmitgliedern, nur drei, lauter Kameraden, die einen Text für unseren Literaturwettbewerb eingeschickt hatten. Die Verfasser der drei Siegertexte waren aber erst gar nicht gekommen, sie waren alle, wie ich später erfahren sollte, im kleinen Pausenhof, bei Sam.
Das Mädchen war, wie angekündigt, nicht zum Poesiefest gekommen, und da jener Donnerstag der letzte Schultag war, und noch dazu für unseren Jahrgang – habe ich es schon erwähnt? - der letzte Schultag des letzten Schuljahres, wußte ich nicht, wie ich sie kontaktieren sollte. Ich hatte nicht einmal ihre Telefonnummer – sie meine glaube ich schon, ich hätte natürlich im Telefonbuch nachschauen können – „Das wollte ich gerade sagen“, sagte der Junge, der auch schon sein zweites Bier bestellt hatte, „ - aber ich fürchtete“, sagte der Feine „ihre, aus dem Süden stammenden Eltern“.

wird fortgesetzt

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