Samstag, 8. September 2012

Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten - und die eigene auch nicht (3)

Die Neurotiker und die Wilden

Während Malinowski – zu Recht oder zu Unrecht - behauptete, daß Freuds Ödipustheorie nicht universell genug sei, und seine Forderung auf eine (noch) universellere Psychoanalyse hinausging, hat das Kulturprinzip die Universalität als solche zu Grabe getragen.

Universalität also. Wenn aber Psychoanalyse, und wie ich behaupte auch andere klassische "westliche Theorien", im Gegensatz zum heute vorherrschenden Kulturprinzip, universell sein sollen, wie mag sich diese ihre Universalität zu ihrem „Eurozentrismus“ verhalten? Und: Was ist überhaupt „Eurozentrismus“?

Die Psychoanalyse scheint mir übrigens unter den klassischen „westlichen Theorien“ in besonderem Maße geeignet, um sie mit Fragen nach der Universalität bzw. des „Eurozentrsimus“ zu konfrontieren. Nicht zuletzt, weil sie, all den Wellen des Freud-Bashings zum Trotz, gerade auch in nicht-westlichen Gesellschaften zu den einflußreichsten „westlichen Theorien“ gehört.

Totem und Tabu ist jene Schrift, in der sich Sigmund Freud ausführlich mit außereuropäischen Gesellschaften auseinandersetzt. Ob Freuds Psychoanalyse „eurozentrisch“ ist oder nicht, müßte sich also am ehesten anhand dieses Textes klären lassen. Tatsächlich scheint sich die Frage nach der Lektüre der ersten Seiten von selbst zu beantworten. Wenn einem nicht schon das Lesen des Untertitels genügt - „Einige Übereintimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker“ -, um Freud ohne Wenn und Aber des Eurozentrismus zu überführen.

Angehörige außereuropäischer Stammesgesellschaften sind für den Freud des Totem und Tabu Repräsentanten früherer, von Angehörigen „zivilisierter Völker“ überwundener Entwicklungstufen. Sie sind rückständig. Freud zieht eine Analogie zwischen der Entwicklung des Individuums und der Menschheit. Angehörige „primitiver Gesellschaften“ befänden sich demnach auf einer infantilen Stufe der Entwicklung. Der in „primitiven Gesellschaften“ häufig anzutreffende Animismus etwa würde der narzißtischen Phase in der Entwicklung eines Kleinkindes entsprechen. Auch jene „Übereinstimmungen im Seelenleben der Neurotiker und der Wilden“, denen Freud immer wieder begegnet, haben mit der Analogie zwischen Kindern und „Wilden“ zu tun. Denn die Neurose, so Freud, entstehe im Zusammenhang mit ungelösten Konflikten der frühen Kindheit, und der Neurotiker sei auf eine frühkindliche Entwicklungsphase seiner Sexualität fixiert.

Soweit so eurozentrisch.

Oder auch nicht. Denn vermutlich existiert kaum eine Zuschreibung, die der Psychoanalyse, zumindest im Freudschen Verständnis, unangemessener wäre, als jenes in euro-zentrisch enthaltene zentrisch. Was immer Freuds Psychoanalyse sein mag, zentrisch ist sie nicht. Im Gegenteil. Sie ist de-zentrisch. Korrekter ausgedrückt: dezentrierend. Und es war genau jenes dezentrierende Moment der Psychoanalyse, die Freud veranlaßte, von ihr als von der „dritten Kränkung der  Menschheit“ zu sprechen.

Seit Freud steht das Subjekt nicht (einmal) mehr im Zentrum seiner eigenen Gedanken, Wünsche und Aktionen - und muß sich die Erkenntnis gefallen lassen, daß ihn ein unbewußtes, ihm Fremdes, bestimmt und steuert. Dezentrierung des Subjekts.

Wenden wir diese Freud’sche Erkenntnis auf seine eigene Textproduktion an, folgt daraus, daß sich die „Absichten seiner Texte“, wie bei jedem anderen Autor auch, von den Absichten ihres Autors unterscheiden, ja diesen zuwiderlaufen können.

Weit davon entfernt dem europäischen Menschen, quasi als Trost für dessen als Individuum erlittene Kränkung, eine zentrale Stellung „seiner Kultur“ unter allen anderen Kulturen zu attestieren, schreibt Totem und Tabu - dem Eurozentrismus seines Autors Freud zum Trotz - jene Kränkung mit den Mitteln der Ethno-Psychoanalyse fort.

Kränkt die „individuelle“ Psychoanalyse das Subjekt durch Konfrontation mit dessen „innerem Ausland“ (Freud), das seine Gedanken, Wünsche und Aktionen bestimmt - kränkt der ethnopychoanalytische Ansatz des Totem und Tabu den „Zivilisierten“ bzw. „den Europäer“, indem er ihm immer und immer wieder vor Augen führt, wieviel er mit den „Wilden“, jenen Bewohnern des „äußersten Auslands“, gemein hat. Viel mehr jedenfalls, als ihm lieb und bewußt ist.

wird fortgesetzt

1 Kommentar:

Wohnungsräumung hat gesagt…


vielen Dank ... Ich hoffe, dass weitere Themen