Samstag, 29. Juni 2013

Zizek in Teheran (47)

Ich bin Gefängnisarzt, sagt der Gefängnisarzt.

Jetzt könnte er, während sich mein Griff um seinen Hals etwas lockert, mit seiner Geschichte beginnen.

- Eigentlich bin ich Sozialarbeiter. Aber im Gefängnis sagen sie: Gefängnisarzt.

Warum?

Erwartest Du eine Erklärung, LeserIn? Der Gefängnisarzt ist Gefängnisarzt. Auch wenn er Sozialarbeiter ist. Das sollte reichen.


Der Gefängnisarzt berichtet

In den 60er Jahren war Vater ein Teheraner Hippie. In Indien lernte er bei einem Yogi die Hypnose. Als Hypnotiseur des Zweiten Programms des Teheraner Fernsehens nannte er sich

Kabook.

(Stell Dir einen Mann in weißem Anzug vor, LeserIn, und Krawatte. In den besten Jahren und Chaplin-, resp. Hitlerbart. Zugegeben, im Foto (oben rechts) sieht er nicht mehr aus wie ein Hippie. Hippies kamen im Zweiten Programm des Teheraner Fernsehens unter dem Kaiser zwar vor (siehe das Bild oben links), nicht jedoch als sich auf Wissenschaft berufende Hypnose-Autorität.)

In den 70er Jahren war Vater Architekt. Inspiriert durch die Habitat-Siedlung in Montreal des israelischen Architekten Moshe Safdie plante er mit seinem Partner Aschkan Namwar das berühmte Habitat-Gefängnis in West-Teheran. Wenn heute von unserem Gefängnis die Rede ist, wird immer der Name Namwar genannt, nie der Name des Vaters. Namwar hat sich, als der Islam an die Macht kam, mit der Macht arrangiert.

Ich sage unser Gefängnis. Als das Gefängnis gebaut wurde, war ich elf oder zwölf. Vater nahm mich regelmäßig zur Baustelle mit. Einmal wäre ich beinahe verunglückt. Ich will Architekt werden!, sagte ich.

Ich bin ein politischer Architekt, sagte Vater. Mein Gefängnis ist ein Gefängnis für glückliche Menschen.

Kann ein Gebäude glücklich machen?

In meinem Gefängnis wird es keine politischen Häftlinge geben.

Woher willst Du das …?

Mein Gefängnisgebäude steht im Widerspruch zu jeder Ideologie - und zu jedem Regime.

Wie kann ein Gefängnisgebäude …?

Die Antworten des Vaters erinnere ich nur zum Teil. Morgens, wenn ich beim Verlassen der U-Bahn, die zu Türmen zusammengewürfelten Bauklötze des Habitat-Gefängnisses sehe, mischen sie sich in meinem Hirn zu Parolen:
 
Raum, Licht, Formen, Farben enthalten die Formeln des Glücks!

Mit zusammengewürfelten Klötzen kann man ein Gefängnis bauen - aber kein Denkmal!

In der Regel verwenden Regime Gefängnisse ohnehin nicht als Denkmäler. Nicht so das islamische von Teheran. In keinem Prospekt der Teheraner Tourismusbehörde fehlen Bilder und/oder Hinweise auf das Teheraner Habitat-Gefängnisses. Das „futuristischste aller Gefängnisgebäude“.

(Ja, LeserIn, ich weiß: fu-touristisch.)

wird fortgesetzt

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