Samstag, 11. Dezember 2010


Warum wir über
denIslam nicht
reden können(5)

Früher war der Sex tabu, heute die Religion, sagte Don Camillo





Im Gymnasium war ich als Nicht-Christ vom Religionsunterricht befreit. Dennoch besuchte ich regelmäßig den katholischen Unterricht Don Camillos, eines rundlichen Pfarrers, der seinen Spitznamen seiner Schlagfertigkeit und seiner Streitlust verdankte. Bei Don Camillo hatte jede Unterrichtstunde einen Titel, den er zu Stundenbeginn an die Tafel schrieb. Einmal trug die Stunde den Titel Früher war der Sex tabu, heute die Religion - und Don Camillo leitete sie mit den Worten ein: „Sie dürfen heute alles sein: Kommunist, Atheist, Anarchist, Sadist, Masochist – aber sagen Sie mal: Ich bin fromm!





Don Camillo hatte recht. Die Behauptung, daß Religion tabu sei, hat heute sogar noch mehr Berechtigung als damals, in den Achtziger Jahren, als er sie formulierte. Heute ist Religion allerdings in einem ganz anderen Sinn tabu als es Don Camillo im Sinn hatte. Tabu stammt aus dem Sprachraum Polynesiens und bedeutet "heilig" in einem spezifischen Sinn. Orte, Gegenstände oder Personen, die im Sinne des Tabus heilig sind, müssen streng gemieden werden. Von ihnen geht eine gefährliche Kraft aus. Diese Verknüpfung des Heiligen mit dem Unantastbaren, weil gefährlichen, kennen wir auch aus der christlichen Tradition und der Mythologie der Griechen. Als sich Zeus der sterblichen Semele in seinem vollen Glanz zeigt, verbrennt sie. Und der Auferstandene hält dem Johannesevangelium zufolge Maria Magdalena mit dem Ausruf „Berühr mich nicht!“ („Noli me tangere“) davon ab, ihn zu umarmen.



Eines Tages, sagte der Rabbi, ärgerte sich Gott so sehr über die Menschen, daß er beschloß , alles Leben auf der Erde zu vernichten. ‚Alles Leben?‘, fragte das Ferkel erschrocken, ‚alle Menschenbabys, alle Omas und alle Tiere?‘ ‚Ja, alles Leben‘, antwortete der Rabbi.



Aufgrund dieser Stelle machte der Indizierungsantrag des deutschen Familienmisteriums dem Ferkelbuch den Vorwurf des „Antisemitismus“, da es die jüdische Religion als „menschenverachtend, grausam und mitleidslos“ darstelle. Ursula von der Leyen, die - damalige – deutsche Familienministerin und ihr Familienmisterium zeigten hier exakt dasselbe Tabuverhalten wie die Angehörigen jener polynesischer Gesellschaften, in denen das bloße Aussprechen bestimmter Namen als Tabubruch gilt. Für diese Ministerin im Dienste eines säkularen Staates ist Religion – hier die jüdische – offensichtlich tabu - heilig und zugleich unantastbar. Sie und ihr Ministerium verhielten sich in der Ferkelbuch-Affäre so, als steckten in „der Religion“ tatsächlich gefährliche Kräfte, die beim bloßen Benennen bestimmter religiöser Inhalte freigesetzt werden könnten. Religion ist also heute tabu. Und das nicht nur für das deutsche Familienministerium. Wer heute ernsthaft über Religion redet, ist entweder religiöser Fundamentalist oder fundamentalistischer Religionskritiker. Weshalb man über Religion besser nicht reden sollte. Konsequenterweise forderte die Familienministerin das de-facto-Verbot eines Buches, weil es schlicht nacherzählt, was im Alten Testament (dort allerdings drastischer) über die Sintflut steht: „Ich will den Menschen … von der Fläche des Erdbodens auslöschen, vom Menschen bis zu den kriechenden Tieren, bis zu den Vögeln im Himmel“ (Genesis 6:7).



Demselben Tabu-Verhalten begegnen wir beim (Nicht-)Reden über den Islam. In Diskussionen über den Islam wird bekanntlich über alles mögliche geredet (Migranten, Deutschkenntnisse, Terrorismus), außer über den Islam. In jenen seltenen Fällen, wo jemand dieses Sprechverbot durchbricht und tatsächlich etwas über den Islam sagt - indem er zum Beispiel aus dem Koran zitiert – entsteht eine seltsam peinliche Atmosphäre, als hätte jemand ein obszönes Gehemnis verraten. In weiterer Folge wird dann dem Tabubrecher mitgeteilt, daß es "den"Islam gar nicht gebe, was die niemals ausgesprochene, aber umso wirksamere Konsquenz hat, daß man über diese nicht Existente auch nicht sprechen kann.



Zurück zum Ferkelbuch: Im März 2008 sprach die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien das Ferkelbuch vom Vorwurf des Antisemitismus frei, und lehnte dessen Indizierung ab. Da es ihr ausschließlich um Fragen der Jugendfährdung gehe, sei es des weiteren irrelevant - so die Bundesprüfstelle -, ob das Buch das religiöse Empfinden der Gläubigen verletze.

Was hier, wie in der gesamten Ferkelbuch-Debatte, ausgeklammert bleibt, ist der eigentliche- verborgene - Kern der Affäre: Die religiösen Empfindungen der Ungläubigen.

wird fortgesetzt

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