Sonntag, 26. Dezember 2010

Warum wir über den Islam nicht reden können (7)

Wenn Gott tot ist, ist alles verboten

Hinter der entspannten Haltung des heutigen „Ungläubigen“ gegenüber der Religion steckt also Angst.


Marquis de La Fayette, Mitverfasser der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte




Aber kann man sich vor etwas fürchten, woran man nicht glaubt? Gott, sagt Jaques Lacan, ist nicht tot, sondern unbewußt. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Für den Psychoanalytiker - und Atheisten - Lacan ist Gott nichtsdestotrotz tot. „Gott ist unbewußt“ ist denn auch zusammen mit einer anderen Lacan’schen Formel zu lesen: „Wenn Gott tot ist, ist alles verboten“. Gottes Tod hat keineswegs zur Folge, daß nun – wie Dostojewski Iwan Karamasow sagen läßt – alles erlaubt wäre. Im Gegenteil. Der tote Gott lebt als Untoter in unserem Unbewußten und reguliert mit einer Fülle von Ge- und Verboten alle Lebenbereiche. Von der Politik über die Sexualität bis zur Ernährung. Und knechtet uns weit effektiver als es der „lebendige“ je vermochte.


Dieser unbewußte, untote Gott, der uns in das Korsett sexueller und politischer Korrektheiten zwängt, der uns gebietet, aus unseren Körpern schöne und schlanke Hochleistungsmaschinen zu machen - dieser selbe Gott verbietet es uns auch, ernsthaft (und ernsthaft ist ein anderer Name für kritisch) über Religion zu reden. Religionskritik, eines der Leitmotive der Moderne, erscheint in Zeiten religiöser Nonchalance als überholt.
Daß es so gekommen ist, hat nicht zuletzt mit einer eigentümlichen Dialektik der Aufklärung - der Wiege der modernen Religionskritik – zu tun. Die Absage der von den Aufklärern formulierten Religionskritik am Absolutheitsanspruch der Religion mündete nicht etwa in die Freiheit von Religion, sondern in sogenannte Religionsfreiheit.

Niemand soll wegen seinen Anschaungen, selbst religiöser Art, belangt werden, solange deren Äußerung nicht die […] öffentliche Ordnung stört,

heißt es in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, verabschiedet von der französischen Nationalversammlung wenige Wochen nach dem Sturm auf die Bastille. Die Religionsfreiheit, die hier gemeint ist, ist die Freiheit des Einzelnen in religiösen Dingen, die selbstverständlich auch die Freiheit von Religion mit einschließt. Aber von Anfang an scheint im Begriff „Religionsfreiheit“ eine andere – dieser Vorstellung entgegengesetzte - Bedeutung mitzuschwingen: Religionsfreiheit nicht als Freiheit des Einzelnen gegenüber der Religion, sondern als die Freiheit der Religion gegenüber dem Einzelnen, als Anrecht der Religion (und das heißt spätestens seit der Aufklärung: aller möglichen religiösen Überzeugungen) nicht nur auf Toleranz, sondern auf Respekt, Anerkennung, Achtung. Und unmerklich scheint es hier in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten zu einer Akzentverschiebung gekommen zu sein. Von ersterer zu zweiterer Bedeutung. Von hier aus – dem Anspruch aller möglichen religiösen Überzeugungen auf Anerkennung und Achtung - ist es nicht weit zu der heute vorherrschenden Tendenz, religiöse Überzeugungen aller Art, ohne Rücksicht darauf, ob und wie sehr sie zu den Grundlagen der Demokratie und der Menschenrechte im Widerspruch stehen mögen, sakrosankt zu stellen. Wenn Gott tot ist, ist jede Religion heilig.

Religionsfreiheit heute

Im April 2007 gab die deutsche Bundesregierung in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage die Anzahl der Moslems in Deutschland mit rund 3,4 Millionen an. Als Moslems werden alle Migranten gezählt, die aus einem „mehrheitlich moslemischen Land“ stammen - bzw. alle deutschen Staatsbürger mit einem entsprechenden Migrationshintergrund. Die Existenz von aus „mehrheitlich moslemischen Ländern“ stammenden Anhängern anderer Religionen sowie nicht-religiöser Menschen wird in Deutschland also von Amts wegen verleugnet. In Österreich ist die Zähl-Praxis der Behörden nicht anders. Was dabei zusätzlich unter dem Tisch - und noch weit mehr ins Gewicht - fällt: Eine Untersuchung der Forschungsgruppe Weltanschaungen in Deutschland ergab, daß über 60% aller in Deutschland Lebenden, die sich selbst als „Moslems“ bezeichnen, in Wahrheit nicht religiös sind. Für diese Menschen hat die Selbstzuschreibung „moslemisch“ offenbar eine rein ethnisch-kulturelle Dimension. In etwa so, wie wenn ein norddeutscher Atheist von sich selbst sagen würde, er sei von seiner Arbeitsethik her „protestantisch“. Religionsfreiheit bedeutet heute, daß in Deutschland Lebende aus „mehrheitlich moslemischen Ländern“ auf der Ebene amtlicher Statistiken nicht die Freiheit besitzen, einer anderen Religion als dem Islam, oder gar keiner Religion, anzugehören - während sich die säkulare deutsche Bundesregierung die Freiheit nimmt, gleichsam stellvertretend für den Islam, Nicht-Moslems, die aus islamischen Ländern stammen, sowie nichtreligiöse „ethnisch-kulturelle“ Moslems zu islamisieren. Zwar auf der fiktiven Ebene der Statistik, aber mit handefsten, religionspolitischen Folgen - cuius regio, eius religio (3).

wird fortgesetzt




(3) Wes der Fürst, des der Glaub‘

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