Montag, 30. August 2010

Wunderland 13. Teil














Café Naderi, Teheran




„Ich entschied mich für das Messer“, der Feine wandte sich an seine Brüder, „das die Eltern aus Japan mitgebracht hatten, und das Mutter immer mein bestes Stück nannte. Ich wollte ihm das Messer ein paar Mal direkt und mit voller Wucht ins Herz stechen, dann müßte er sofort tot sein, und ich hätte genug Zeit, um zu fliehen. Es war mir klar, daß meine Chancen, nach dem Mord davonzukommen, praktisch Null waren, aber das ließ mich kalt. Sollte ich doch davonkommen, wollte ich nach Japan. Warum gerade Japan, weiß ich nicht mehr, wegen des Messers wahrscheinlich. In Japan wollte ich japanisch studieren, und die Werke klassischer, japanischer Dichter in die Sprache Teherans übersetzen. Ich schrieb Sam, daß ich ihn gerne treffen wollte, und schlug einen Termin vor, den er ein paar Tage später bestätigte.

An einem kalten, aber sonnigen Tag im März betrat ich zur vereinbarten Zeit das Naderi, übrigens zum ersten Mal. Das Messer befand sich in einer alten Schultasche, die ich auch als Student gelegentlich noch benützte. Ich schaute mich um, Sam war nirgends zu sehen, bis ein Mann mit Vollbart von seinem Tisch aufstand, zu mir kam - es war Sam - und mich überschwenglich begrüßte, und mir die Wangen küsste. Das irritierte mich, so daß ich meinen Plan, ihn zu töten, vergaß, ich begrüßte ihn meinerseits und setzte mich an seinen Tisch.
Sam begann zu reden – ich weiß nicht mehr was -, da fiel mir meine Tötungsabsicht wieder ein. Ich öffnete die Tasche, zog das Messer, und tötete ihn mit mehreren -“. „Was?“, rief der Junge laut, und erregt, und alle in der Deutschsprachigen Gemütlichkeit drehten sich zu uns um. Der Feine lachte. „Nein. Ich zückte das Messer, richtete es auf Sam, und wollte es in seine Brust rammen, auf einmal schien die Luft zwischen meiner Faust und Sam, wie soll ich sagen, aus einem Medium zu bestehen, das weich war, wie Nivea-Crème, dann immer zähflüssiger und härter wurde, wie hartes Plastilin - in diesem Medium bewegte sich das Messer wie in Zeitlupe, bis die Messerspitze Sams Brust erreicht hatte, genauer, einen Punkt unterhalb seines Brustbeins. Ich hatte in Mutters Anatomiebüchern“, der Feine wandte sich an mich, „unsere Mutter hatte eine Zeit lang, bevor sie sich für die Montanistik entschied, Medizin studiert, und ich hatte in einem ihrer Bücher ein Kapitel über die Anatomie des Herzens studiert, und war zu dem Schluß gekommen, daß man, wenn man das Herz treffen will, das Messer nicht direkt in den Brustkorb, sondern, von einem Punkt unterhalb des Brustbeins aus, schräg nach oben stechen muß. Die Messerspitze berührte also diesen Punkt, unterhalb von Sams Brustbein, aber ich konnte das Messer nicht weiterbewegen - das Medium war jetzt steinhart.

Sam hatte die ganze Zeit zugschaut, ganz entspannt, wie mir schien, und fragte schließlich: Was führst Du auf? In diesem Moment erschien ein alter und dicker Kellner, vom Akzent her Armenier, und fragte uns, was wir treiben würden.
Wir sind Künstler, sagte Sam, vom Theater. Schauspieler. Wir proben eine Szene, in der ein Dichter seinen Förderer umbringen will. Der Kellner lachte: Und warum will er seinen Förderer umbringen?
Weil er Dichter ist, sagte Sam. Der Kellner lachte wieder und servierte Sam eine Kaffeetasse, in der sich kein Kaffee befand, sondern Schnaps.
Du trinkst Schnaps? Sam nahm die Klinge vorsichtig zwischen die Finger und entzog mir das Messer. Das Medium zwischen Sam und mir hatte sich in Luft aufgelöst, und auch ich öffnete meine Faust ohne Widerstand. Klar, sagte Sam, in Bezug auf meine Schnaps-Frage, weißt Du‘s nicht mehr? Doch, sagte ich - in der Schule galt Sam schon mit sechzehn als trinkfest, ich hingegen hatte noch nie Alkohol konsumiert -, aber Du bist doch der Vorsitzende der Revolutionären Frommen. Ich nicht mehr, sagte Sam, aber Du".

wird fortgesetzt

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