Freitag, 22. März 2013

Zizek in Teheran (35)


Zwischen der Erd' und dem Meer und den himmlischen Höhen gelegen
Mitten im Raum ist ein Ort, wo, was irgend sich zeigt,
sei noch so groß die Entfernung,
und jeglicher Laut zum gehöhleten Ohr dringt


Dieser Vers, LeserIn, der nicht von mir ist, Nein, und auch nicht von Hafez, sollte Dir bekannt vorkommen. Einer der Immerkleinerwerdenden, rechts vom Nehru, rezitiert ihn.

Mit dem ganzen Pathos Teherans.

Dieser zeigt sich im Hin und Her-Wiegen des Kopfes. Wie junge Inderinnen beim Reden, jedoch ohne Anmut. Als hätte er Parkinson. Und: Seine Hand, die etwas rundes, Unsichtbares zu halten scheint, ist die eines Fürsten, der von seinem Balkon aus auf das Volk herabwinkt. Nur, daß der Rezitierende nicht wie ein Aristokrat ausschaut, sondern wie ein Lump.

Alles hätte ich dem Gefängnisarzt zugetraut, nur nicht, daß er Ovid rezitiert. Wenn auch mit dem ganzen Pathos Teherans. Letztes Mal, bei mir auf der Couch, hatte er weder den Bart noch die Brille, hinter der seine Augen kreisen, wie die Hypno-Augen der Kaa, ja, genau, die vom Dschungelbuch, LeserIn.

Neben dem Nehru ist der Gefängnisarzt der einzige Bärtige in der Runde, ich schätze ihn auf Vierzig, Nehru auf Ende oder Mitte Fünfzig, die aber keine Runde ist, sondern eine Reihe. Die anderen Immerkleinerwerdenden und Nehru Flankierenden sind glattrasierte Teheraner Yupppies, resp. Bobos, der Bart des Rezitierenden ist weiß gesprenkelt, wie der des Nehru, aber ungepflegt.

wird fortgesetzt

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