Samstag, 28. Juli 2012

Zizek in Teheran (6)

7

Warum er den Frauen überhaupt nachjagt, möchte ich wissen, und davonläuft, bevor er mit ihnen intim wird.

- Das sollen Sie mir doch sagen.

Und kippt ohne Übergang ins Verrückte:

Die licht- und wärmespendende Kraft der Sonne, die Ursache alles Lebens auf der Erde, ist eine Lebensäußerung Gottes. Weshalb denn auch die der Sonne gezollte göttliche Verehrung zwar nicht die volle Wahrheit in sich schließt, aber doch einen - von der Wahrheit nicht allzuweit sich entfernenden - Kern derselben enthält.

- Das schon wieder ... Sie reden entweder über Ihre Impotenz, oder Sie kippen in diese - seltsame Rede. Über Gott und die Strahlen. Das ist doch verrückt.

- Ich sage das, was mir einfällt.

- Das mit Gott und den Nerven, das sind keine Einfälle. Das muß man auswendig gelernt haben. Das sind die Worte eines Verrückten, eines intelligenten Verrückten, aber Sie sind nicht verrückt.

Wollte sagen: Sie sind weder verrückt noch besonders intelligent, sage es aber nicht. Aber bauernschlau.

Der Gefängnisarzt würde am liebsten aufstehen und gehen.

- Tut mir leid, aber ich kann nicht mehr kommen.

- ‚Ich kann nicht kommen‘ kann noch etwas anderes heißen.

- Meine Zeit ist um. Ich muß gehen.

Macht er in der Analyse am Ende dasselbe wie bei den Frauen? Daß er weggeht oder, um von seiner Impotenz abzulenken, von Gott spricht? Warum muß er aber, um von seiner Impotenz  abzulenken - von der er selbst immer anfängt - diesen auswendig gelernten Text rezitieren? Ich muß herausfinden, was das für ein Text ist. Aber ich kann mich an keinen Satz mehr erinnern. Wenn er von diesen Vögeln und Nerven und Gott spricht, umhüllt mich eine Wolke, und wenn er schweigt, ist die Wolke dahin.

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Mittwoch, 25. Juli 2012

Zizek in Teheran (5)

6

Vincent Van Gogh - Sternennacht über der Rhone

- In ihrer Wohnung fängt sie an, sich zu wehren. Eine Tussi aus Nord-Teheran. Mit Klasse. Ich muß sie haben. Sie legt Musik auf, jedoch keine klassische. Wir trinken Whiskey mit Wasser. Die Stimme nervt. Ich werde zudringlich. ‚Was erwartest Du von einem Mann?‘ Sie kichert, als schämte sie sich. Sie hat fantastisches Haar. Frauenhaare sind meine einizige, Sie wissen schon, Chance …

- Gegen die …

- Genau. Aber das war früher. Ich küsse und ich öffne den Reissverschluss. Ihrer Hose. Dann ist es aus.

- Aus?

- Sie weiß ja, daß ich impotent bin. Ich sage es den Frauen im voraus. Und jede glaubt, sie …

- … kann Sie erlösen.

- Ich öffne also den Reißverschluß und schäle ihren Oboistinnen-Arsch aus der Hose, wie man einen Apfel schält. Dann ist es aus.

- Sie gehen?

- Ich bleibe. Und rieche. An ihrer Strumpfhose. Eine hellbraune, altmodische, und diskutiere über Gott.

- Über Gott …

- Ich muß sie von der Impotenz ablenken. Und Musikerinnen, zumal Musikerinnen aus Teheran, haben‘s mit Gott. Gott ist nur Nerv, nicht Körper, demnach etwas der menschlichen Seele -

Jetzt fängt der Scheiß wieder an, als zitierte er ein Buch.

- - Verwandtes. Die Gottesnerven besitzen die Eigenschaften der menschlichen Nerven, in einer alle Begriffe übersteigenden Potenz.

Sie haben die Fähigkeit, sich umzusetzen in alle möglichen Dinge. In dieser Funktion heißen sie Strahlen. Zwischen Gott und den Sternen besteht eine innige Beziehung. Ich wage nicht zu entscheiden, ob man sagen darf, daß Gott und die Sterne dasselbe sind, oder ob man sich die Gottesnerven als etwas über und hinter den Sternen - und demnach die Sterne und unsere Sonne nur als Stationen vorzustellen hat, auf denen Gott den Weg zu unserer Erde zurücklegt.

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Aquaphone 2012: Ein lesenswerter Text meines Freundes Vladimir Vertlib

Zu Beginn der 1950er Jahre war jene Brücke über die Donau, die Štúrovo (Slowakei) und Esztergom (Ungarn) verbunden hatte, zerstört. Es gab kaum eine Möglichkeit, Verwandte oder Freunde von der anderen Seite der Donau zu treffen. Die Grenze war gesperrt. In beiden Ländern waren kommunistische Diktaturen an der Macht. Die Menschen gingen an windstillen Abenden zur Donau und redeten miteinander. Kurze Mitteilungen, oft verschlüsselt, wurden vom Wasser einen halben Kilometer zum anderen Ufer übertragen.

Am 2. Juni 2012 fand nun in den beiden Nachbargemeinden Štúrovo (Slowakei) und Esztergom (Ungarn) eine Aufführung im Rahmen von Aquaphone 2012 statt, zu der Valdimir Vertlib den Text geschrieben hat.

http://vladimirvertlib.wordpress.com/2012/06/06/grenzen-mein-text-fur-das-projekt-aquaphone-2012/

Sonntag, 22. Juli 2012

Zizek in Teheran (4)

5

Neulich habe ich eine kennengelernt, sagt der Gefängnisarzt, die mit mir intim werden will.

- Ständig, lernen Sie eine kennen, die mit Ihnen intim werden will.

Ständig, sagt der Gefängnisarzt.

Warum lerne nicht ich eine kennen, die mit mir intim werden will?

- Eine Musikerin. Vom Teheraner Symphonieorchester. Oboistin.

Ich dachte, das Symphonieorchester gibt es seit 30 Jahren nicht mehr. Sage aber nichts.

- Ich habe sie von hinten erkannt. Beim Joggen.

- Von hinten erkannt?

- Ich kenne sie vom Fernsehen. Ihre Haare. Ein besonderes Blond.
Wissen Sie, blond  

In letzter Zeit traut sich der Gefängnisarzt, mich zu belehren. Weil Sie nicht da waren. Er meint während und seit der Revolution.

- Wissen Sie, blond ... ist in Teheran nicht selten. Was es nicht gibt, oder fast nicht, ist dieses besondere Blond - Golden brown.

Der Gefängnisarzt singt:

Golden Brown
Texture like sun
Lays me down
With my mind she runs
Throughout the night
No need to fight
Golden Brown


Golden brown ist nicht blond, sondern braun, denke ich. Sage aber nichts.

In letzter Zeit traut sich der Gefängnisarzt zu singen. Ich soll alles sagen, was mir einfällt. Und wenn mir eine Musik einfällt?  Schon fällt ihm eine Musik ein.

Raftam be Sahra
Didam Ghoorbaghe
Goftam Ghoorbaghe
Damaghet chaghe

Da-la La-la-lay
Lay La-lam

Ich ging aufs Feld
Und sah die Kröte
Ich sagte: Kröte
Schaust aus
Wie Goethe

Das war der Anfang. Seitdem singt er bevor er, während oder nachdem er über seine Impotenz gesprochen hat, resp. spricht. Einmal pro Stunde. Zumindest.

Beim Joggen ist sie die schnellste im Park. An drei Tagen will ich sie einholen, aber schaffe es nicht. Am vierten setze ich mich auf die Bank und warte. Bis sie langsam wird. Das dauert. Dann sprinte ich los und hol sie ein.

- 'Was machen Sie - außer Joggen?' Daß ich weiß, daß sie Oboistin ist, sage ich nicht. 'Paintball.'

Wir treffen uns in der Sport-Bar des Paintball-Clubs "Female Justice".

- Da hat man Sie reingelassen? Als Mann?

- Es gibt dort Männer zuhauf. Wenn Sie wer fragt, sagen Sie, Sie sind der Trainer. Aber es fragt niemand. Im ganzen Teheran gibt es keinen besseren Ort, um Frauen zu treffen, als in den Sport-Bars. Schick sind sie auch. Ich sage Hallo, setze mich,  und dann: 'Das Problem ist, daß ich impotent bin'. Sie schüttet mir ihr Bier ins Gesicht.

- Ihr Bier?

- Dann packt sie mich, entschuldigen Sie, am Schwanz: 'Das weißt Du erst, wenn Du mich gehabt hast.'

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Sonntag, 15. Juli 2012

Warum wir "fremde Kulturen" nicht respektieren sollten - und die "eigene" auch nicht (2)

Hat Eurozentrismus mit Europa zu tun?

2009 kam es nach Fälschungen bei den Präsidentschaftswahlen im Iran zu Massenprotesten, die Erinnerungen an die Revolution von 1979 wachriefen. Ich schrieb damals einen Essay (1), in dem ich die Bezugnahmen der Protestbewegung von 2009 auf die 1979er Revolution mithilfe von Sigmund Freuds und Walter Benjamins Theorien der Nachträglichkeit zu analysieren versuchte – und schickte ihn an die Neue Zürcher Zeitung. Daraufhin entstand eine seltsame Kontroverse. Die zuständige Redakteurin meinte, mein Essay würde die an den Iran interessierten Leser vor den Kopf stoßen. Diese würden einen Text über den Iran erwarten, sich aber „stattdessen“ mit westlichen Theorien konfrontiert sehen.

Für jene Redakteurin fiel der Iran offenbar unter die Kategorie „fremde Kultur“ - und hatte als solche mit „unserer westlichen“ nichts zu tun (zu haben). Meine Bezugnahmen auf Freud und Benjamin hatten sie insofern irritiert, als ihr schon der Gedanke, Entwicklungen in der iranischen Gesellschaft mit „Gedankenmodellen aus der westlichen Kultur“ erfassen zu wollen, undenkbar schien.

Die Irritation der Redakteurin irritierte wiederum mich. Bis ich selbst eine Art Nachträglichkeits-Erlebnis hatte. Ich begriff, daß die Position der Redakteurin mittlerweile - und seit vielen Jahren - zum mainstream geworden war. Und wunderte mich, dies erst nachträglich bei Gelegenheit jener Kontroverse wahrgenommen zu haben. Heute hat sich die „maintreamigkeit“ jener Position noch verstärkt, so daß ich versucht bin, zu sagen: Wir alle, die wir uns als weltoffen, und an anderen Kulturen interessiert wahrnehmen, wir, die wir andere Kulturen „so wie sind“ respektieren und an ihnen keinen „fremden“ Maßstab anlegen wollen (denn das würden wir als „überheblich“ empfinden), wir alle sind AnhängerInnen des Prinzips Kultur.

Wenn es sich um „außereuropäische Kulturen“ handelt – und wenn das Prinzip Kultur im Spiel ist, handelt es sich immer um „außereuropäische Kulturen“ -, verstehen wir AnhängerInnen des Prinzips Kultur unsere Position daher als Gegenposition gegen den sogenannten „Eurozentrismus“.

In meinem Essay und in der Kontroverse mit der Redakteurin hatte allerdings ich, ein Iraner mit einem „außereuropäischen Migrationshintergrund“, den „eurozentrischen“ Standpunkt eingenommen. Ich hatte Theorien westlicher Denker herangezogen, um Entwicklungen in einer „außereuropäischen Kultur“ (meiner „eigenen“), zu analysieren, und hatte mich gegen das Eigenrecht und die Authentizität jener „fremden Kultur“ (meiner „eigenen“) versündigt. Wohingegen die NZZ-Redakteurin – eine Angehörige der „europäischen Kultur“ - mich vor der Sünde des „Eurozentrismus“ zu bewahren versucht hatte.

Das Unbehagen an der Anwendung „westlicher Theorien“ auf „fremde Kulturen“ ist nicht neu. Der polnische Sozialanthropologe Bronislaw Malinowski gilt als Pionier der ethnologischen Feldforschung und Erfinder der Methode der „teilnehmenden Beobachtung“. 1924 stellte er, nach einem langen Forschungs-Aufenthalt auf den Trobriand Inseln, die universelle Gültigkeit der Freud’schen Ödipustheorie, wonach der Sohn seinen Vater zu töten und seine Mutter zu besitzen wünsche, infrage. Malinowskis Text „Mutterrechtliche Familie und Ödipus-Komplex“ löste eine Serie bis heute nicht abreißender Nachfolgedebatten aus, die weit über den Kreis der psychoanalytischen community hinausreichten.

Malinowskis Kritik an Freud könnte man als paradigmatisch für die heute populäre Auffassung ansehen, wonach „westliche Denkmodelle“ mit „fremden“ (i.e. außereuropäischen) Kulturen nichts zu tun hätten – bzw. nichts zu tun haben dürfen. So gesehen wären Malinowskis Thesen die Vorläufer jenes von der Redakteurin vertretenen Prinzips Kultur. Tatsächlich muß der polnische Sozialanthropologe nicht selten als Kronzeuge herhalten, wenn vor der „Projektion Freud’scher (oder generell „westlicher“) Theorien auf außereuropäische Kulturen“ gewarnt wird. Aber diese – häufig Wikipedia-generierte - Sicht auf Malinowskis Freud-Kritik stellt dessen wahre Positionen geradezu auf den Kopf. Denn Malinowski hat weder behauptet, daß Theorien der Psychoanalyse (grundsätzlich) nicht auf außereuropäische Gesellschaften anwendbar seien, noch war er ein (grundsätzlicher) Kritiker der Psychoanalyse. Seiner Kritik an der Psychoanalyse wird man am ehesten gerecht, wenn man sie als Kritik von innen auffaßt. Nicht von ungefähr trägt Malinowskis Essay „Mutterrechtliche Familie und Ödipuskomplex“ den Untertitel „Eine psychoanalytische Studie“. Malinowski entwirft in diesem Text eine eigene Variante der Ödipustheorie: Das männliche Kind auf den Trobriands würde nicht seine Mutter, sondern seine Schwester begehren, und nicht seinen Vater sondern den Bruder seiner Mutter zu töten wünschen.

Interessieren soll uns aber nicht Malinowskis Verhältnis zur Psychoanalyse, sondern das, was ihn von den Vertretern des Prinzips Kultur unterscheidet. Und zwar radikal. Jenen, die nicht selten „Malinowski“ sagen und das Gegenteil seiner Positionen vertreten. Der Unterschied liegt in Malinowskis Haltung zur Universalität. Während Malinowski – zu Recht oder zu Unrecht - behauptete, daß Freuds Ödipustheorie nicht universell genug sei, und daher „nicht ganz“ auf die außereuropäische Gesellschaft der Trobriands anwendbar, und um Freuds Theorie universeller und auf die Gesellschaft der Trobriands anwendbarer zu machen, eine ergänzende Variante der Ödipustheorie vorschlug - während Malinowskis Forderung also auf eine universellere Psychoanalyse hinausging, hat das Prinzip Kultur die Universalität als solche zu Grabe getragen.

wird fortgesetzt

(1) Emma und die Revolutionen im Iran - das Freudianische und das Benjaminische an der iranischen Freiheitsbewegung (nachzulesen unter den älteren posts in diesem blog).