Freitag, 31. Mai 2013

Zizek in Teheran (44)

Laßt mich

                mit Eurer

                               Scheiß-

                                            -Heiligen

                                                          Schrift!,

würge ich, endlich in Ruhe! Und brülle. Ich bin Analytiker. Keine Ahnung, was es mit Eurer

Scheiß-

            -Heiligen

                           Schrift auf sich hat.

Ich-

     -glaube-

                 -es-,

                        -nicht-

                                -würgen!,

würgt der (oder ich aus dem) Gefängnisarzt.

Gut. Aber das reicht nicht. Du sagst mir ALLES. Mit Gewürgten ist man per Du, LeserIn, Ich-muß-
               
                                                  -ALLES-

-wissen. Und brülle: Über die Schrift und die Polizeiambulanz und die Snack und den Nehru und den Elektrischen, warum er sterben mußte und Ihr habt ihn ermordet, nicht wahr?, und das Internat Islamischer Mädchen und das Haus des Vergessens der Bibliothek der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher und Schirin, und ob ich Ingeborg sage, und würge, und Narges und die Psychiatrie? Und Graz?

Ja, ja. Alles! Alles! Ich bin eh kein …

Längeres Schweigen.

- Ja?

Geheimpolizist.

Würgen und Wringen relentlessly und Schwitzen und Weinen. Bis zum letzten Tropfen. Emotion und Information. Entwürgt und entwrungen.

Beim Würgen redet es sich ungewöhnlich gut, LeserIn, zumal mit Schein-Patienten und Geheimpolizisten, auch wenn er es leugnet, der islamischen Sorte, ein wunderbares Gefühl.

Sätze jedoch wie:

„Mir scheint, ich habe den Beruf verfehlt, Folterpolizist hätte ich machen sollen, nicht Analytiker“ are not served here.

Denn es handelt sich um: Metaphysisches.

Metaphysisches Würgen. Und Brüllen, ergo nicht mehr mein Brüllen, um nicht zu sagen kosmisches, und nicht nur den Container erfüllt, welche die Ordination für Psychoanalyse enthält, sondern den Container und den islamischen Geheimpolizisten und mich und die Luft und die Erde des den Container umgebenden Gartens, und das Nord-Teheraner Gholhak und das ganze Nord-Teheran der Bobos vibriert, und das Süd-Teheran und Luftschicht um Luftschicht brüllt sich das Brüllen in den Himmel und umbrüllt die Wolken und die Regionen des Teheraner Himmels sukzessive und Rollen und Grollen, ein Tsunami, im Himmel, Hören wird Sehen.

Das heißt: Der Sound meines Brüllens schlägt um in Farbe. In welche? Such Dir eine aus, LeserIn. Aber keine freundliche.

Auch den Gott im Teheraner Himmel nicht zu vergessen. Dirty old man, keineswegs altersschwach (wie der Mann im Mond), fickt mein göttliches Brüllen, daß ihm sein altersgeiles Sehen und Hören vergeht. Resp.: Fick Dich selbst, in den Arsch, Uroboros, oder: wohin auch immer, und Du sag ARsch, mit großem, rollenden R, LeserIn, Rollen und Grollen. Und gedenke des Gottes im Teheraner Himmel, wie er sich selbst Uroboros, und Glückwunsch zu der, wie wir hoffen, gelungenen Performance des Textes.

wird fortgesetzt

Sonntag, 26. Mai 2013

Zizek in Teheran (43)


Die Heilige Sophia von Rom ("Die kalte Sophie")
Und nie hat mein Analytikerkörper sich auf den eines Analysanden gestürzt. Ob Geheimpolizist oder nicht.

Scheiß-Geheimpolizist! Islamischer!

Gehheim, Polizist!, hätte ich sollen sagen.

In Wahrheit drücke ich mich weniger fein aus. Denn über den armen Geheimpolizisten ergießt sich ein

Schimpfwortschwall

in der Sprache Teherans, a tirade (a protracted speech, usually marked by intemperate, vituperative, or harshly censorious language).

Schimpfworte der Sprache Teherans haben die Eigenschaft, sich nicht übersetzen zu lassen, zumal ins Deutsche nicht, worüber man nicht schimpfen kann, darüber sollte man schweigen. Spontangedicht:

Mutterhure
Vaterhund
Vaterhure
Muttermund
Gudrun
Kundry
Radegund

Laßt-mich,

ich würge,

IN-RU-HE

würge ich,

Mit Eurer -

Leerzeile

Leerzeile

SCHEIß-

-HEILIGEN

-SCHRIFT.

Kann einer lachen, den man/wenn man ihn würgt? Als ich Scheiß-Heiligen sage, knattert es aus des Gefängnisarztes Gesicht. (Stolz, meinen Folterpolizisten zu foltern, werde ich erst nachträglich. Nachtrüglich. Jetzt only Wut.)

Später wird er sagen, er hätte über den möglichen Reim

Scheiß-Heiligen - Eis-Heiligen 

lachen müssen. Oder ich werde es denken.

Primitive Gemüter, zumal Geheimpolizisten von der islamischen Sorte, lachen vorzugsweise über primitive Reime  mit analer Thematik.

Scheiß-Heilige Eis-Heilige

Pankratius
Servatius
Bonifatius
Und danach fehlt nie
Die kalte Sophie

wird fortgesetzt

Dienstag, 21. Mai 2013

Zizek in Teheran (42)

Über die Zimmerlautstärke hat sich die Analytikerstimme noch niemals erhoben, und noch nie hat der Analytikermund die Grundregel unterlaufen

(Die Grundregel: Der Patient sagt alles, was ihm in den Sinn kommt)

und schon gar nie hat mein Analytikerkörper sich auf den eines Analysanden gestürzt, um zu würgen. Und würgen. Ob Geheimpolizist oder nicht.

Keine Gegenwehr. Und aus einem nicht mehr zu rekonstruierenden Grund, fehlt ihm jetzt, da ich würge, auf einmal die Brille. Der Wegfall der Mikroskopbrille, wie ich die Brille des Gefängniarztes nenne, in Anlehnung an eine Erinnerung an das Gymnasium in Graz -

Exkurs: Schon einmal überlegt, LeserIn? Warum es ausgerechnet Er-INNER-ung heißt? Ganz wörtlich genommen, müßte Er–INNER-ung heißen, daß etwas von AUßEN nach INNEN gelangt, Er-

-INNER-
     
-ung. Und dort bleibt. Aber, wenn wir Erinnerung sagen, meinen wir nicht das. Wörtlich wäre ErINNERung – daß also etwas von Außen nach Innen gelangt - das Wahrnehmen und das Speichern von etwas. D.h. die Voraussetzung für Erinnerung im gewöhnlichen Sinn. Also die Voraussetzung , daß irgend wann später das stattfinden kann, was wir meinen, wenn wir Erinnerung sagen (Ende des Exkurses).

Nochmal: Der Wegfall der Mikroskopbrille macht den Gefängnisarzt auf einmal sympathisch. Ein Wort, das ich hasse. Ein wenig schielt er. Hingegen mit Mikroskopbrille: Weder schielt noch sympathisch. Die Mikroskopbrille vergrößert dem Gefängnisarzt seine Augen. Die kreisen. Die Brille nenne ich Mikroskopbrille (ist aber keine), in Anlehnung an eine Erinnerung an das Gymnaium, in Graz.

Einen der Kameraden, einer widerwärtiger als der andere, einen nannten sie: Die Mikroskopbrille. Weil die Brille vergrößerte ihm seine Augen. Die kreisten. Einer Widerwärtiger als der andere. Spontangedicht: 

Widerwärtig
Gegenwärtig
Krankheitswertig
Ka-Zet
(-Wärter)

Sobald ich Grazer soil betreten, erwachte der Nazi. In mir. (soil: siehe auch: turmoil oder: Kürbiskernoil). Erwachte der Nazi (ein Starker). Und pochte. Auf Schönheit, Gesundheit und Gudrun (Genaueres in einem neuen Roman). Und pochte. Auf Schönheit, Gesundheit und rund: Radegund, Kundry,
Gudrun.

Das Gute ist Schön ist das Gute. Hingegen die Kameraden, Verkrüppelte Nazis, warum wart Ihr nicht schön.

wird fortgesetzt

Donnerstag, 16. Mai 2013

Warum uns Israel erregt (4)


Granada

Die Absurdität von „erstens“ bis „viertens“ wurde mir erst klar, als ich mich über Wikipedia hinaus wagte. Nachträglich gesehen, hätten jedoch schon die zahlreichen Widersprüche in den einschlägigen Wikipedia-Seiten genügen müssen, um ernsthafte Zweifel an der Haltbarkeit von „erstens“ bis „viertens“ in mir zu erwecken.

Auf der Wikipedia-Seite Islam and Antisemitism findet sich etwa die Behauptung, die Feindschaft gegen Juden in islamischen Ländern „arose relatively recently, in the 19th century, against the backdrop of Jewish and Arab nationalism, and was imported into the Arab world primarily by nationalistically minded Christian Arabs and only subsequently was ‘islamized’” (Hervorhebung von mir).
Im übernächsten Absatz wird Allahdad erwähnt. Daß an jenem „Tag der Gerechtigkeit Gottes“ ein Massaker stattfand, wird aber - seltsam genug - unterschlagen („It was only by forcible conversion, that a massacre was averted“). Vor allem bleibt aber unklar, wie „jüdischer“ oder „arabischer Nationalismus“, die es zu jenem Zeitpunkt nicht gab, oder (christliche) Araber, bei einem Pogrom des Jahres 1839 im Osten Irans eine Rolle gespielt haben könnten.

Daß hier – wie häufig in der einschlägigen Literatur – Araber und Islam sowie Iraner und Araber gleichgesetzt werden, erscheint demgegenüber fast vernachlässigbar.

Aber ist Allahdad für den Umgang des historischen Islams mit seinen Juden repräsentativ? Sollten wir unseren Blick, statt auf jenes, möglicherweise singuläres Ereignis, nicht auf „positive“ historische Beispiele für das Zusammenleben von Moslems und Juden richten? Zum Beispiel auf das islamisch beherrschte Spanien. Dieses gilt als Muster multireligiöser Toleranz. Tatsächlich herrschte in Spanien, etwa in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, unter den Kalifen Abdurrahman III. und Al-Hakam II., eine Atmosphäre weitgehender Toleranz gegenüber Juden und Christen - Künste und Wissenschaften erlebten eine Blüte.

Allerdings erfahren wir, auf der selben Wikipedia-Seite, in der sich die Behauptung findet, die Feindschaft gegen Juden in islamischen Ländern sei ein modernes, aus Europa importiertes Phänomen, von Judenpogromen im Cordoba und im Granada des 11. Jahrhunderts. In Granada wurde der jüdische Minister Joseph ibn-Naghrela zusammen mit 4000 anderen Juden massakriert. Im 12. Jahrhundert stellten die Herrscher der Almohad–Dynastie die spanischen Juden vor die Wahl, zum Islam zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Der Arztphilosoph Maimonides tat beides. Er konvertierte zum Islam, floh nach Ägypten und bekannte sich dort wieder zum Judentum - woraufhin er der Apostasie (des Abfalls vom Islam) angeklagt, nur knapp dem Tod entrann.

Allahdad, Granada und Cordoba, die Vertreibungen und Zwangsbekehrungen unter den Almohaden waren keine singulären oder atypischen Ereignisse. Judenfeindliche Haltungen und Handlungen im Dar al-Islam (in den Ländern unter islamischer Herrschaft) waren weder auf das Spanien des 11. und 12. noch auf den Iran des 19. Jahrhunderts beschränkt.

Zwischen der Judenfeindlickeit im christlichen Europa und jener im Dar al-Islam gab es freilich Differenzen. Anders als im traditionellen Christentum bezichtigt der Islam die Juden nicht des Gottesmordes. Die Position traditioneller islamischer Mehrheitsgesellschaften gegenüber Juden könnte man mit dem Orientalisten Bernard Lewis als eine der Verachtung bezeichnen (Bernard Lewis: Juden in der islamischen Welt. München 2004). Die folgende Beschreibung der erniedrigenden Einschränkungen, denen Juden im Iran unterworfen waren, und die Lewis als Ausdruck eben jener Verachtung auffassen würde, stammt vom britischen Schriftsteller und Staatsmann Lord Curzon. Ähnliche Vorschriften existierten in fast allen vom Islam beherrschten Gesellschaften:

Usually compelled to live apart in a ghetto, or separate quarter of the towns, they have from time immemorial suffered from disabilities of occupation, dress, and habits which have marked them out as social pariahs from their fellow creatures. The majority of Jews in Persia are engaged […] in professions to which is attached no great respect. They rarely attain to a leading mercantile position. In Isfahan […] they are not permitted to wear the kolah or Persian head-dress, to have shops in the bazaar, to build the walls of their houses as high as a Moslem neighbour’s, or to ride in the streets. […] In Shiraz they are very badly off. At Bushire they are prosperous and free from persecution. As soon, however, as any outburst of bigotry takes place in Persia and elsewhere the Jews are apt to be the first victims.
(George Nathaniel Curzon: Persia and the Persian Question. London 1892: S.510-511)

Verachtung als ausschließliches Erklärungsmodell greift aber zu kurz. 717, ein halbes Jahrtausend vor der Einführung der ersten Judenzeichen im christlichen Europa, erließ der Umayyaden-Kalif Omar II. Bekleidungsvorschriften für seine jüdischen Untertanen. An diese und andere, später eingeführte Kleiderordnungen mußten sich häufig auch Christen halten - Christen im Iran des 9. Jahrhunderts mußten blaue, Juden gelbe Gürtel tragen. Oft betraf die Kennzeichnungpflicht aber ausschließlich Juden. All die verschiedenen, von Periode zu Periode und Region zu Region variierenden Bekleidungsregeln scheinen aber nicht bloß Ausdruck der von der moselmischen Mehrheit empfundenen Verachtung gegenüber Juden (und Christen) gewesen zu sein. Sie hatten auch - und vielleicht vor allem - die Funktion, Juden (häufig auch Christen) zu kennzeichnen, um sie meiden zu können. Juden galten, zumindest im schiitischen Islam, als unrein. Vor ihnen hatte der Gläubige eine Art Tabu-Angst. Kam es zu einer Berührung, mußte er sich, nicht selten durch komplizierte Rituale, wieder reinigen.

Wir würden auch einem Mißverständnis unterliegen, wenn wir das komplizierte System der beruflichen, sozialen, baulichen usw. Einschränkungen, der Bekleidungs- und Kennzeichnungsregeln als äußeren Ausdruck einer in den Augen der moslemischen Mehrheit bereits vorhandenen Minderwertigkeit der Juden begreifen würden - und nicht als eine Veranstaltung, um jene soziale Minderwertigkeit überhaupt erst herzustellen.

Das Gefühl der Verachtung kann sich, wenn sich dessen Objekt nicht mehr als verachtungswürdig erweist, verwandeln. Etwa dann, wenn sich jenes Objekt nicht mehr als unterlegen und schwach zeigt, sondern stark und überlegen. Zum Beispiel in - mörderischen - Hass. So geschehen im Falle Joseph ibn-Naghrelas, jenes jüdischen Ministers des moslemischen Berber-König Badis al-Muzaffar im Granada des 11. Jahrhunderts.

Und so geschehen im 20. - und 21. - Jahrhundert im Falle Israels.

wird fortgesetzt

Sonntag, 12. Mai 2013

Warum uns Israel erregt (3)


Mashhad

Gottes Gerechtigkeit

Jene Unfähigkeit meines Vorstellungsvermögens war mir vor dem Gespräch über Goldstone zwar nicht in aller Klarheit bewußt – unbekannt war sie mir aber nicht. Meine erste Bekanntschaft mit jener Unfähigkeit verdanke ich einem Bekannten aus dem Iran. Einem älteren Herren, belesen, distinguiert, politisch engagiert, der als Student, im Wien der 1960er und 70er, gegen den Schah gekämpft hatte. Heute bekämpft er die Islamische Republik. Ich nenne ihn im folgenden den Distinguierten. Während des Libanonkriegs, 2006, hatte ich mit dem Distinguierten, im selben Café, in dem mich U. über den Goldstone-Report aufklären sollte, eine Israel-Kontroverse. Tags darauf schickte er mir einen link zu einer Dokumentation über den Zionismus. The Zionist Story, so der Titel des Films, konfrontierte mich erstmals - wenn auch nur vage - mit meiner Unfähigkeit, Juden als (Kriegs)verbrecher zu imaginieren. Der Film enthält aber auch manches andere, das zum Auslöser weiterer, immer "kontroverserer" Kontroversen mit dem Distinguierten wurde. Etwa die Feststellung: "Since the very beginning of Islam Jews and Moslems lived together in an unprecedented religious an cultural harmony [...] It all seemed to be going just fine - till the twentieth century."

Der Satz irritierte mich. Mein Vater, der aus der iranischen Stadt Mashhad stammt, hatte mir wiederholt vom sogenannten Allahdad erzählt, ein Ereignis des Jahres 1839, das im Gedächtnis der Bewohner Maschhads noch immer lebendig ist. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte Nadir Schah, der „Napoleon Persiens“, zahlreiche jüdische Kaufmannsfamilien in Maschhad ansiedeln lassen. Davor war es Juden verboten gewesen, Mashhad, eine den Schiiten heilige Stadt, auch nur zu betreten. Nach der Ermordung Nadir Schahs, 1747, wurde es den Juden in Mashhad untersagt, bestimmte Bezirke der Stadt zu betreten, und sie waren wieder gezwungen, Abzeichen zu tragen, die sie als Juden kennzeichneten. 1839 kam es dann, am Tag vor dem Pessachfest, zur Katastrophe. Der Mob stürmte jüdische Häuser, steckte Synagogen und Schriftrollen in Brand, und tötete Dutzende Juden. Der Großteil der Überlebenden wurde gezwungen, den Islam anzunehmen, blieb aber, ähnlich den Marranen auf der iberischen Halbinsel, dem Judentum insgeheim treu.

Das Massaker und die darauffolgende Zwangsbekehrung wurden als Allahdad, bekannt - wörtlich "Gottes Gerechtigkeit", in der Regel mit "Tag der Gerechtigkeit Gottes" übersetzt.

Daß Moslems und Juden „since the very beginning of Islam in an unprecedented religious and cultural harmony” zusammengelebt haben sollten, irritierte mich also. Wie mich seinerzeit übrigens auch die Allahdad-Erzählungen des Vaters irritiert hatten. Damals glaubte ich zu wissen, daß Judenpogrome eine exklusive Spezialität des christlichen Europas gewesen seien, und es in „Ländern des Islams“ so etwas wie Antisemitismus  (korrekter müßte man hier von Judenfeindlichkeit sprechen) nicht gegeben hatte. Ich begann mich - lange vor The Zionist Story und meinen ersten Israel-Kontroversen mit dem Distinguierten - intensiver mit dem Thema zu befassen. Und siehe da: Wikipedia gab mir recht. Was ich im Internet fand, läßt sich in etwa so zusammenfassen:

Erstens: Es gab (gibt) keine Feindschaft gegen Juden im Islam.

Zweitens: Sollte es diese doch geben (gegeben haben), war (ist) sie, verglichen mit der Feindschaft gegen Juden im christlichen Europa, „nicht weiter schlimm“.

Drittens: Sollte es Feindschaft gegen Juden im Islam geben (gegeben haben), und sollte sie tatsächlich „schlimm“ (gewesen) sein, war (ist) sie ein Import aus dem Westen – und nicht urprünglich-islamisch.

Viertens: Sollte es Feindschaft gegen Juden im Islam geben, und sollte sie tatsächlich „schlimm“ sein, ist sie die Folge des israelisch-arabischen Konflikts.

wird fortgesetzt

Dienstag, 7. Mai 2013

Warum uns Israel erregt (2)


 

Warum könne ich das gerade bei den Juden nicht?

- Das soll ich Dir sagen? Du bist der Analytiker.

- Und Du bist Schriftsteller.

U. begann mir nun - ähnlich minutiös wie zuvor den Goldstone-Bericht - meine eigene Lebensgeschichte auseinanderzulegen. Daß ich mit zwölf von Teheran nach Graz übersiedeln mußte, sei „der sprichwörtliche Suppentopf, den man als Kind auf den Kopf gesetzt kriegt.“ Und das ganze Leben rinnt einem die Suppe hinunter.

Ich nehme den Schriftsteller zurück - wollte ich sagen. Und: Du solltest Analytiker werden. Aber ich wollte U. nicht unterbrechen. Er war zu sehr in Fahrt: „Graz, Stadt der Volkserhebung. Wo sie die Traditionen des Nationalsozialismus am sorgsamsten pflegen. Diese Traditionspflege hast Du als Heranwachsender in allen Facetten kennen und hassen gelernt. Daher Deine, entschuldige, Semitophilie.“

Warum U. sich entschuldigte, konnte ich mir vorstellen. Semitophile, hatte ich einmal gelesen, seien Antisemiten - unter umgekehrten Vorzeichen. Oder ich hatte es mir gedacht. U. spürte jedenfalls, daß mich auch seine Graz-Thesen nicht überzeugten - und änderte seinen Erklärungsansatz. Von biographisch auf transgenerational.

„Du bist Atheist. Aber Deine Eltern und Vorfahren sind, bzw. waren, Baha’i. Und die Baha’i-Religion wurde seit ihrer Entstehung im Iran des 19. Jahrhunderts unterdrückt und verfolgt. Seit der Machtübernahme des Islams hat diese Verfolgung eine neue Dimension, und ist heute mit der Verfolgung der Juden vor der Phase des Holocaust zu vergleichen. Dazu kommt: Die islamischen Propagandisten bezichtigen die Baha’i, deren heilige Stätten sich in Israel befinden, Spione der Zionisten zu sein. Du bist weder Baha’i noch Jude - aber daß Du Dich mit „den Juden“ solidarisieren und identifizieren mußt, liegt auf der Hand.“

U. nervte - wieder einmal - mit seiner Schulmeisterei. Ich widersprach ihm aber nicht.

wird fortgesetzt

Sonntag, 5. Mai 2013

Warum uns Israel erregt (1)

Eine Unfähigkeit der Vorstellungskraft

Am Tag der Veröffentlichung des sogenannten Goldstone-Reports über den Gaza-Krieg traf ich meinen israelisch-österreichischen Freund, nennen wir ihn U., einen Schriftsteller, in einem Wiener Café. Israel hatte im Dezember 2008 auf den jahrelangen Beschuß seiner Städte durch Katjuscha- und Qassam-Raketen mit der Militäroperation „Gegossenes Blei“ reagiert, und diese bis zur Verkündigung eines Waffenstillstands durch die Hamas im Januar 2009 fortgesetzt. Der südafrikanische Richter Richard Goldstone hatte den Konflikt im Rahmen einer United Nations Fact Finding Mission untersucht, und sowohl den israelischen Streitkräften als auch palästinensischen Kämpfern vorgeworfen, Kriegsverbrechen - möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit - begangen zu haben.

Während mir U. alles das - und manches andere über den Nahostkonflikt - auseinanderlegte, er war im Begriff einen Artikel über den Goldstone-Bericht zu verfassen, machte ich eine Entdeckung, die mich verwirrte - und die ich meinem Freund sofort mitteilte.
Meine Mitteilung hatte den Charakter einer Beichte.

"Irgendwie gewußt" hätte ich es schon immer, aber erst jetzt, während er, U., über den Goldstone-Bericht gesprochen hätte, sei mir in aller Deutlichkeit klar geworden, daß mir bereits die Vorstellung, ein Jude oder eine Jüdin hätte ein „gewöhnliches“ Verbrechen begangen, äußerst schwer fallen würde. Die Vorstellung, eine Jüdin oder ein Jude hätte ein Kriegsverbrechen begangen, sei mir gänzlich unmöglich.

Um mir vor meinem Freund, dessen enzyklopädisches Wissen berüchtigt ist, keine Blöße zu geben, betonte ich, daß ich von meiner Vorstellungkraft gesprochen hätte, nicht von meinem Wissen. Und daß ich sehr wohl wüßte. Daß ich wüßte, daß Juden – wenn überhaupt eine Gemeinschaft - keine Gemeinschaft von Heiligen seien. Daß es, wie unter allen Menschen, auch unter Juden „solche und solche“ gäbe. Daß ich, nur um Beispiele zu nennen, die Ausstellung Kosher Nostra des Jüdischen Museums in Wien über jüdische Gangster in den Vereinigten Staaten gesehen. Daß ich über den „jüdischen Frauenhandel“ im Galizien des 19. Jahrhunderts gelesen hätte: (Vorwiegend) jüdische Frauenhändler hatten damals (vorwiegend) jüdische Frauen in alle Welt verkauft. Nicht zu vergessen die israelische Kahan-Kommission von 1982, von der ich wüßte, daß sie Ariel Sharon eine „persönliche Verantwortung“ beim Massaker im Palästinenserlager Sabra und Shatila attestiert hatte.

Je sais bien, mais quand-même - ich weiß zwar, aber
dennoch. (1)

Du betrachtest die Juden eben als Opfer, meinte U., und bist nicht in der Lage, sie anders als als Opfer wahrzunehmen.

Als dermaßen banal, um nicht zu sagen abgedroschen, wollte ich mir mein Problem dann doch nicht abqualifizieren lassen. Auch Schwarze, konterte ich, würden unterdrückt und verfolgt. Vom österreichischen Alltagsrassismus, dem meine afrikanischen Patienten - durchwegs traumatisierte Kriegs- und Folteropfer - ständig ausgesetzt seien, könnte ich ein Lied singen. Dennoch bereite es mir keine Schwierigkeiten, mir Menschen mit schwarzer Hautfarbe als „gewöhnliche“ Verbrecher vorzustellen. Oder auch, wie etwa im Fall kongolesischer Warlords, als Kriegsverbrecher.
Und warum in die Ferne schweifen: Nach U.s und meinem Dafürhalten seien die Palästinenser in den besetzten Gebieten Opfer der israelischen Okkupationspolitik. Auch in diesem Fall hätte ich aber kein Problem, einen Palästinenser als „gewöhnlichen“ oder als Kriegsverbrecher zu imaginieren.

Warum könne ich das aber gerade bei Juden nicht?

- Das soll ich Dir sagen? Du bist Analytiker.

- Und Du bist Schriftsteller.

wird fortgesetzt

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(1) In seinem Aufsatz Je sais bien, mais quand-même setzt sich der französische Psychoanalytiker Octave Manoni mit der von Freud beschriebenen Logik des „Fetischisten“ auseinander, der das, was er weiß, zugleich leugnet.