Stattdessen
stellt die Theoretikerin eine weitere Frage: „Und das Unbewußte?“ Sie habe in den Aussagen des Lösungsorientierten
das Wesentlichste - eben das Unbewußte – vermißt. Und sie beginnt, ohne die Reaktion
des Kritisierten abzuwarten, von einer Analysandin zu berichten (nennen wir sie
Analysandin B - und unsere Analysandin mit dem „Zeitproblem“ Analysandin A),
die den starken, für sie selbst und ihren Analytiker unverständlichen Impuls
verspürte, die Analyse vorzeitig abzubrechen. Der Impuls schien umso
unverständlicher, da sich die Analysandin gerade in einem schwierigen
Trennungsprozeß von ihrem Lebensgefährten befand. Ein Prozeß, der sie verwirrte
- und viele Fragen aufwarf, zu deren Klärung die Analyse doch hätte beitragen
können.
Es stellte
sich aber heraus, daß genau jener Trennungsprozeß von ihrem Lebensgefährten den
Impuls, die Analyse zu beenden, ausgelöst hatte. Hätte Analysandin
B die Analyse tatsächlich abgebrochen, wäre diesem Abbruch der Charakter einer Ersatzhandlung zugekommen: Statt den Ausstieg
aus einer sehr unglücklichen Beziehung zu wagen, aus der sie sich nicht und
nicht zu lösen vermochte, hätte sie mit dem Analytiker „Schluß gemacht“.
„Wir haben es
hier“, sagt die Theoretikerin, „mit dem typischen Fall einer Übertragung zu tun
- einer falschen Verknüpfung, wie
Freud sagen würde, zwischen den Schauplätzen Analyse und unglückliche Partnerbeziehung“. Wobei die unglückliche
und ambivalente Partnerbeziehung ihrerseits wiederum als
Ergebnis der Übertragung der unglücklichen und ambivalenten Vater-Beziehung der
Analysandin aufgefaßt werden müsse.
Wesentlich an der Übertragung seien, so die
Theoretikerin, also weder „Beziehungsmuster“ noch Gefühle. Diese würden im Fall des skizzierten
Übertragungsgeschehens überhaupt keine Rolle spielen.
Hier
unterbricht jener von uns der Lösungsorientierte genannte Analytiker die
Theoretikerin. Gerade der geschilderte Fall - von dem er nicht wisse, aus
welchem Kontext er stamme, aber das möge jetzt dahingestellt sein – zeige, im
Gegenteil, daß es in der Übertragung „sehr wohl und sehr zentral“ um Gefühle
und um Beziehung ginge. Habe doch die in Frage stehende Analysandin B jene Trennungsaggression,
die sie ihrem Lebensgefährten nicht und nicht zumuten konnte, offenbar auf die Beziehung
zu ihrem Analytiker übertragen.
„Mitnichten“,
sagt die Theoretikerin. Die Haltung der Analysandin dem Analytiker gegenüber
könne durchgehend als „milde Idealisierung“ beschrieben werden. Und diese milde Idealisierung habe sich weder während noch nach der Aufklärung der unbewußten
Hintergründe des Impulses, die Analyse abzubrechen, verändert. Gegenüber der
Person des Analytikers habe die Analysandin keine Sekunde lang so etwas wie
Aggression verspürt.
Und auch wenn
Beziehungsmuster und Gefühle in anderen Übertragungssituationen eine andere - größere
Rolle - spielen sollten als im Fall der Analysandin B, seien Gefühle und
Beziehungsmuster für die Übertragung eben
nicht das Wesentliche. Der Psychoanalytiker sollte sie als Symptome auffassen, und sich an die Aufklärung ihrer unbewußten Determinanten machen.
Was für den „Analyse-Abbruch-Impuls“
der Analysandin B gelte, so die Theoretikerin, gelte auch für das „Zeitproblem“ der Analysandin
A. Wenn diese meine, sie kenne ihr „Zeitproblem“, das ihre Freundinnen zur
Weißglut bringe, ihr Unpünktlichsein sei ein Stück Freiheit, sie sei bereit den
Preis dafür zu bezahlen etc., gebe sie sich der Illusion hin, ihr Verhalten sei
selbstgewählt. Und - es handle sich, wenn sie zur Analyse oder zum
Kaffeekränzchen zu spät komme, um eine bewußte
Entscheidung. Damit verleugne sie den Symptomcharakter
ihres Verhaltens – dessen Abhängigkeit von Faktoren, die ihr selbst nicht
bewußt sind.
Indem sie ihr
Zuspätkommen zum Kaffeekränzchen mit dem Zuspätkommen zur Analysestunde verknüpfe
– vertrete Analysandin A zwar eine Art Übertragungskonzept. Aber ein
Übertragungskonzept, das über den Bereich bewußter Vorstellungen und
Entscheidungen nicht hinausgehe.
Analysandin A, so die Theoretikerin, und jener Analytiker, den wir den Lösungsorientierten genannt haben, würden somit
genau den selben Fehler begehen.
wird fortgesetzt