Samstag, 31. Januar 2015

2. März 2015 im Hinterland: Vögeln ist schön - können wir noch fliegen?



Montag, 02. März 2015, 19.00 Uhr, hinterland galerie, Krongasse 20, 1050 Wien

http://www.hinterland.ag/galerie/discussion-literature-and-theory/voegeln-ist-schoen-koennen-wir-noch-fliegen/

Vögeln ist schön stand 1968 als Graffito an einem Provinzschulhaus. Die, die es geschrieben hatten, wurden dafür vor Gericht gestellt.

Was ist Sexualität? Ist sie gefährlich und schmutzig? Stiftet sie Frieden, oder dient sie der Macht und dem Kampf? Bedarf sie der Freiheit oder des Verbots? Was ist sie für Kinder?

In ihrem Buch Vögeln ist schön Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt (Rotbuch Verlag 2014) interpretiert Ulrike Heider verschiedenste Antworten auf solche Fragen im historischen und politischen Zusammenhang. Sie hat Geschichte und Ideengeschichte der Sexuellen Revolution geschrieben und ihre Inhalte mit späteren Sexualdiskursen verglichen. Mit oft scharfer Kritik und der Würze persönlicher Erinnerungen schickt die Autorin den Leser auf eine ideologische Zeitreise von den 1950er Jahren bis heute.

Drastisch schildert sie Verbote, Zensur und Doppelmoral zu Zeiten des kalten Krieges. Mit Vergnügen lässt sie die Sexrevolte von 1968 aufleben, berichtet von Skandalen an Gymnasien, von der Freien Liebe antiautoritärer Studenten, von Kommune 1 und 2. Auch die Klitoris als Schlüssel zum Reich weiblicher Zärtlichkeit kommt zu ihrem historischen Recht, ebenso wie die Kampagnen gegen den „Schwanzfick“ und jene Feministen, die sich „Softies“ nannten.

Als Helmut Kohl die „geistig moralische Wende“ ausrief, war der kurze Sommer des „Make Love not War“ vorbei. Die „Tränen des Eros“ begannen zu fließen, aus Hedonisten wurden Libertins. Sie rehabilitierten Pornographie und Bordellerotik, propagierten abgründige Leidenschaften und Geschlechterkämpfe. Ein pessimistisches Bild von Sexualität gewann an Einfluss, das heute in erotischen Bestsellern wie „Shades of Grey“ oder „Feuchtgebiete“ weiterlebt. Eine Mischung aus scheinbarem Tabubruch und herkömmlichem Sexualkonservatismus feiert mediale Trumpfe, während die Vermarktung menschlicher Lust bis ins Monströse fortgeschritten ist. Dazu tritt eine an die 1950er Jahre erinnernde Sittenfront, angeführt von angeblichen Kinderschützern, Frauenfreunden und verkappten Schwulenfeinden.

Ulrike Heider plädiert für einen neuen Befreiungsdiskurs, der Sexualität wieder im gesellschaftlichen Zusammenhang thematisieren und mit Genuss und Lebensfreude verbinden müsste.


Ulrike Heider liest nach einem einleitenden Statement von Helmut Dahmer aus ihrem Buch Vögeln ist schön Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt (Rotbuch Verlag 2014). Walter Fanta liest aus seinem in Entstehung begriffenem „Jakobsroman“, in dem es um die sexuellen Nöte und Befreiungsversuche eines katholischen Religionslehrer geht.
Moderation: Sama Maani

Ulrike Heider, geb. 1947, studierte Politik und Germanistik. 1976 bis 1982 Lehrbeauftragte an der Universität Frankfurt und an der Universität Kassel. 1988 Übersiedlung nach New York. Visiting Scholar an der Columbia University. Lebt seit 2000 als freie Schriftstellerin in Berlin und New York. Publikationen: Schülerprotest in der Bundesrepublik Deutschland (1984); Sadomasochisten, Keusche und Romantiker. Vom Mythos der Neuen Sinnlichkeit (1986); Der arme Teufel. Robert Reitzel - Vom Vormärz zum Haymarket (1986); Anarchist - Left, Right, and Green (1994); Schwarzer Zorn und weisse Angst - Reisen durch Afro-Amerika (1996); Keine Ruhe nach dem Sturm (2001)

Helmut Dahmer,  geboren 1937, studierte Soziologie und Philosophie bei Helmuth Plessner, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas. 1968-1992 redigierte er die psychoanalytische Monatszeitschrift PSYCHE. 1984 gehörte er zum Gründungsbeirat des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 1974-2002 lehrte er Soziologie an der technischen Universität Darmstadt. Seit 2002 lebt er als freier Publizist in Wien. Publikationen: Libido und Gesellschaft (1973, 1982); Pseudonatur und Kritik (1994); Soziologie nach einem barbarischen Jahrhundert (2001); Divergenzen (2009); Die unnatürliche Wissenschaft (2012); Interventionen (2012)

Walter Fanta, Autor, Literaturwissenschafter, Historiker. Lehrtätigkeit an der Universität Klagenfurt, Mitarbeiter am Robert-Musil-Institut für Literaturforschung in Klagenfurt. Herausgeber der Kommentierten digitalen Gesamtausgabe Robert Musil. Weitere Publikationen: Die Entstehungsgeschichte des "Mann ohne Eigenschaften" von Robert Musil (2002); "Stehst mitten drin im Land". Das europäische Kameradschaftstreffen auf dem Kärntner Ulrichsberg von den Anfängen bis heute (gemeinsam mit Valentin Sima, 2003); Materialien zu Engelbert Obernosterer. Fährten, Stimmen, Texte (gemeinsam mit Katharina Herzmansky und David Pölzl, 2008), Puschnig (Roman, 2011)

Sama Maani, geboren in Graz, Studium der Medizin in Wien und der Philosophie in Zürich, Lebt als Autor und Psychoanalytiker in Wien. Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. 2004 Preis des Literaturwettbewerbs schreiben zwischen den kulturen. 2008 österreichisches Staatsstipendium für das Romanprojekt Ungläubig (erschienen 2014 bei Drava), Im März 2015 erscheint: Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten - und die eigene auch nicht.

Donnerstag, 29. Januar 2015

Zizek in Teheran (93)


Wald(ers)bach

... sondern bekleidungsstilistisch bewegt sich der in meiner Ordination für Psychoanalyse befindliche Nehru zwischen dem Jacken-Nehru und dem - Gott sei bei uns! - Gefängnisarzt.

Was wurde eigentlich aus dem?

Kommt schon wieder. Keine Angst, LeserIn.

Nochmal: Sondern der in meiner Ordination befindliche Nehru bewegt sich (vor seiner Wandlung zum Sagen-wir-ruhig-japanischen -Mädchen) bekleidungsstilistisch zwischen dem Nehru-Jacken-Nehru (der Polizeiambulanz) und dem – Gott sei bei uns – Gefängnisarzt:

Beiges kariertes Sakko, himmelblaues Hemd, ohne Krawatte natürlich. Zwar sind Krawatten in der Islamischen Republik nicht verboten, aber ... Dunkelbraune Hose.

Jetzt hat auch der verwandelte Nehru, also auch das Sagen-wir-ruhig-japanische-Mädchen das beige, karierte Sakko an, das himmelblaue Hemd und die dunkelbraune Hose. Und ohne Krawatte.

Manche mögen das mögen.

Aber das - sagen wir ruhig japanische - Mädchen, verschwindet immer wieder, samt Gott, dem untersetzten Japaner. Mit Bierbauch. Und Glatze. Übrig bleibt der Vormädchen-Nehru. Als Mann.

Und immer wenn das passiert, LeserIn, immer wenn diese Vision, bestehend aus Gott (dem untersetztem Japaner) und dem sanften Sagen-wir-ruhig-japanischen–Mädchen verschwindet, beginnt mir Nehru diese Vision

in Worten

zu schildern. Und Gesten.

Und hat - bei diesem Schildern und Gesten - die Hände und das Gesicht und den Körper, vergiß jetzt mal den Islam, eines allerdings athletischen Gandhi. Das Gesicht leuchtet. Und die Bewegungen. Und die Hände. Eines athletisch-moralisch. Erleuchteten.

Übertragung der Erleuchtung. Auf das Sagen-wir-ruhig ... Oder ist es – umgekehrt - des Mädchens Milch-? Honig-? -Leuchten?

Das sich auf den Nehru, resp. Gandhi, resp. M2 überträgt?

Nimm das Leuchten ruhig wörtlich, LeserIn.

Kennst Du Lenz? Büchner?

... er sah Lichter, es wurde ihm leichter, man sagte ihm, er hätte noch eine halbe Stunde nach Waldbach. Er ging durch das Dorf, die Lichter schienen durch die Fenster, er sah hinein im Vorbeigehen, Kinder am Tische, alte Weiber, Mädchen, Alles ruhige, stille Gesichter, es war ihm als müsse das Licht von ihnen ausstrahlen, es war ihm leicht ...

wird fortgesetzt 

Sonntag, 18. Januar 2015

Diskussionsabend in der Hauptbücherei: Die Papageienkrankheit – Warum wir aus der Geschichte nicht lernen



Donnerstag, 22. Januar 2015, 19.00 Uhr, Hauptbücherei am Gürtel, 1070 Urban-Loritz-Platz 2a, 

http://www.buechereien.wien.at/de/programm/veranstaltungskalender/3124

In den 1930er Jahren gingen junge Menschen aus aller Welt nach Spanien, um dort gegen die, von Mussolini und Hitler unterstützen, Faschisten zu kämpfen. Heute gehen junge Menschen aus aller Welt nach Syrien und in den Irak, um in einem Religionskrieg Andersgläubige abzuschlachten, und deren Heiligtümer zu zerstören. Als Religionskrieg zwischen „Juden“ und „Moslems“ nehmen wir auch den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wahr – längst nicht mehr als Krieg zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Nationalismus. In Europa hingegen ist die Wiederkehr des Nationalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion - im Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre sowie im aktuellen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland - mit Prozessen des zivilisatorischen Rückschritts verbunden.

Vor dem Hintergrund dieser verwirrend-widersprüchlichen Befunde drängt sich die totgesagte Geschichtsphilosophie wieder auf, und stellt Fragen. Zum Beispiel ob wir - wieder einmal - Zeugen einer Umkehr des Zivilisationsprozesses sind. So wie es laut unseren Schulbüchern beim Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter der Fall war.

Beitragende: Jeanne Wolff Bernstein, Helmut Dahmer und Sama Maani

Freitag, 9. Januar 2015

Vögeln ist schön - warum wir aber nicht fliegen (2)



Während das Gesetz bei Paulus die Lust - indem es sie verbietet - auf indirekte Weise ermöglicht, zielt das Gesetz im schiitischen Islam auf die direkte Produktion sexueller Lust.

Mortezai mußte allerdings monatelang suchen, bevor sie Menschen fand, die bereit waren, vor der Kamera über ihre Erfahrungen als „Zeit-Eheleute“ zu sprechen. Wie ein Geistlicher in einer Szene des Films sagt, wird die Institution der Zeitehe von „der Gesellschaft“ – wörtlich - als anstößig  („ghabih“) empfunden - und abgelehnt.

In ihrem Bemühen, das Sexuelle zu legitimieren, und ihm das Anstößige zu nehmen, kommt hier die Religion also selbst in den Geruch des Anstößigen.

Tatsächlich zieht es ein Großteil der unverheirateten Iranerinnen und Iraner offenbar vor, auf die legale und unbürokratische Befriedigung ihrer Lust via Zeitehe zu verzichten - um ihre Sexualität abseits des (religiösen) Gesetzes zu leben. Etwa im Rahmen von nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften - im Iran „weiße Ehen“ genannt – deren zunehmende Verbreitung in den offiziellen Medien des Landes zulezt intensiv diskutiert wurde.

All diese Befunde scheinen darauf hinzuweisen, daß das sexuelle Empfinden und das sexuelle Verhalten (weiter Teile) der iranischen Gesellschaft ähnlich „strukturiert“ sind wie die zeitgenössische Sexualität in westlichen Gesellschaften. Daß wir es - hier wie dort – mit individualisierten und pluralisierten sexuellen Beziehungen zu tun haben, die – wie der Soziologe Sven Lewandowski 1 feststellt - keinen traditionellen Vorgaben mehr folgen, so daß sie ihre Legitimation aus sich selbst heraus beziehen - und um ihrer selbst willen existieren. Sie stehen (so Lewandowski in Anlehnung an Anthony Giddens2) unter dem Paradigma der „demokratisch verfassten Intimität“: Sexuelle Praktiken und Interaktionen werden unter gleichberechtigten Partnern immer wieder aufs Neue ausverhandelt  – mit dem Ziel der „Produktion“ bzw. der Maximierung sexueller Lust. Wie diese Lust erzeugt wird, ist, so Lewandowski, sekundär. Im Iran – wie im Westen - ist die zeitgenössische Sexualmoral demnach hedonistisch.

Aber halt! Wenn die in der iranischen Gesellschaft vorherrschende Sexualmoral hedonistisch ist, sich also in allererster Linie an der Lust orientiert – warum machen sich dann junge Iranerinnern und Iraner das Leben so schwer? Warum machen sie nicht einfach von der bequemen und legalen Möglichkeit Gebrauch, diese ihre Lust im Rahmen der - von Staat und Religion geradezu verordneten - Zeitehe auszuleben? Warum entscheiden sie sich stattdessen für diverse Formen vor- und außerehelicher Sexualität - und nehmen dabei das Riskio drakonischer, archaischer Strafen in Kauf?

„Warum“ so ein besorgter online-Kommentar im Diskussionsforum der Website der - regierungsnahen - iranischen Nachrichtenagentur Fars News Agency,
„verbieten wir uns selbst, was uns Gott erlaubt hat?“

wird fortgesetzt

(1) Sven Lewandowski, Diesseits des Lustprinzips – über den Wandel des Sexuellen in der modernen Gesellschaft

http://www.sws-rundschau.at/archiv/SWS_2008_3_lewandowski-artikel.pdf

(2) Anthony Giddens, Wandel der Intimität. Sexualität, Liebe und Erotik in modernen Gesellschaften. Frankfurt a. M. 1992

Dienstag, 6. Januar 2015

Zizek in Teheran (92)




[...]

Meine Finger streichen 
Über die gespannte Haut der Nacht.

Die Kontaktlichter sind erloschen (2x).

Niemand wird mich der Sonne vorstellen
Niemand wird mich -

Behalte den Flug im Gedächtnis
Der Vogel ist sterblich.

Behalte also diese Gesichts-schreibung (und beachte das fehlende „-be-“!) im Gedächtnis - und stell Dir vor, daß sich das Nehru-Gesicht langsam verändert. Und wie.

So nämlich: 

1. Wird die Gesichtshaut heller. Und heller. Nehrus Gesichtshaut – habe ich es noch nicht gesagt? - ist die Nacht. Aber jetzt: Immer heller. So als hätte man über die Nacht eine Haut hell wie die Gottestrahlen gespannt.

2. Die Gesichtsform: Stell Dir Nehrus markante Gesichtsform als Ausgangsform vor: Deutliche Ecken am Haaransatz. Lange, gerade Konturen verbinden die Stirn mit dem kantigen Kinn. Langsam wird die Gesichtskontur ausgeglichener und weicher. Seine breiteste Stelle hat das - sich wandelnde - Nehrugesicht jetzt in Höhe der Wangenknochen. Von wo aus sich die Gesichstkonturen - weich - nach unten und oben verjüngen. Haaransatz und Kinn: Jetzt sanft gerundet.

3. Einzelne Teile des Gesichts: Die Augen des Nehru werden größer. Die Nase kleiner, feiner. Und stupsig. Die Lippen runder und voll. Die Ohren zarter und rund.

4. Die Haare: Pech- statt grauschwarz, und länger. Und mehr. Und sehr.

5. Die Gesichtshaut (zum Zweiten): Changiert zwischen Milch (weiß) und Honig (gelb).

Das Resultat ist natürlich das sanfte, süße Gesicht eines - sagen wir ruhig, japanischen - Mädchens. Noch ruhiger: Schulmädchens. Report!

Bekleidung? Hätte ich, offen gestanden, vergessen. Das - japanische - Mädchen, will sagen der Nehru als – japanisches – Mädchen, könnte natürlich eine - japanische - Schulmädchen-Uniform tragen, diese, weißt eh schon, Matrosenuniform. Aber das hatten wir schon. Oder: Der Nehru als – japanisches - Mädchen hat das gleiche an wie der Nehru als männlicher Mann, aber nicht das, was der Nehru als männlicher Mann in der Polizeiambulanz an gehabt hatte (wir erinnern uns, LeserIn!), also nicht die namengebende Alta-Moda- Nehru-Jacke, sondern der in meiner Ordination für Psychoanalyse befindliche Nehru, aka M2, bewegt sich bekleidungsstilistisch zwischen dem Nehru-Jacken-Nehru und dem – Gott sei bei uns! – Gefängnisarzt.

Was wurde eigentlich aus dem?

wird fortgesetzt