Open Architecture |
Bericht des Gefängnisarztes (Fortsetzung):
„Als
ich, ohne von Bewährungshilfe oder von Sozialarbeit eine Ahnung zu haben, die
Stelle im Gefängnis als Bewährungshelfer, resp. Sozialarbeiter antrat, kannten meine
KollegInnen (WärterInnen, PolizistInnen BewährungshelferInnen etc.) den Vater noch
alle persönlich. Der Vater hatte sich nämlich auch nach der Fertigstellung des
Gebäudes, bis unmittelbar vor seiner Emigration nach Bombay, intensiv um das
Gefängnis gekümmert.
Das
entsprach seinem Konzept von Architektur. Der Architekt sei kein Bühnenbildner, so Vater, sondern Bühnenbildner
und Regisseur, nicht nur zuständig für
den baulichen Rahmen, sondern auch dafür, was sich im Rahmen ereignet, überhaupt war der Rahmen für Vater ein Teil dessen, was sich in ihm ereignet.
Vaters
Gefängnis war als work in progress konzipiert,
als veränderliches Gebäude voller veränderlicher Räume, Gebäude leben, sagte
der Vater, sie werden geboren, wachsen auf, sind Wechselfällen ausgesetzt,
erkranken, gesunden, altern und sterben. Der Tod eines Gefängnisgebäudes bedeutet
die Freiheit seiner Bewohner. Im Lauf der Jahre wird sich mein Gefängnisgebäude
selbst demontieren. Die Gesellschaft wird sich verändern, je offener die
Gesellschaft wird, desto offener wird mein Gefängnis. Wenn Vater „offen“ sagte,
meinte er es wörtlich.
Im
Laufe der Jahre würde es immer mehr und immer größere Fenster geben, das
Gefängnis würde immer heller, das nannte er Aufklärung,
immer größere Teile des Gefängnisgebäudes würden in weiterer Folge der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht, zunächst für bestimmte Stunden, schließlich rund um die
Uhr. Diese Begegnungszonen zwischen Gefangenen und Freien, die Bibliotheken, ein
Kino, Cafés, Sport- und Freizeitanlagen beherbergen sollten, nannte er „Schleusen“.
Mit
der Zeit würden immer mehr Gefangene außerhalb des Gefängnisses sowohl arbeiten,
als auch Freizeitaktivitäten nachgehen können, Freunde und Verwandte besuchen
usw., auch wenn sie nach wie vor im Gefängnis wohnen würden.
Im
vorletzten Stadium würde das Gefängnisgebäude noch existieren, aber kein
Gefängnis mehr sein, sondern eine Wohnanlage für Gefangene, die keine
Gefangenen mehr sein würden, sondern sie würden, wie Hotelgäste oder Studenten in
einem Studentenheim (das zugleich eine Art Hochschule sein würde), ein- und ausgehen
können.
Am
Ende würde das Gefängnis abgerissen, so Vater, und nichts außer ein paar
Gebäuderesten, als Denkmal für die Nachwelt, würden bleiben. Eine andere Nutzung
des Gebäudes - als Alternative zum Abriss - lehnte Vater ausdrücklich ab.“
wird fortgesetzt