Freitag, 18. Dezember 2020

Zizek in Teheran

Im Februar 2021 erscheint mein neuer Roman "Zizek in Teheran", an dem ich seit acht Jahren arbeite, bei Drava.

https://www.drava.at/buch/zizek-in-teheran/

Dienstag, 24. November 2020

Zum Proteststurm gegen Farid Hafez

Novemberpogrome 1938 – Wikipedia 

Dass der Politologe Farid Hafez die jüngst bei mutmaßlichen Muslimbrüdern durchgeführten Razzien mit den Novemberpogromen 1938 verglichen hat, führte zu heftigen Protesten. Politiker und Wissenschaftler bezeichneten Hafez’ Aussagen zu Recht als infam – und stellten seine Lehrbefugnis in Frage.

Im Proteststurm wurde aber übersehen, dass der Vergleich der sogenannten „Islamophobie“ mit dem Antisemitismus, der Hafez’ Aussagen zugrunde liegt, und die Behauptung, dass Muslime die „neuen Juden“ seien, mittlerweile fester Bestandteil linker und liberaler Diskurse geworden ist. Und von weit reputableren Persönlichkeiten als Hafez in Stellung gebracht wird. Etwa von Alexander Van der Bellen. 

Als dieser bei einer Diskussionsveranstaltung im März 2017 auf das Thema „Islamophobie“ angesprochen wurde, meinte er: „Wenn das so weitergeht [...] bei dieser tatsächlich um sich greifenden Islamophobie, wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen – alle, als Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun.“ Und: „Wenn ich mich richtig erinnere, haben die Dänen während der deutschen Besatzung doch etwas ähnliches gemacht. Und nicht–jüdische Dänen haben angefangen, den Davidstern zu tragen – als symbolische Geste des Widerstands gegen die Deportation von Juden.” Van der Bellens Aussagen waren Gegenstand heftiger Kontroversen und es fehlte auch nicht der Hinweis, dass der Davidstern in Dänemark – vermutlich weil die Nazis einer Konfrontation mit dem dänischen König aus dem Weg gehen wollten – niemals eingeführt wurde. Ausgeklammert blieb allerdings die Kernfrage der Affäre: Ob es stimmt dass „Islamophobie“, wie vielfach behauptet, der neue Antisemitismus sei. Und was es mit dem Begriff „Islamophobie“ überhaupt auf sich hat. 

Dass Menschen aus der Türkei oder dem arabischen Raum in allererster Linie als Muslime wahrgenommen werden, ist ein relativ neues Phänomen. Noch in den 1990er Jahren behauptete der Diskurs der Rassisten in Österreich und in Deutschland, die Türken würden „uns“ deshalb Probleme bereiten, weil sie eben Türken seien. Seit dem Erstarken des sogenannten politischen Islam, vor allem seit den Anschlägen von Nine Eleven, behaupten die Vertreter des neuen rassistischen Diskurses, die Türken (die Araber, die Nordafrikaner) würden „uns“ Probleme bereiten – weil sie Muslime seien. Der Islam gilt diesem Diskurs nicht mehr bloß als Glaubensbekenntnis, zu dem sich jemand bekennen mag oder auch nicht, sondern als eine Art „Natureigenschaft“ von Türken, Arabern oder Iranern. 

Allerdings gehen die – wohlwollenden und weltoffenen – linken und liberalen Gegner des neuen Rassismus, statt die falsche, weil fixe Verknüpfung zwischen einem Glaubensbekenntnis und bestimmten Individuen und Gesellschaften zu dekonstruieren, von den selben Identitätskonstruktionen aus wie die Rassisten. So wurde, um ein Beispiel zu nennen, Muna Duzdar, Staatssekretärin unter Christian Kern, die sich als nicht-praktizierende Muslima bezeichnete, gerade auch von linksliberalen Medien regelmäßig darauf reduziert, „das erste Regierungsmitglied muslimischen Glaubens“ zu sein. Sie erwiderte oft, sie sei ja auch die erste Kaisermühlnerin in der Bundesregierung, das sei zwar bemerkenswert, aber nicht die Hauptsache. Dennoch wurde sie, die unter anderem für Digitalisierung und Beamte zuständig war, fast ausschließlich zu Themen wie Kopftuch oder Terrorismus befragt. Es wurde ihr, anders gesagt, die Kompetenz abgesprochen, für etwas anders als „für den Islam“ zuständig zu sein. 

Ebene diese „volle Identifizierung“ von Individuen mit dem Islam drückt sich auch in Begriffen wie „Islamophobie“ aus. Wer nicht müde wird, „Islamophobie“ als rassistisch zu bezeichnen oder den neuen Rassismus als „antimuslimisch“ zu etikettieren, erklärt den Islam, ohne es selbst zu bemerken, zu einer quasi genetischen Eigenschaft von Arabern, Türken oder Iranern. Eine ihrerseits zutiefst rassistische Position. Und reproduziert, statt sie zu bekämpfen, die rassistische Ideologie der „vollen Identität“ zwischen Individuen und der Kategorie Islam.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Positionen der Rechten Muslimen gegenüber sind tatsächlich rassistisch. Inwiefern sie das sind – diese Frage kann der aktuelle linke und liberale Diskurs aber nicht beantworten. Denn per se kann weder die Kritik an einer Glaubenslehre noch der Hass auf Anhänger einer Glaubens-gemeinschaft rassistisch sein, auch wenn letzterer genauso abzulehnen wäre wie Rassismus. Rassistisch ist einzig jene Ideologie der „vollen Identifizierung“ mit dem Islam, die rechte Rassisten mit linken und liberalen „Antirassisten“ teilen. 

Übrigens: Dass Muslime heute in den liberalen Demokratien des Westens weit mehr Religionsfreiheit genießen als in vielen islamisch geprägten Ländern (man denke an die Unterdrückung von Schiiten im wahhabitischen Saudi–Arabien oder der Aleviten in der Türkei) ist nicht etwa das Resultat eines interreligiösen Friedensvertrags zwischen dem Christentum und dem Islam, sondern der Emanzipation der Gesellschaft von Religion. Eine Emanzipation, die undenkbar wäre, ohne die radikale Religionskritik der Aufklärer des 18. Jahrhunderts. Dass falsche Begriffe wie „Islamophobie“ Religionskritik – somit jene Emanzipation der Gesellschaft von Religion – hintertreiben, auf die auch die Religionsfreiheit der Muslime in westlichen Demokratien gründet, ist eine der seltsamen Paradoxien der aktuellen Islam–Debatte.

Die Gleichung „Islamophobie“ = der neue Antisemitismus beruht auf der Annahme, dass es sich sowohl beim Antisemitismus als auch bei „Islamophobie“ um Rassismus handeln würde, so dass es berechtigt wäre, beide Begriffe miteinander zu identifizieren. Die falsche Verknüpfung von „Islamophobie“ und Rassismus hat uns gerade beschäftigt. Aber: Ist Antisemitismus gleich Rassismus?

Wie Moishe Postones Analysen zeigen, ist der moderne Antisemitismus – auch wenn es hier Berührungspunkte geben mag – weder eine „Unterbateilung des Rassismus“ noch ein bloßes „Vorurteil gegen Juden“, sondern eine umfassende Weltanschauung, in der sich verschiedene Aspekte des Unbehagens an der Moderne und am Kapitalismus bündeln und „erklärt“ werden. Eine Weltanschauung, die dem Antisemiten nicht bloß eine Erklärung sondern auch die Anleitung zur Erlösung bietet: Die Überwindung alles Bösen durch die Eliminierung der Juden.

Mit dem Antisemitismus ist der neue rechte Diskurs aber auch deshalb nicht vergleichbar, weil der Antisemit den Juden vorwirft, keine „echten Österreicher“ oder Deutsche zu sein, während der Neorassist den Muslimen, im Gegenteil, „volle Identität“ mit ihrer Gemeinschaft zuschreibt. Und sie hasst, weil er ihnen diese vermeintliche volle Identität heimlich neidet.

Mittwoch, 2. September 2020

Zizek in Teheran 207

The Persians | Ioannina | August 19 | What's On | ekathimerini.com
Die Teheraner von Aischylos

Ich sitzee übrigens immer noch hier
Im Fernsehzimmer
Der schönen Villa Manavi
Mit dem Danesch
Gleichzeitig im Zweiten Kanal des Teheraner Fernsehens
Wo sie mich verhören
Respektive meinen Lookalike
Wegen des Mordes
Des vorgeblichen
An Kardan
Verhört werde ich jetzt aber nicht
Sondern der Kriminalpsychoanalytiker spricht
In einem fort
Über meine Biographie und Psychodynamik
Und M2, unser Führer, versucht ihn hin und wieder (vergeblich) zu stoppen

Während ich von unserer neighborhood, der Narges, der Deutschen Schule, dem Djub usw. erzählte
Hab ich zwar mitgekriegt
Daß der Kriminalpsychoanalytiker, der islamische, redet und redet
Was er sagt, aber nicht
Hören wir wieder zu

Als der Angeklagte
Sagt Kaschef
Erfährt
Daß das
Ministerium für Unterhaltung und Islamische Führung
Beabsichtigt
Die beliebteste Fernsehserie aller Zeiten
Zu drehen
Mit Kardan als Regisseur
Will er offenbar
Seinem
Wie sagt man
Girlfriend
Jener berühmten, lieblichen, in Teheran allseits beliebten Schauspielerin
Imponieren

Seinem geliebten
Girlfriend
Mit Kardan und seinem geliebten Kardan mit dem Girlfriend
Ergo macht er sein Girlfriend und Kardan
Miteinander bekannt

Tja, mein Führer, er hat tatsächlich beide geliebt

Jetzt wird mein Gesicht eingeblendet, respektive das des Lookalikes, wie er, respektive ich, sein, respektive mein, Gesicht in der Hand haltend, schluchzt. Wie die Narges
Damals am Djub

Er machte also die beiden
Miteinander bekannt
Damit
Zum einen
Der Kardan sein girlfriend, die Schauspielerin
Für die
Beliebtese Serie aller Zeiten in Teheran
Engagiert

Als hätte Kardan, um auf die berühmte liebliche und im ganzen Teheran beliebte Schauspielerin aufmerksam zu werden, der Unterstützung des Angeklagten bedurft. Andrerseits konnte Kardan, weil Sie ihn, Sie verzeihen, mein Führer, all die Jahre eingesperrt hatten, all die nachgewachsenen jungen, lieblichen Schauspielerinnen
Und folglich im ganzen Teheran beliebten
Gar nicht kennen

Beleibte
Lacht Danesch
Er hat beleibte gesagt
Hat er nicht
Sage ich und weiß nicht
Warum ich mich ärgere.
Weil ich nicht will, daß der Danesch
(Wenn auch in Form eines
Einem Kriminalpsychoanalytiker, einem islamischen, unterstellten Versprechers)
Zu Narges beleibt sagt?
Beleibt ist sie ja beileibe nicht, LeserIn
Wenn auch
Aber lassen wir das
Der Hintern

Mein Ärger über Danesch
Indem es sich mit dem Ekel über die Lippen
Des Kriminalpsychoanalytikers mischt, des islamischen, droht unerträglich zu werden.
Jedesmal, wenn sie, die Lippen nämlich
Des Kriminalpsychos, des islamischen
Lieblich
Sagen
Kräuseln sie sich
Und nicht nur die Augen sind es
Die leuchten
Verzückt
Sondern es öffnen, wie ein Knospe sich öffnet
Sich die islamisch-
Psychoanalytischen Lippen
Als wollten sie innig
Die der Narges (und nicht nur die Lippen
Der Narges) berühren

Indem er sie dem Kardan also vorstellte
Wollte er der Schauspielerin
Mittels Kardan
Zu einem
Karrieresprung
Wie sie in Teheran heute sagen
Verhelfen
Zum andern
Der Jungen, Lieblichen, in Teheran äußerst Beliebten
Mittels Kardan
Renommieren und großtun
Den er ihr als guten Freund vorgestellt haben mag.

Dem Kardan wieder wollte er mit ihrer Lieblichkeit und Jugend
Und Intelligenz
Imponieren und großtun

Warum aber einer wie der Angeklagte des
Renommierens und Protzens und Prahlens
Ständig bedarf, ist nicht bloß eine Frage der individuellen Kriminalpsychoanalyse
Der islamischen
Sondern hier stellt sich
Leider
Eine Frage
Von gesellschaftlicher Relevanz

Denn der Fall des Angeklagten
So sonderbar er klingen mag
Ist kein Sonderfall
Sondern für unser Teheran
Im Gegenteil typisch, mein Führer

Und so bitter es für mich ist
Es sagen
Und für Sie, mein Führer
Es hören zu müssen
Hunderttausende unsrer Teheraner Männer
Um nicht Millionen zu sagen
Ähneln dem Angeklagten in seinem Charakter
Um nicht gleichen zu sagen

Zwar wird deshalb nicht jeder dieser Hunderttausenden Männer bei uns in Teheran zum Mörder
Um nicht Millionen zu sagen
Wie der Angeklagte es wurde
Würden wir aber einige
Wenige
Der Umstände, die den Angeklagten zum Mörder gemacht haben
Auch im Leben jener Hunderttausenden vorfinden
Um nicht Millionen zu sagen
Hätte Teheran den Ruf eines Mörderlandes
Und wäre diese Republik, die Islamische, ein Möderregime

Hätte? Wäre?
Rufen Danesch und ich unisono
Und klopfen uns auf die Schenkeln
Herzlich
Wie Schuhplattler in Graz
Einem gelegentlich begegnen, zumal in ländlichen Zonen

Dies Prahlen, Protzen und Renommieren
Sind natürlich bloß Symptome, mein Führer
Was aber mag dieser seelischen
Wenn ich so sagen darf
Volkskrankheit
Zugrunde liegen?
Zugegeben
Kaschef richtet einen
Bedeutungsschweren
Blick auf den Führer
Zugegeben, eine rein rhetorische Frage
Solche stelle ich immer dann, wenn ich ausholen muß
In diesem Fall muß ich
Weit ausholen

Dem Führer
Sein Gesicht wirkt rat- und hilflos zugleich
Geradezu mitleiderregend, sagt Danesch

In diesem Fall
Sagt Kaschef
Muß ich weit ausholen
Die Russisch-teheranischen Kriege
Aka die Russenkriege 

Ich schaue den Danesch genauso verdutzt an wie der Führer den
Kriminalpsych
Den islamischen
Danesch wirkt aber mitnichten verwundert
Scheint gar dem Kriminalpsycho vorgreifen zu wollen
Dem islamischen
Und mir den Zusammenhang zwischen den Russenkriegen und dieser, mit Kaschef zu sprechen, Volkskrankheit schneller
Und kompetenter erklären zu wollen
Als der Kriminalpsychoanalytiker, der islamische, selbst
Hält aber an sich
Und läßt den Kaschef

Aus Wikipedia – Die freie Enzyklopädie

Die Russenkriege fanden 1722 bis 1828 zwischen dem Kaiserreich Teheran und dem Russischen Reich statt. Sie wurden alle von Russland gewonnen.

Der erste Russenkrieg (1722 bis 1723), in Russland auch als Teheraner Feldzug Peters des Großen bekannt, wurde von diesem begonnen, um den russischen Einfluß auf den Kaukasus auf Kosten von Teheran auszudehnen sowie um Konstantinopel von drohenden Territorialgewinnen abzuhalten. Nach Kriegsende mußte Teheran große Gebiete im Nord- und Südkaukasus an Russland abgeben.

Der zweite Russenkrieg von 1796 fand ebenfalls im Kaukasus statt, endete ebenfalls mit einem der Russen, hatte aber keine wesentlichen Folgen für die beteiligten Staaten.

Im dritten – und längsten – Russenkrieg,1804 bis 1813, ging es ebenfalls um die Vorherrschaft im Kaukasus. Als Kaiser Faramars I. auf die Regionen Karabag, Schirwan, Talisch und Scheki Anspruch erhob, erklärte Russland Teheran den Krieg. Die Russen stießen nach Süden vor, konnten es sich jedoch nicht leisten, allzu viele Truppen in den ehemals Teheranischen Kaukasus zu entsenden, da sie in kriegerische Konflikte mit Stockholm, Konstantinopel, und Paris verwickelt waren, weshalb sie gegen die zahlenmäßig stärkeren Teheraner Truppen auf ihre militärisch-technische Überlegenheit setzten. Die Armee der Teheraner bestand großteils aus – unorganisierter – Kavalerie.
Faramars sandte eine Delegation zu Napoleon Bonaparte, der sich im ostpreußischen Schloß Finckstein befand, wo am 4. Mai 1807 die Pariserisch-Teheranische Allianz geschlossen und Teheran umfassende personelle und materielle Unterstützung zugesagt wurde. Nachdem die Russen am 14. Juni 1807 in der Schlacht bei Friedland eine schwere Niederlage gegen Napoleon erlitten hatten, kam es am 7. Juli 1807 zum Frieden von Tilsit. Paris und Russland wurden Verbündete. Das zwischen Teheran und Russland strittige Georgien wurde im Friedensvertrag von Tilsit gar nicht erwähnt.

Den vierten und letzten Russenkrieg ersparen wir uns, LeserIn
Wir sind schließlich ein Roman und nicht die
Encyclopaedia Teheranica
Lassen wir doch wieder den Kaschef

Die Russenkriege
Sagt Kaschef
Deren dritten wir zum Heiligen erklärten
Und haben trotzdem verloren
Auch die drei andren
Sind die Quelle der von mir seit Jahren mit meinen Kollegen vom
Fardid-Institut für islamische Kriminalpsychoanalyse
In der Stewart Chamberlain-Street in Teheran-West
Seit Jahren beforschten
Von uns
Russenkriege-Komplex
Genannten
Seelischen Volkskrankheit
An der eine Mehrzahl unsrer männlichen Mitbürger leidet.

Seit den Russenkriegen haben sie ihre Selbstachtung verloren
Die Männer
In Teheran
Und bevor wir islamisch wurden
Ist es auch schon passiert
Immer wieder
Seit der Antike
Hat Teheran
Seine Selbstachtung verloren
D.h. seine Männer

Den Angeklagten, also mich, respektive meinen Lookalike
Haben sie scheint’s vergessen
Sie zeigen ihn nicht mehr
Respektive mich nicht
Und der Führer scheint jetzt nicht mehr bloß wegen der Weitschweifigkeit des Kriminalpsychs
Des Islamischen, verzweifelt zu sein
Sondern wegen dem, was er sagt

Ja, Führer, nicht erst das Teheranisch-islamische
Schon das antike
Teheran der Feueranbeter
Und seine feuerdienstlichen Bewohner
Haben by and by die Selbstachtung verloren
Nachdem uns die Athener schon bei Marathon besiegt hatten
Zerstörten sie uns bei Salamis die Armada
Und dann wurde das Teheranische Weltreich vom Alexander erobert
Und immer haben die Athener uns
Listig wie sie sind
Als weibert hingestellt

Schon in
Die Teheraner
Das älteste, wie Sie wissen, erhaltene Drama, mein Führer, der Welt
Stellt uns Aischylos als weibert hin, indem die Hauptperson
Atosa
Die Queen Mom der Teheraner sozusagen, ein Weib ist
Und Xerxes reißt sich am Ende das ohnehin schon zerrissene
Gwand vom Leib
(Gwand ist
Wie du dir schon gedacht haben magst
Ein ursüdteheranisches Wort, LeserIn
Das dem Kriminalpsychoanalytiker
Wohl nur deshalb
Über die Lippen gekommen sein dürfte
Weil das Thema ihn mitreißt)
Und stimmt einen Klagegesang an
Waidwund
Wie ein Klageweib
Ein Athenisches.

Und indem sie nicht aufhören können
Uns als weibert hinzustellen
Die Athener, später die Römer
Und in der Neuzeit London, Paris und überhaupt
In der neuesten Neuzeit Chicago
Kam es by und by
Und die Niederlagen gegen die Athener und Alexander
Und Araber und Mongolen trugen dazu
Das ihrige bei
Daß wir tatsächlich weibert wurden, mein Führer, und sind

Denken Sie bloß an die traditionellen Gwänder der Männer in diversen Regionen des Landes, die Sie im
Nationalen Teheraner Volkskundemuseum
In der Richard-Wagner-Avenue bewundern können, im Osten von Teheran-Ost, D.h. nicht bewundern, sondern verachten wollen wir die
Mit Eiderdaunen gefüllten Haus- und Herrenröcke
Seidenhemden, die türkisen, pastellgelben
Hochschließenden Jacken
Sowie die Hosen
Aus Atlas
Die Wattierten Beinkleider
Samtbarette
Seidensteppdecken, himmelblaue
Die berüschten Morgenröcke, die roten und tiefblauen
Rosengirlanden
Hausschuhe mit Pelz und Watte gefüttert.

Die Kleiderordnung
Nein nicht Keiderordnung, die gibt es ja erst
Oder die Kleiderverordnung
Haben wir erst seit dem Sieg der Revolution
Der islamischen
Die nicht
Ich meine
Die Bekleidungsgewohnheiten der Männer in Teheran änderten sich erst mit dem
Einzug der Moderne

Bei aller Feindschaft gegen die Moderne, mein Führer (und Chicago und London und Tel Aviv)
Hatte sie ihre Meriten
Weil bei uns vor hundert Jahren in Teheran mit dem Einzug der Moderne
Die Männer
Die Putzsucht
Und die Haus- und Herrenröcke, die berüschten
Und ihre Beinkleider, die wattierten
Ablegen
Und Herrenhemden und –Hosen anlegen mußten
Und Sakkos
Für Herren.

Aber dann
Irgendwann
Kam
Flower Power
Und schon wieder trugen die Männer in Teheran
(Schon wieder stimmt nicht ganz, aber wurscht)
Lange Haare und Blumenhemden und Patchwork-Hosen
Und die Kostüme und Stirnbänder der Hippies
Als wäre das ganze Jahr über Fasching)

Gott
Sei Dank
Dem Teheranisch-islamischen
Hatten wir kurz nach Flower Power
Unsre Revolution
Die islamische
Und nach Jahrhunderten
Meldete die sonore männliche Stimme Teherans vor der Geschichte
Die Rückkehr der sonoren männlichen Stimme Teherans in die Geschichte.

Und es war
Um aus
Das Sterben des Tunichtguts
Zu zitieren, jenem Versepos der Teheraner Spätromantik aus der Feder des
Yussefe Lasche-Abadi
Und es war alles alles gut
(Zu Deutsch heißt Lasche-Abadi wörtlich Leichen-Weiler
Also
Josef Leichen-Weiler
Oder
Leichen-Kaff
Oder
Josef Leichen-Dorf
Das sage jetzt ich LeserIn, und nicht der Krimpsych, der islamische)

Und es war
Sagt Kaschef
Alles alles gut
Möchte man meinen
Nicht wahr, mein Führer?
Aber Ach
Wäre alles so einfach
Bräuchten wir ja
Gott behüte!
Den Gott nicht

Über die Jahrhunderte
War das Weiberte nämlich
Um nicht –tausende zu sagen
Den Männern in Teheran
Oder sagen wir den meisten
Die Revolution, die islamische, hin oder her
In Fleisch und Blut eingesickert

Denken Sie an die Bewegungen, die weichen, mein Führer, der Arme und Schulter, um nicht des Beckens zu sagen
Der Teheraner Männer, verglichen mit real men in Istanbul oder gar Bagdad
Und wie beim Gehen sich gehen lassen
Die Teheraner Männer, grazil
Wie Elfen
Gar nicht zu sprechen vom Sprechen
(Der Teheraner Männer, sag jetzt ich, LeserIn, zu deiner Orientierung, nicht der Krimpsych, der islamische).

Und je mehr Zeit verstreicht
Und die Erinnerung an die Revolution verblaßt
Die islamische
Desto offensichtlicher wird dieser Mangel
Den uns die Geschichte
Uns Männern in Teheran
In die Wiege gelegt hat

Und diese Schwäche
Wollen sie nutzen
Natürlich
Und nicht nur nutzen
Sondern hegen und pflegen, mein Führer
Und ausbaun.

Sie? Wer sie?, fragen Sie
Na, die Feinde, mein Führer
Des Staates Teheran

Als Kaschef Feinde sagt, wird das Gesicht unsres Führers, M2 ,eingeblendet und erstmals seit der Kriminalpsychoanalytiker, der islamische, ausschweifend wurde, ist es weder verzweifelt noch ratlos
Noch zornig,
Sondern er nickt zustimmend
Und begeistert.

Und wenn ich Feinde sage, die dieses
Von uns im
Institut für Kriminalpsychoanalyse, die Islamische
SMMP
Genannte
Syndrom der mangelnden männlichen Performance
Ausbaun wollen
Und hegen und pflegen
Meine ich nicht bloß die Feinde im Ausland.
Denn ohne ihre Agenten im Teheraner Inland
Wären die Feinde
In Chicago und London und Tel Aviv
Und neuerdings auch in Berlin
Hilflos
Und außerstande ihre ominösen Pläne
Auszuführen.

Aber Agenten ist bei manchen dieser Agenten
Nicht das richtige Wort
Womit wir wieder auf den Angeklagten zurückkommen
Denn es handelt sich
Bei diesem Anklagefall nicht bloß um Mord
Sondern um die Gefährdung der nationalen Sicherheit
Des Staates Teheran
(Zurückhaltend gesagt)

wird fortgesetzt

Montag, 3. August 2020

Zizek in Teheran 206

monsterscenesad

Ich war damals
Vor allem im Beisein von Mädchen
Sehr schüchtern
Zumal von hübschen
Oder wenn jemand des Trostes bedurfte
Je größer das Bedürfnis nach Trost, desto schüchterner ich
Alles was ich sagen wollen würde
Kommt mir deplatziert und/oder banal vor

Narges schluchzte und redete
Ohne (für mich) erkennbaren Zusammenhang
Und was ich in weiterer Folge in der neighborhood
Über die Geschichte hinter der Hecke erfuhr
Vor allem von Mutter
Und was ich mir selbst in weiterer Folge
Zusammenzureimen versuchte
Entbehrte im Grunde ebenfalls
Jeden Zusammenhangs

Ich gebe zu
Ich habe übertrieben, LeserIn
Ganz so zusammenhanglos war die Geschichte hinter der Hecke
Respektive was ich von Narges und in der Folge in der neighborhood und vor allem von Mutter erfuhr nun auch wieder nicht
Ich fasse zusammen:
In der Deutschen Schule
Namentlich in der Klasse von Narges, gab es eine berüchtigte (obwohl aus fünf Mitgliedern bestehend)
Viererbande
Genannte Bande.
Ursprünglich hatte sie wahrscheinlich aus vier Jungen bestanden
Dem Dariusch (Namensvetter jenes Königs des antiken Teheran
Ich Dariusch, König der Könige, König von Teheran, Hystaspes Sohn, des Arsames Enkel usw.)
Dem Parvis (gleichfalls Namensvetter eines altteheranischen Königs), jenem Giw, zu dessen Geburtstag ich eingeladen worden war (und auf den wir gleich wieder zurückkommen werden) und einem, dessen Namen ich nicht mehr weiß.

Die Bande war einmal ins Lehrerzimmer gedrungen, im Hauptgebäude der Schule, und hatte die Postfächer einiger der LehrerInnen mit Isolierband verklebt
Mit dem Vermerk: Verstorben!
Hauptgebäude und Lehrerzimmer sagte Narges auf Deutsch
Um es dann in die Sprache Teherans zu übersetzen
Und hatten dafür
Und für manch anderen Streich einen Tadel erhalten (i.e. einen Eintrag ins Klassenbuch)
Auch Tadel sagte Narges auf Deutsch
Tadel, Hauptgebäude, Lehrerzimmer habe ich mir bis heute gemerkt
Im Unterschied zu jenen Worten, die ich für die Aufnahmeprüfung lernen mußte, und die ich bald wieder vergaß
Bis ich nach Beginn meiner sogenannten Liebesbeziehung mit Narges ernsthaft mit dem Erlernen der deutschen Worte begann.

Die Viererbande hatte also, Gerüchten zufolge, hinter der Hecke
Eine Geisterbahn gebaut
Diese wollten Narges und ihre Freundin erkunden
Und plötzlich war ja die Freundin verschwunden
Und statt der Geisterbahn war sie diesem Baby begegnet, sagte Narges, respektive
Etwas Kaltes
Berührte
Auf einmal meine Schulter


Andrerseits, LeserIn: Was passiert in einer Geisterbahn sonst als das
Etwas Kaltes
Berührt
Auf einmal meine Schulter
?
Oder die Sache dem Baby (s.u.)?

In der Hecke
Sagt Narges
War dieses Baby
In einem Spiegel
Oder war es ein Bildschirm?
Ich weiß nicht

Und schluchzt
Es war schrecklich

Das Baby war weder ein hübsches
So Narges, noch süß
Es hatte den Körper eines Babys, jedoch das Gesicht eines Monsters
Wie Mary Shelleys Baby in jenem Film von Ken Russel
Dessen Namen ich immer vergesse
Und den ich damals nicht kannte
Weil er ja damals noch nicht gedreht worden war
Narges versuchte ein Wort für das schreckliche Baby zu finden
Erst in der Sprache Teherans dann auch im Deutschen

D.h. sie sagte ein Wort auf Deutsch
Monster zum Beispiel
Und fragte

Obwohl sie die Sprache Teherans genau so gut beherrscht und beherrschte wie ich oder besser
Was Monster in der Sprache Teherans heißt
Ich sagte Efrit
Woraufhin sie Efrit ins Deutsche übersetzte
Mit Teufel
Woraufhin ich den Teufel ins Teheranische übersetzte
Ahriman
Woraufhin sie Ahriman ins Deutsche übersetzte
Mit Satan
Den ich wieder mit Scheytan in die Sprache Teherans übersetzte

(Wie kommt es fragst du, daß die Narges und ich, wie beschrieben, hin und her übersetzten, wo ich doch die deutschen Worte, die ich für die Aufnahmeprüfung lernen mußte, gleich wieder vergessen hatte, gesetzt ich hätte sie an jenem Abend am Djub noch nicht vergessen gehabt, wäre es nicht unwahrscheinlich und höchst seltsam, daß jener Lernbehelf für die Kandidaten der Aufnahmeprüfung der Deutschen Schule von Teheran die Worte Monster, Teufel und Satan enthalten haben sollte? Ich weiß es nicht LeserIn. Wirklich nicht. Meine Erinnerung ist mir fremd, respektive ich ihr. Als sei sie die eines andren.)

Um es (für dich, LeserIn) komplizierter zu machen
Fing sie mitten im Hin und her Übersetzen
Auf einmal an, mich
Wie soll ich sagen
Mit Worten zu herzen
D.h. daß sie mich auf einmal
Anders als sie mich sonst
(Wenn sie mich sonst überhaupt anschaute)
Anschaute
Anschaute
Und sagte Sachen wie
Süß bist du
In der Sprache Teherans: Nazi
(Mit Betonung auf a)
Respektive
To khoobi
Du bist gut (zu mir)
Wobei dieses Hin und her Übersetzen
Während des verbalen Herzens nicht aufhörte
Indem Narges zum Beispiel fragte, was
Süß bist du
Obwohl sie es eigentlich wissen mußte
In der Sprache Teherans heißt
Ich sagte Nazi
Oder sie sagte
(Diesmal in der Sprache Teherans)
To Mahi
Ich übersetzte: Du bist der Mond

In einem der illustren deutschen Bücher der Narges werde ich später
Oder war es auf Youtube hörte ich die folgenden Zeilen

Du bist mein Glück, groß wie ein Planet
Du bist die Sonne, die niemals untergeht

Du bist der Mond, der meine Nacht erhellt
Du bist mein Stern, der nie vom Himmel fällt

Weit besser gefällt mir jedoch jener Zweizeiler vom Ramin (der, der schiach aber dumm sagte), der die traditionellen Teheraner Dichter – verzeih mir, LeserIn – verarschen soll:

Der Mond ist rund
Und ich tu's kund


Vermutlich wegen dieses
Herzens mit Worten
Und weil sie den Kopf an meine Schulter lehnte, trotz meines Dünnseins, und ich meine Arme um ihre Schulter legte usw.
Begab es sich
Daß ich plötzlich
(Obwohl ich damals im Beisein von Mädchen
Sehr schüchtern war, LeserIn
Zumal von hübschen
Oder wenn jemand des Trostes bedurfte
Je größer das Bedürfnis nach Trost, desto schüchterner ich
Alles was ich sagen wollen würde
Kommt mir deplatziert und/oder banal vor)
Begab es sich
Daß ich plötzlich Sachen sagte wie
Alles wird gut, Mädchen!
(Vielleicht gar
Mein Mädchen!
)
Oder
Halt durch!
Ist ja gut!
Respektive
Bist tapfer!
Was ihr übrigens ihre Mutter, die deutsche, zu sagen pflegte
– siehe oben.

Narges legte die Hände um meinen Nacken
Als wollte sie küssen
Küßte aber nicht und sagte
Gehen wir ins Kino?
Ich wußte sofort
Und war im siebenten Himmel (der Liebe)
Welchen Film sie meinte

Hamsafar mit Gugusch, respektive Googoosh

https://www.youtube.com/watch?v=UB-UEPFjnmw

Lassen wir das lieber

Ich war also, obwohl ungeküßt, im siebenten Himmel (der Liebe)
Auf einmal sagt sie
Frankenstein!
Mit Rufzeichen
Und ich:
Wie Frankenstein?
Und sie
Das Baby! Hatte das Gesicht vom Frankenstein.

Da fällt mir das Kurz-Comic ein
Von Giws Geburtstag
Jene Werbung, du weißt schon, für Spielzeugfiguren für amerikanische kids
Im ersten Bild siehst du einen Dicken, Typus verrückter Professor, mit Glatze, das böse Mädchen im Bikini und Frankensteins Monster
Von dem ich annahm, es würde nicht Frankensteins Monster, sondern bloß Frankenstein heißen
Der Professor sagt
                                       I need a girl for the experiment
Das böse Bikini-girl sagt
No problem, Dr.
Und Frankenstein
No problem, heh heh

(Das alles und das Folgende wußte ich damals, weil des Englischen noch kaum mächtig, noch nicht (so genau). Später habe ich das Comic, viel später, nach langer Suche im Internet wieder gefunden sowie folgenden Artikel der New York Times von Nov. 16, 1971

Nabsico Picketed Over Monster Toys (Untertitel: Sick Toys make a Sick Society)

https://www.nytimes.com/1971/11/16/archives/nabisco-picketed-over-monster-toys.html)

Im nächsten Bild siehst du den Professor, das böse Mädchen und Frankenstein vor der nächtlichen Silhouette New Yorks. Frankenstein hat das Mädchen, von dem der Professor gesagt hat, das er es for the experiment braucht, gerade gefangen
Das, wie der Grazer gesagt haben würde
Frischgfangte Mädchen schreit
Help! Help!
Daraufhin der Professor
Keep her quiet
Daraufhin die böse junge Frau im Bikini
Don’t worry. This is New York. No one will help her.

Die nächste Szene spielt wieder im Labor des Professors, respektive in seiner (geheimen) Kammer
Dieser kratzt sich am Kopf und murmelt etwas über sein Experiment
Das jetzt startet
Im Hintergrund steht die Narges
Festgeschnallt in diesem mannshohen Reagenzglas
Sie sagt nichts.
Warum sie nachts allein in New York, im kurzen türkisfarbenen Top und der kurzen Hose, unterwegs war, so daß der Frankenstein sie fangen und hat herbringen können, weiß ich jetzt nicht
Interessiert mich jetzt auch nicht
Mir schwirrt der Kopf
Die Narges hält die Hände um meinen Nacken
Ohne zu küssen
Und schaut mich schon wieder so an
Oder noch immer
Anders als sonst
Und sehe den Professor
Die Glatze sich kratzen
Und sagt was über das Experiment
Mit der Narges im Reagenzglas
Ich bin maßlos erregt
Und geniere mich für meine Erregung
Ist schon mehr eine Panik
Als eine Erregung.

Was dann passierte
Weiß ich jetzt nicht
Habe es wohl
Aus Scham
Aus meinem Gedächtnis gelöscht
Daß ich wie von der Tarantel gestochen, aufgestanden und weggerannt bin
Habe sie dann nicht mehr gesehen
D.h. jahrelang nicht
(Respektive wir haben uns
Sehr wohl immer wieder gesehen
Auch zwischen jenem Abend am Djub
Und unserem Wiedersehen in der schönen Cafeteria des Alten Flughafens von Teheran (s.o.)
Nicht mehr kann ich sie ja gar nicht gesehen haben
Sie war meine Nachbarin
Und habe diese Begegnungen
Vermutlich aus Scham
Aus meinem Gedächtnis gelöscht)

wird fortgesetzt

Montag, 27. Juli 2020

Von der Bösartigkeit des Banalen (1)


Creative Writing for Dummies Review - YouTube 

Vor Jahren erteilte mir ein berühmter Schriftstellerkollege bei Gelegenheit einer – amerikanischen Creative Writing Kursen nachempfundenen – Schreibwerkstatt einen Rüffel. Ich hatte ihn und andere Anwesende darauf hingewiesen, dass der Name Teheran in jenem Roman, an dem ich damals arbeitete, nicht für die real existierende Stadt gleichen Namens steht, sondern ein imaginäres Land bezeichnet, das mit dem real existierenden Iran zwar einiges gemein hat, mit diesem aber nicht ident ist. Es gehe nicht an, meinte jener Berühmte, dass ein Autor seinem Text – gleichsam als lebender Beipackzettel – nachlaufe, um seinen Leserinnen und Lesern zu erklären, wie sie ihn zu verstehen hätten.

Der Rüffel schien mehr als berechtigt. Ich fühlte mich beschämt und beschädigt. Was mich aber nicht daran hinderte, die Versuche, meine literarischen Texte (potentiellen) Leserinnen und Lesern zu erklären, weiterzuführen. Zu den mündlichen kamen schriftliche – in gesellschaftskritische Texte über Identitätspolitik, „Migrantenliteratur“ etc. eingefügte – Erklärungsversuche meiner literarischen Produktion.

Neulich trieb ich meine Erklärungssucht auf die Spitze. Bei einer Online-Lesung für das Literaturhaus Salzburg1 las ich – noch vor der Lesung einer Passage aus meinem Roman Teheran Wunderland2 – eine Stelle aus einem Essay3, über die fiktive Begegnung mit einer Leserin, die überzeugt ist, dass ein frauenfeindliches Gedicht aus der Feder einer der Romanfiguren die frauenfeindliche Position von dessen Autor wiedergeben würde. Also meine. Sowie über den Versuch mich (unter Verweis auf den Unterschied zwischen der Person und den Positionen des Autors und der Figuren eines Romans) zu rechtfertigen.

Die Erklärungen zu einem Roman, sprich zu einem fiktiven Text, nahmen hier also ihrerseits die Gestalt einer Fiktion an. Einer Fiktion, die allerdings auf – irritierende – reale Erfahrungen basierte. Zudem enthielt die Passage aus dem besagten Essay wieder einmal den Hinweis, dass Teheran in Teheran Wunderland genauso wenig die real existierende Stadt gleichen Namens bezeichnet wie jenes Teheran, das in meinem Roman Ungläubig4 vorkommt und dessenthalben ich mir seinerzeit den Rüffel jenes Berühmten eingehandelt hatte.

Unmittelbar nach der Lesung machte ich eine weitere irritierende Erfahrung – auf Facebook. Ein flüchtiger Bekannter aus (dem real existierenden) Teheran, der dortselbst und in Wien, wenn ich mich richtig erinnere, Soziologie und Englische Literatur studiert hat, zeigte sich über die Romanpassage, die ich vorgelesen hatte, irritiert und empört. Darin ist von einem Umerziehungslager für junge – aus der Sicht der Machthaber des „Teheraner Regimes“ – politisch irregeleitete Menschen die Rede, in dem seltsamerweise geradezu paradiesische Zustände herrschen. Oder zu herrschen scheinen. Wie können Sie, schrieb jener Bekannte, solch ein „positives, liberales Bild“ vom Regime im Iran zeichnen? Gerade Sie, dessen Stimme – im Unterschied zu der Stimme der meisten anderen Iraner hier – in der Öffentlichkeit gehört wird, sollten sich darum bemühen, ihre Leser über die wahren Zustände bei uns aufzuklären.

Ich antwortete, dass ich vor Beginn der eigentlichen Lesung ja ohnehin erklärt hätte, dass Teheran in Teheran Wunderland weder mit dem realen Teheran noch mit dem Iran identisch sei, auch wenn es zwischen dem ersteren und den beiden letzteren Gemeinsamkeiten gäbe. Dass es sich um einen Roman und nicht um einen Reise- oder Tatsachenbericht handle, dass ... in diesem Moment fiel mir der Rüffel jenes Schriftstellers ein, Robert Schindel ist sein Name – keine Ahnung, warum ich ihn nicht gleich genannt habe. Vermutlich verhalte ich mich als ehemaliger Psychoanalytiker auch bei Berichten über Personen, die keine Analysandinnen oder Analysanden waren, so als würde ich der Schweigepflicht unterliegen.

Wie auch immer. Mir fiel also der Rüffel ein. Und ich musste schmunzeln. „Bisher dachte ich“, dachte ich, „ich darf es ihnen nicht erklären. Sie sollen es selbst verstehen. Jetzt merke ich: Sie verstehen es auch dann nicht, wenn ich es ihnen erkläre.“ 

wird fortgesetzt 

1 https://www.facebook.com/watch/live/?v=248121196255337&ref=watch_permalink 

2 https://www.drava.at/buch/teheran-wunderland/ 

3 https://www.derstandard.at/story/2000090533413/sama-maani-die-krux-mit-der-migrantenliteratur 

4 https://www.drava.at/buch/unglaubig/

Freitag, 24. Juli 2020

Zizek in Teheran 205

هفت روز از پاسداران تا چرم‌شهر ورامین به دنبال زن گمشده در جوی‌آب ...
Djub
Ich begleitete die Weinende
Also nach Hause
Sie bedankte sich
Weinend
Und tags darauf
Nachdem wir wieder Basketball gespielt
Die Deutschen und ich, respektive die Halbdeutschen
Und die Narges uns wieder zugschaut hatte
Kam sie
Und sagte (wieder)
Ich schulde dir Dank
Oder so

Da fiel mir ein
Daß es für meine Anwesenheit vis à vis des Eingangs
Der Deutschen Schule
Ja keinen Vorwand gab
Was mich beunruhigte
Obwohl ich wissen mußte
Daß das keine Rolle mehr spielte
(Respektive es war
Wie die Grazer gesagt haben würden
Ganz Blunzn
In diesem Moment hätte ihr in der Tat
Nichts mehr
Wie die Grazer gesagt haben würden
Blunzn sein können
Als die Frage, warum ich
Mich am Vortag
Vor dem Eingang der Deutschen Schule postiert und die, in weiterer Folge, aus demselben Heraustretende und Weinende nach Hause gebracht hatte)

Ich war also beunruhigt, was Narges bemerkte
Und fragte
Was hast du?
Nichts
Sagte ich
Und
Warum hast du gestern geweint? 

Woraufhin sie mich fragte
Wo wir
Bevor wir in jene vorwiegend von Deutschen bewohnte neighborhood
Respektive Halbdeutschen
Die übrigens
Felfelestanak
Zu Deutsch
Kleines Pfefferland, respektive Pfefferländle
Genannt wurde, gezogen waren, gewohnt hatten

Später
Werde ich
Viel später
In einem der illustren deutschen Bücher der Narges das Folgende lesen:

Pfefferland ist ein umgangssprachlicher Begriff aus dem 16. Jahrhundert, den man verwendet, um jemanden in weite Ferne zu wünschen. Die älteste Überlieferung geht auf den elsässischen Franziskaner, Humanisten und Juristen Thomas Murner zurück: Ach warents an derselben statt, do der pfeffer gewachsen hat, heißt es in seiner, an Sebastian Brants Narrenschiff anknüpfenden Narrenbeschwerung (i.e. Narrenbeschwörung). Etwa zur gleichen Zeit erscheint in den Epistolae obscurum virorum, zu Deutsch Dunkelmännerbriefe der Satz: utinam omnes poetae essent ubi piper crescit, zu Deutsch

Wären doch nur alle Dichter, dort, wo der Pfeffer wächst.

Sie fragte mich also
Wo wir
Bevor wir
In jene Kleines Pfefferland, respektive Pfefferländle genannte neighborhood gezogen waren
Gewohnt hatten
Und lachte
Als ich es ihr sagte
Herzhaft
Und sagte
Das ist ja ganz in der Nähe der Sowiesostraße
Wo wir
Bevor wir
Hergezogen sind
Gewohnt haben
Und dann
Okay, ich sage es

Womit sie jene Sache mit dem Baby meinte, derenthalben sie geweint hatte

Wir marschierten die 
Straße der Philantropie 
Respektive unsre
Hinauf und hinunter
Die längste, wenn ich mich richtig erinnere, in der neighborhood
Und stehen beim Djub
Djubs
Sind Wasserläufe
Ich sagte es schon
In den Straßen von Teheran
Die das Wasser aus den Bergen im Norden
In den Süden
Hinunterführen
Wir stehen also beim Djub und lehnen
An eine (hohe) Platane 

Bei uns
Sagt die Narges (und meint bei uns in der Deutschen Schule)
Sind die Klassenzimmer keine Klassenzimmer
Sondern Portacamps

Portacamps?

Portacamps sind Container 

Glaube aber nicht
Daß sie wirklich Container gesagt hat
Das Wort kannte sie damals
Wohl genauso wenig wie ich
Trotzdem sie mir
Damals
Schon gscheiter vorkam
Wie die Grazer gesagt haben würden
Als ich
Ich habe nie verstanden
Wie Männer es zustande zu bringen vermögen, Frauen zu begehren, respektive zu lieben
Die dumm sind
Respektive von ihnen für dumm gehalten werden

Ramin von der Pirus-Bahram
Der Schöne genannt
Sagte einmal über sein girlfriend

Sie ist zwar schiach, aber dumm

Was ich jahrelang nicht zu kapieren vermochte
Bis ich kapierte, was er gemeint hatte
Sie ist zwar schiach, das ist freilich ein Nachteil, aber wenigstens dumm. Das immerhin
Ist ein Vorteil. 

Portacamps
Sagt also die Narges
Sind wie Container, aber schlank und chick, weiß
Und dunkelgrün
Zwischen den Portacamps in der oberen Schule und der
Das Gelände der Schule umgebenden Mauer
Ist eine lange
Und hohe Hecke
Gestern war ich nach der letzten Stunde
Hinter der Hecke
Sie stockt
Mit einer Freundin, d.h. im Zwischenraum zwischen Mauer und Hecke
Weil wir ... wir hatten gehört, daß die Jungs dort
Eine Geisterbahn
Gebaut hätten.

Geisterbahn
Heißt in der Sprache Teherans
Tunele Wahschat
Wörtlich Tunnel des Schreckens
Narges sagte aber
Haus des Schreckens
Wenn ich mich richtig erinnere 
Also
Khaneye Wahschat 

Diese Geisterbahn hinter der Hecke wollten wir erkunden
Aber Clara, meine Freundin, war plötzlich weg
Macht nix
Dachte ich
Ich bin ja tapfer
Sagt Mutter immer
Und ging weiter
Und fragte mich
Wo bleibt die Geisterbahn?
Auf einmal berührte
Etwas Kaltes
Meine Schulter 

Es war Herbst, sagte ich, aber warm
Wahrscheinlich
(Hab sie unmittelbar danach zwar gesehen, erinnere mich aber nicht mehr genau)
Wahrscheinlich hatte sie ein schulterfreies Shirt an

Ich schrie
Sagt sie
Und preßt
Fest
Die Lippen zusammen, als wollte sie weinen
Und packt sich
Und das Weinen gleichzeitig abwehren
Am Handgelenk 

Ich schrie
Und dann kam das Baby 

Baby?
Sage ich
Und habe sogleich das Gefühl, als hätte ich das Falsche
Nämlich zu ihr
Baby gesagt

Baby wie es in den von den Teheraner Radiostationen ausgestrahlten
Amerikanischen Songs
Baby hieß
Etwa in
Baby Love (der erfolgreichste Song der Supremes)
You Baby (by The Turtles)
Oder The BeatlesTake Good Care Of My Baby

Ich weiß, LeserIn
Schon 1963, als die Beatles von einem Journalisten darauf angesprochen wurden, daß Amerikaner sie aufgrund ihrer Haarschnitte für unamerikanisch halten würden, überraschte Lennon, einer seltsamen Eingebung folgend, mit der Aussage: Wir sind keine Amerikaner!

(Q: „They think your haircuts are un-American.“
John: „Well, it was very observant of them because we aren’t American, actually.“
Paul (laughs): „True, that.“
John: „True. True“)

Jetzt sitzen die Narges und ich
Direkt am Djub
Oder soll ich sagen
Am Ufer
Djubs haben aber kein Ufer
Und werden von Rand- oder Rinnsteinen begrenzt, respektive von Platten
Aus Beton oder Stein
Wir saßen also direkt am Djub
Daß wir die Füße im Wasser tunkten
Und trunken tunkt ihr das Haupt usw.1
Halte ich allerdings nicht für wahrscheinlich

(Zumal weder unsere Füße nackt waren
Noch war das Wasser ein Wasser
In meiner Erinnerung ist der Djub ganz trocken oder, wenn es hochkommt, ein Rinnsal)

Aber wir lehnten an jene (hohe)
Platane
Und Narges lehnt, obwohl ich dünn bin, den Kopf
An meine Schulter
Wie gestern
Ich lege meine Arme um ihre Schultern
Wie gestern
Und sage
Baby
Oder singe
Wie in jenen Teheraner Radioliedern
Den amerikanischen

Ihre Schultern sind heiß
Oder meine Hand
Und ich denke an das Kalte
Das gestern
Auf einmal
Hinter der Hecke
Ihre Schulter berührte

In der Hecke war
Dieses Baby
In einem Spiegel
Oder war es ein Bildschirm?
Ich weiß nicht
Sie schluchzt
Es war schrecklich 

wird fortgesetzt 

1 Anspielung auf Hölderlins Gedicht Hälfte des Lebens: „Und trunken von Küssen/Tunkt ihr das Haupt/Ins heilignüchtrene Wasser/ Weh mir usw. ...“