Samstag, 27. Februar 2021

Von der Bösartigkeit des Banalen (3) - oder warum ich über den Islam nicht mehr rede

Hans Christian Andersen
Obwohl ich also (oder gerade weil ich?) bei jener Podiumsdiskussion meine Position wortreich verteidigt hatte, befiel mich danach ein Unbehagen – ähnlich jenem, das mich nach der Facebook-Kontroverse mit meinem Teheraner Landsmann befallen hatte. Ich war wieder in die Falle der Bösartigkeit – der aus dem Geiste der Absurdität geborenen Bösartigkeit – des Banalen gegangen. Oder hatte mir, genauer betrachtet, die  Falle selbst gestellt. War es in der Facebook-Kontroverse mein Landsmann gewesen, der die Schilderung eines fiktiv-surrealen Umerziehungslagers absurderweise einem Tatsachenbericht über die reale Situation im Iran gleichgesetzt hatte, hatte bei jener Podiumsdiskussion ich selbst die Absurdität heraufbeschworen, indem ich erklärte, dass bestimmte Aktionen, Positionen und Forderungen von Vertretern der Identitätspolitik, den Schluss nahelegen, diese würden politisches Handeln auf die Reglementierung von Sprache reduzieren. Um dieser Absurdität, die allerdings niemand – es sei denn sie oder er wäre verrückt – explizit vertreten würde, die weltbewegende Erkenntnis entgegenzusetzen, dass Worte nicht unmittelbar, gleichsam auf magische Weise, Realität produzieren. Wohingegen jene Soziologin, die die Existenz jenes – auf den ersten Blick ohnehin nicht erkennbaren – Absurden leugnete, sich die Peinlichkeit eines banalen Gegenarguments gegen jenes (aus ihrer Sicht) nicht existente Absurde ersparte.

 

*

 

In Hans Christian Andersens berühmtem Kunstmärchen Des Kaisers neue Kleider wird die Geschichte eines Kaisers erzählt, der „so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, daß er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein [...] In der großen Stadt, in welcher er wohnte, ging es sehr munter zu; an jedem Tage kamen viele Fremde an. Eines Tages kamen auch zwei Betrüger; sie gaben sich für Weber aus und sagten, daß sie das schönste Zeug, das man sich denken könne, zu weben verständen. Die Farben und das Muster wären nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, besäßen die wunderbare Eigenschaft, daß sie für jeden Menschen unsichtbar wären, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.“13

 

Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht und dass niemand, kein Erwachsener jedenfalls, indem er ausruft: „Der Kaiser ist nackt!“, den Eindruck erwecken möchte, dass er „für sein Amt nicht tauge“ oder gar „unverzeihlich dumm“ sei. Ich will es auch nicht. Weshalb ich beschlossen habe, nicht mehr über den Islam zu reden.

 

Warum ich über den Islam nicht mehr rede

 

Der Titel einer meiner Essays lautet: Warum wir über den Islam nicht reden können14 und ich war gelegentlich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass diese Frage in jenem Essay nicht oder nicht befriedigend beantwortet wird. Inzwischen ist mir aber immerhin gelungen, auf die Frage, warum ich über den Islam nicht (mehr) rede, eine befriedigende Antwort zu finden.

 

Unlängst war ich – als Vortragender respektive als Podiumsdiskutant – zu zwei Veranstaltungen eingeladen, die eine kritische Analyse der aktuellen Islamdebatten zum Ziel hatten. In den Veranstaltungstiteln war aber nicht vom Islam die Rede, sondern vom Islamismus respektive vom politischen Islam, so dass ich – wie immer, wenn vom politischen Islam oder vom Islamismus die Rede ist und nicht einfach vom Islam – versucht war, Einspruch zu erheben. Dieser Impuls mischt sich aber jedesmal mit dem Gegenimpuls, mich für diesen Einspruch zu rechtfertigen. Als wäre es unsinnig (und nicht selbstverständlich), zu fordern, dass wir, wenn wir etwa über das Verhältnis der Linken zum sogenannten Islamismus nachdenken und reden wollen, zunächst einmal über das Verhältnis der Linken zum Islam nachdenken und reden sollten. Als wäre es, anders gesagt, nicht selbstverständlich, wenn es um den Islam geht, vom Islam zu reden – und nicht vom Islamismus oder dem sogenannten politischen Islam.

 

Und genau an dieser Stelle, an welcher der dominierende – vor allem, aber nicht bloß linksliberale – Islamdiskurs sich weigert, wenn es um den Islam geht, vom Islam zu reden, etwa indem er sagt: Die Situation der Frauen im Islam hat nichts mit dem Islam zu tun, sondern mit dem Patriarchat, und der Kritiker dieses absurden Diskurses entgegnet: Ich denke aber schon, dass die Situation der Frauen im Islam mit dem Islam zu tun hat. Oder noch einmal anders, dass der Islam etwas mit dem Islam zu tun hat – genau an dieser Stelle schnappt die Falle der Bösartigkeit des Banalen wieder zu. Zumal das Absurde dieser und ähnlicher Aussagen häufig nicht als Absurdes wahrgenommen wird – vielen Zeitgenossen scheint es ja als besonders differenziert und sophistcated zu gelten, im erwähnten Zusammenhang vom Patriarchat zu reden und nicht einfach vom Islam – während das Offensichtliche banal erscheint, wenn nicht gar „unverzeihlich dumm“ und der sich eines solch dummen Arguments Bedienende als jemand, der „für sein Amt“ – etwa als Essayist und Schriftsteller – „nicht taugt“.

 

Sollte der Schriftsteller aber fortfahren – über die Jahre und bis ans Ende seines Lebens fortfahren – solche und ähnliche Debatten zu führen, und der Absurdität solcherart entgegenzutreten, kann es sich begeben, dass bei seinem Begräbnis jemand eine Grabrede hält, in der es heißt: Er hat sein Leben damit verbracht, zu verkünden, dass der Islam etwas mit dem Islam zu tun hat. Na Bravo.

 

wird (vielleicht) fortgesetzt

 

13

 

http://www.zeno.org/Literatur/M/Andersen,+Hans+Christian/M%C3%A4rchensammlung/M%C3%A4rchen/Des+Kaisers+neue+Kleider

 

14 Sama Maani, Warum wir über den Islam nicht reden können. In ders., Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht, Klagenfurt 2015, S.7

Mittwoch, 24. Februar 2021

Von der Bösartigkeit des Banalen (2)

Georg Christoph Lichtenberg

Bei einer vom Sigmund-Freud-Museum veranstalteten Podiumsdiskussion kritisierte ich jene Vertreter der Identitätspolitik, die den Eindruck erwecken, sie würden die komplexe Wechselbeziehung zwischen Sprache und Gesellschaft ausblenden und politisches Handeln auf die Reglementierung von Sprache reduzieren. Als gäbe es keine außersprachliche Realität, keinen stummen Zwang der ökonomischen und politischen Verhältnisse. Als würde Sprache unvermittelt Realität produzieren. Und als würden die Herrschenden herrschen, nicht indem sie herrschen, sondern indem sie sprechen. Eine Podiumsteilnehmerin, eine Soziologin, widersprach mir spontan. „Das sagt doch niemand!“ meinte sie. Und hatte natürlich recht. Explizit behauptet selbstverständlich niemand, dass Sprache, gleichsam auf magische Weise, Realität produziere, es sei denn sie oder er wäre – buchstäblich – verrückt.8 

 

Ich verwies darauf, dass die Haltung, die ich im Blick hatte, niemals explizit vertreten würde, sich aber deutlich in zahlreichen identitätspolitischen Forderungen, Positionen und Aktionen nachweisen ließe – und beeilte mich, für dieses Ausblenden der Differenz zwischen dem Symbolischen und dem Realen konkrete Beispiele zu nennen.

 

Etwa die Proteste gegen die Installation Scaffold des US-amerikanischen Künstlers Sam Durant.9 Diesem wurde unter dem Schlachtruf „Exekution ist keine Kunst!“ vorgeworfen, seine – als kritische Auseinandersetzung mit der Praxis der Exekution in der Geschichte der USA konzipierte – Installation würde die Massenhinrichtung von Angehörigen der Dakota nach der Niederschlagung des Sioux-Aufstands 1862 reproduzieren. Ich gehe davon aus, dass die Träger jener Proteste keineswegs so verrückt waren, anzunehmen, Durants Installation hätte buchstäblich die Wiederholung jener Massenexekution bewirkt (was vorausgesetzt hätte, die Hingerichteten zum Leben zu erwecken und sie anschließend noch einmal hinzurichten). Allerdings wurde bei den Scaffold-Protesten genauso wie bei jenen gegen das Gemälde Open Cascet von Dana Schutz10 und anderen identitätspolitisch motivieren Protesten gegen Werke der Kunst deren Vernichtung gefordert (oder zumindest ihre Entfernung aus dem öffentlichen Raum), eine Forderung, der Durant, indem er seine Installation tatsächlich zerstörte, dann auch folgte.

 

Sofern sie nicht klinisch verrückt sind, können wir also den Trägern jener identitätspolitisch motivierten Proteste zwar die Fähigkeit zuschreiben, zwischen der empirischen Ebene der Realität und der symbolischen der Kunst unterscheiden zu können. Die regelmäßig erhobenen Forderung nach der Zerstörung der inkriminierten Kunstwerke verweisen jedoch auf ein magisches Denken, in dem die Differenz zwischen dem Realen und dem Symbolischen aufgehoben scheint. Als würde von jenen Werken eine reale Gefahr ausgehen, zu bannen einzig durch deren Zerstörung respektive Entfernung aus dem öffentlichen Raum.

 

Auf magisches Denken, dem Verleugnen der Differenz zwischen dem Symbolischen und dem Realen, haben Vertreter der Identitätspolitik allerdings kein Monopol. Neulich begegnete mir ein „privilegienkritisches“ Tweet, das von einem Facebook-Freund zitiert wurde und zahlreiche zum Teil heftige Reaktionen nach sich zog:

 

„Leute, die sich gewählt ausdrücken können, sind privilegiert und verfügen über eine Macht, in der sie anderen [...] das Gefühl geben können, sie seien moralisch oder intellektuell unterlegen. Das ist [...] gewaltvoll.“

 

Fragte man den Verfasser dieses Tweets, ob er annehme, dass „gewähltes Reden“ buchstäblich „gewaltvoll“ sei, dass gewählte Ausdrücke etwa wie Messerstiche Stichwunden verursachten, würde er dies natürlich verneinen. Es ist aber vorstellbar, dass Aussagen, die von solchen Prämissen ausgehen, bei jemandem, der sich, zu Recht oder zu Unrecht, „moralisch und intellektuell unterlegen“ fühlt, zu einem Kurzschluss zwischen dem Symbolischen und dem Realen führen können. Dass er etwa zum Messer greift, um einem, der sich gewählter Ausdrücke bedient, die „Gewalt“, die er ihm dadurch antut, in gleicher Münze heimzuzahlen.

 

Freilich ist ebenso vorstellbar, dass ein solch absurder „Diskurs“, dem es längst nicht mehr um „Bildung für alle“, sondern um „Dummheit für alle“ zu tun ist, den Impuls, die Ebenen des Symbolischen und des Realen kurzzuschließen und das argumentum ad baculum11 in Anschlag zu bringen, auch bei dessen Kritikern auszulösen vermag. Ein Impuls vor dem – in ihrer Kritik am absurden physiognomischen Diskurs ihrer Zeit – auch Hegel und Lichtenberg nicht gefeit waren.

 

„Lichtenberg, der das physiognomische Beobachten so charakterisiert, sagt [...]: ‚Wenn jemand sagte, du handelst zwar wie ein ehrlicher Mann, ich sehe es aber aus deiner Figur, du zwingst dich und bist ein Schelm im Herzen; fürwahr eine solche Anrede wird bis ans Ende der Welt von jedem braven Kerl mit einer Ohrfeige erwidert werden.’ – diese Erwiderung ist deswegen treffend, weil sie die Widerlegung der ersten Voraussetzung einer solchen Wissenschaft des Meinens ist, daß nämlich die Wirklichkeit des Menschen sein Gesicht sei [Hervorhebungen im Original].“12

 

schreibt Hegel im Kapitel Gewißheit und Wahrheit der Vernunft seiner Phänomenologie des Geistes.

 

wird fortgesetzt

 

8 Oder sie oder er wäre gläubig im religiösen Sinn und glaubte etwa an die Macht des Gebets.

 

9 Dies ist keine Exekution, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Juni 2017

 

Vgl. auch

 

http://samamaani.blogspot.com/2019/12/exekution-ist-keien-kunst.html

 

10

https://news.artnet.com/art-world/dana-schutz-painting-emmett-till-whitney-biennial-protest-897929

 

11 wörtlich „Argument mit dem Stock“.

 

12 G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Stuttgart 1987, S. 232

Mittwoch, 17. Februar 2021

Von der Bösartigkeit des Banalen (1)

Karte (des real existierenden) Teherans

Vor Jahren erteilte mir ein berühmter Schriftsteller bei Gelegenheit einer – amerikanischen Creative Writing Kursen nachempfundenen – Schreibwerkstatt einen Rüffel. Ich hatte ihn und andere Anwesende darauf hingewiesen, dass der Name Teheran in jenem Roman, an dem ich damals arbeitete, nicht für die real existierende Stadt gleichen Namens steht, sondern ein imaginäres Land bezeichnet, das mit dem real existierenden Iran zwar einiges gemein hat, mit diesem aber nicht ident ist. Es gehe nicht an, meinte jener Berühmte, dass ein Autor seinem Text, gleichsam als lebender Beipackzettel, nachlaufe, um seinen Leserinnen und Lesern zu erklären, wie sie ihn zu verstehen hätten.

Der Rüffel schien mehr als berechtigt. Ich fühlte mich beschämt und beschädigt. Was mich aber nicht daran hinderte, die Versuche, meine literarischen Texte meinen (potentiellen) Leserinnen und Lesern zu erklären, weiterzuführen. Zu den mündlichen kamen schriftliche – in gesellschaftskritische Texte über Identitätspolitik, „Migrantenliteratur“ etc. eingefügte – Erklärungsversuche meiner literarischen Produktion.

 

Neulich trieb ich meine Erklärungssucht auf die Spitze. Bei einer Online-Lesung für das Literaturhaus Salzburg1 las ich – noch vor der Lesung einer Passage aus meinem Roman Teheran Wunderland2 – eine Stelle aus einem Essay3, über die fiktive Begegnung mit einer Leserin, die überzeugt ist, dass ein frauenfeindliches Gedicht aus der Feder einer der Romanfiguren die frauenfeindliche Position von dessen Autor wiedergeben würde. Also meine. Sowie über den Versuch mich (unter Verweis auf den Unterschied zwischen der Person und den Positionen des Autors und der Figuren eines Romans) zu rechtfertigen.

Die Erklärungen zu einem Roman, sprich zu einem fiktiven Text, nahmen hier also ihrerseits die Gestalt einer Fiktion an. Einer Fiktion, die allerdings auf irritierende reale Erfahrungen basierte. Zudem enthielt auch diese Passage aus dem Essay den Hinweis, dass Teheran in Teheran Wunderland genauso wenig die real existierende Stadt gleichen Namens bezeichnet wie jenes Teheran, das in meinem Roman Ungläubig4 vorkommt und dessenthalben ich mir seinerzeit den Rüffel jenes Berühmten eingehandelt hatte.

 

Unmittelbar nach der Lesung machte ich eine weitere irritierende Erfahrung – auf Facebook. Ein flüchtiger Bekannter aus (dem real existierenden) Teheran, der, soweit ich mich erinnere, dortselbst und in Wien Soziologie und Englische Literatur studiert hat, zeigte sich über die vorgelesene Romanpassage irritiert, ja geradezu empört. Darin ist von einem Umerziehungslager für junge, aus der Sicht der Machthaber des „Teheraner Regimes“ politisch irregeleitete Menschen die Rede, in dem geradezu paradiesische Zustände herrschen. Oder zu herrschen scheinen. Wie können Sie, schrieb mein Teheraner Landsmann, solch ein „positives, liberales Bild“ vom Regime im Iran zeichnen? Gerade Sie, dessen Stimme – im Unterschied zu der Stimme der meisten anderen Iraner hier – in der Öffentlichkeit gehört wird, sollten sich bemühen, ihre Leserinnen und Leser im deutschsprachigen Raum über die wahren Zustände im Iran aufzuklären.

 

Ich antwortete, dass ich vor Beginn der eigentlichen Lesung ohnehin erklärt hätte, dass Teheran in Teheran Wunderland weder mit dem realen Teheran noch mit dem Iran identisch sei, auch wenn es zwischen dem ersteren und den beiden letzteren Gemeinsamkeiten gäbe. Dass es sich um einen Roman und nicht um einen Reise- oder Tatsachenbericht handle, dass ... in diesem Moment fiel mir der Rüffel jenes Schriftstellers ein, Robert Schindel ist sein Name (keine Ahnung, warum ich ihn nicht gleich genannt habe. Vermutlich verhalte ich mich als ehemaliger Psychoanalytiker auch bei Berichten über Personen, die keine AnalysandInnen waren, so, als würde ich einer Schweigepflicht unterliegen) – und ich musste schmunzeln. „Bisher dachte ich“, dachte ich, „ich darf es ihnen nicht erklären. Sie sollen es selbst verstehen. Jetzt merke ich: Sie verstehen es auch dann nicht, wenn ich es ihnen erkläre.“

 

Tags darauf merkte ich, wie sehr mich jene Facebook-Kontroverse verärgert hatte und im Geiste gab ich den Kommentaren meines Landsmanns – angelehnt an eine Passage in einer Vorlesung von Adorno, in der er Hannah Arendts Rede von der Banalität des Bösen chiastisch5 paraphrasiert und von der Bösartigkeit des Banalen spricht6 – die Überschrift Von der Bösartigkeit des Banalen.

Genauer betrachtet, waren aber die Kommentare des Teheraner Anglisten, die mich „böse“ gemacht hatten (daher Von der Bösartigkeit des Banalen) und die ihnen zugrundeliegende Voraussetzung (die Verwechslung der Schilderung eines surrealen Umerziehungslagers in einem Roman mit einem Tatsachenbericht über die reale Situation im Iran) keineswegs banal, sondern absurd – zumal ein Experte für (englischsprachige) Literatur diesem Missverständnis erlegen war. Banal war vielmehr meine Reaktion auf die Kommentare meines Landsmanns, hatte ich mich doch gezwungen gesehen, letztere (sinngemäß) mit der höchst banalen Aussage zu kontern, ein Roman sei ein Roman und kein Tatsachenbericht.

 

Die Banalität ist hier also die Folge der Absurdität und es stellt sich die Frage, ob der Zusammenhang zwischen letzterem und ersterem über jene kleine Facebook-Kontroverse hinaus nicht auch andere aktuelle Diskurse charakterisiert. Könnte es sein, fragte ich mich, dass immer absurdere kulturelle, gesellschaftliche und politische Diskurse7 einen immer banaleren Gegendiskurs provozieren?

 

wird fortgesetzt

 

1 https://www.facebook.com/watch/live/?v=248121196255337&ref=watch_permalink

 

2 https://www.drava.at/buch/teheran-wunderland/

 

3 https://www.derstandard.at/story/2000090533413/sama-maani-die-krux-mit-der-migrantenliteratur

 

4 https://www.drava.at/buch/unglaubig/

 

5 Der Chiasmus bezeichnet eine rhetorische Figur, bei der Wörter oder Satzteile überkreuzt werden. Ein Stilmittel, dessen sich etwa Marx in Anlehnung an Hegel gerne, aber nicht immer glücklich bediente: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen“.

 

6 Die Passage konnte ich später nicht wiederfinden und wäre meinen LeserInnen für einen diesbezüglichen Hinweis sehr dankbar.

 

7 Dass die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse immer absurdere Züge annehmen, werde ich im Folgenden exemplarisch zu zeigen versuchen.

Sonntag, 7. Februar 2021

Kritik an der Ankündigung einer Iran-Veranstaltung der "Grünen Zukunftsakademie"

Bildergebnis für Corona Iran Khamenei
Irans Führer verbietet die Einfuhr von amerikanischem Impfstoff

 

Am 11. Februar 2021, dem 42. Jahrestag der Islamischen Revolution im Iran, veranstaltet FREDA, die Grüne Zukunftsakademie, eine Informationsveranstaltung über den Iran, in deren Ankündigungstext u.a. das Folgende zu lesen ist:

 

Der Iran steht wie kaum ein anderes Land in der weltweiten Aufmerksamkeit. Auf der einen Seite liest man über beschlagnahmte Öltanker, Anreichern von Uran oder einen Drohnenabschuss; auf der anderen Seite sehen Menschen ein Land, welches von den USA als Spielball genutzt wird – hier wären beispielsweise die US-Verschärfungen der Sanktionen zum Höhepunkt der Coronakrise zu nennen – und nicht länger tyrannisiert werden möchte. Dass Konflikte mit dem Iran keine Auswirkung auf Europa hätten, ist eine Fehlannahme.

 

Da mich dieser Ankündigungstext – zurückhaltend formuliert – irritierte, schrieb ich ein E-Mail an die Veranstalter, in dem u.a. das Folgende zu lesen ist:

 

Als „alter Linker“ sind mir antiamerikanische Reflexe nur allzu vertraut. Bei aller Kritik gegenüber der (unter verschiedenen US-Präsidenten unterschiedlichen und auch während ein und derselben Präsidentschaft häufig inkonsistenten) US-Außenpolitik sollten wir aber nicht vergessen, dass Gesellschaften und Individuen in der – früher sogenannten – Dritten Welt nicht bloß willenlose Marionetten der US-Politik sind, dass sie ihr Schicksal zumindest zu einem großen Teil selbst bestimmen.


So wurde etwa die Islamische Revolution 1979 nicht von den USA veranstaltet. Sie war hausgemacht. Und es waren die Vertreter des aus jener Revolution hervorgegangenen Regimes (und nicht die USA), die im November 2019, wieder einmal, hunderte Demonstranten abschlachteten – laut Reuters waren es 1500. Diese Proteste werden in Ihrer Diskussions-Ankündigung genauso ausgeblendet wie die Todfeindschaft der Islamischen Republik gegen Israel, ihre systematische Leugnung des Holocaust und ihr Gründungsziel, die Vernichtung des jüdischen Staates. Alles das sollte gerade in Österreich, einem Nachfolgestaat des Dritten Reiches, besondere Aufmerksamkeit finden – möchte man meinen.

 

In Ihrer Ankündigung wird behauptet, der Iran sei „ein Land, welches von den USA als Spielball genutzt wird“. Seit ihrer Gründung 1979 betrachtet die Islamische Republik Iran die USA als Erzfeind. Der Iran kann folglich von den USA genauso wenig „als Spielball genutzt werden“ wie diese etwa Nordkorea als Spielball nutzen könnten oder früher die Sowjetunion. Vielmehr versuchen die USA seit Jahren – mit überschaubarem Erfolg – die regionale Expansionspolitik der Islamischen Republik einzudämmen (für die Situation der Menschen im Iran scheinen sie sich aber genauso wenig zu interessieren wie europäische Regierungen). Und es ist die Regionalmacht Iran, die durch die massive Präsenz ihrer schiitischen Milizen Länder wie den Irak, den Jemen, Syrien und den Libanon als Spielball benützt, mit katastrophalen Folgen wie der Dauerkrise im Irak und im Libanon und den kriegerischen Konflikten in Syrien und im Jemen. Darauf und auf die Tatsache, dass der Iran die Entwicklung atomwaffenfähiger Raketen vorantreibt und terroristische Gruppen, wie die Hisbollah oder den Hamas, unterstützt (Stichwort: Raketenkrieg gegen Israel) versuchen die USA zu reagieren, in erster Linie mit Sanktionen.

 

Übrigens sind die US-Sanktionen gegen die Islamische Republik keine Erfindung Trumps. Sie wurden erstmals 1979 nach der Erstürmung der US-Botschaft in Teheran und der Geiselnahme von 52 US-Diplomaten verhängt, die man 444 Tage lang gefangen hielt. In den 1990ern wurden die Sanktionen durch neue ergänzt und unter Obama verschärft – vor allem in Zusammenhang mit dem Atomwaffenprogramm des Regimes. So gesehen, sind es die USA, die auf Entwicklungen in der Islamischen Republik reagieren, sich also, pointiert gesagt, zum Spielball des Irans machen, nicht umgekehrt.

 

Und wenn schon die „US-Verschärfungen der Sanktionen“ mit dem „Höhepunkt der Coronakrise“ in Zusammenhang gebracht werden, sollte nicht unterschlagen werden, dass das islamische Regime Anfang 2020, um die Parlamentswahlen (die ihm Legitimität verleihen sollen) und die Jubiläumsfeiern zum Jahrestag der Revolution am 11. Februar ungestört über die Bühne gehen zu lassen, die ersten Corona-Fälle im Iran systematisch vertuscht hat. Dass die den Revolutionsgarden nahestehende „Mahan Air“ bis Ende März 2020 – als es schon zahllreiche Corona-Tote im Land gab – regelmäßig Flüge von und nach China durchführte. Und dass der Führer der Islamischen Republik vor kurzem die Einfuhr von amerikanischen und britischen Impfstoffen verboten hat.

 

Über die komplizierte Beziehung zwischen dem iranischen Regime und den USA gäbe es noch viel zu sagen. Hier der Link zu einem Artikel von mir im Standard, der einige Klischeevorstellungen über die Islamische Republik und ihre Beziehung zu den USA zu dekonstruieren versucht:

 

https://www.derstandard.at/story/2000105196763/will-trump-den-regime-change-im-iran

 

Ich hoffe, dass der eine oder andere von mir angeführte Kritikpunkt Eingang in die Diskussion am Donnerstag findet und verbleibe

 

mit den besten Grüßen

 

Sama Maani