Dienstag, 29. März 2016

Zizek in Teheran (113)


Aleksandar Tisma

Der Roman
Die Übersetzung der Schule der Gottlosigkeit
handelt
Von einem
Aus Teheran gebürtigen
Publizisten
Wohnhaft in Graz
Der
Die Schule der Gottlosigkeit
Einen Erzählband
Von
Aleksandar Tisma
In die Sprache Teherans übersetzt
Aber nicht
Aus dem Serbischen
Ins Teheranische
Sondern die deutsche Übersetzung aus dem Serbischen
In die Sprache Teherans.

In der titelgebenden Erzählung des Erzählbands 
Die Schule der Gottlosigkeit
Ist ein Offizier der ungarischen Armee
Im besetzten Novi Sad des Jahres
1944
Damit beschäftigt
Einen achtzehn Jahre alten
Kommunisten
Zu Tode zu prügeln
Derweil sein eigener Sohn
Zuhause
Im Sterben liegt.

Am Ende überlebt der Sohn
Des Offiziers
Wohingegen der achtzehn Jahre alte
Kommunist
Stirbt
Woraufhin der Offizier
In die Knie geht
Und ruft
Gott
Ich danke Dir
Daß es Dich nicht gibt.

Das Ministerium für Kultur
Und Islamische Führung
In Teheran
Erlaubt
Die Veröffentlichung und den Verkauf
Der Übersetzung
Des Erzählbands
In Teheran
Auch
Daß das Buch
Den Titel
Die Schule der Gottlosigkeit
Trägt
Zensuriert aber
Die Pointe
der titelgebenden Erzählung

So fehlt in der Übersetzung
Die Stelle
In welcher
Der Offizier
Niederkniet
Und Gott dankt
Daß es ihn nicht gibt

wird fortgesetzt

Montag, 28. März 2016

Zizek in Teheran (113)

-->
Bitte
Sprechen Sie
Jetzt
Sagt Schirin
Über das Erlebnis
Das Sie vergessen müssen
Und alles
Was Ihnen
Zu diesem Erlebnis
Einfallen mag.
Die Spracherkennungsfunktion des Rechners
Wird alles
Was Sie sagen
Verschriften.

Nehru beginnt also
(Daß mich Schirin
Bitten
Hätte
Können
Den Raum zu verlassen
Kommt mir nicht
In den Sinn)
Zu erzählen:

Als wir ihn
(vernehmliches Räuspern)
Hierher begleiteten
Aus dem Gefängnis nämlich
In das
Haus des Vergessens der Bibliothek der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher Eures Internats Islamischer Mädchen
Hatten wir
Ich zumindest
Wir waren zu fünft
Gemischte Gefühle

Morad
Der Elektrische
Der sein Haus
Auf den Schultern trägt
Der Idol
Meiner Jugend

Auch wenn ich ihn bloß
Von DVDs kenne
Ich bin
1973 geboren.

All die Jahre
Die er im Gefängnis verbrachte
War er ruhig gewesen.
Kaum aber hatten wir
Das Gefängnistor passiert
Verwandelte er sich
Als wäre er nicht mehr
Der
(Schauspieler, Regisseur Schriftsteller)
Kardan
Sondern Morad der Elektrische
(Seine eigene Schöpfung)

Ruderte
Rastlos
Mit den Händen
Diskutierte und gestikulierte
Mit jedem von uns
Fidelen Burschen
Vom Teheraner Geheimdienst

Wie haben wir
Fidelen
Und Morad
Herzlich gelacht
Die anderen
Kollegen
Sind jünger als ich
Auch sie
Liebten den Elektrischen
Ich weiß es
Gott
Habe ihn selig

Er hat sich
Wohlgefühlt
Im Gefängnis
Gott
Habe ihn selig
Um nicht
Glücklich zu sagen

Endlich
Sagte er
Schreiben
Ich liebte ihn
Nix
Als Schreiben.
Nix mehr
Schauspielern
Drehbuch
Regie
Das hatten wir ihm nämlich
Verboten

Im Gefängnis
Hat Kardan
Drei
Romane geschrieben

1. Gott ist Mitglied der NSDAP

2. Die Übersetzung der Schule der Gottlosigkeit

3. Wir alle sind Fritzl


Der Roman
Gott ist Mitglied der NSDAP
Beginnt
Mit einem Zitat:

Gott ist eine
Literarische
Erfindung
Es gibt keinen Gott
Das darf man in Teheran nicht sagen
Wir haben Meinungsfreiheit
Aber wenn man -

Wer will
Mag glauben
Ich kenne keinen
Gott
Habe ihn nie gekannt.
Nie
In meinem Leben
Auch als Kind hab ich das nicht
Begriffen
Was das ist

Gott
Wenn ich in diesen Monaten und Jahren
Von Gott hörte
Hatte ich den Verdacht
Gott ist Mitglied der NSDAP
Denn er unterstützt ja alles
Was die Nazis
Machen
Vieles gelingt ihnen

Was glauben sie
Was das
Für ein Erlebnis war
Die Nachricht
Daß die Wehrmacht
Paris erobert hat

Damals glaubten
Viele Menschen
Meiner Umgebung
Hitler wird den Krieg gewinnen

 
Sagt der polnisch-deutsche Literaturkritiker
Marcel Reich-Ranicki
Der
Gott habe ihn selig
Das Warschauer Ghetto überlebte
In einer Fernsehdoku über sein Leben


 wird fortgesetzt

Sonntag, 27. März 2016

Stiller Fanatismus (14)


Angesichts ihres narzißtischen und asketischen Charakters sowie des Mechanismus der Identifizierung, die ihnen allen zugrundeliegt, können wir nun die vier weiter oben skizzierten Haltungen (die Haltungen „gewöhnlicher Subjekte“ der Arbeit, der Sexualität und der Politik gegenüber sowie – viertens – jenes seltsame Beharren führender Politiker auf abstrakten Regeln) mit Pfaller als Formen des Bekenntnisglaubens bestimmen.

Das zusätzliche Merkmal fanatisch hatte sich uns aber nur im vierten Fall, der Regelhörigkeit der Politiker, aufgedrängt.

Im folgenden will ich zeigen, daß die Zuschreibung fanatisch auch den drei zuerst genannten Haltungen - oder Bekenntnisformen - zukommt. Auch wenn der Fanatismus im Bekenntnisglauben „gewöhnlicher Subjekte“ (an ihre sexuelle Identität, an ihre Arbeit oder an den Idealen ökologischer oder politischer Korrektheit) weniger offen zutage treten, also „stiller“ sein mag, als jener im Glauben an die Regeln der Austeritätspolitik.

Zunächst: der Fanatismus in den asketischen Haltungen politischer Führer ist nicht deshalb offensichtlicher als jener in den Haltungen „gewöhnlicher Subjekte“, weil es sich bei den ersteren um politische Führer handelte. Es geht also nicht um den Unterschied zwischen Eliten einerseits und „gewöhnlichen Subjekten“ andererseits - sondern um den zwischen der Identifizierung mit Regeln auf der einen und anderen Formen des narzißtisch-asketischen Bekenntnisglaubens (Identifizierung mit der Arbeit, Fokussierung auf sexuelle Identität, narzißtisch geprägte Formen politischer und ökologischer Korrektheit) auf der anderen Seite.

Die Frage müßte also eigentlich lauten: Warum ist gerade der Glaube an resp. die Identifizierung mit Regeln - im Unterschied zu den anderen drei geschilderten Modi der Identifizierung – so offensichtlich „fanatisch“?

Bestimmten wir etwa die Identifikation eines Vertreters der Austeritätspolitik mit den Regeln derselben als Bekenntnis, dann glaubt der Träger dieses Bekenntnisses daran, daß die Austerität zu einer Stärkung der griechischen Wirtschaft und zu einer Verbesserung der Lage der Menschen führen würde. Der Glaube an jene Regeln bestimmt also seine Sicht auf die Realität. Für die Menschen in Griechenland hingegen, deren Leben seit Jahren von der Austeritätspolitik bestimmt wird, sind die Auswirkungen derselben nicht segensreich - sondern desaströs.

Jene mit den Regeln der Austeritätspolitik identifizierten Politiker glauben also an eine andere Realität als die von ihrer Politik betroffenen Menschen. Und es ist offensichtlich dieser – blinde – Glaube, der uns veranlaßt, und berechtigt, diese ihre Haltung als fanatisch zu bezeichnen.

wird fortgesetzt

Freitag, 18. März 2016

Stiller Fanatismus (13)


Ausgehend von der Gegenüberstellung von narzißtischer Libido und Objektlibido in Freuds zweiter Triebtheorie sowie von Theorien des französischen Psychoanalytikers Octave Mannoni1 hat der Philosoph Robert Pfaller eine für unseren Zusammenhang interessante Theorie des Glaubens entwickelt.2 

Pfaller unterscheidet zwei Formen des Glaubens: den asketischen Bekenntnisglauben (den Mannoni foi nennt) und den Aberglauben (bei Mannoni croyance). Der Bekenntnisgläubige ist mit seinem Glauben identifiziert und bezieht aus dieser seiner Identifikation Selbstachtung und Stolz. Es kommt bei ihm, in der Sprache der zweiten Triebtheorie, zu einer Zunahme an narzißtischer Libido, auf Kosten von Objektlibido. Der Glauben des Bekenntnisgläubigen erschöpft sich also nicht in einem bloßen Für-wahr-halten bestimmter Inhalte - sein Glauben konstituiert vielmehr seine „Identität“. Typisch für den Bekenntnisglauben sind Ausagen wie: „Ich, als Christ/Moslem/Sozialist etc.... “. 

Aberglauben im Pfallerschen Verständnis liegt hingegen etwa dann vor, wenn ein Fußballfan vor dem Fernseher den Spielern seines Teams Ratschläge erteilt. Daß ihn die Spieler nicht hören können, dessen ist sich unser Fan natürlich bewußt. Dennoch verhält er sich so, als glaubte er daran, daß sie ihn hören können. Weshalb er die Spiele seiner Mannschaft auch unbedingt live mitverfolgen und sich nicht bloß mit einer Aufzeichung begnügen will. Wir haben es hier mit dem von Freud beschriebenen Mechanismus der fetischistischen Verleugnung zu tun, die Mannoni mit dem Satz „Ich weiß zwar, aber dennoch“3 paraphrasiert. Würden wir unseren Fußballfan fragen, ob er tatsächlich daran glaubt, daß die Spieler ihn hören können, würde er dies natürlich zurückweisen. Er ist also – im Gegensatz zum Bekenntnisgläubigen – mit seinem Glauben nicht identifiziert, eignet sich diesen „seinen“ Glauben nicht an, und kann folglich aus „seinem“ Glauben auch keinen Stolz und keine Selbstachtung beziehen.

Unser Beispiel ist nicht zufällig gewählt. Es verweist auf die spielerische, „lustfreundliche“ Dimension des „Aberglaubens“ im Gegensatz zum lustfeindlich-asketischen Charakter des Bekenntnisglaubens, auf den wir noch zurückkommen werden. Wobei Pfallers Begriff des „Aberglaubens“ über dessen umgangssprachliche Verwendung weit hinausreicht.

„Aberglauben“ als „Einbildung ohne Eigentümer“ liegt, so Pfaller, auch der „Kultur der öffentlichen Darstellung“4 zugrunde, deren Schwund er – unter Bezugnahme auf Richard Sennet – beklagt:

„[...] gerade diese fiktive Dimension der Einbildungen ohne Eigentümer [...] [ist] etwa seit 1968 massiv im Verschwnden begriffen Bis dahin hatten westliche Gesellschaften seit der Reneissance eine ausgeprägte Kultur der öffentlichen Darstellung entwickelt. Es war eine Kultur des „als ob“, die deutlich zwischen Person und Rolle unterschied. In der Öffentlichkeit benahmen, kleideten, bewegten sich Leute anders, und sie sprachen anders. Sie erzeugten einen Augenschein, der für andere etwas darstellen sollte. Diese theatralische Dimension des öffentlichen Lebens wurde [...] durch die Architektur öffentlicher Plätze unterstützt. So fungierte der öffentliche Raum als eine Art Bühne, die jeden zum Schauspieler für die anderen werden ließ [Hervorhebung von mir]“5 

„Es gibt“, fährt Pfaller fort, „ein Verschwinden des Spiels [...], weil es einer ichfixierten Kulturentwicklung – in mehreren historischen Anläufen - gelungen ist, die öffentliche Sphäre den Ansprüchen des Privaten zu unterwerfen [...] Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich auch die in Form von elektronischen Kleingeräten in die Zwischenräume [...] des Alltagslebens eingedrungenen Spiele begreifen: zwar werden diese Spiele nicht ausschließlich allein gespielt [...] aber bezeichnenderweise sind es immer Spiele ohne Zuschauer [...] Es wird darin für niemaden anderen so getan als ob [...] Während [...] die urbanen Spiele der Höflichkeit dazu da waren, Geselligkeit und Austausch zu ermöglichen, sind die neuen intimen Spiele [...] lediglich dazu da, zu signalisieren, daß im Momment kein solcher Austausch möglich ist. Die neuen Medienspiele dienen also dazu, das Spiel zu individualisieren und [....] sogar in der Öffentlichkeit intime Räume zu eröffnen [...]  das Spiel, das eigentlich eine Ressource der Geselligkeit wäre, [wird] nun in diese neu eröffneten Intimräume verbannt. Darin besiegelt sich die Tyrannei der Intimität. Ihr Übergriff auf den öffentlichen Raum ist so total geworden, daß die Individuen nun selbst das, was ihre Zivilisiertheit wäre, nur noch in Privaträumen ‚abführen’ dürfen – so als handelte es sich dabei um etwas Degoutantes [...]“6

wird fortgesetzt 

1) Siehe: Octave Mannoni, Clefs pour l'imaginaire ou l'Autre Scène, Paris 1969

2) Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen, Frankfurt a.M. 2002, S. 57 ff.

3)Octave Mannoni, Clefs pour l'imaginaires ou l'Autre Scène, Paris 1969, S.9

4) Robert Pfaller, Das Schmutzige Heilige und die reine Vernunft, Frankfurt a.M. 2008, S. 105 

5) Ebd.

6) Ebd. S. 107 ff.

Zizek in Teheran (111)




Wie ich schon sagte
Scheinen Schirin und Nehru
Sich voreinander zu fürchten
Es sind aber
Zwei verschiedene -
Was ist die Mehrzahl von Furcht? Furchte?
Fürchte?

Kein Plural von Furcht
Sagt das Wörterbuch
Ich weiß
Aber wir sind nicht
Im Wörterbuch
LeserIn

Die Schirin scheint Nehru
Falls Du Dir darunter
Etwas vorstellen kannst
Nur
Pro forma
Zu fürchten
Wohingegen der Nehru
Schirin 
Tatsächlich zu fürchten scheint.

Stark von unten
Hat mir jemand einmal gesagt

Vergessen wir nicht
Daß Nehru
Und ich
Nicht den Inhalt
Eines Buches
Zu vergessen haben
Sondern Erlebnisse.

Wobei der Fall
Beim Nehru
Komplizierter liegt
Als bei mir
Nicht nur Erlebnisse
Muß der Arme
Vergessen
Sondern zusätzlich
Zu den Erlebnissen
Auch noch
Die Schrift
Bei ihm hat ja
Die Lektüre der Schrift
Zu jenen Erlebnissen geführt
(Gott als dirty old man und das sagen-wir-ruhig-japanische-Mädchen usw.)

Damit Sie
Sagt Schirin
Ein Erlebnis vergessen
Müssen wir es
Verschriften.

Als sie verSCHRIFTen sagt
Sehe ich
Der ich ständig
Seitenblicke
Auf Nehru
Werfe
Ein Zucken in seinem Gesicht

Weiß jetzt aber nicht
Zu sagen
Ob ihm der Mund zuckt
Die Lippe
Das Augenlid
Oder die Nase

Ja. Dieses Jetzt ist merkwürdig, LeserIn. Als handelte es sich bei diesem Jetzt, in dem ich die Seitenblicke auf Nehru werfe. Und diesem Jetzt, in dem ich nicht zu sagen weiß, ob ihm die Lippe, oder der Mund zuckt. Oder die Nase. Um zwei verschiedene Jetzt. Was ist die Mehrzahl von Jetzt? Siehe oben. Unter Furcht.

Bitte
Sprechen Sie
Jetzt
Über das Erlebnis
Das Sie vergessen möchten
Sagt Schirin
Und alles, was Ihnen zu diesem Erlebnis
Einfallen mag
Die Spracherkennungsfunktion des Rechners
wird das, was Sie sagen
Verschriften.

Ist ja
Wie in der Analyse
Denke ich
Aber sage nix 

wird fortgesetzt

Donnerstag, 17. März 2016

Stiller Fanatismus (12)


Fanatisch ist diese Haltung, sofern sie ganz abstrakt ist, wie Kaufmann sagt, also gegenstandslos. Und sich vom Bereich real existierender Objekte als solchem losgesagt hat, wie jener Mann auf der Mauer sich von der Liebe zu seinem Sohn.

Daß das Zuwiderhandeln gegen diese Regeln nicht bloß die Androhung des Staatsbankrotts zur Folge haben kann, sondern buchstäblich Tod und Zerstörung1), und daß es im Falle Griechenlands (wie so unterschiedliche Kommentatoren wie Slavoj Zizek2) und Paul Krugman3) übereinstimmend konstatiert haben) nicht um den rationalen Umgang mit einem Schuldner zu gehen scheint, sondern um die Bestrafung eines Schuldigen – das alles verweist auf den Über-Ich-Charakter dieser Regeln.

Das Über-Ich ist nicht einfach das verinnerlichte Gesetz. Es ist „gleichzeitig das Gesetz und seine Zerstörung“, sagt Lacan, um mit Nachdruck die „destruktive, rein unterdrückende“ Wirkung des Über-Ichs auf die „Moral des Neurotikers“ zu betonen, seinen „unsinnigen, blinden [wir möchten hinzufügen: fanatischen] Charakter des reinen Imperativs, der schlichten Tyrannei“4). Thiess Büttners Beharren auf die Fortsetzung der rigorosen Sparpolitik „selbst wenn [deren Abmilderung, Anm. von mir] zu einer Stärkung der griechischen Wirtschaft führen sollte“ ist prototypisch für diesen Fanatismus der Regeln – und des Über-Ichs.

Wie uns der Umgang europäischer, insbesondere deutscher, Politiker mit der griechischen Staatsschuldenkrise zeigt, sind heute weite Teile der politischen Elite nicht weniger von asketischen Idealen durchdrungen als „gewöhnliche Subjekte“. Scheint doch die Haltung jener Politiker weit weniger durch eigene (ökonomische oder machtpolitische) Interessen motiviert - als durch abstrakte Prinzipien und Regeln. Angesichts des Über-Ich-Charakters dieser Regeln und der destruktiven Auswirkungen des Beharrens auf ihnen, erscheint der Konflikt, den europäische - insbesondere deutsche - Politiker 2015 mit der griechischen Regierung austrugen, als Glaubenskrieg um Glaubensgrundsätze.


In seinem 1914 publizierten Text Zur Einführung des Narzißmus entwickelt Freud seine zweite Triebtheorie, unter anderem als Ergebnis einer Auseinandersetzung mit Jung,. Hatte Jung in der Schrift „Symbole und Wandlungen der Libido“ die Libido als unspezifische seelische Energie aufgefaßt, den Begriff der Libido also entscheidend erweitert, erweiterte Freud, bei strikter Betonung des - grundsätzlich - sexuellen Charakters der Libido, ihren Wirkungsbereich.

In seiner ersten Triebtheorie hatte Freud zwischen den Sexualtrieben und den nicht-sexuellen Ich-Trieben (oder Selbsterhaltungstrieben) unterschieden. Der zweiten Triebtheorie liegt das Gegensatzpaar Ichlibido (oder narzißtische Libido) auf der einen und Objektlibido auf der anderen Seite zugrunde – die beide als grundsätzlich sexuell aufgefaßt werden.

Narzißtische Libido besetzt das Ich als libidinöses Objekt, Objektlibido die Objekte der Außenwelt. In beiden Fällen handelt es sich also um Libido, so daß sich narzißtische Libido und Objektlibido wie kommunizierende Gefäße verhalten: Objektlibido kann in narzißtische umgewandelt werden und vice versa - eine Zunahme an Objektlibido geht auf Kosten der narzißtischen Libido, und umgekehrt. Die – narzißtische - libidinöse Besetzung des Ich kann allerdings, im Unterschied zur Besetzung real existierender Objekte, in der Regel nicht bewußt als lustvoll erlebt werden. Hier begegnet uns also wieder der asketische Charakter des Narzißmus. 

wird fortgesetzt 

1) Eine 2014 publizierte Lancet-Studie berichtete über die tödlichen Auswirkungen der Austeritätspolitik auf das griechische Gesundheitssystem 

http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(13)62291-6/abstract 

2) 

http://www.zeit.de/2015/27/griechische-schulden-griechenland-europaeische-union/seite-2 

3) Es ist interessanterweise Paul Krugman, und nicht - der des Deutschen durchaus mächtige – Slavoj Zizek, der darauf hinweist, daß es eine Besonderheit darstellt, daß wir im Deutschen (im Unterschied etwa zum Englischen oder zum Französischen) für die moralische wie für die ökonomische Schuld denselben Begriff verwenden.

http://www.tagesspiegel.de/politik/interview-mit-oekonom-paul-krugman-griechenland-wuerde-es-jetzt-viel-besser-gehen/11406210-2.html

4) Jaques Lacan, Das Seminar Buch I: Freuds Technische Schriften, Weinheim/Berlin 1990, S. 134