Dass der Politologe Farid Hafez die jüngst bei mutmaßlichen Muslimbrüdern durchgeführten Razzien mit den Novemberpogromen 1938 verglichen hat, führte zu heftigen Protesten. Politiker und Wissenschaftler bezeichneten Hafez’ Aussagen zu Recht als infam – und stellten seine Lehrbefugnis in Frage.
Im Proteststurm wurde aber übersehen, dass der Vergleich der sogenannten „Islamophobie“ mit dem Antisemitismus, der Hafez’ Aussagen zugrunde liegt, und die Behauptung, dass Muslime die „neuen Juden“ seien, mittlerweile fester Bestandteil linker und liberaler Diskurse geworden ist. Und von weit reputableren Persönlichkeiten als Hafez in Stellung gebracht wird. Etwa von Alexander Van der Bellen.
Als dieser bei einer Diskussionsveranstaltung im März 2017 auf das Thema „Islamophobie“ angesprochen wurde, meinte er: „Wenn das so weitergeht [...] bei dieser tatsächlich um sich greifenden Islamophobie, wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen – alle, als Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun.“ Und: „Wenn ich mich richtig erinnere, haben die Dänen während der deutschen Besatzung doch etwas ähnliches gemacht. Und nicht–jüdische Dänen haben angefangen, den Davidstern zu tragen – als symbolische Geste des Widerstands gegen die Deportation von Juden.” Van der Bellens Aussagen waren Gegenstand heftiger Kontroversen und es fehlte auch nicht der Hinweis, dass der Davidstern in Dänemark – vermutlich weil die Nazis einer Konfrontation mit dem dänischen König aus dem Weg gehen wollten – niemals eingeführt wurde. Ausgeklammert blieb allerdings die Kernfrage der Affäre: Ob es stimmt dass „Islamophobie“, wie vielfach behauptet, der neue Antisemitismus sei. Und was es mit dem Begriff „Islamophobie“ überhaupt auf sich hat.
Dass Menschen aus der Türkei oder dem arabischen Raum in allererster Linie als Muslime wahrgenommen werden, ist ein relativ neues Phänomen. Noch in den 1990er Jahren behauptete der Diskurs der Rassisten in Österreich und in Deutschland, die Türken würden „uns“ deshalb Probleme bereiten, weil sie eben Türken seien. Seit dem Erstarken des sogenannten politischen Islam, vor allem seit den Anschlägen von Nine Eleven, behaupten die Vertreter des neuen rassistischen Diskurses, die Türken (die Araber, die Nordafrikaner) würden „uns“ Probleme bereiten – weil sie Muslime seien. Der Islam gilt diesem Diskurs nicht mehr bloß als Glaubensbekenntnis, zu dem sich jemand bekennen mag oder auch nicht, sondern als eine Art „Natureigenschaft“ von Türken, Arabern oder Iranern.
Allerdings gehen die – wohlwollenden und weltoffenen – linken und liberalen Gegner des neuen Rassismus, statt die falsche, weil fixe Verknüpfung zwischen einem Glaubensbekenntnis und bestimmten Individuen und Gesellschaften zu dekonstruieren, von den selben Identitätskonstruktionen aus wie die Rassisten. So wurde, um ein Beispiel zu nennen, Muna Duzdar, Staatssekretärin unter Christian Kern, die sich als nicht-praktizierende Muslima bezeichnete, gerade auch von linksliberalen Medien regelmäßig darauf reduziert, „das erste Regierungsmitglied muslimischen Glaubens“ zu sein. Sie erwiderte oft, sie sei ja auch die erste Kaisermühlnerin in der Bundesregierung, das sei zwar bemerkenswert, aber nicht die Hauptsache. Dennoch wurde sie, die unter anderem für Digitalisierung und Beamte zuständig war, fast ausschließlich zu Themen wie Kopftuch oder Terrorismus befragt. Es wurde ihr, anders gesagt, die Kompetenz abgesprochen, für etwas anders als „für den Islam“ zuständig zu sein.
Ebene diese „volle Identifizierung“ von Individuen mit dem Islam drückt sich auch in Begriffen wie „Islamophobie“ aus. Wer nicht müde wird, „Islamophobie“ als rassistisch zu bezeichnen oder den neuen Rassismus als „antimuslimisch“ zu etikettieren, erklärt den Islam, ohne es selbst zu bemerken, zu einer quasi genetischen Eigenschaft von Arabern, Türken oder Iranern. Eine ihrerseits zutiefst rassistische Position. Und reproduziert, statt sie zu bekämpfen, die rassistische Ideologie der „vollen Identität“ zwischen Individuen und der Kategorie Islam.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Die Positionen der Rechten Muslimen gegenüber sind tatsächlich rassistisch. Inwiefern sie das sind – diese Frage kann der aktuelle linke und liberale Diskurs aber nicht beantworten. Denn per se kann weder die Kritik an einer Glaubenslehre noch der Hass auf Anhänger einer Glaubens-gemeinschaft rassistisch sein, auch wenn letzterer genauso abzulehnen wäre wie Rassismus. Rassistisch ist einzig jene Ideologie der „vollen Identifizierung“ mit dem Islam, die rechte Rassisten mit linken und liberalen „Antirassisten“ teilen.
Übrigens: Dass Muslime heute in den liberalen Demokratien des Westens weit mehr Religionsfreiheit genießen als in vielen islamisch geprägten Ländern (man denke an die Unterdrückung von Schiiten im wahhabitischen Saudi–Arabien oder der Aleviten in der Türkei) ist nicht etwa das Resultat eines interreligiösen Friedensvertrags zwischen dem Christentum und dem Islam, sondern der Emanzipation der Gesellschaft von Religion. Eine Emanzipation, die undenkbar wäre, ohne die radikale Religionskritik der Aufklärer des 18. Jahrhunderts. Dass falsche Begriffe wie „Islamophobie“ Religionskritik – somit jene Emanzipation der Gesellschaft von Religion – hintertreiben, auf die auch die Religionsfreiheit der Muslime in westlichen Demokratien gründet, ist eine der seltsamen Paradoxien der aktuellen Islam–Debatte.
Die Gleichung „Islamophobie“ = der neue Antisemitismus beruht auf der Annahme, dass es sich sowohl beim Antisemitismus als auch bei „Islamophobie“ um Rassismus handeln würde, so dass es berechtigt wäre, beide Begriffe miteinander zu identifizieren. Die falsche Verknüpfung von „Islamophobie“ und Rassismus hat uns gerade beschäftigt. Aber: Ist Antisemitismus gleich Rassismus?
Wie Moishe Postones Analysen zeigen, ist der moderne Antisemitismus – auch wenn es hier Berührungspunkte geben mag – weder eine „Unterbateilung des Rassismus“ noch ein bloßes „Vorurteil gegen Juden“, sondern eine umfassende Weltanschauung, in der sich verschiedene Aspekte des Unbehagens an der Moderne und am Kapitalismus bündeln und „erklärt“ werden. Eine Weltanschauung, die dem Antisemiten nicht bloß eine Erklärung sondern auch die Anleitung zur Erlösung bietet: Die Überwindung alles Bösen durch die Eliminierung der Juden.
Mit dem Antisemitismus ist der neue rechte Diskurs aber auch deshalb nicht vergleichbar, weil der Antisemit den Juden vorwirft, keine „echten Österreicher“ oder Deutsche zu sein, während der Neorassist den Muslimen, im Gegenteil, „volle Identität“ mit ihrer Gemeinschaft zuschreibt. Und sie hasst, weil er ihnen diese vermeintliche volle Identität heimlich neidet.