Warum wir über
den Islam nicht
reden können (9)
"DEN Islam gibt es nicht!" - und DIE Semmel schon gar nicht
Die Abwehrmechanismen, die das Reden über den Islam zu unterbinden versuchen, erschöpfen sich nicht in diversen Anwendungen des
Dodo-Prinzips. Am häufigsten werden kritische Äußerungen über den Islam – und seien sie noch so zart formuliert – mit der Formel „Den Islam gibt es nicht!“ gekontert. Wahrscheinlich der häufigste Satz in deutschsprachigen Islam-Debatten. "Den Islam gibt es nicht!" meint vordergründig, daß der Islam kein monolithisches Phänomen ist, daß es verschiedene Lesarten des Islams geben kann, daß Moslems in Bosnien einen „liberaleren Islam“ leben als jene in Saudi-Arabien usw.
"DEN Islam gibt es nicht!" - und DIE Semmel schon gar nicht
Die Abwehrmechanismen, die das Reden über den Islam zu unterbinden versuchen, erschöpfen sich nicht in diversen Anwendungen des
Dodo-Prinzips. Am häufigsten werden kritische Äußerungen über den Islam – und seien sie noch so zart formuliert – mit der Formel „Den Islam gibt es nicht!“ gekontert. Wahrscheinlich der häufigste Satz in deutschsprachigen Islam-Debatten. "Den Islam gibt es nicht!" meint vordergründig, daß der Islam kein monolithisches Phänomen ist, daß es verschiedene Lesarten des Islams geben kann, daß Moslems in Bosnien einen „liberaleren Islam“ leben als jene in Saudi-Arabien usw.
Der Hinweis auf diese Selbstverständlichkeiten scheint die Ermahnung zu enthalten, nicht über „den Islam“ zu reden, da der Begriff Islam zu abstrakt, resp. zu allgemein sei – eine harmlose Ermahnung, möchte man meinen.
Es stellt sich aber die Frage, ob es in unserer Sprache überhaupt Begriffe gibt, auf die eine solche Formel nicht zutrifft. Denn mit demselben Recht - oder Unrecht -, mit dem ich sagen kann: „Den Islam gibt es nicht!“ kann ich natürlich auch sagen: „Das Fahrrad/ den Fisch/ die Frau/ die Demokratie usw. … gibt es nicht!“. So daß ich auch über alle diese Begriffe nicht reden dürfte - d.h. über überhaupt keinen Begriff. Mehr noch: Dieses Verbot müßte nicht bloß für Begriffe, sondern auch für konkrete Personen oder Gegenstände gelten – sodaß wir überhaupt aufhören müßten zu reden. Folge ich der Logik von "Den Islam gibt es nicht!" könnte ich auch über Freund Erwin und diese Semmel auf dem Teller nicht reden. Denn auch "den Erwin" gibt es nicht: In zehn Jahren wird "der Erwin" ein ganz anderer sein - ganz zu schweigen von "der Semmel" auf dem Teller.
Um der Absurdität solcher Konsequenzen zu entkommen, könnte ein Verteidiger der Formel "Den Islam gibt es nicht!" argumentieren, es ginge darum, über den Islam in differenzierter Weise zu reden. Man solle eben nicht über "den Islam" reden - das sei nicht konkret genug -, sondern zum Beispiel über den bosnischen Islam oder den saudiarabischen Islam. In diesem Fall würde sich allerdings die Frage stellen, ob die Einheiten „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ klein genug bzw. die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ konkret genug sind, um sinnvoll über sie reden zu können. Denn, wenn es "den Islam" nicht gibt, könnte es ja sein, daß es auch "den bosnischen" und "den saudiarabischen Islam" nicht gibt.
Entscheidender ist aber, daß wir über die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ überhaupt nichts sagen können, solange wir über „den Islam“ nichts wissen, d.h. solange wir nicht wissen, was diese beiden Varianten des Islams - neben ihrer Unterschiedlichkeit – gerade verbindet. Über „den Islam“ müßten wir also erst recht reden, also über jenen allgemeineren Begriff, der den spezielleren Begriffen „bosnischer“ und „saudiarabischer Islam“ zugrunde liegt – über genau jenen „den Islam“, den es angeblich nicht gibt.
Vertreter der Formel "Den Islam gibt es nicht!“ spechen im Übrigen unter bestimmten Umständen sehr wohl über "den Islam im allgemeinen". Wenn zum Beispiel in einem Online-Forum der Satz auftaucht: Der Islam hat ein grundsätzliches Problem mit Demokratie, weil Islam Unterwerfung (unter dem Willen Allahs) bedeutet – wohingegen Demokratie auf der Souverenität des Volkswillens gründet, wird früher oder später jemand antworten: „Den Islam gibt es nicht!“, um dann, in einem anderen posting, zu sagen: "Der Islam läßt sich auch liberal interpretieren“, oder „Der Islam ist eine tolerante Religion. Das hat sich während der islamischen Herrschaft über Spanien gezeigt.“ u.ä.
Diese hochselektive Anwendungspraxis weist „Den Islam gibt es nicht!“ als klassische Abwehrformel aus, die nur dann in Stellung gebracht wird, wenn es gilt, Kritik am Islam zu unterbinden – niemals, wenn „positive Aspekte des Islams“ zur Sprache kommen.
… hat nichts mit dem Islam zu tun
Genauso zielgerichtet – und für ihre Zielgerichtetheit blind - verfährt die andere Abwehrformel der Islam-Debatte: „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“. Auch sie kommt nur dann zum Einsatz, wenn es um "negative" bzw." als „negativ“ empfundene Aspekte des Islams geht. Etwa in Debatten über die Stellung der Frau. Die Stellung der Frau im Islam habe überhaupt nichts mit dem Islam zu tun, so ein gängiges „feministisches“ Argument, sehr wohl aber - und sehr viel - mit dem „Patriarchat“ (Interessant wäre an dieser Stelle der Einwand: "Das Patriarchat gibt es nicht!").
Und auch hier gilt, daß die Formel "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!" ihre Gültigkeit in anderen, „positiven“ Zusammenhängen auf einmal verliert. Wenn man zum Beispiel vom mittelalterlichen Transfer antiken Wissens durch die „islamische Wissenschaft“ nach Europa spricht, hat dieser Transfer auf einmal alles mit dem Islam zu tun – und es würde niemandem einfallen zu sagen: "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!".
Was aber verwundert. Nicht bloß, weil es sich hier um den Transfer antiken – und eben nicht „islamischen“ – Wissens handelt. Zu bezweifeln ist auch die Charakteriserung der Träger dieses Transfers als „islamisch“. Jemanden, wie den iranischen Philosophen und Naturwissenschaftler Zacharias Rases „islamisch“ zu nennen, ist genauso absurd, wie die Bezeichnung von Marx, Nietzsche oder Freud als „christliche Denker“. Rases war zwar Theist, aber kein Moslem. Er lehnte das Konzept der göttlichen Offenbarung gänzlich ab. Andere für diesen Zusammenhang wichtige Denker, wie etwa Avicenna oder Farabi, waren zwar Moslems - ob ihr Beitrag zum besagen Transfer antiken Wissens mit dem Islam zu tun hatte, darf aber bezweifelt werden. Beide versuchten (verzweifelt) die antike Philosophie mit den Lehren des Islams in Einklang zu bringen. Vergebens, wie der – in diesem Fall zu Recht - als islamisch zu bezeichnende Denker Ghazali in seiner Destructio philosophorum mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten darlegt: In ihrem Bemühen die Lehren des Islams an die Philosophie der Griechen anzupassen, wären Avicenna, Farabi und die anderen „islamischen Philosophen“ vom Islam abgefallen.
Während sie also Phänomene, die tatsächlich nichts mit dem Islam zu tun haben - oder bei denen der Islam eher die Rolle eines Hindernisses gespielt hat, wie bei jenem Kulturtransfer - , mühelos dem Islam einverleiben, behaupten Vertreter der Formel „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“ auf der anderen Seite, die Stellung der Frau im Islam habe nichts mit dem Islam zu tun.
Von solchen Abwehrformeln geht gerade wegen ihrer Absurdität eine hypnotische Kraft aus, die für das Offensichtliche blind macht, das Denken vernebelt und den Diskurs über den Islam, wo sie ihn nicht gänzlich verunmöglicht, lahmlegt.
Die Notwendigkeit, über den Islam zu reden, bedarf keiner Begründung. Die Bedingungen der Unmöglichkeit dieses Redens zu analysieren, ist die Bedingung seiner Möglichkeit.
Es stellt sich aber die Frage, ob es in unserer Sprache überhaupt Begriffe gibt, auf die eine solche Formel nicht zutrifft. Denn mit demselben Recht - oder Unrecht -, mit dem ich sagen kann: „Den Islam gibt es nicht!“ kann ich natürlich auch sagen: „Das Fahrrad/ den Fisch/ die Frau/ die Demokratie usw. … gibt es nicht!“. So daß ich auch über alle diese Begriffe nicht reden dürfte - d.h. über überhaupt keinen Begriff. Mehr noch: Dieses Verbot müßte nicht bloß für Begriffe, sondern auch für konkrete Personen oder Gegenstände gelten – sodaß wir überhaupt aufhören müßten zu reden. Folge ich der Logik von "Den Islam gibt es nicht!" könnte ich auch über Freund Erwin und diese Semmel auf dem Teller nicht reden. Denn auch "den Erwin" gibt es nicht: In zehn Jahren wird "der Erwin" ein ganz anderer sein - ganz zu schweigen von "der Semmel" auf dem Teller.
Um der Absurdität solcher Konsequenzen zu entkommen, könnte ein Verteidiger der Formel "Den Islam gibt es nicht!" argumentieren, es ginge darum, über den Islam in differenzierter Weise zu reden. Man solle eben nicht über "den Islam" reden - das sei nicht konkret genug -, sondern zum Beispiel über den bosnischen Islam oder den saudiarabischen Islam. In diesem Fall würde sich allerdings die Frage stellen, ob die Einheiten „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ klein genug bzw. die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ konkret genug sind, um sinnvoll über sie reden zu können. Denn, wenn es "den Islam" nicht gibt, könnte es ja sein, daß es auch "den bosnischen" und "den saudiarabischen Islam" nicht gibt.
Entscheidender ist aber, daß wir über die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ überhaupt nichts sagen können, solange wir über „den Islam“ nichts wissen, d.h. solange wir nicht wissen, was diese beiden Varianten des Islams - neben ihrer Unterschiedlichkeit – gerade verbindet. Über „den Islam“ müßten wir also erst recht reden, also über jenen allgemeineren Begriff, der den spezielleren Begriffen „bosnischer“ und „saudiarabischer Islam“ zugrunde liegt – über genau jenen „den Islam“, den es angeblich nicht gibt.
Vertreter der Formel "Den Islam gibt es nicht!“ spechen im Übrigen unter bestimmten Umständen sehr wohl über "den Islam im allgemeinen". Wenn zum Beispiel in einem Online-Forum der Satz auftaucht: Der Islam hat ein grundsätzliches Problem mit Demokratie, weil Islam Unterwerfung (unter dem Willen Allahs) bedeutet – wohingegen Demokratie auf der Souverenität des Volkswillens gründet, wird früher oder später jemand antworten: „Den Islam gibt es nicht!“, um dann, in einem anderen posting, zu sagen: "Der Islam läßt sich auch liberal interpretieren“, oder „Der Islam ist eine tolerante Religion. Das hat sich während der islamischen Herrschaft über Spanien gezeigt.“ u.ä.
Diese hochselektive Anwendungspraxis weist „Den Islam gibt es nicht!“ als klassische Abwehrformel aus, die nur dann in Stellung gebracht wird, wenn es gilt, Kritik am Islam zu unterbinden – niemals, wenn „positive Aspekte des Islams“ zur Sprache kommen.
… hat nichts mit dem Islam zu tun
Genauso zielgerichtet – und für ihre Zielgerichtetheit blind - verfährt die andere Abwehrformel der Islam-Debatte: „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“. Auch sie kommt nur dann zum Einsatz, wenn es um "negative" bzw." als „negativ“ empfundene Aspekte des Islams geht. Etwa in Debatten über die Stellung der Frau. Die Stellung der Frau im Islam habe überhaupt nichts mit dem Islam zu tun, so ein gängiges „feministisches“ Argument, sehr wohl aber - und sehr viel - mit dem „Patriarchat“ (Interessant wäre an dieser Stelle der Einwand: "Das Patriarchat gibt es nicht!").
Und auch hier gilt, daß die Formel "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!" ihre Gültigkeit in anderen, „positiven“ Zusammenhängen auf einmal verliert. Wenn man zum Beispiel vom mittelalterlichen Transfer antiken Wissens durch die „islamische Wissenschaft“ nach Europa spricht, hat dieser Transfer auf einmal alles mit dem Islam zu tun – und es würde niemandem einfallen zu sagen: "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!".
Was aber verwundert. Nicht bloß, weil es sich hier um den Transfer antiken – und eben nicht „islamischen“ – Wissens handelt. Zu bezweifeln ist auch die Charakteriserung der Träger dieses Transfers als „islamisch“. Jemanden, wie den iranischen Philosophen und Naturwissenschaftler Zacharias Rases „islamisch“ zu nennen, ist genauso absurd, wie die Bezeichnung von Marx, Nietzsche oder Freud als „christliche Denker“. Rases war zwar Theist, aber kein Moslem. Er lehnte das Konzept der göttlichen Offenbarung gänzlich ab. Andere für diesen Zusammenhang wichtige Denker, wie etwa Avicenna oder Farabi, waren zwar Moslems - ob ihr Beitrag zum besagen Transfer antiken Wissens mit dem Islam zu tun hatte, darf aber bezweifelt werden. Beide versuchten (verzweifelt) die antike Philosophie mit den Lehren des Islams in Einklang zu bringen. Vergebens, wie der – in diesem Fall zu Recht - als islamisch zu bezeichnende Denker Ghazali in seiner Destructio philosophorum mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten darlegt: In ihrem Bemühen die Lehren des Islams an die Philosophie der Griechen anzupassen, wären Avicenna, Farabi und die anderen „islamischen Philosophen“ vom Islam abgefallen.
Während sie also Phänomene, die tatsächlich nichts mit dem Islam zu tun haben - oder bei denen der Islam eher die Rolle eines Hindernisses gespielt hat, wie bei jenem Kulturtransfer - , mühelos dem Islam einverleiben, behaupten Vertreter der Formel „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“ auf der anderen Seite, die Stellung der Frau im Islam habe nichts mit dem Islam zu tun.
Von solchen Abwehrformeln geht gerade wegen ihrer Absurdität eine hypnotische Kraft aus, die für das Offensichtliche blind macht, das Denken vernebelt und den Diskurs über den Islam, wo sie ihn nicht gänzlich verunmöglicht, lahmlegt.
Die Notwendigkeit, über den Islam zu reden, bedarf keiner Begründung. Die Bedingungen der Unmöglichkeit dieses Redens zu analysieren, ist die Bedingung seiner Möglichkeit.
Ende