Warum wir über
den Islam nicht
reden können (9)
"DEN Islam gibt es nicht!" - und DIE Semmel schon gar nicht
Die Abwehrmechanismen, die das Reden über den Islam zu unterbinden versuchen, erschöpfen sich nicht in diversen Anwendungen des
Dodo-Prinzips. Am häufigsten werden kritische Äußerungen über den Islam – und seien sie noch so zart formuliert – mit der Formel „Den Islam gibt es nicht!“ gekontert. Wahrscheinlich der häufigste Satz in deutschsprachigen Islam-Debatten. "Den Islam gibt es nicht!" meint vordergründig, daß der Islam kein monolithisches Phänomen ist, daß es verschiedene Lesarten des Islams geben kann, daß Moslems in Bosnien einen „liberaleren Islam“ leben als jene in Saudi-Arabien usw.
"DEN Islam gibt es nicht!" - und DIE Semmel schon gar nicht
Die Abwehrmechanismen, die das Reden über den Islam zu unterbinden versuchen, erschöpfen sich nicht in diversen Anwendungen des
Dodo-Prinzips. Am häufigsten werden kritische Äußerungen über den Islam – und seien sie noch so zart formuliert – mit der Formel „Den Islam gibt es nicht!“ gekontert. Wahrscheinlich der häufigste Satz in deutschsprachigen Islam-Debatten. "Den Islam gibt es nicht!" meint vordergründig, daß der Islam kein monolithisches Phänomen ist, daß es verschiedene Lesarten des Islams geben kann, daß Moslems in Bosnien einen „liberaleren Islam“ leben als jene in Saudi-Arabien usw.
Der Hinweis auf diese Selbstverständlichkeiten scheint die Ermahnung zu enthalten, nicht über „den Islam“ zu reden, da der Begriff Islam zu abstrakt, resp. zu allgemein sei – eine harmlose Ermahnung, möchte man meinen.
Es stellt sich aber die Frage, ob es in unserer Sprache überhaupt Begriffe gibt, auf die eine solche Formel nicht zutrifft. Denn mit demselben Recht - oder Unrecht -, mit dem ich sagen kann: „Den Islam gibt es nicht!“ kann ich natürlich auch sagen: „Das Fahrrad/ den Fisch/ die Frau/ die Demokratie usw. … gibt es nicht!“. So daß ich auch über alle diese Begriffe nicht reden dürfte - d.h. über überhaupt keinen Begriff. Mehr noch: Dieses Verbot müßte nicht bloß für Begriffe, sondern auch für konkrete Personen oder Gegenstände gelten – sodaß wir überhaupt aufhören müßten zu reden. Folge ich der Logik von "Den Islam gibt es nicht!" könnte ich auch über Freund Erwin und diese Semmel auf dem Teller nicht reden. Denn auch "den Erwin" gibt es nicht: In zehn Jahren wird "der Erwin" ein ganz anderer sein - ganz zu schweigen von "der Semmel" auf dem Teller.
Um der Absurdität solcher Konsequenzen zu entkommen, könnte ein Verteidiger der Formel "Den Islam gibt es nicht!" argumentieren, es ginge darum, über den Islam in differenzierter Weise zu reden. Man solle eben nicht über "den Islam" reden - das sei nicht konkret genug -, sondern zum Beispiel über den bosnischen Islam oder den saudiarabischen Islam. In diesem Fall würde sich allerdings die Frage stellen, ob die Einheiten „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ klein genug bzw. die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ konkret genug sind, um sinnvoll über sie reden zu können. Denn, wenn es "den Islam" nicht gibt, könnte es ja sein, daß es auch "den bosnischen" und "den saudiarabischen Islam" nicht gibt.
Entscheidender ist aber, daß wir über die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ überhaupt nichts sagen können, solange wir über „den Islam“ nichts wissen, d.h. solange wir nicht wissen, was diese beiden Varianten des Islams - neben ihrer Unterschiedlichkeit – gerade verbindet. Über „den Islam“ müßten wir also erst recht reden, also über jenen allgemeineren Begriff, der den spezielleren Begriffen „bosnischer“ und „saudiarabischer Islam“ zugrunde liegt – über genau jenen „den Islam“, den es angeblich nicht gibt.
Vertreter der Formel "Den Islam gibt es nicht!“ spechen im Übrigen unter bestimmten Umständen sehr wohl über "den Islam im allgemeinen". Wenn zum Beispiel in einem Online-Forum der Satz auftaucht: Der Islam hat ein grundsätzliches Problem mit Demokratie, weil Islam Unterwerfung (unter dem Willen Allahs) bedeutet – wohingegen Demokratie auf der Souverenität des Volkswillens gründet, wird früher oder später jemand antworten: „Den Islam gibt es nicht!“, um dann, in einem anderen posting, zu sagen: "Der Islam läßt sich auch liberal interpretieren“, oder „Der Islam ist eine tolerante Religion. Das hat sich während der islamischen Herrschaft über Spanien gezeigt.“ u.ä.
Diese hochselektive Anwendungspraxis weist „Den Islam gibt es nicht!“ als klassische Abwehrformel aus, die nur dann in Stellung gebracht wird, wenn es gilt, Kritik am Islam zu unterbinden – niemals, wenn „positive Aspekte des Islams“ zur Sprache kommen.
… hat nichts mit dem Islam zu tun
Genauso zielgerichtet – und für ihre Zielgerichtetheit blind - verfährt die andere Abwehrformel der Islam-Debatte: „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“. Auch sie kommt nur dann zum Einsatz, wenn es um "negative" bzw." als „negativ“ empfundene Aspekte des Islams geht. Etwa in Debatten über die Stellung der Frau. Die Stellung der Frau im Islam habe überhaupt nichts mit dem Islam zu tun, so ein gängiges „feministisches“ Argument, sehr wohl aber - und sehr viel - mit dem „Patriarchat“ (Interessant wäre an dieser Stelle der Einwand: "Das Patriarchat gibt es nicht!").
Und auch hier gilt, daß die Formel "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!" ihre Gültigkeit in anderen, „positiven“ Zusammenhängen auf einmal verliert. Wenn man zum Beispiel vom mittelalterlichen Transfer antiken Wissens durch die „islamische Wissenschaft“ nach Europa spricht, hat dieser Transfer auf einmal alles mit dem Islam zu tun – und es würde niemandem einfallen zu sagen: "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!".
Was aber verwundert. Nicht bloß, weil es sich hier um den Transfer antiken – und eben nicht „islamischen“ – Wissens handelt. Zu bezweifeln ist auch die Charakteriserung der Träger dieses Transfers als „islamisch“. Jemanden, wie den iranischen Philosophen und Naturwissenschaftler Zacharias Rases „islamisch“ zu nennen, ist genauso absurd, wie die Bezeichnung von Marx, Nietzsche oder Freud als „christliche Denker“. Rases war zwar Theist, aber kein Moslem. Er lehnte das Konzept der göttlichen Offenbarung gänzlich ab. Andere für diesen Zusammenhang wichtige Denker, wie etwa Avicenna oder Farabi, waren zwar Moslems - ob ihr Beitrag zum besagen Transfer antiken Wissens mit dem Islam zu tun hatte, darf aber bezweifelt werden. Beide versuchten (verzweifelt) die antike Philosophie mit den Lehren des Islams in Einklang zu bringen. Vergebens, wie der – in diesem Fall zu Recht - als islamisch zu bezeichnende Denker Ghazali in seiner Destructio philosophorum mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten darlegt: In ihrem Bemühen die Lehren des Islams an die Philosophie der Griechen anzupassen, wären Avicenna, Farabi und die anderen „islamischen Philosophen“ vom Islam abgefallen.
Während sie also Phänomene, die tatsächlich nichts mit dem Islam zu tun haben - oder bei denen der Islam eher die Rolle eines Hindernisses gespielt hat, wie bei jenem Kulturtransfer - , mühelos dem Islam einverleiben, behaupten Vertreter der Formel „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“ auf der anderen Seite, die Stellung der Frau im Islam habe nichts mit dem Islam zu tun.
Von solchen Abwehrformeln geht gerade wegen ihrer Absurdität eine hypnotische Kraft aus, die für das Offensichtliche blind macht, das Denken vernebelt und den Diskurs über den Islam, wo sie ihn nicht gänzlich verunmöglicht, lahmlegt.
Die Notwendigkeit, über den Islam zu reden, bedarf keiner Begründung. Die Bedingungen der Unmöglichkeit dieses Redens zu analysieren, ist die Bedingung seiner Möglichkeit.
Es stellt sich aber die Frage, ob es in unserer Sprache überhaupt Begriffe gibt, auf die eine solche Formel nicht zutrifft. Denn mit demselben Recht - oder Unrecht -, mit dem ich sagen kann: „Den Islam gibt es nicht!“ kann ich natürlich auch sagen: „Das Fahrrad/ den Fisch/ die Frau/ die Demokratie usw. … gibt es nicht!“. So daß ich auch über alle diese Begriffe nicht reden dürfte - d.h. über überhaupt keinen Begriff. Mehr noch: Dieses Verbot müßte nicht bloß für Begriffe, sondern auch für konkrete Personen oder Gegenstände gelten – sodaß wir überhaupt aufhören müßten zu reden. Folge ich der Logik von "Den Islam gibt es nicht!" könnte ich auch über Freund Erwin und diese Semmel auf dem Teller nicht reden. Denn auch "den Erwin" gibt es nicht: In zehn Jahren wird "der Erwin" ein ganz anderer sein - ganz zu schweigen von "der Semmel" auf dem Teller.
Um der Absurdität solcher Konsequenzen zu entkommen, könnte ein Verteidiger der Formel "Den Islam gibt es nicht!" argumentieren, es ginge darum, über den Islam in differenzierter Weise zu reden. Man solle eben nicht über "den Islam" reden - das sei nicht konkret genug -, sondern zum Beispiel über den bosnischen Islam oder den saudiarabischen Islam. In diesem Fall würde sich allerdings die Frage stellen, ob die Einheiten „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ klein genug bzw. die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ konkret genug sind, um sinnvoll über sie reden zu können. Denn, wenn es "den Islam" nicht gibt, könnte es ja sein, daß es auch "den bosnischen" und "den saudiarabischen Islam" nicht gibt.
Entscheidender ist aber, daß wir über die Begriffe „bosnischer Islam“ und „saudiarabischer Islam“ überhaupt nichts sagen können, solange wir über „den Islam“ nichts wissen, d.h. solange wir nicht wissen, was diese beiden Varianten des Islams - neben ihrer Unterschiedlichkeit – gerade verbindet. Über „den Islam“ müßten wir also erst recht reden, also über jenen allgemeineren Begriff, der den spezielleren Begriffen „bosnischer“ und „saudiarabischer Islam“ zugrunde liegt – über genau jenen „den Islam“, den es angeblich nicht gibt.
Vertreter der Formel "Den Islam gibt es nicht!“ spechen im Übrigen unter bestimmten Umständen sehr wohl über "den Islam im allgemeinen". Wenn zum Beispiel in einem Online-Forum der Satz auftaucht: Der Islam hat ein grundsätzliches Problem mit Demokratie, weil Islam Unterwerfung (unter dem Willen Allahs) bedeutet – wohingegen Demokratie auf der Souverenität des Volkswillens gründet, wird früher oder später jemand antworten: „Den Islam gibt es nicht!“, um dann, in einem anderen posting, zu sagen: "Der Islam läßt sich auch liberal interpretieren“, oder „Der Islam ist eine tolerante Religion. Das hat sich während der islamischen Herrschaft über Spanien gezeigt.“ u.ä.
Diese hochselektive Anwendungspraxis weist „Den Islam gibt es nicht!“ als klassische Abwehrformel aus, die nur dann in Stellung gebracht wird, wenn es gilt, Kritik am Islam zu unterbinden – niemals, wenn „positive Aspekte des Islams“ zur Sprache kommen.
… hat nichts mit dem Islam zu tun
Genauso zielgerichtet – und für ihre Zielgerichtetheit blind - verfährt die andere Abwehrformel der Islam-Debatte: „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“. Auch sie kommt nur dann zum Einsatz, wenn es um "negative" bzw." als „negativ“ empfundene Aspekte des Islams geht. Etwa in Debatten über die Stellung der Frau. Die Stellung der Frau im Islam habe überhaupt nichts mit dem Islam zu tun, so ein gängiges „feministisches“ Argument, sehr wohl aber - und sehr viel - mit dem „Patriarchat“ (Interessant wäre an dieser Stelle der Einwand: "Das Patriarchat gibt es nicht!").
Und auch hier gilt, daß die Formel "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!" ihre Gültigkeit in anderen, „positiven“ Zusammenhängen auf einmal verliert. Wenn man zum Beispiel vom mittelalterlichen Transfer antiken Wissens durch die „islamische Wissenschaft“ nach Europa spricht, hat dieser Transfer auf einmal alles mit dem Islam zu tun – und es würde niemandem einfallen zu sagen: "Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun!".
Was aber verwundert. Nicht bloß, weil es sich hier um den Transfer antiken – und eben nicht „islamischen“ – Wissens handelt. Zu bezweifeln ist auch die Charakteriserung der Träger dieses Transfers als „islamisch“. Jemanden, wie den iranischen Philosophen und Naturwissenschaftler Zacharias Rases „islamisch“ zu nennen, ist genauso absurd, wie die Bezeichnung von Marx, Nietzsche oder Freud als „christliche Denker“. Rases war zwar Theist, aber kein Moslem. Er lehnte das Konzept der göttlichen Offenbarung gänzlich ab. Andere für diesen Zusammenhang wichtige Denker, wie etwa Avicenna oder Farabi, waren zwar Moslems - ob ihr Beitrag zum besagen Transfer antiken Wissens mit dem Islam zu tun hatte, darf aber bezweifelt werden. Beide versuchten (verzweifelt) die antike Philosophie mit den Lehren des Islams in Einklang zu bringen. Vergebens, wie der – in diesem Fall zu Recht - als islamisch zu bezeichnende Denker Ghazali in seiner Destructio philosophorum mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten darlegt: In ihrem Bemühen die Lehren des Islams an die Philosophie der Griechen anzupassen, wären Avicenna, Farabi und die anderen „islamischen Philosophen“ vom Islam abgefallen.
Während sie also Phänomene, die tatsächlich nichts mit dem Islam zu tun haben - oder bei denen der Islam eher die Rolle eines Hindernisses gespielt hat, wie bei jenem Kulturtransfer - , mühelos dem Islam einverleiben, behaupten Vertreter der Formel „Das hat doch mit dem Islam nichts zu tun!“ auf der anderen Seite, die Stellung der Frau im Islam habe nichts mit dem Islam zu tun.
Von solchen Abwehrformeln geht gerade wegen ihrer Absurdität eine hypnotische Kraft aus, die für das Offensichtliche blind macht, das Denken vernebelt und den Diskurs über den Islam, wo sie ihn nicht gänzlich verunmöglicht, lahmlegt.
Die Notwendigkeit, über den Islam zu reden, bedarf keiner Begründung. Die Bedingungen der Unmöglichkeit dieses Redens zu analysieren, ist die Bedingung seiner Möglichkeit.
Ende
7 Kommentare:
Das ist so ziemlich das Beste und Erhellenste, was ich in der letzten Zeit zu diesem Thema gelesen habe, danke! Wirklich eine sehr kluge, scharfsinnige Abhandlung, die den Finger auf die wunden Stellen des verhinderten Islam-Diskurs legt und sich nicht, wie viele andere, in selbstgefälligen Intellektualisierereien verliert.
Ist es nicht erstaunlich, wie subtil und gleichzeitig umfassend die Wirkung von Tabus ist? Die peinliche Atmosphäre beim Zitieren von Koranversen z.B., dieses angespannte Unbehagen, das habe ich auch schon erlebt. Da sitzt etwas "tief in den Zellen", ist so mächtig weil unbewusst. Eine Angst, klar.
Und dass diese Denk- und Beißhemmung bei allem, was Religion betrifft so übermächtig ist unabhängig von der jeweiligen Religiosität ist doch auch erstaunlich! Auch viele (zumindest deutsche) Atheisten scheinen mir in ihrem Antisein noch voll gefangen, verbeißen sich scheuklappenmäßig in emotions- und ressentimentgeladene Christentumskritik und sind auf dem Islam-Auge in guter linksideologischer Tradition blind. Wirklich religionsbefreit ist das oft nicht...
Was ich aber nicht verstehe ist, warum du (einfach mal internetüblich geduzt ;-) ) in Teil 2 erst die Begriffe Kultur, Nation, Rasse voneinander trennst, um dann doch in Teil 3 von "Kulturrassismus" zu sprechen, -hinter dem (jedem?) Kultur-Diskurs einen Rassismusdiskurs vermutend und anklagend?
Ja, der Anti-Islam-Diskurs sollte möglich sein ohne seinerseits rassistische Ressentiments zu bedienen und auch ohne von der Gegenseite des Rassismus verdächtigt zu werden, klar. Aber gilt das nicht genauso für jeden Anti-Kultur-Diskurs?
Auch das Reden über Vorzüge und Humanität unterschiedlicher Kulturen sollte doch enttabuisiert werden und von einem Ressentiment-Diskurs getrennt. Dass sich beide nur allzuoft vermischen ist nicht abzustreiten, ähnlich eben wie der Anti-Islam-Diskurs und der Rassismus-Diskurs, wird sich aber nicht ändern, wenn man nicht auch dieses Tabu erkennt und "knackt". Der grassierende Kulturrelativismus ist doch eine ebenso große "Alle sind gleich"-Vernebelungsstrategie, genauso ein Caucus-Rennen wie das der Religionen!?
Aber vermutlich habe ich da einfach etwas nicht richtig verstanden?
Liebe Barbara
(ich nehme die Möglichkeit des „Internet-Duzens“ gerne in Anspruch!),
Vielen Dank für Deinen Kommentar und die lobenden Worte.
Und bitte entschuldige die verzögerte Antwort – habe Deinen Kommentar jetzt erst entdeckt.
Zum „kulturellen Rassismus“: Dazu habe ich mich möglicherweise nicht klar genug, oder nicht ausführlich genug, geäußert. Vielleicht gibt es hier aber auch einen (mir verborgenen) Denkfehler meinerseits, der sich - falls vorhanden - im Laufe unseres Diskussion hoffentlich aufklären wird.
Ich schrieb im 2. Teil des Essays:
„Diese Art von […] Rassismus-Kritik geht vom Kpnzept des kulturellen Rassismus aus. Von der richtigen These also, daß heute, da der Begriff Rasse diskreditiert ist, „die Kultur“ oder eben „der Islam“ an seine Stelle treten, um fremdenfeindliche Ressentiments zu transportieren und salonfähig zu machen („Leitkultur“, „christliches Abendland“, „Kampf der Kulturen“). Ende des Zitats
Damit meinte ich, daß versteckte/unbewußte Rassisten, wenn sie von „Kultur“ reden, in Wahrheit (bewußt oder unbewußt) „Rasse“ bzw. Ethnie meinen. Das heißt aber nicht, daß UMGEKEHRT jeder, der von Kultur spricht, ein versteckter Rassist ist.
Anders gesagt: Jeder (versteckte/unbewußte) Rassist, der von „Kultur“ redet, erfüllt das Kriterium des „kulturellen Rassismus“. Umgekehrt ist aber nicht jeder, der von „Kultur“ redet, ein (versteckter/unbewußter) Rassist.
Noch einmal anders: Wo „Kultur“ drauf steht, ist manchmal „Rassismus“ drinnen - aber nicht immer.
Klar ist es im konkreten Einzelfall schwer, zwischen kulturellem Rassismus und der „harmlosen“ Rede von „Kultur“ zu unterscheiden. Aber in der Theorie sollte der Unterschied klar sein.
Damit es komplizierter wird, muß man dazu sagen, daß das Konzept „Kultur“ als solches sehr fragwürdig ist, weil es eben den Einzelnen auf „seine“ „Kultur“ festschreibt und reduziert. Diese Fragwürdigkeit existiert natürlich unabhängig davon, ob „Kultur“ nun als Codewort für „Rasse“ gebraucht wird oder nicht.
Alle Klarheiten beseitigt? ;)
Somit kann ich den 5. Absatz Deines Kommentars, der mit der Frage endet: „Aber gilt das nicht genauo für jeden Anti-Kultur-Diskurs?“ mit „Ja“ beantworten. Allerdings unter Hinzufügung der besagten Fragwürdigkeit jeglichen „Kultur“-Diskurses - und damit auch „Anti-Kultur-Diskurses“ - aufgrund der Fragwürdigkeit des Begriffes „Kultur“ selbst.
Bejahen kann ich natürlich auch die Frage im folgenden, 6. Absatz Deines Kommentars („ Auch das Reden über Vorzüge und Humanität …“).
Wenn Du möchtest können wir die Diskussion gerne per e-mail fortsetzen (wäre bequemer).
Meine e-mail-Adresse: sama.maani@utanet.at
Mich würde sehr interessieren, was Du so machst. Scheinst Dich ja mit den angesprochenen Themen intensiv zu beschäftigen.
Schöne Grüße aus Wien
Sama
Hi,
danke für deine Antwort. Kommt selten genug vor, dass in Blogs wirklich ein Gespräch zustande kommt, - schön.
Ich nehme das Angebot gerne in Anspruch, die Sache per Mail weiter zu beleuchten, brauche dafür allerdings wohl noch etwas Zeit. Bin z.Zt. nicht fit, kann nicht richtig klar denken (nur Matsche im Kopf) und bin eher mit handfesteren Sachen (schlafen und essen) beschäftigt.
...
Was "ich so mache"? Das ist doch immer wieder eine Frage, die mich irritiert: Was soll das bedeuten, beruflich gesehen oder wie oder was? Oder Frage nach irgendwelchen Aktivitäten "zum Thema"..? Neenee, nix besonderes.
Ich lebe mein Leben "ganz normal" (was immer das auch ist ;-)) und versuche, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, ein offenes Herz zu behalten und für das einzutreten, was und wie ich bin. Schnupper mal hier, mal da rein (auch in Blogs z.B.), lasse mich inspirieren oder berühren, gebe meinen Senf ab, wenns mich dazu treibt, .. und lasse mich weitertreiben (oder auch nicht).
Und manche Themen sind mir ein drängendes Anliegen, entweder weil ich davon begeistert bin oder umgetrieben. Das Thema Islam/ismus treibt mich um. Und ehrlich gesagt kann ich gar nicht nachvollziehen, wie das jemand, dem unsere "westlichen Werte" lieb sind, Humanismus, Aufklärung, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Emanzipation ... nicht umtreiben kann. Das verstehe ich nicht. Da sind dann wohl die von dir angesprochenen Tabus im Spiel. Auch das treibt mich um: Wie kann man so eine offensichtliche Gefahr nicht erkennen!?
Aber gut, dafür, dass ich ja eigentlich nur ganz kurz Bescheid geben wollte und vor allem nix zu mir sagen wollte, war das dann doch schon wieder ganz schön viel. So ist das: Wenn ich erst mal am Tippsen bin.. ;-)
Jetzt höre ich aber wirklich auf und melde mich -höchstwahrscheinlich- irgendwann demnächst mal wieder, um das Thema Kultur weiter zu beleuchten. Da hakt nämlich bei mir noch irgendwas..
Okay?
Bis dann,
Barbara
Ich kann mich da nur anschließen - ein brillianter Artikel! Vor allem hat es meine eigene Position klarer gemacht und mir die Augen geöffnet, warum der Islam bei uns sakrosankt erklärt wird. Immer wieder passiert es, dass man als Islamkritiker scharf attackiert wird, in das Eck der rassistischen FPÖ gedrängt wird, und als Verteidigung sozusagen nachschieben muss: "Aber ich bin doch nicht nur gegen den Islam, sondern genauso gegen die anderen das Bewusstsein der Menschen vernebelnden Religionen".
Ich würde mich freuen, wenn du mir weiterführende Literatur zu dem Thema Islam und Religionskritik aus eben jener Position, die sich weder einer kulturrelativistischen Sichtweise noch einem biologisierenden und rassistischen Diskurs (à la Sarrazin) anbiedert, empfehlen könntest!
Denn so gut dein Artikel gelungen ist, so lässt er doch eine Reihe von Fragen offen: Wie soll man als religionskritischer Humanist mit dem Islam in Mitteleuropa umgehen? Was ist explizit als Gefahr für Menschenrechte, humanistische Werte, demokratische Bestrebungen zu sehen? Wie sollen jene potentiell gefährlichen Tendenzen gebändigt werden? Und: Wie geht man im politischen Diskurs mit dem Thema um (und entgeht dem Dilemma der Dichtomisierung in Kulturrelativismus und (Kultur)Rassismus), welche konkreten politischen Positionen lassen daraus ableiten? Und was ist nun mit der Idee, der Islam lasse sich wie das Christentum reformieren bzw. besänftigen?
Erst mal: Vielen Dank für das Lob! Und Danke auch für die vielen Fragen - die ich wohl großteils nicht werde beantworten können, die ich aber für sehr wichtig halte. Es scheint Dir ja vor allem darum zu gehen, was nun konkret zu tun sei.
nachdem wir jetzt auf facebook befreudnet sind, werde ich Dir am besten, sobald ich dazu komme, dort antworten. Noch besser wäre es, wenn Du mir (hier oder via Nachricht auf Facebook) Deine e-mail-Adresse zukommen lassen würdest.
Schöne Grüße von Wien nach Graz,
Sama
@Tobias Brugger
Obwohl ich nicht weiß, wie weit ihr mit eurem Dialog inzwischen gekommen seid und ich ja reichlich spät dran bin, möchte ich doch ein paar Worte zu deinem Posting sagen. Vor allem zu der Frage, wie "man als religionskritischer Humanist mit dem Islam in Mitteleuropa umgehen soll".
Soll ich dir was sagen? Schon diese Frage halte ich für latent in die falsche Richtung weisend, weil diese Haltung für mich irgendwie eine besondere Vorsicht in der Herangehensweise / im Umgang mit dem Thema Religion impliziert. Und genau davon müssen wir weg, meiner Meinung nach. In einem säkularen, weitgehend laizistischen Staat darf (bzw. sollte..) einer Religion keine Privilegien gewährt werden.
Es herrscht Religionsfreiheit, klar, die Freiheit des Einzelnen seine Religion zu leben ... solange sie nicht der geltenden säkularen Verfassung und den Gesetzen widerspricht! Religion ist Privatsache, in persönlichen Glauben und Religionsausübung hat, so skurril das im Einzelfall auch sein mag, kein Staat etwas hineinzureden, - allerdings in oben genannten Grenzen.
Religionsfreiheit beinhaltet aber auch das Recht auf Freiheit von Religion, und zwar konsequent auch als Schutz vor jeglichen religiösen Ansprüchen, Sonderrechten, Sonderumgangsformen etc. So wie "Privatsache" bedeutet, dass religiöse Überzeugungen oder Diskurse in politischen Überlegungen und Entscheidungen nichts zu suchen haben. Auf diese Ebene sollten wir uns nicht begeben, wenn wir uns auf dem Boden von Humanismus, Aufklärung, säkularem Staat, Demokratie .. bewegen wollen.
Widerspricht das dem Ansinnen dieses Postings, das Reden über den Islam zu enttabuisieren? Ich denke nicht. Nur sollte uns klar sein, worüber genau wir reden wollen bzw. unbedingt zu reden haben, unter welchem Gesichtspunkt aus wir die Sache betrachten.
Konkret: Es wird ja z.B. viel darüber geredet, ob "der Islam reformierbar ist", ob es so etwas wie eine islamische Aufklärung geben kann. Und dann fängt ein religionswissenschaftliches Auseinandergezerre an, ein Wälzen von Koranzitaten, das Aufeinanderprallen von verschiedenen Deutungs- und Interpretationsmustern etc.
Diese Diskussionen führen meistens ins Leere, wahrscheinlich soll (mein Verdacht) auf diese Weise potentiell gefährliche Kraft abgelenkt und kaltgestellt werden. Und trotzdem mag diese Diskussion interessant sein für denjenigen, der sich betroffen fühlt, der gläubig ist, dem eine Reformation seines Glaubens am Herzen liegt, bwz. der sie unbedingt verhindern will.
Ich jedoch als Ungläubige, Säkulare möchte in solche religionsinterne Diskussionen nicht hineingezogen werden, hier braucht/darf meiner Überzeugung nach keine politische Energie verschwendet werden. Wichtig für mich als (wie du) überzeugte säkulare Humanistin ist nicht der religionsinterne Diskurs sondern die Schnittstelle mit dem öffentlichen Leben. Dies unter dem stetigen Ansinnen, die säkularen Grundwerte zu verteidigen, der Religion (um welche es sich auch handeln mag) hier keinen Fussbreit an Sonderrechten und Privilegien einzuräumen.
In Deutschland sind wir hier mit falsch verstandener Religionsfreiheit und -tabuisierung längst auf dem Weg ins Verderben. Das ist sozusagen die nur allzu logische "Strafe" dafür, dass wir bisher kein konsequent laizistisches Staatsgebilde haben. Höchste Zeit, endlich "die Kurve zu kriegen".
So wurde bereits der Tierschutz (eine große zivilisatorische Errungenschaft!) ausgehebelt im Namen der freien Religionsausübung. Es darf jetzt unter grausamen Bedingungen halal-geschlachtet werden, -unglaublich!
Ein anderes Beispiel ist die Befreiung muslimischer Mädchen von Klassenfahrten oder vom gemeinsamen Schwimmunterricht und die ernsthafte Diskussion um die Teilnahme am Sexualkunde-Unterricht. Ein Skandal, da antiaufklärerisch und antiemanzipatorisch!
Niemals (!) darf Religion bestehendes Gesetz aushebeln oder auch nur in Frage stellen! Niemals darf ein angebliches "Religionsrecht" mehr gelten als öffentliches, säkulares Recht! Niemals darf aus falsch verstandener Religionsfreiheit in beklommener Beisshemmung auf religiöse Belange Rücksicht genommen werden! Keine rosarote Brille oder Augenbinde beim Erkennen von Gefahren!
Oder anders: In allen politischen Fragen, den Umgang mit Gesetzen oder das Treffen von Entscheidungen betreffend, darf es keine Rolle spielen wer das jeweilige Gegenüber (ob religiös motiviert oder nicht) ist. Wie wir mit den "potentiell gefährlichen Tendenzen" des Islam (wie jeder anderen Religion) umgehen sollen? Genauso wie mit potentiell gefährlichen Tendenzen aus anderen Richtungen und Gruppierungen! Und als "konkrete politische Position" wäre endlich eine konsequente Trennung von Kirche und Staat, konsequenter Laizismus angebracht.
Eigentlich ganz einfach (wenn auch nicht leicht), oder?
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