Sonntag, 15. Mai 2011

„Atheisten raus aus dem Gemeindebau!“


Weitere Irrungen und Wirrungen in der Islam-Debatte (2)

Hier die angekündigte Replik auf den ersten Teil von L.O.‘s Kommentar zu Warum wir über den Islam nicht reden können (siehe das vorige post).

Es gilt der Versuchung zu widerstehen, die vielen argumentatorischen und logischen Pannen im Text des Kommentars bloß aufzulisten und zu korrigieren. Denn die Irrungen und Wirrungen in diesem Kommentar sind nicht einfach nur den Idiosynkrasien eines Individuums geschuldet. Sie sind dem aktuellen Islam-Diskurs immanent. Hinter der offenkundigen Unlogik solcher Kommentare muß die Logik des aktuellen Islam-Diskurses nachgezeichnet werden. Eines Diskurses, der - angetrieben von hochwirksamen Denkverboten - auf eine Diskursverhinderung abzielt.

Dennoch müssen die zum Teil bizarren Fehlleistungen des Kommentars in einem ersten Schritt benannt und richtiggestellt werden. Erst daran kann eine Fortführung der in Warum wir über den Islam nicht reden können begonnenen Kritik an jener Logik der Diskursunterbindung anknüpfen.

- Der erste Teil von Warum wir über den Islam nicht reden können gibt nicht, wie der Kommentator vermutet, die Grundlage für alles Spätere ab. Er soll vielmehr zu einem der Denkfiguren des Textes erst hinführen - zu jenem des Ersatzdiskurses. Der Verweis auf den antiarabischen Diskurs im Iran hat die Funktion, dem europäischen Leser - in gebotener Kürze - ein Denkfenster zu öffnen. Der Blick in den fernen iranischen Spiegel soll ihn für die Mechanismen, die den Islam-Diskurs in Europa steuern, sensibilisieren.

Für die hinführende Funktion dieses Arguments ist es im übrigen irrelevant, wie verbreitet jener Ersatzdiskurs im Iran tatsächlich sein mag. Es geht um das Aufzeigen eines Möglichkeitsfelds (siehe auch die weitere Diskussion über den antiarabischen Diskurs im Iran in den folgenden posts) .

- Im Kommentar heißt es:

„Nach Meinung des Verfassers [waren] die Araber“ den Iranern „kulturell weit unterlegen“.

Der Verfasser behauptet dies nirgendwo. Es ist der fiktive iranische Gesprächspartner, der seinen ebenfalls fiktiven europäischen Gesprächspartner „dahingehend aufklärt, daß der kulturell hochstehende Iran im 7. Jahrhundert von den ‚primitiven‘ Arabern erobert wurde“.
Die Rede des fiktiven Iraners von der kulturellen Unterlegenheit der Araber ist für den antiarabischen Diskurs im Iran allerdings repräsentativ. Bezeichnenderweise teilt auch der Kommentator selbst - ein Iraner, der das antiarabische Ressentiment im Iran mit allen möglichen Verrenkungen kleinzureden versucht - diese Meinung. Er schreibt (siehe die folgenden posts in diesem blog): „Die Iraner nahmen, auf wessen [sic] Grund auch immer, Islam an und da sie kulturell und zivilisatorisch den arabischen Nomaden haushoch überlegen waren integrierten sie die neue Religion in ihrer [sic] kulturellen Verdauungssystem“.
Die Frage die man hier an L.O. – sowie an alle Iraner, die einem antiarabischen Diskurs das Wort reden, den antiislamischen Charakter dieses Diskurses aber verleugnen - stellen muß, ist natürlich die folgende: „Wenn denn die Araber den Iranern ‚kulturell und zivilisatorisch haushoch unterlegen waren‘ - wie hast Du’s dann mit dem Islam, der ja (wenn man nicht gerade an seinen göttlichen Ursprung glaubt), genau jenen 'kulturellen und zivilisatorischen Niederungen' entsprungen sein müßte?“

- Im Kommentar heißt es: „Nach Meinung des Verfassers […] zwangen [die Araber die Iraner] ihre eigene Religion aufzugeben und zur [sic] Islam zu konvertieren“.

Auch dies wird im Warum wir über den Islam nicht reden können nirgends behauptet. Es heißt dort vielmehr: „ … daß die Araber den Iranern den Islam gebracht haben“. Die Hintergründe der Konversion der Iraner zum Islam (ein langwieriger Prozeß, der bis etwa 900 n.Chr. andauerte) sind komplex und umstritten - sie können jedenfalls nicht auf „Zwang“ reduziert werden. Zumindest nicht auf „Zwang“ im buchstäblichen Sinn, wie wohl verschiedene Formen des Zwangs eine mehr oder weniger große Rolle gespielt haben mögen.

Die These von der Existenz eines antiarabisch getarnten antiislamischen Diskurses würde im übrigen auch dann nicht an Plausibilität einbüßen, wenn bewiesen wäre, daß die Iraner den Islam ohne jeden direkten oder indirekten (Stichwort: Kopfsteuer) Zwang aus freien Stücken angenommen hätten – eher im Gegenteil. Dies möchte ich anhand eines Vergleiches illustrieren. Nach dem Sieg der islamischen Revolution sprach sich die überwältigende Mehrheit der iranischen Bevölkerung für die Errichtung einer „islamischen Republik“ aus. Viele der damaligen Anhänger dieser islamischen Republik zählen heute zu ihren erbittertsten Gegnern. Die Tatsache, daß sie seinerzeit aus freien Stücken zu Anhängern der Islamischen Republik wurden und zu ihrer Errichtung beigetragen haben, heizt ihre heutige Gegnerschaft gegen das islamische Regime eher noch an, als daß sie diese abmildern würde. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Zwischen den beiden Phänomenen - „spätere Enttäuschung über das islamische Regime nach anfänglicher Begeisterung“ einerseits und der „Konvertierung der Iraner zum Islam“ und dem mehr oder weniger verborgenen antiislamischen Diskurs im Iran andererseits - besteht lediglich eine Strukturverwandschaft. Keineswegs soll eine Identität dieser beiden Phänomenbereiche behauptet werden.

- Der Kommentator schreibt: „Da er [i.e. der Verfasser von Warum wir über den Islam nicht reden können (Anm. von mir)] nun gegen die Gleichung

Islamfeindlichkeit = Rassismus

ins Felde zieht in dem er nolens volens in Islamfeindlichkeit eine kritische [sic] Moment entdeckt und die Gleichung selbst als rassistisch entartet betrachtet, bestätigt er damit seine auf Hegel bezogene Aussage ‚die Sprache aber, würde Hegel sagen (also was wir sagen im Unterschied zu dem, was wir meinen), ist das wahrhaftere‘ - und legitimiert den Diskurs der Islamfeindlichkeit“.

Für den Kommentator legitimiert also das In-Frage-Stellen der Gleichung

Islamfeindlichkeit = Rassismus

den Diskurs der Islamfeindlichkeit. Im Klartext heißt das: Die Delegitimierung und Verurteilung der Islamfeindlichkeit hängt für den Kommentator (auch) von dessen Gleichsetzung mit dem Rassismus ab. Die möglichen Hintergründe dieser seltsamen – wenn auch verbreiteten - Denkfigur werden uns noch beschäftigen.

Zunächst interessiert aber etwas anderes: Folgt aus dem Gesagten, daß der Kommentator tatsächlich der Meinung ist, Islamfeindlichkeit sei eine Form von Rassismus? Müßte man ihn also darüber aufklären, daß dem österreichischen Durchschnittsrassisten, der - Schaum vor dem Mund – ausruft: „Der Moslem erobert den Gemeindebau!“ das Thema Religion in aller Regel genauso „Blunzn“ (österreichischer Dialektausdruck für "egal") ist, wie die Frage, ob es sich bei dem „Moslem“ in der Nachbarschaft, nicht auch um einen ägyptischen Kopten, einen syrischen Katholiken oder einen areligiösen Türken handeln könnte? Daß sich die „Islamfeindlichkeit“ solcher Alltagsrassisten weder aus einem „fanatischen Christentum“ noch auch aus einem „militanten Atheismus“ speist - sonst müßte sich dieser (im ersteren Fall) doch auch über einheimische Atheisten empören. Aber die Parole „Atheisten raus aus dem Gemeindebau!“ ist mir nicht bekannt.

Muß man den Kommentator also erst darüber aufklären, daß „Moslem“ in diesem Zusammenhängen nur scheinbar eine religiöse Kategorie ist?

Muß man nicht. Er scheint es selbst zu wissen. Er schreibt:

„Religionsfeindlichkeit und insbesondere die Islamfeindlichkeit in diesen Tagen haben nicht einmal den Anschein eines fein und dennoch scharfsinnig geführten kritischen Diskurses. Ihre Sprache ist aufbrausend, hitzig, dreist, provozierend und destruktiv. Und gerade ist diese Sprache prädestiniert für die europäischen Rassisten in ihrem derzeitigen Feldzug gegen Islam und gerade dies bringt die Islamfeindlichkeit ‚so Nah an Rassismus heran‘“.

Woran der Kommentator bei dieser Charakterisierung der „Religionsfeindlichkeit und insbesondere Islamfeindlichkeit in diesen Tagen“ gedacht haben mag, und warum er glaubt, die „europäischen Rassisten“ hätten erst auf jene „dreiste Sprache der Religionsfeindlichkeit“ warten müssen, um sich rassistisch artikulieren zu können (zuvor also gewissermaßen sprachlos waren), sagt er nicht. Davon abgesehen sind für ihn – und das geht aus dieser Passage unmißverständlich hervor – Islamfeindlichkeit und Rassismus „zwei verschiedene Paar Schuhe“, auch wenn sie, aus seiner Sicht, "die Dreistigkeit der Religionsfeinde" nahe aneinander gerückt haben mag.

Der Kommentator selbst anerkennt die Gleichung Islamfeindlichkeit = Rassismus also keineswegs. Daher bleibt es zunächst unklar, warum er eben diese Gleichsetzung, die er ablehnt, mit immer neuen Verrenkungen verteidigt. Und vor allem: Warum ihn die Kritik an dieser Gleichsetzung und an dessen (kultur)rassistischen Implikationen derart empört - er schreibt:

„Andererseits verleiht die Gleichung Islamfeindlichkeit = Rassismus [dem] Islam nicht einen ethnisch-rassischen Charakter wie der Verfasser uns weis machen möchte und zwar deshalb nicht, weil die beiden Seiten der Gleichung klar und deutlich sind: Islamfeindlichkeit ist Rassismus. Aus diesem Urteil kann man nicht weithergeholt [sic] ableiten, dass Islam auf Grund dessen notwendig logisch einen ethnisch-rassischen Charakter annimmt. Hier ist die Aussage über die Islamfeindlichkeit getroffen und nicht über Islam als solche [sic]“.

Offenbar überzeugt den Kommentator seine eigene Argumentation ("die beiden Seiten der Gleichung sind klar … Islamfeindlichkeit ist Rassismus") aber nicht, denn er muß sie wieder umstoßen und durch eine neue, ganz anders geartete ersetzen:

„Außerdem gehört die genannte Gleichung wahrscheinlich zu der [sic] AnalogieUrteilen oder Räsonnement par [sic] Analogie wodurch die Gemeinsamkeit oder verbindende Gemeinsamkeit zwischen zwei Dingen zu solchen Äquivalenten führt.“

Der Kommentar versäumt es, zu erwähnen, daß die in Warum wir über den Islam nicht reden können geleistete Kritik an der Gleichung

Islamfeindlichkeit = Rassismus

von dem folgenden Satz im Aufruf „Schluß mit der Integrationsdebatte“ ausgeht:

„Islamfeindlichkeit wird nicht als Rassismus anerkannt“.

Diese Aussage ist unmißverständlich. Wer etwa beklagt, daß die zarathustrische Gemeinde in Österreich nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt ist, bringt unmißverständlich zum Ausdruck, daß die Zarathustrier für ihn eine Religionsgemeinschaft sind. „Religionsgemeinschaft“ ist hier der Oberbegriff in einer Begriffshierarchie, dem der Begriff „zarathustrische Gemeinde“ subsummiert wird. Analog dazu ist für jemanden, der beklagt, daß Islamfeindlichkeit nicht als Rassismus anerkannt ist, Islamfeindlichkeit ganz offensichtlich eine Form des Rassismus – und nicht „irgendetwas dem Rassismus analoges“.

Bizarr mutet auch das folgenden bereits zitierte Argument an:

„Islamfeindlichkeit ist Rassismus. Aus diesem Urteil kann man nicht weithergeholt [sic] ableiten, dass Islam auf Grund dessen notwendig logisch einen ethnisch-rassischen Charakter annimmt. Hier ist die Aussage über die Islamfeindlichkeit getroffen und nicht über Islam als solche [sic].“

Im Klartext: Bei der Gleichsetzung von „Feindschaft gegen den Islam“ auf der einen Seite mit der „Feindschaft gegen eine bestimmte Rasse“ auf der anderen Seite, würde es überhaupt nicht um den Islam gehen. Hier handelt es sich um eine weitere (an dieser Stelle unerwartete) Variante der Abwehrformel „Hat mit dem Islam nichts zu tun!“ - siehe Teil 9 von Warum wir über den Islam nicht reden können.

Folgt man der Logik des Kommentars („Hier ist die Aussage über die Islamfeindlichkeit getroffen und nicht über den Islam als solchen“), müßte man den Term „Islam “ aus der Gleichung eliminieren. Übrig bliebe entweder die Gleichung:

Feindschaft = Rassismus,

was heißen könnte: Jegliche Feindschaft gegen jegliches Objekt ist Rassismus. Oder man würde – wenn man auf der anderen Seite der Gleichung den Term „Rasse“ ebenfalls eliminiert - die Gleichung erhalten:

Feindschaft = Feindschaft …

Dem Kommentator geht es hier möglicherweise um eine Strukturverwandtschaft zwischen zwei Arten von Feindschaft (der rassistischen und der anti-islamischen), die er aber vom Objekt der jeweiligen „Feindschaftsvarianten“ zu abstrahieren versucht. Das könnte auf einen Satz der folgenden Art hinauslaufen: „Die Intensität der feindseligen Gefühle gegenüber dem Islam ist der Intensität der durch den Rassismus mobilisierten feindseligen Gefühle vergleichbar.“
Davon abgesehen, daß ein solcher - sehr vage formulierter - Satz die konkreten Positionen in der real existierenden Islam-Debatte völlig verfehlen würde (siehe den oben zitierten Satz aus dem Aufruf „Schluß mit der Integrationsdebatte“) müßte hier zunächst einmal geklärt werden, wovon wir denn reden, wenn wir „Religionsfeindschaft“ sagen. Mehr dazu im folgenden post.

Bei der Diskussion um die Gleichung

Islamfeindlichkeit = Rassismus

geht es aber - und hier betreten wir die angekündigte Ebene der Diskurskritik - um weit mehr als um formallogische Spitzfindigkeiten. Hinter jener hartnäckig vorgebrachten und wütend verteidigten Gleichsetzung steckt eine bestimmte (Diskurs-)Logik.

Die These, daß die Gleichung

Islamfeindlichkeit = Rassismus

- ungewollt - die Zugehörigkeit zum Islam zu einer rassisch-ethnischen Kategorie erklärt, scheint zunächst bloß auf einer formal-logischen Ebene zuzutreffen. Auf der pragmatischen Ebene des Diskurses hingegen scheint es allen Beteiligten klar zu sein, daß der Islam eine Religion und keine Rasse ist (siehe auch Warum wir über den Islam nicht reden können Teil 2). Bloß hat dieses Wissen einen seltsamen Status. Es bleibt über weite Strecken unwirksam. Ähnlich dem Wissen, daß die Fußballmannschaft, die wir bei der Fernsehübertragung anfeuern, uns natürlich nicht hören kann. „Ich weiß zwar, daß sie mich nicht hören können, aber ich muß sie dennoch anfeuern.“ Dieses „Ich weiß zwar, aber dennoch ...“ bezeichnet die Struktur des von Freud beschriebenen Abwehrmechanismus der Verleugnung, die in den Islam-Debatten auf der ganzen Welt eine zentrale Rolle spielt.
So konstatierten etwa „linke“ österreichische Publizisten, wie Robert Misik oder Georg Hoffmann-Ostenhof, angesichts der Revolutionen in Tunesien und Ägypten „eine Niederlage der Islamkritik“. Die Behauptung, „die Moslems“ bzw. „der Islam“ seien nicht reif für die Demokratie, sei nun eindrucksvoll widerlegt. Seltsam bloß, daß dieselben Kommentatoren nicht müde wurden, zu betonen, daß „der Islam“ bei jenen Revolutionen überhaupt keine oder nur eine marginale Rolle gespielt hätte. Daß hier eine vorwiegend säkulare, an Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit - und eben nicht an Religion - interessierte Jugend revoltiert hätte u.ä. Die revoltierenden jungen Menschen in Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern mochten in der Wahrnehmung westlicher Kommentatoren noch so säkular, westlich und freiheitsliebend etc. erscheinen - zu guter Letzt werden sie dennoch, und auch dort, wo sie Dinge tun, die nach Meinung derselben Kommentatoren „mit dem Islam nichts zu tun haben“, als „Moslems“ wahrgenommen. Von den ägyptischen Kopten, die bei der Revolution ebenso präsent waren wie ihre Mitbürger moslemischen Glaubens, ganz zu schweigen.

Niemand käme – um ein beliebiges Beispiel zu nennen – auf die absurde Idee, die Demonstranten gegen das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ als „christliche Demonstranten“ zu bezeichnen, bloß weil diese Proteste in einem Land stattfanden, dessen Bevölkerung als mehrheitlich christlich gilt. Menschen, die aus Ländern mit mehrheitlich moslemischer Bevölkerung stammen, werden hingegen zuallererst - und zu guter Letzt - auf ihre tatsächliche oder vermeintliche Religionszugehörigkeit reduziert. Zwischen dem „Orientalen“ und „seinem“ Islam paßt kein Blatt. Das ist Kulturrassismus im exakten Sinne des Wortes.

Im nächsten post werde ich die Auseinandersetzung mit der Diskurslogik hinter der Gleichung

Islamfeindlichkeit = Rassismus

fortsetzten und mich u.a. mit den Begriffen „Religionsfeindschaft“ und „Religionskritik“ befassen.

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