Schon beim ersten Mal hatte mich der Gefängnisarzt geärgert. Ich bin impotent, hatte er gesagt und stand hinter dem niedrigen Zaun, aus Holz, der für einen Garten in Teheran ganz untypisch ist, wie ja auch ein in einem Garten stehender Container, in dem meine Ordination für Psychoanalyse untergebracht ist, für Teheran ganz untypisch ist, wie es überhaupt für Teheran ganz typisch zu sein scheint, daß einem ständig Dinge passieren, die für Teheran ganz untypisch sind. Ohne zuvor angerufen zu haben, oder eine Mail geschickt, war er einfach gekommen. Es läutete. Ich dachte, weil ich einen Brief erwartete, aus Graz, ich gestehe, von Ingeborg, es sei der Postmann, der klingelt.
Ich brauche Sie, hatte der Gefängnisarzt gesagt und hatte ein gelbes Hemd und ein grünes Sakko. Oder umgekehrt. Aber an das Grün und das Gelb erinnere ich mich. Schon jedes für sich hinterließ den Eindruck vollkommener Geschmacklosigkeit. Ich bin impotent: Was auch untypisch wäre, wenn man es in Graz gesagt hätte, und mich verlegen machte, was ich bei professionellen Kontakten nie bin. Über den Kiesweg folgte er mir zum Container, und durch das Wartezimmer, und eine Trennwand, aus einer Gipskartonplatte, einer Spanplatte und einer speziellen Akustikplatte, in den Behandlungraum. Setzen Sie sich. Der Gefängnisarzt schien verwirrt, d.h. sein Äußeres, wie Columbo, aber nicht so gescheit, obwohl Columbo auf den ersten Blick auch nicht gescheit wirkt.
Möglich, daß ich auf seine Hose starrte, weil sie mich an die rote Hose meines Lehranalytikers erinnerte, Norbert Kinz, den sie Die Rote Hose nannten, in Graz, was den Gefängnisarzt in seiner Vorstellung bestärkte, daß es in der Psychoanalyse immer nur um den Sex geht. Auch heute hat er die rote Jeanshose an und sagt:
Dieselben Nerven sind im Frühjahr in den Leibern von Finken, im Sommer in denjenigen von Schwalben, im Winter in denjenigen von Sperlingen oder Krähen. Nach der mir wohl bekannten Klangfarbe ihrer Stimmen sowie nach den ihnen eingepfropften Redensarten, steht die Identität der betreffenden Seelen für mich außer Zweifel.
Was ist das für ein' Scheiß?, will ich sagen, aber das wäre unanalytisch, aber irgendeinmal muß ich es sagen, und werde es. Wenn er nicht gerade über seine Impotenz spricht, was er oft und gerne tut, spricht der Gefängnisarzt als zitierte er ein Buch, ein seltsames Buch, das von einem Verrückten geschrieben sein muß, aber von einem höchst intelligenten, dessen Verrücktheit überhaupt nicht zum Gefängnisarzt paßt - denn, was immer der Gefängnisarzt ist, verrückt ist er nicht.
Das Buch, aus dem der Gefängnisarzt zu zitieren scheint – aber warum in Gottes Namen sollte er das tun? – muß eine Übersetzung sein, wahrscheinlich aus einer europäischen Sprache. Bei Texten in der Sprache Teherans merkt man sofort, schneller jedenfalls als bei Texten auf Deutsch, wenn sie Übersetzungen sind.
Die Möglichkeit, die Vögel durch das Zusammenwerfen ähnlich klingender Worte zu verwirren, hat mir in der kaum erträglichen Öde des Stimmengewäschs oft als eine Art Kurzweil dienen und mir eine sonderbare Unterhaltung bereiten können. So scherzhaft das klingen mag, so hatte die Sache für mich auch eine ernste Bedeutung - und hat sie zum Teil noch heute. Der obere und der niedere Gott, die ebenso gut wie ich, von der Eigenart der gewunderten Vögel, auf gleichklingende Laute hineinzufallen, unterrichtet sind, spielen diese Eigenart wechselseitig gegeneinander aus. Beide haben das Bestreben, sich zurückzuhalten und immer den anderen Teil vorzuschieben; da nun durch das Hereinfallen der Vögel auf dem Gleichklang jedesmal die Anziehung desjenigen Teils beschleunigt wird, zu dessen Lager die betreffenden Stimmen gehören, so läßt der obere Gott von den Personen meiner Umgebung mit Vorliebe solche Worte sprechen, die dem Stimmenmaterial des niederen Gottes angehören und umgekehrt, während ich, da mir an einer Vereinigung aller Strahlen, also an einer gleichmäßigen Anziehung gelegen ist, stets entsprechend entgegenzuwirken suche.
Übersetzung, aber noch etwas anderes. Irgendwann kapierte ich, daß es sich nicht nur eine Fremdsprache handelt, sondern um die Sprache einer anderen Zeit.
wird fortgesetzt
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