Freitag, 23. November 2012

Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten - und die eigene auch nicht (4)


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Eine sexuelle Revolution im Islam – "Ja dürfen’s denn des?"


Die Gegenüberstellung des Eurozentrismus Freuds als Person auf der einen, und der Universalität seines Textes auf der anderen Seite, greift aber zu kurz.

Denn: So wie Totem und Tabu zwar über die Person seines Autors hinausweist, nichtsdestotrotz aber in engem Zusammenhang mit eben jenem Sigmund Freud als Person steht - genauso weisen klassische europäische Theorien, insofern sie Universalität beanspruchen, über die kulturelle und historische Konstellation, in der sie entstanden sind, zwar hinaus. Zugleich kann man sie aber außerhalb ihres partikularen Entstehungskontextes nicht verstehen. Losgelöst von Erfahrungen wie jener der Reformation oder der Aufklärung, oder, allgemeiner, dem antiken und dem jüdisch-christlichen Erbe, sind diese Theorien nicht lesbar.

Ohne Eurozentrismus - keine Universalität.

Das ist die im Universalitätsanpruch der Moderne verborgene - schwer zu verdauendende - Dialektik: Daß die moderne Universalität in spezifischen historischen Erfahrungen bestimmter europäischer Gesellschaften wurzelt, über die sie aber zugleich hinausweist - und auf die sie nicht reduziert werden darf.

Verschließen wir vor dieser Dialektik die Augen, werden wir – wenn wir Europäer sind - Kategorien wie Aufklärung , Demokratie oder Menschenrechte als „unseren kulturellen Besitz“ betrachten, der uns von Angehörigen nicht-europäischer Gesellschaften kategorisch unterscheidet.

Mit „Nicht-Europäern“ sind in diesen Zusammenhängen in der Regel Menschen aus Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit gemeint. Für viele dieser Menschen wiederum – wir nennen sie islamische Fundamentalisten - geht die Konfronation mit jener Dialektik der Moderne mit massiven Kränkungen einher, die in Aggression umgewandelt - und in regelmäßigen Abständen expolsiv abreagiert werden.

Zugrunde liegt jenen Kränkungen der Fundamentalisten ein fundamentales Mißverständnis: „‚Die im Westen‘ haben etwas, was wir nicht haben.“

Ein Mißverständnis mit einem wahren Kern.

Mißverständnis, weil islamische Fundamentalisten, genauso wie jene oben beschriebenen Europäer, die Moderne, indem sie deren universellen Apekt außer acht lassen, als kulturellen Besitz „des Westens“ mißverstehen.

Wahrer Kern, weil die Moderne, wenn wir sie aus ihrem historischen Entstehungkontext herauslösen, nicht mehr zu verstehen – vor allem aber nicht nachvollziehbar wäre. Nachvollziehbar müßte sie aber dort sein, wo es um die Verwirklichung ihrer Universalität geht.

In ihrem Buch Der Islam braucht eine sexuelle Revolution plädiert die deutsch-türkische Frauenrechtlerin Seyran Ates für eine sexuelle Revolution „im Islam“, nach dem Vorbild der sexuellen Revolution der 60er Jahre in Amerika und Europa. Das Buch artikuliert das Bedürfnis vor allem junger Menschen in Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit nach all dem, was wir mit den Begriffen „sexuelle Revolution“ und „sexuelle Emanzipation“ verbinden. Es ist ein mutiges Plädoyer, und man könnte es als Beleg für die Gültigkeit des Universalitätsanspruchs der Moderne lesen.
Wenn denn Ates‘ Versuch der Übertragung der sexuellen Revolution auf sogenannte islamische Gesellschaften - da sie Konzept und Kontext dieser Erfahrung nicht konsequent genug nachvollzieht - nicht bereits auf der Ebene der Theorie gründlich, und exemplarisch, schief gegangen wäre.

Der Islam braucht eine sexuelle Revolution beruft sich auf Theorien des Freud-Schülers und Psychoanalyse-Dissidenten Wilhelm Reich. Speziell auf dessen Werk Die sexuelle Revolution. Für Reich und Freud lagen die Ursachen für das von ihnen konstatierte sexuelle Elend in gesellschaftlich bedingten psychischen Faktoren. Der Religion schrieben sie in diesem Zusammenhang die Rolle eines gewichtigen krankmachenden Faktors zu. Weit davon entfernt diesen krankmachenden Faktor reformieren oder „revolutionieren“ zu wollen, lehnten sie Religion in jeder Form ab. Der Gedanke, eine sexuelle Revolution „im Christentum“ veranstalten zu wollen, wäre ihnen mehr als absurd vorgekommen.

Wenn nun Ates – im Gegensatz zu  Reich und Freud – nicht für eine sexuelle Revolution in Gesellschaften mit islamischer Mehrheit  plädiert, sondern ausdrücklich für eine Revolution „im Islam“, verneint sie unausgesprochen die Möglichkeit, daß in jenen Gesellschaften außerhalb der Sphäre des Islams so etwas wie „Gesellschaft“ überhaupt existiert. Zwischen der Gesellschaft und dem Islam besteht für Ates volle Identität. Außerhalb des Islams scheint für sie "dort" gar nichts zu existieren - nicht einmal auf begrifflicher Ebene.

Der Revolution geht ein Akt der Unterwerfung voraus.

Als Kaiser Ferdinand I. im März 1848, vom Balkon der Hofburg aus, den revolutionären Aufruhr der Massen beobachetete, soll er Metternich gefragt haben: „Ja dürfen’s denn des?“ Bei der sexuellen Revolution von Seyran Ates erübrigt sich diese Frage. Bevor sie noch daran denkt, loszubrechen, holt sich diese Art Revolution die Genehmigung dazu bei den - religiösen – Autoritäten.

wird fortgesetzt

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