Die folgende Rezension des Klagenfurter Germanisten, Musil-Spezialisten und Autors Walter Fanta über Ungläubig ist auf der Website des Literaturhauses Wien erschienen.
Sama Maani: Ungläubig
Roman
, Klagenfurt:
Drava-Verlag, 2014
Drava-Verlag, 2014
153 S; geb.; Eur 19,80
ISBN
978-3-85435-733-9
Graz-Teheran, Westöstlicher Diwan, dekonstruiert
Arasch Bastani ist Medizinstudent, in Teheran geboren, lebt in Graz,
wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dubiosen Glaubensgemeinschaft ist er
sexuell gehemmt und zweifelt an seiner psychischen Gesundheit, er schreibt
Briefe an seine Psychiaterin. Arman Kalamani ist auch aus Teheran und auch er
kommt nach Graz, er ist Kommunist und er schreibt Briefe an das
Zentralkommitee, um über die Fortschritte der Revolution in Teheran zu
berichten. Zunächst verbindet die beiden Briefschreiber sonst nichts, dann ist
es der „Messias“ Danusch, der in Indonesien verschollene Onkel von Arasch, der
eine Abspaltung von dessen Glaubensgemeinschaft gegründet hat, in dessen
Gefolgschaft Arman in merkwürdiger Weise steht. Danusch erteilt Arman den
Auftrag, ihn mit seinem Neffen Arasch zusammen zu bringen, der Onkel wünscht
„Sie nämlich zu sehen – und daß Sie sein Mund sind“.
Was daraus dann wird,
möchte ich nicht haarklein verraten, nur so viel: mit Überraschungen wird nicht
gespart. Spätestens da wird die Geschichte mysteriös, dabei ist der Roman nicht
dick, die Erzählung schreitet in einer durchaus witzigen und scheinbar leicht
verständlichen Weise rasch voran, sie bietet eine groteske Verflechtung von
Teheraner und Grazer Lokalkolorit, Psychiatrie, Psychoanalyse, marxistischem
doktrinärem Denken und religiösem Messianismus.
Die Sprache der beiden
Briefschreiber ist gesättigt mit östlicher Fabulierkunst und mit westlichem
Weltwissen und im Falle von Arasch mit subtiler Selbstironie, Arman wird ein
neckischer Sprachfehler angehängt, um ihn als Deutsch-Zweitsprachler zu
kennzeichnen. All die erzähltechnische Sorgfalt läuft aber sehenden Auges und
voller Hintersinn in ein Finale, angesichts dessen sich der arme Leser regelrecht
auf den Arm genommen fühlt. Im letzten Brief von Arasch kommt eine Verwandlung
zu ihrem Ende, die sich schon angebahnt hat, wie eine katholisch-shiitische
Kommunion oder eine indische Re-Inkarnation. Das alles aber immer noch lustig
und munter erzählt. Da versucht man aus den Aporien heraus zu finden und wieder
nach vorne zu blättern und begreift langsam, dass all die schönen
Graz/Teheraner-Messias-Geschichten auch ihre eigene Dekonstruktion sind.
Was wird dekonstruiert? Vom Beginn an lehnt sich diese Geschichte
gegen die klassische Vorstellung von kultureller Differenz auf. Hier das
aufgeklärte christliche Abendland, dort der dunkle islamische Orient. Den
Kerngegenstand der Dekonstruktion bilden religiöse Mythen, wie sie von hier
nach dort schwirren und in der Figur des offensichtlich verrückten Häretikers
Onkel Darusch ihren übersteigerten Ausdruck finden. Die Dekonstruktion entlarvt
Religion als ideologisch, deswegen ist ihr der Marxismus Arman Kalami’scher
Prägung zur Seite gestellt, der Glaube der Glaubensgemeinschaft Arasch Bastanis
und der Kommunismus des anderen Briefeschreibers verhalten sich kongenial
zueinander. Als Mittel der Dekonstruktion erweist sich die Psychologie
(Psychiatrie, Psychoanalyse), indem sie den intellektuellen Zugriff auf die
politische wie auch religiöse Ideologie erlaubt. Mit der kulturellen Differenz
ist es im Grunde genommen nicht weit her, erklärt Sama Maani mit seiner
Geschichte, die Teheraner „Scham-Kultur“ und die faschistoide Schamlosigkeit
der Grazer in den Augen der Immigranten aus Teheran gehören demselben Komplex
an. Der Roman liest sich als Parodie, als Satire auf ideologische und religiöse
Diskurse rund um Revolution und Erlösertum mit dem unheimlich überlegenen
Instrumentarium der Aufklärung, unterzieht aber auch die aufgeklärte
Wissenschaft einer satirischen Selbstkritik.
Die Dekonstruktion des Messianismus jedweder Provinienz ist die
notwendige Destruktion einer Machtfantasie, die der Autor Sama Maani leisten
muss, selber Teheraner, Grazer, Sprößling einer Bahá’i-Familie, einer im Roman
verfolgten Glaubensgemeinschaft, die er verlassen hat, selber Psychiater,
Psychotherapeut.
Bei aller Kritik an der Betonung der Kulturdifferenz, den
Wanderer zwischen den Welten gibt es wirklich, er manifestiert sich in der
autobiografischen Figur des jungen Arasch, dem die Lehren der
Glaubensgemeinschaft aufgezwungen worden sind, den das Teheran seiner Kindheit
mit seinen Gedicht-Ketten-Wettbewerben nie losläßt, der im Grazer
Weihnachtslied-Wettbewerb nie heimisch zu werden vermag, wie die alles
synthetisierende Schlusspassage (siehe Leseprobe) so schön vorführt. Sama Maani
hat seinen Glauben verlassen, er hat auch die Psychiatrie und die Psychoanalyse
hinter sich gelassen, er ist ungläubig, er ist Schriftsteller geworden. Die
Frucht seiner Arbeit, dieses Buch, verdient es, zweimal gelesen zu werden,
einmal lachend, einmal weinend.
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