Ausgehend von der Gegenüberstellung von narzißtischer Libido und Objektlibido in Freuds zweiter Triebtheorie sowie von Theorien des französischen Psychoanalytikers Octave Mannoni1 hat der Philosoph Robert Pfaller eine für unseren Zusammenhang interessante Theorie des Glaubens entwickelt.2
Pfaller unterscheidet zwei Formen des Glaubens: den asketischen Bekenntnisglauben (den Mannoni foi nennt) und den Aberglauben (bei Mannoni croyance). Der Bekenntnisgläubige ist mit seinem Glauben identifiziert und bezieht aus dieser seiner Identifikation Selbstachtung und Stolz. Es kommt bei ihm, in der Sprache der zweiten Triebtheorie, zu einer Zunahme an narzißtischer Libido, auf Kosten von Objektlibido. Der Glauben des Bekenntnisgläubigen erschöpft sich also nicht in einem bloßen Für-wahr-halten bestimmter Inhalte - sein Glauben konstituiert vielmehr seine „Identität“. Typisch für den Bekenntnisglauben sind Ausagen wie: „Ich, als Christ/Moslem/Sozialist etc.... “.
Aberglauben im Pfallerschen Verständnis liegt hingegen etwa dann vor, wenn ein Fußballfan vor dem Fernseher den Spielern seines Teams Ratschläge erteilt. Daß ihn die Spieler nicht hören können, dessen ist sich unser Fan natürlich bewußt. Dennoch verhält er sich so, als glaubte er daran, daß sie ihn hören können. Weshalb er die Spiele seiner Mannschaft auch unbedingt live mitverfolgen und sich nicht bloß mit einer Aufzeichung begnügen will. Wir haben es hier mit dem von Freud beschriebenen Mechanismus der fetischistischen Verleugnung zu tun, die Mannoni mit dem Satz „Ich weiß zwar, aber dennoch“3 paraphrasiert. Würden wir unseren Fußballfan fragen, ob er tatsächlich daran glaubt, daß die Spieler ihn hören können, würde er dies natürlich zurückweisen. Er ist also – im Gegensatz zum Bekenntnisgläubigen – mit „seinem“ Glauben nicht identifiziert, eignet sich diesen „seinen“ Glauben nicht an, und kann folglich aus „seinem“ Glauben auch keinen Stolz und keine Selbstachtung beziehen.
Unser Beispiel ist nicht zufällig gewählt. Es verweist auf die spielerische, „lustfreundliche“ Dimension des „Aberglaubens“ im Gegensatz zum lustfeindlich-asketischen Charakter des Bekenntnisglaubens, auf den wir noch zurückkommen werden. Wobei Pfallers Begriff des „Aberglaubens“ über dessen umgangssprachliche Verwendung weit hinausreicht.
„Aberglauben“ als „Einbildung ohne Eigentümer“ liegt, so Pfaller, auch der „Kultur der öffentlichen Darstellung“4 zugrunde, deren Schwund er – unter Bezugnahme auf Richard Sennet – beklagt:
„[...] gerade diese fiktive Dimension der Einbildungen ohne Eigentümer [...] [ist] etwa seit 1968 massiv im Verschwnden begriffen Bis dahin hatten westliche Gesellschaften seit der Reneissance eine ausgeprägte Kultur der öffentlichen Darstellung entwickelt. Es war eine Kultur des „als ob“, die deutlich zwischen Person und Rolle unterschied. In der Öffentlichkeit benahmen, kleideten, bewegten sich Leute anders, und sie sprachen anders. Sie erzeugten einen Augenschein, der für andere etwas darstellen sollte. Diese theatralische Dimension des öffentlichen Lebens wurde [...] durch die Architektur öffentlicher Plätze unterstützt. So fungierte der öffentliche Raum als eine Art Bühne, die jeden zum Schauspieler für die anderen werden ließ [Hervorhebung von mir]“5
„Es gibt“, fährt Pfaller fort, „ein Verschwinden des Spiels [...], weil es einer ichfixierten Kulturentwicklung – in mehreren historischen Anläufen - gelungen ist, die öffentliche Sphäre den Ansprüchen des Privaten zu unterwerfen [...] Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich auch die in Form von elektronischen Kleingeräten in die Zwischenräume [...] des Alltagslebens eingedrungenen Spiele begreifen: zwar werden diese Spiele nicht ausschließlich allein gespielt [...] aber bezeichnenderweise sind es immer Spiele ohne Zuschauer [...] Es wird darin für niemaden anderen so getan als ob [...] Während [...] die urbanen Spiele der Höflichkeit dazu da waren, Geselligkeit und Austausch zu ermöglichen, sind die neuen intimen Spiele [...] lediglich dazu da, zu signalisieren, daß im Momment kein solcher Austausch möglich ist. Die neuen Medienspiele dienen also dazu, das Spiel zu individualisieren und [....] sogar in der Öffentlichkeit intime Räume zu eröffnen [...] das Spiel, das eigentlich eine Ressource der Geselligkeit wäre, [wird] nun in diese neu eröffneten Intimräume verbannt. Darin besiegelt sich die Tyrannei der Intimität. Ihr Übergriff auf den öffentlichen Raum ist so total geworden, daß die Individuen nun selbst das, was ihre Zivilisiertheit wäre, nur noch in Privaträumen ‚abführen’ dürfen – so als handelte es sich dabei um etwas Degoutantes [...]“6
wird
fortgesetzt
1) Siehe: Octave Mannoni, Clefs pour l'imaginaire ou l'Autre Scène, Paris 1969
2) Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen, Frankfurt a.M. 2002, S. 57 ff.
3)Octave Mannoni, Clefs pour l'imaginaires ou l'Autre Scène, Paris 1969, S.9
2) Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen, Frankfurt a.M. 2002, S. 57 ff.
3)Octave Mannoni, Clefs pour l'imaginaires ou l'Autre Scène, Paris 1969, S.9
4) Robert Pfaller, Das Schmutzige Heilige und die reine Vernunft, Frankfurt a.M. 2008, S. 105
5) Ebd.
6) Ebd. S. 107 ff.
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