Montag, 23. Juli 2018

Kommentar zu einem Blogbeitrag Floris Biskamps


"Die Situaion der Menschenrechte in Saudi-Arabien ist katastrophal." (Riad bei Nacht)
Zur Erinnerung: Im Herbst 2017 publizierte der Politologe Floris Biskamp einen kritischen Kommentar1 zum ersten Kapitel meines Essaybands „Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht“2, den ich im Rahmen einer vierteiligen Blogserie3 dann meinerseits kommentierte. In einem am 16. Juni publizierten Blogbeitrag4 hat nun Biskamp zu einem Aspekt meiner Replik Stellung bezogen. Der Blogbeitrag soll eine mehrteilige Serie einleiten, in der er sich zugleich auch mit kritischen Kommentaren anderer Autoren zu seinen Positionen auseinandersetzen will.

Im folgenden eine summarische Stellungnahme zu Biskamps Blogbeitrag. Diese wird sich – da mir die Texte der anderen von ihm erwähnten Autoren nicht bekannt sind – ausschließlich auf meine Debatte mit ihm beziehen.


In seinem ursprünglichen Kommentar zu meinem Text hatte Biskamp die – von ihm selbst aufgeworfene – Frage, ob die Aussage „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ rassistisch sei, so beantwortet:

„Um das zu sagen, müssen wir fragen, wer diesen Satz in welchem Kontext äußert.“

In meiner Replik hatte ich darauf hingewiesen, dass der Satz „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ selbstverständlich in einem rassistischen Kontext stehen könne. Genauso wie andere richtige oder falsche Argumente, Positionen und Aussagen in Zusammenhang mit dem Islam oder mit anderen Themen.5 

Die Selbstverständlichkeit, dass wahre Aussagen in einem falschen, verzerrenden Kontext stehen können, hatte ich also keineswegs bestritten.

Biskamps aktueller Blogbeitrag könnte aber – wie ich annehme, unbeabsichtigt – den Eindruck erwecken, man müsste mich von dieser Selbstverständlichkeit erst überzeugen.

Ausgehend, von der „Erkenntnis“, dass auch wahre Aussagen über den Islam (oder über andere Themen) in einem rassistischen – oder allgemeiner: dass alle möglichen wahren Aussagen in einem falschen – Kontext stehen können, kann ich Biskamps Argumentation in Zusammenhang mit jenen beiden Beispielen, die er hier anführt, zustimmen. Es handelt sich zum einen um ein fiktives „Schwarzbuch Zionismus“, zum anderen um die – real existierenden – Texte des Ökonomen Hans Werner Sinn über die Euro-Krise. Das fiktive „Schwarzbuch Zionismus“ soll ausschließlich aus wahren Aussagen bestehen, die sich aber „ausnahmslos auf Gewalt, die von zionistischer und nach der Staatsgründung von israelischer Seite ausgeübt wurde, auf Rassismus in der israelischen Gesellschaft, auf Fälle, in denen Palästinenser_innen unschuldige Opfer von Gewalt wurden, usw. usf.“6 beziehen.

Biskamp:

„Ob diese proportional wahren Aussagen [...] israelbezogen antisemitisch sind, hängt davon ab, zwischen welchen anderen Sätzen sie stehen. Oder um es mit der Begrifflichkeit zu formulieren, die aktuell in Bezug auf Talkshows und Medienberichterstattung so oft verwendet wird: Es kommt auf das Framing an.“7 

Zu den Texten Hans Werner Sinns schreibt Biskamp:

„Kaum etwas davon ist empirisch unzutreffend, allenfalls sind einige der behaupteten Kausalbeziehungen fragwürdig.“8 

Dennoch bewertet Biskamp Sinns Darstellung – zu Recht – als falsch und verzerrend,

„weil sie als Ursachen der Krise letztlich allein eine vermeintlich verantwortungslose Ausgabenpolitik der Süd-Länder benennt, aber den deutschen Beitrag zum Ungleichgewicht durch zu niedrige Löhne und entsprechende Exportüberschüsse völlig ignoriert.“9 

Grundsätzlich – und mutatis mutandis – gilt also für beide Fallbeispiele, was ich bezugnehmend auf Biskamps Frage, ob der Satz „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ rassistisch sei, geschrieben hatte:

„Um zu erkennen, ob die Aussage ‚Der Islam ist patriarchalisch!’ in einem rassistischen Kontext eingebettet ist oder nicht (für sich betrachtet kann diese Aussage selbstverständlich nicht rassistisch sein), sind wir auf die Kenntnis weiterer Aussagen jener Personen angewiesen, die diesen Satz in den Mund nehmen.“10 

In Biskamps Fallbeispielen geht es allerdings nicht um Rassismus, sondern um die – unspezifischere – Kategorie „ideologisch“. Auch wenn er das fiktive „Schwarzbuch Zionismus“ als antisemitisch bezeichnet und „Antisemitismus“ eine weit spezifischere Kategorie darstellt als die Kategorie „ideologisch“, geht es ihm hier offenbar nicht um das umstrittene Verhältnis zwischen Antisemitismus, Antizionismus und der Kritik an der israelischen Politik, sondern um den Nachweis, dass ein Buch, das ausnahmslos aus wahren Aussagen besteht, dennoch ein falsches, verzerrendes – eben ideologisches – Bild des von ihm beschriebenen Gegenstandes vermitteln kann. Etwa indem er wesentliche Aspekte jenes Gegenstandes unterschlägt.

Um einen Text in diesem Sinn als ideologisch bewerten zu können, kann also mitunter die Feststellung, dass er wesentliche Aspekte des untersuchten Themas außer Acht lässt, genügen. Dabei sind wir nicht (unbedingt) auf zusätzliche falsche bzw. unwahre Aussagen des Autors in oder außerhalb des in Frage stehenden Textes angewiesen. Anders bei der Beurteilung der spezifischeren Frage, ob in einem Text über den Islam – über einen real existierenden Glauben bzw. über eine real existierende Glaubensgemeinschaft also – wahre Aussagen über diesen Glauben bzw. über diese Glaubensgemeinschaft in einem rassistischen Kontext stehen oder nicht. Die Feststellung, dass es sich bei diesem Text um eine einseitige Darstellung handelt, die wesentliche Aspekte der islamischen Glaubenslehre, Glaubenspraxis, Geschichte etc. außer Acht lässt, würde uns zwar das Recht geben, zu sagen, dass der Text ein falsches, verzerrendes – also ideologisches – Bild vom Islam zeichnet. Aber nicht genügen, um ihn als rassistisch zu bezeichnen. Um dies tun zu können, bedürfte es weiterer Spezifikationen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Meiner Einschätzung nach erfüllt die überwiegende Mehrzahl der Positionen zum „Islam“ im gegenwärtigen europäischen Diskurs die Kriterien des kulturalistischen Rassismus. Dies gilt – in je unterschiedlicher Absicht – für rechte, konservative, aber auch für liberale und linke Positionen. Hie und da begegnet uns hier, vor allem im rechten Diskurs, auch noch der traditionelle Rassismus (der Islam als Religion „fremder Rassen und Völker“)11. Die Kriterien des kulturalistischen Rassismus erfüllen jene Positionen aber nicht deshalb, weil ihre Vertreter ein falsches, verzerrendes Bild von einer Glaubenslehre zeichnen – sondern, weil sie in ihrem Reden und Denken über den Islam diesem einen falschen Platz zuweisen: Der Islam als „Natureigenschaft“ von islamisch geprägten Gesellschaften sowie von Individuen, die aus diesen Gesellschaften stammen. Die rassistische Kulturalisierung von islamisch geprägten Gesellschaften oder von tatsächlichen oder vermeintlichen Muslimen kann zwar mitunter mit einem falschen, verzerrenden Bild der islamischen Glaubenslehre, Glaubenspraxis oder Geschichte verknüpft sein. Aber: Die Unkenntnis oder falsche Darstellung einer Glaubenslehre oder Glaubenspraxis ist per se genauso wenig rassistisch wie die korrekte Kenntnis einer Religion antirassistisch.12 

Die begriffliche Auseinandersetzung mit den neuen kulturalistischen Diskursen über den „Islam“ ist im Übrigen gerade im Blick auf jenen „empathischen Wahrheitsbegriff“ von Bedeutung, den Biskamp in seinem Blogbeitrag in Stellung bringt. Dies habe ich im letzten Teil meiner Replik bezugnehmend auf die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Rassismus, religiösem Hass und Religionskritik sowie auf den Zusammenhang zwischen Religionskritik, der Emanzipation der Gesellschaft von Religion und der Überwindung religiösen Hasses zu zeigen versucht.13 


Dass Biskamp in seinem Blogbeitrag als ideologisch – und nicht als rassistisch – zu charakterisierende Texte als Fallbeispiele heranzieht, mag mit meiner Kritik an dem von ihm verwendeten Begriff „antimuslimischer Rassismus“ sowie an der Verschränkung der Kategorie „rassistisch“ mit der Kategorie „moralisch unzulässig“ zusammenhängen, die ich ihm attestiert hatte.14 Sollte dies tatsächlich zutreffen, die Verwendung des Begriffs „ideologisch“ statt „rassistisch“ in den Fallbeispielen also meiner Kritik Rechnung getragen haben, würde ich es begrüßen. Debatten dieser Art sollten auch dazu dienen, eigene Argumente und Positionen zu überdenken und gegebenenfalls zu korrigieren.


Biskamp schreibt:

„Wenn Sama Maani meine „seltsame […] Annahme“ so beschreibt, dass ‚Aussagesätze als solche […] je nachdem von wem und in welchem Zusammenhang sie verwendet werden – auf gleichsam magische Weise – ihren Charakter und ihre Bedeutung verändern’ könnten, trifft er meinen Punkt zur Hälfte. Von einer Bedeutungsänderung muss ich nicht unbedingt ausgehen. Es mag sein, dass eine Beschreibung eines von Israelis begangenen Massakers kontextunabhängig immer ungefähr dasselbe bedeutet. Um das einzusehen, bedarf es keiner Magie, Common Sense sollte genügen.“

Ja, die Beschreibung eines von Israelis begangenen Massakers sowie der Satz „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ bedeuten tatsächlich kontextunabhängig immer dasselbe. Und selbstverständlich haben dieser Satz und jene Beschreibung in einem ideologischen, respektive rassistischen Kontext eine andere Funktion als in einer sachlich ausgewogenen Darstellung der Geschichte des Zionismus bzw. in einem seriösen Artikel über den Islam. Diese kontextabhängige Funktionsänderung von (wahren) Aussagen hat in der Tat nichts mit Magie zu tun.

Darum ging es in der – dem aktuellen Blogbeitrag vorausgehenden – Debatte  aber nicht. Wenn Biskamp (in seiner ursprünglichen Kritik an meinem Text) fragt, ob die Aussage „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ rassistisch sei – mit Betonung auf sei –, dann geht es ihm nicht bloß um den trivialen und – richtigen – Hinweis auf den Umstand, dass alle möglichen wahren und falschen Aussagen über den Islam in einem rassistischen Kontext stehen könnten.

Wer eine Aussage über den Islam zum Ausgangs- und Mittelpunkt seiner Untersuchung macht und sich fragt, ob und unter welchen Umständen jene Aussage über den Islam rassistisch sein könnte, geht offensichtlich von der Möglichkeit aus, dass Aussagen über eine Glaubenslehre (eine Glaubenspraxis, eine Glaubensgemeinschaft, die Geschichte dieses Glaubens etc.) rassistisch sein könnten. Diese Annahme ist schlicht falsch. Die Aussage „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ kann genauso wenig rassistisch sein, wie jede andere wahre oder falsche Aussage über den Islam, über das Christentum, den Kommunismus, die Psychoanalyse oder den Daoismus. Und sie wird auch dann nicht „auf einmal“ – gleichsam auf magische Weise – zu einer rassistischen Aussage, wenn sie in der rassistischen Rede eines Vertreters der AfD eine wichtige Funktion erfüllt. Die Möglichkeit, sie in einem rassistischen Kontext zu verwenden, macht die Aussage „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ genauso wenig zu einer rassistischen Aussage wie die Möglichkeit dem Satz „Die Situation der Menschenrechte in Saudi-Arabien ist katastrophal.“ den rassistischen Nachsatz folgen zu lassen: „Weil Araber bekanntlich von Natur aus unfähig sind, eine zivilisierte oder gar moderne demokratische Gesellschaft aufzubauen.“ jene Aussage (über die Lage der Menschenrechte) zu einer rassistischen macht.

Statt also die falsche Frage zu stellen, ob – und unter welchen Umständen – bestimmte Aussagen über eine Glaubenslehre rassistisch sein könnten, sollten wir das Pferd nicht von hinten, sondern richtig aufzäumen. Zu untersuchen wäre zuallererst die Frage, wie es überhaupt dazu kommt, dass wir das neue kulturalistische Reden über den „Islam“ (zu Recht) als rassistisch empfinden. Erst wenn wir von diesem neuen Rassismus einen Begriff haben, verstehen wir, dass das Reden seiner Vertreter über den „Islam“ nicht deshalb rassistisch ist, weil diese bestimmte wahre oder falsche Aussagen über eine real existierende Glaubenslehre oder Glaubenspraxis tätigen, sondern, weil sie über ein imaginäres rassistisches Konstrukt reden. Den Islam als „Kultur“ und diese „Kultur“ als Natureigenschaft von Subjekten aus islamisch geprägten Gesellschaften auffassen. Verstehen wir diesen Zusammenhang, erübrigt sich die falsche, weil vergebliche Suche nach dem „rassistischen Gehalt“ aller möglichen Aussagen über den Islam. 


1 Floris Biskamp, Misstraut Euch! Warum Sama Maani es der linken „Islamkritik“ zu einfach macht

http://blog.florisbiskamp.com/2017/11/18/misstraut-euch-warum-sama-maani-es-der-linken-islamkritik-zu-einfach-macht/



2 Sama Maani,  Warum wir über den Islam nicht reden können. In: ders., Respektverweigerung: Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht, Klagenfurt 2015, S. 7 

3 http://samamaani.blogspot.com/2017/12/hat-der-diskurs-der-linken-mit_16.html









http://samamaani.blogspot.com/2018/03/potter-stewart-uber-pornografie-ich-wei.html 

4 http://blog.florisbiskamp.com/2018/06/16/kritik-zurueckgezahlt-in-raten-1-wahrheit-vernunft-ideologie-und-kritik/ 

5 http://samamaani.blogspot.com/2018/03/replik-auf-floris-biskamps-kommentar-zu_24.html 

6 http://blog.florisbiskamp.com/2017/11/18/misstraut-euch-warum-sama-maani-es-der-linken-islamkritik-zu-einfach-macht/ 

7 Ebenda 

8 Ebenda 

9 Ebenda 

10 http://samamaani.blogspot.com/2018/03/replik-auf-floris-biskamps-kommentar-zu_24.html 

11 Ebenda 

12 http://samamaani.blogspot.com/2018/03/potter-stewart-uber-pornografie-ich-wei.html 

13 Ebenda

Vergleiche auch mein Interview mit der „jungle world“

„Falsche Begriffe wie ‚Islamophobie’ reproduzieren den neuen Rassismus“, 29. März 2018 

https://jungle.world/artikel/2018/13/falsche-begriffe-wie-islamophobie-reproduzieren-den-neuen-rassismus?page=all

14 http://samamaani.blogspot.com/2018/03/potter-stewart-uber-pornografie-ich-wei.html

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