Montag, 27. Juli 2020

Von der Bösartigkeit des Banalen (1)


Creative Writing for Dummies Review - YouTube 

Vor Jahren erteilte mir ein berühmter Schriftstellerkollege bei Gelegenheit einer – amerikanischen Creative Writing Kursen nachempfundenen – Schreibwerkstatt einen Rüffel. Ich hatte ihn und andere Anwesende darauf hingewiesen, dass der Name Teheran in jenem Roman, an dem ich damals arbeitete, nicht für die real existierende Stadt gleichen Namens steht, sondern ein imaginäres Land bezeichnet, das mit dem real existierenden Iran zwar einiges gemein hat, mit diesem aber nicht ident ist. Es gehe nicht an, meinte jener Berühmte, dass ein Autor seinem Text – gleichsam als lebender Beipackzettel – nachlaufe, um seinen Leserinnen und Lesern zu erklären, wie sie ihn zu verstehen hätten.

Der Rüffel schien mehr als berechtigt. Ich fühlte mich beschämt und beschädigt. Was mich aber nicht daran hinderte, die Versuche, meine literarischen Texte (potentiellen) Leserinnen und Lesern zu erklären, weiterzuführen. Zu den mündlichen kamen schriftliche – in gesellschaftskritische Texte über Identitätspolitik, „Migrantenliteratur“ etc. eingefügte – Erklärungsversuche meiner literarischen Produktion.

Neulich trieb ich meine Erklärungssucht auf die Spitze. Bei einer Online-Lesung für das Literaturhaus Salzburg1 las ich – noch vor der Lesung einer Passage aus meinem Roman Teheran Wunderland2 – eine Stelle aus einem Essay3, über die fiktive Begegnung mit einer Leserin, die überzeugt ist, dass ein frauenfeindliches Gedicht aus der Feder einer der Romanfiguren die frauenfeindliche Position von dessen Autor wiedergeben würde. Also meine. Sowie über den Versuch mich (unter Verweis auf den Unterschied zwischen der Person und den Positionen des Autors und der Figuren eines Romans) zu rechtfertigen.

Die Erklärungen zu einem Roman, sprich zu einem fiktiven Text, nahmen hier also ihrerseits die Gestalt einer Fiktion an. Einer Fiktion, die allerdings auf – irritierende – reale Erfahrungen basierte. Zudem enthielt die Passage aus dem besagten Essay wieder einmal den Hinweis, dass Teheran in Teheran Wunderland genauso wenig die real existierende Stadt gleichen Namens bezeichnet wie jenes Teheran, das in meinem Roman Ungläubig4 vorkommt und dessenthalben ich mir seinerzeit den Rüffel jenes Berühmten eingehandelt hatte.

Unmittelbar nach der Lesung machte ich eine weitere irritierende Erfahrung – auf Facebook. Ein flüchtiger Bekannter aus (dem real existierenden) Teheran, der dortselbst und in Wien, wenn ich mich richtig erinnere, Soziologie und Englische Literatur studiert hat, zeigte sich über die Romanpassage, die ich vorgelesen hatte, irritiert und empört. Darin ist von einem Umerziehungslager für junge – aus der Sicht der Machthaber des „Teheraner Regimes“ – politisch irregeleitete Menschen die Rede, in dem seltsamerweise geradezu paradiesische Zustände herrschen. Oder zu herrschen scheinen. Wie können Sie, schrieb jener Bekannte, solch ein „positives, liberales Bild“ vom Regime im Iran zeichnen? Gerade Sie, dessen Stimme – im Unterschied zu der Stimme der meisten anderen Iraner hier – in der Öffentlichkeit gehört wird, sollten sich darum bemühen, ihre Leser über die wahren Zustände bei uns aufzuklären.

Ich antwortete, dass ich vor Beginn der eigentlichen Lesung ja ohnehin erklärt hätte, dass Teheran in Teheran Wunderland weder mit dem realen Teheran noch mit dem Iran identisch sei, auch wenn es zwischen dem ersteren und den beiden letzteren Gemeinsamkeiten gäbe. Dass es sich um einen Roman und nicht um einen Reise- oder Tatsachenbericht handle, dass ... in diesem Moment fiel mir der Rüffel jenes Schriftstellers ein, Robert Schindel ist sein Name – keine Ahnung, warum ich ihn nicht gleich genannt habe. Vermutlich verhalte ich mich als ehemaliger Psychoanalytiker auch bei Berichten über Personen, die keine Analysandinnen oder Analysanden waren, so als würde ich der Schweigepflicht unterliegen.

Wie auch immer. Mir fiel also der Rüffel ein. Und ich musste schmunzeln. „Bisher dachte ich“, dachte ich, „ich darf es ihnen nicht erklären. Sie sollen es selbst verstehen. Jetzt merke ich: Sie verstehen es auch dann nicht, wenn ich es ihnen erkläre.“ 

wird fortgesetzt 

1 https://www.facebook.com/watch/live/?v=248121196255337&ref=watch_permalink 

2 https://www.drava.at/buch/teheran-wunderland/ 

3 https://www.derstandard.at/story/2000090533413/sama-maani-die-krux-mit-der-migrantenliteratur 

4 https://www.drava.at/buch/unglaubig/

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