Wunderland 23. Teil
Die Blinde Eule
(Aegolius acadicus)
„Dieser Mann“, sagte der Junge, offenbar an den Groben gewandt, aber er sah ihn nicht an, sein Blick war vielmehr auf einen Punkt im Raum, zwischen dem Groben und dem Feinen, fixiert, „dieser Mann, den Kambiz hatte, war ein politischer Häftling.“
Der Feine wollte etwas sagen, schien aber so überrascht, daß er schwieg, der Grobe schüttelte den Kopf, und sagte nichts, draußen dämmerte es, und auch an den anderen Tischen der Deutschsprachigen Gemütlichkeit, an denen mittlerweile lauter Teheraner saßen, herrschte Stille.
„Ich muß etwas sagen“, sagte der Junge, „was ich noch nie gesagt habe, auch den Eltern nicht, Gott habe sie selig.“ Der Junge schien jetzt ein anderer zu sein, nicht mehr der Fröhliche von vorhin, „ich war einmal, nach der Revolution, mit zwei Kameraden in den Straßen von Teheran, auf der Suche nach Büchern“, der Junge suchte jetzt meinen Blick, als wollte er mir etwas erklären - als ich seinen Blick erwiderte, schaute er in sein Bierglas, „nach dem Sieg der Revolution waren überall auf den Straßen von Teheran die unter dem Kaiser verboten gewesenen Bücher, und wenn ich sage auf den Straßen von Teheran, meine ich es wörtlich. Die besten Bücher lagen auf den Trottoirs, ich weiß nicht, wo die Bücher alle herkamen, ganz Teheran war im Buchfieber, so wie meine Kameraden und ich, wir gingen an den vielen, auf den Trottoirs liegenden Büchern entlang, da fiel mir ein Buch mit dem Bild einer Eule auf, und ich wußte sofort, es ist Die Blinde Eule des Dichters Hedayat, ein Roman, den Vater liebte, und immer hat er ihn, Gott habe ihn selig, zitiert - Es gibt Wunden im Leben, die dem Aussatz gleich usw., Die Blinde Eule war unter dem Kaiser nicht verboten gewesen, unter den Klerikern aber schon, allerdings nicht gleich nach der Revolution, seltsamerweise besaß Vater kein Exemplar davon, so daß ich von der Eule zwar immer gehört, sie aber niemals gesehen hatte, ich sah also am Boden Die Blinde Eule, und langte zu, und auch die Kameraden hatten je ein Buch in der Hand, der Buchhändler, ein bulliger Typ, der aussah, wie ein Türsteher, fragte, ob wir Geld hätten, keiner von uns war schließlich älter als 17, wir bejahten, er sagte ‚Ich habe etwas für Euch‘ und wir gingen in den Buchladen, auf der anderen Seite der Straße, ich Die Blinde Eule in der Hand, der Bullige führte uns in ein Zimmer voller pornografischer Bücher und Magazine, die mich nicht interessierten, aber die beiden anderen sehr, in einer Ecke fand ich ein paar wenige,
nicht-pornografische Bücher, in ihrer Mehrzahl von Freud. Vater liebte Freud, genauso wie, oder wahrscheinlich mehr als Hedayat, obwohl Mutter ihn hasste, als wir mit der Revolution kamen, sagte Vater: 'Wir brauchen keine Revolution. Wir brauchen Freud. Er soll kommen - dabei faltete er, wie die AnhängerInnen der Teheraner Religion, seine Hände, und schaute nach oben - er soll kommen und unser neurotisches Elend in gemeines Unglück verwandeln. Und dann: Neurotisches-Elend-in-gemeines-Unglück-verwandeln sag nicht ich, sondern Freud - und er zeigte mit dem Finger zum Himmel.
Der Feine wollte etwas sagen, schien aber so überrascht, daß er schwieg, der Grobe schüttelte den Kopf, und sagte nichts, draußen dämmerte es, und auch an den anderen Tischen der Deutschsprachigen Gemütlichkeit, an denen mittlerweile lauter Teheraner saßen, herrschte Stille.
„Ich muß etwas sagen“, sagte der Junge, „was ich noch nie gesagt habe, auch den Eltern nicht, Gott habe sie selig.“ Der Junge schien jetzt ein anderer zu sein, nicht mehr der Fröhliche von vorhin, „ich war einmal, nach der Revolution, mit zwei Kameraden in den Straßen von Teheran, auf der Suche nach Büchern“, der Junge suchte jetzt meinen Blick, als wollte er mir etwas erklären - als ich seinen Blick erwiderte, schaute er in sein Bierglas, „nach dem Sieg der Revolution waren überall auf den Straßen von Teheran die unter dem Kaiser verboten gewesenen Bücher, und wenn ich sage auf den Straßen von Teheran, meine ich es wörtlich. Die besten Bücher lagen auf den Trottoirs, ich weiß nicht, wo die Bücher alle herkamen, ganz Teheran war im Buchfieber, so wie meine Kameraden und ich, wir gingen an den vielen, auf den Trottoirs liegenden Büchern entlang, da fiel mir ein Buch mit dem Bild einer Eule auf, und ich wußte sofort, es ist Die Blinde Eule des Dichters Hedayat, ein Roman, den Vater liebte, und immer hat er ihn, Gott habe ihn selig, zitiert - Es gibt Wunden im Leben, die dem Aussatz gleich usw., Die Blinde Eule war unter dem Kaiser nicht verboten gewesen, unter den Klerikern aber schon, allerdings nicht gleich nach der Revolution, seltsamerweise besaß Vater kein Exemplar davon, so daß ich von der Eule zwar immer gehört, sie aber niemals gesehen hatte, ich sah also am Boden Die Blinde Eule, und langte zu, und auch die Kameraden hatten je ein Buch in der Hand, der Buchhändler, ein bulliger Typ, der aussah, wie ein Türsteher, fragte, ob wir Geld hätten, keiner von uns war schließlich älter als 17, wir bejahten, er sagte ‚Ich habe etwas für Euch‘ und wir gingen in den Buchladen, auf der anderen Seite der Straße, ich Die Blinde Eule in der Hand, der Bullige führte uns in ein Zimmer voller pornografischer Bücher und Magazine, die mich nicht interessierten, aber die beiden anderen sehr, in einer Ecke fand ich ein paar wenige,
nicht-pornografische Bücher, in ihrer Mehrzahl von Freud. Vater liebte Freud, genauso wie, oder wahrscheinlich mehr als Hedayat, obwohl Mutter ihn hasste, als wir mit der Revolution kamen, sagte Vater: 'Wir brauchen keine Revolution. Wir brauchen Freud. Er soll kommen - dabei faltete er, wie die AnhängerInnen der Teheraner Religion, seine Hände, und schaute nach oben - er soll kommen und unser neurotisches Elend in gemeines Unglück verwandeln. Und dann: Neurotisches-Elend-in-gemeines-Unglück-verwandeln sag nicht ich, sondern Freud - und er zeigte mit dem Finger zum Himmel.
wird fortgesetzt
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