Wir haben kein Stiegenhaus und kein Vorzimmer passiert und betreten das gemütlichste Wohnzimmer der Welt. Dessen Ende verliert sich im Dunkeln. Feauteuils, aus denen man sich nicht mehr erhebt. Wie im viktorianischen England. Dicke Teppiche und unendlich viele Bücher. Endlich. Aber altehrwürdige, die man nicht anfassen will. Als seien auch sie bloß Fassade.
Wir haben Glück, sagt Schirin, ihre Kommilitonin ist längst nicht mehr da, und deutet auf ein islamisches Mädchen, das sich aus einem Feauteuil gerade erhebt, man kann also doch, sich eine Trockenhaube vom Kopf nimmt, und sie auf einen Beistelltisch stellt. Aus den 70er Jahren.
Das Mädchen verläßt, mit einem sehr roten, zufriedenen Gesicht, das Haus des Vergessens, ganz ohne Kopftuch, um nicht zu sagen ganz glücklich.
Wir sind allein.
Schirin nimmt die Trockenhaube vom Tisch und beginnt:
„Das Internat Islamischer Mädchen ist eines der besten Internate für Islamische Mädchen in Teheran. Es gibt die Direktorin und die Vizedirektorin. Unsere Mädchen stammen aus wohlhabenden islamischen Häusern. Entsprechend hoch ist das Schulgeld, und unser Budget. Dazu kommen die Spenden. Nur reiche Schulen erhalten reichliche Spenden. Nicht die Armen. Die müssen schauen, wo sie bleiben. Wäre es anders, würden die Armen ja immer reicher.
Auch unserer Internats-Bibliotheken haben hohe Budgets. Das höchste hat die Bibliothek der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher. Wo wir uns befinden“.
Ich schaue mich um.
„Die Bibliothek der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher unseres Internats Islamischer Mädchen", sagt Schirin, "hat das höchste Budget aller Bibliotheken der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher der Welt. Es gibt die Direktorin und die Vizedirektorin. Die Vizedirektorin macht die Statistik. Die meisten unserer islamischen Mädchen, sagte die Statistik, entlehnen immer die selben drei oder vier Bücher. Viele immer nur ein und das selbe.
Der Direktorin machte das Sorgen. Um die Lesegewohnheiten der Mädchen zu ändern, produzierte die Vize ein Maßnahmenpaket nach dem anderen. Alles vergebens.
Eines Tages änderte sich alles.
Warum lesen wir Bücher?, fragte die Vizedirektorin.
Wegen der Bildung, sagte die Direktorin.
Nein, sagte die Vize. Ihre Augen strahlten und änderten ihre Farbe. Von grau oder blau auf grün. Nein, sagte die Vizedirektorin, Wir lesen, um zu genießen.
Die erste Lektüre eines Buches“, sagte jetzt nicht die Vizedirektorin, sondern Schirin, das islamische Mädchen, „bringt uns den größten Genuß. Aber die zweite Lektüre ist nicht die Wiederholung der ersten. Sie können, wenn Sie ein Buch ein zweites Mal lesen, den Genuß der ersten Lektüre nicht wiederholen. Schon deshalb, weil jede zweite Lektüre die Erinnerung an die erste enthält, was der ersten Lektüre natürlich fehlt. So können sich erste und zweite Lektüre niemals gleichen. Wollen Sie den Genuß der ersten Lektüre wiederholen, wenn Sie ein Buch das zweite Mal lesen, müssen Sie die erste Lektüre vergessen. Ohne Vergessen keine Wiederholung.
Die Direktorin und die Vizedirektorin beschlossen, die islamischen Mädchen, die immer wieder die selben Bücher entlehnen, in die Lage zu versetzen, den Genuß der ersten Lektüre zu wiederholen. Deshalb gibt es Das Haus des Vergessens in der Bibliothek der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher unseres Internats Islamischer Mädchen.“
wird fortgesetzt
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