Mittwoch, 28. August 2013

Zizek in Teheran (55)


Open Architecture
Bericht des Gefängnisarztes (Fortsetzung):

„Als ich, ohne von Bewährungshilfe oder von Sozialarbeit eine Ahnung zu haben, die Stelle im Gefängnis als Bewährungshelfer, resp. Sozialarbeiter antrat, kannten meine KollegInnen (WärterInnen, PolizistInnen BewährungshelferInnen etc.) den Vater noch alle persönlich. Der Vater hatte sich nämlich auch nach der Fertigstellung des Gebäudes, bis unmittelbar vor seiner Emigration nach Bombay, intensiv um das Gefängnis gekümmert.

Das entsprach seinem Konzept von Architektur. Der Architekt sei kein  Bühnenbildner, so Vater, sondern Bühnenbildner und Regisseur, nicht nur zuständig für den baulichen Rahmen, sondern auch dafür, was sich im Rahmen ereignet, überhaupt war der Rahmen für Vater ein Teil dessen, was sich in ihm ereignet.

Vaters Gefängnis war als work in progress konzipiert, als veränderliches Gebäude voller veränderlicher Räume, Gebäude leben, sagte der Vater, sie werden geboren, wachsen auf, sind Wechselfällen ausgesetzt, erkranken, gesunden, altern und sterben. Der Tod eines Gefängnisgebäudes bedeutet die Freiheit seiner Bewohner. Im Lauf der Jahre wird sich mein Gefängnisgebäude selbst demontieren. Die Gesellschaft wird sich verändern, je offener die Gesellschaft wird, desto offener wird mein Gefängnis. Wenn Vater „offen“ sagte, meinte er es wörtlich.

Im Laufe der Jahre würde es immer mehr und immer größere Fenster geben, das Gefängnis würde immer heller, das nannte er Aufklärung, immer größere Teile des Gefängnisgebäudes würden in weiterer Folge der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, zunächst für bestimmte Stunden, schließlich rund um die Uhr. Diese Begegnungszonen zwischen Gefangenen und Freien, die Bibliotheken, ein Kino, Cafés, Sport- und Freizeitanlagen beherbergen sollten, nannte er „Schleusen“.

Mit der Zeit würden immer mehr Gefangene außerhalb des Gefängnisses sowohl arbeiten, als auch Freizeitaktivitäten nachgehen können, Freunde und Verwandte besuchen usw., auch wenn sie nach wie vor im Gefängnis wohnen würden.

Im vorletzten Stadium würde das Gefängnisgebäude noch existieren, aber kein Gefängnis mehr sein, sondern eine Wohnanlage für Gefangene, die keine Gefangenen mehr sein würden, sondern sie würden, wie Hotelgäste oder Studenten in einem Studentenheim (das zugleich eine Art Hochschule sein würde), ein- und ausgehen können.

Am Ende würde das Gefängnis abgerissen, so Vater, und nichts außer ein paar Gebäuderesten, als Denkmal für die Nachwelt, würden bleiben. Eine andere Nutzung des Gebäudes - als Alternative zum Abriss - lehnte Vater ausdrücklich ab.“

wird fortgesetzt

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