Könnte es nicht sein, fragte ich mich, daß wenn wir
- wie Horkheimer/Adorno und Lacan es getan haben -, das Wort „Opfer“
in dieser Weise wörtlich nehmen, der Antisemitismus, der Holocaust, Israel und
am Ende auch jene Unfähigkeit meiner Vorstellungskraft in einem andern Licht
erscheinen? Ich fragte mich, um genauer zu sein, ob das Wörtlichnehmen des Opferbegriffs
helfen könnte, den Zusammenhang zwischen dem Holocaust und jener Unfähigkeit
meiner Vorstellungskraft aufzuklären - einen Zusammenhang dessen Existenz ich
spürte, ohne in der Lage zu sein, ihn konkret zu fassen.
Als unspezifisches - wenn auch gigantisches - „Böses“
aufgefaßt, wäre der Holocaust jedenfalls keine
Erklärung für jene Unfähigkeit. Denn als
solche erzeugt die Tatsache, daß jemandem etwas Böses passiert ist, keineswegs
die Vorstellung, jene Person habe sich – in Reaktion auf jenes Böse – in einen
guten oder bessereren Menschen verwandelt. Im Gegenteil: Spontan schreiben wir jemandem,
dem Böses widerfährt, doch eher Rachegefühle zu, also die Tendenz, Böses mit
Bösem zu vergelten. Je böser das Böse, das ihm widerfährt, als desto böser stellen
wir uns seine Rache vor. Seine Rache - und in letzter Konsequenz auch ihn, die geschädigte
Person, selbst: Als Reaktion eines Geschädigten auf das Böse, das ihm ein
anderer angetan hat, kennt unsere Alltagssprache die Wendung: „Ich bin böse (auf X, weil er mir Y angetan
hat)“.
Durch Schaden mag man klug werden (oder auch
nicht), gut wird man durch Schaden jedenfalls nicht.
Von den Juden aber nehmen wir an, daß sie jenes „absolut
Böse“ zu „absolut Guten“ verwandelt haben soll - ich sage „wir“, denn im Zuge
meiner Auseinandersetzungen mit jener Unfähigkeit meiner Vorstellungskraft wurde
mir klar, daß ich mit jener Unfähigkeit keinesfalls allein war. „Ausschwitz war
keine Schule des Gutmenschentums“, schrieb die Philosophin Isolde Charim 2006 an
die Adresse genau dieser (Erwartungs)haltung, wie sie sich in den Debatten
angesichts des Libanonkriegs wieder einmal artikuliert hatte.
Sehen wir uns das Wörtlichnehmen des Opferbegriffs also genauer an.
Ich behaupte, daß
keine Geschichtsauffassung, die sich auf hegelo-marxistische Prämissen stützt,
von diesem Wiederauftreten Rechenschaft zu geben imstande ist, bei dem es sich
zeigt, daß den dunklen Göttern zu opfern, etwas ist, dem, in einer Art monströsen
Befangenheit, nur wenige nicht erliegen.
scheibt Jaques Lacan - in seiner gewohnt monströsen
Art Sätze zu konstruieren - an der bereits erwähnten Stelle über den Holocaust.
wird fortgesetzt
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