Thrift, thrift, Horatio!
Wenn es sich beim Holocaust, wie Lacan behauptet, um ein Opfer für die „dunklen Götter“ gehandelt haben soll, eben
um ein Opfer im wörtlichen Sinn, wenn wir uns also
innerhalb der Logik des Opfers bewegen,
dann bewegen wir uns - doch wieder - innerhalb der Logik der Funktionalität:
Die Nazis opferten die Juden, um einen (ihnen selbst unbewußten) Zweck zu
erreichen.
Um welche Art „Zweck“ es sich dabei handeln könnte,
verrät Lacan allerdings nicht. Zumindest nicht hier.
Slavoj Zizek, ein Lacanianer (und
Hegelomarxist!), auf dessen Texte mich ebenfalls mein Lehranalytiker aufmerksam
gemacht hatte, vergleicht Lacans Redeweise in seinen Seminaren mit der eines Patienten auf der Couch:
„In den
Seminaren verhält sich Lacan wie der Analysand: er assoziiert [...] improvisiert, läßt etwas aus und macht
Sprünge, spricht sein Publikum an, das damit in die Rolle einer Art kollektiven
Analytikers versetzt wird.“
Lacans Schriften
hingegen würden sich umgekehrt wie die Interventionen eines Analytikers lesen. Konzentriert,
zweideutig, fromel-, oft auch orakelhaft, würden sie den Leser in die Position
eines Analysanden versetzen, den die Deutungen seines Analytikers ratlos und mitunter verzweifelt machen würden.
So seien beide, Schriften und Seminare, unverständlich
auf je eigene Art. Zizek empfiehlt, bestimmte Seminare zusammen mit den ihnen entsprechenden
Abschnitten der Schriften zu lesen - mit dem Ziel gegenseitiger Entschlüsselung.
Aber so wie uns - um beim Vergleich des Lacans der
Seminare mit einem Analysepatienten zu bleiben - der Einfall eines Analysanden in
Sitzung A den Schlüssel zum Verständnis seines Einfalls in Sitzung B liefern kann,
so können sich auch zwei – thematisch (scheinbar) verschiedene - Stellen in den
Seminaren Lacans „gegenseitig entschlüsseln“.
Wie das funktionieren könnte, demonstriert Zizek
selbst, indem er jene Passage über den Holocaust in Lacans Seminar XI mit einer
Stelle aus dem Seminar VI Desir et son interpretation
konfrontiert (Slavoj Zizek, Die gnadenlose Liebe, Frankfurt a.M. 2001, S.16). Lacan
zitiert dort Hamlets ironisch-verzweifelte Klage darüber, daß die Hochzeit
seiner Mutter knapp nach dem Begräbnis seines Vaters stattfgefunden habe
(Hamlet, 1. Akt, 2. Szene):
Horatio:
Ich kam zum
Begräbnis Deines Vaters.
Hamlet:
Mach Dich nicht
lustig über mich, mein Freund,
Ich glaub, Du kamst
zur Hochzeit meiner Mutter.
Horatio:
Es stimmt. Sie
folgte knapp darauf.
Hamlet:
Man spart, man
spart, Horatio [Thrift, thrift, Horatio]! Die Fleischpasteten
Vom Leichenschmaus
bot man zur Hochzeit kalt an.
und meint:
Dieser Begriff
[thrift] (Lacan verwendet das Wort im englischen Original –
Anm. von mir) erinnert uns daran, daß bei
den Bequemlichkeiten, welche die moderne Gesellschaft zwischen Gebrauchswerten
und Tauschwerten hervorgebracht hat, etwas in der Marx’schen
Wirtschaftsanalyse, der für das Denken unserer Zeit dominanten, übersehen wurde
– etwas, dessen Stärke und Ausmaß wir in jedem Augenblick empfinden, nämlich
die Ritualwerte [Hervorhebung von mir] (zit. nach Zizek, ebd.).
Nach Zizek ist „thrift“ für Lacan nicht
bloß eine unspezifische Form der „Sparsamkeit“, sondern die „Weigerung das
Trauerritual angemessen durchzuführen“ (Ebd.). Diese spezifische Art von
Sparsamkeit schmälere „den Wert des Rituals“.
Und das Ritual, so Zizek weiter, sei
letztlich das
Ritual des Opfers, das den Raum für intensiven Konsum öffnet. Nachdem wir den
Göttern [...] geopfert haben, dürfen wir selbst ein herzhaftes Mahl zu uns
nehmen und uns an den Resten gütlich tun (Ebd. S.20).
wird fortgesetzt
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