Aus dem Bericht des Gefängnisarztes
[...]
Ich
begegnete dem Übersetzer im Wald, d.h. im - großen - Gefängnishof. Das
Gefängnis befindet sich im Norden von Nord-Teheran, an den Hängen des Elburs,
in einem Kiefernwald. Vater hat das Gefängnis in den Wald und den Wald in das Gefängnis integriert, indem er ein
Stück des Waldes im Gefängnishof stehen und von jugendlichen Delinquenten Baumhauszellen bauen ließ, die sie
anschließend bewohnten. Zusammen mit den - in den Gefängnishof, d.h. in den Wald,
hineinragenden - Schubladen- und Rucksackzellen
sowie den künstlichen Inseln im
großen künstlichen Teich im Wald des - großen - Gefängnishofes, bilden die
Baumhauszellen die in der Weltarchitektur
bekanntlich bekanntesten Gebäudeteile der Anstalt. Am bekanntesten ist das
Baumhaus mit der Spiegelfassade: Eine Haut aus Spiegelglas überzieht nahtlos Fenstern,
Türe, Oberlichte und die übrigen Flächen der Außenwand.
Die
Schubladenzellen hatte Vater gebaut, weil im Sommer in Teheran das Schlafen
auf Dächern sehr üblich ist. Vater hatte es sich zum Grundsatz gemacht, daß es
den Häftlingen im Gefängnis nicht schlechter gehen sollte als draußen,
in der Freiheit, sie sollten die Möglichkeit haben, nachts im Sommer auf den Dächern
der Anstalt zu schlafen - sein entsprechender Antrag war von der entsprechenden
Abteilung im Justizministerium jedoch abgelehnt worden.
So war die
Idee der Schubladenzellen entstanden (Vater
selbst vermied das Wort Zelle, er sagte Schubladenraum
oder nur: Schublade). Eine
Schubladenzelle ist eine aus dem
Gebäude, wie eine Schublade, mittels Elektromotor ausfahrbare Zelle, die sich
so in eine Balkonzelle verwandelt. Man müßte Balkonkäfig sagen, denn
sie ist von allen, in den Gefängnishof hineinragenden, Seiten - und oben - vergittert.
Drei
Jahre nach der Fertigstellung des Habitat, als das Gefängnis unmittelbar nach
der Revolution aus allen Nähten zu platzen drohte, hatte Vater sechs
zusätzliche Zellen - wie Rucksäcke - vor sechs Fenstern zum großen Gefängnishof
hängen lassen. Die Rucksackzellen hängen
an Stahlseilen, die, zweimal umgelenkt, über das Dach des Gebäudes verlaufen
und in der straßenseitigen Fassade verankert sind.
Die künstlichen
Inseln im künstlichen Teich des Gefängnishofwaldes haben einen rein
ästhetischen Zweck, Vater nannte sie meine - oder auch eine - Spielerei.
Ich
begegnete dem Übersetzer im Wald, in der Betonlichtung. Beim Tai Chi. Tai Chi
ist einmal die Woche. Der Sportwart war krank, angeblich, ich vertrat ihn, er
ist wahrscheinlich nebenbeschäftigt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen