Warum uns Israel
erregt (12)
Die Sehnsucht nach jenem „herzhaften Mahl“, das nur
dann zu haben ist, wenn wir „den Ritualwerten ihren angestammten Platz
zurückgeben“, bildet die Quelle einer weit verbreiteten Form des
Antikapitalismus. Eines Antikapitalismus der, unter Absehen von der Sphäre der
Produktion, stets die Sphäre des Geld- und des Warenaustauschs im Blick hat -
und die Sphäre des Konsums. Und der sich in Umverteilungsdebatten erschöpft, ohne
sich für die Bedingungen zu interessieren, aus denen die Ungleichheit, die
wir via Umverteilung abmildern wollen (und die man einmal Klassengegensatz nannte), überhaupt erst entsteht: Die Trennung der Arbeiter und
Angestellten von den Produktionsmitteln, ihre Abfindung mit Lohn, die Profitmaximierung
auf Seiten der Unternehmer.
Diesen antikapitalistischen Reflex, die Sehnsucht
nach dem „herzhaften Mahl“ und das Bedürfnis, den von Lacan so genannten
Ritualwerten ihren angestammten Platz zurück zu geben, teilen wir - mit den Nazis.
Eine bittere Pille, auf die Lacans dunkle Rede,
daß den
dunklen Göttern zu opfern, etwas ist, dem, in einer Art monströsen
Befangenheit, nur wenige nicht erliegen
zu verweisen scheint. Aber ich war bereit, sie zu
schlucken, hatte ich doch den Verdacht, daß zwischen jener monströsen Befangenheit, der nur
wenige nicht erliegen und jener Unfähigkeit meiner – und
nicht nur meiner - Vorstellungskraft ein Zusammenhang existieren könnte.
Nachträgliche Weihe: Der Fall Kampusch
Bevor das Tier, die Frucht, der Mensch, geopfert werden
kann, muß er/sie/ es geweiht werden. Erst der Akt der Weihe macht das Objekt zu
einem heiligen, opferwürdigen, das -
mit Lacan zu sprechen - Ritualwert produzieren kann.
Weiter oben habe ich auf den Unterschied zwischen Opfer im ursprünglichen, rituellen und Opfer im alltagssprachlichen,
unspezifischen Sinn (einfach ein Geschädigter, Opfer von, Gewalt, Folter,
Naturkatastrophen etc.) hingewiesen. In bestimmten Fällen neigen wir aber dazu,
Opfer im alltagssprachlichen Sinn wie Opfer im rituellen Sinn wahrzunehmen und
zu behandeln.
Im März 1998 wurde die damals zehnjährige Natascha
Kampusch vom arbeitslosen Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil entführt - und
achteinhalb Jahre in seinem Haus im niederösterreichischen Strasshof gefangen
gehalten. Im August 2006 gelang ihr die Flucht. Daraufhin beging Priklopil
Selbstmord. Kampuschs Flucht löste ein beispielloses internationales Medienecho
aus. Was am Fall Kampusch - in Zusammenhang mit unseren Überlegungen – interessieren
sollte: Die Anteilnahme, die ihr anfangs entgegengebracht worden war, ist in
Österreich - heute, sieben Jahre nach ihrer Flucht - vielfach in „blanken Hass“
(Augsburger Allgemeine vom 26. Februar 2013) umgeschlagen.
Warum, das scheint keiner so recht zu wissen. "Die Erklärungen der Psychologen", Kampusch sei zu stark, agiere zu selbstbewußt etc., überbieten
einander an Trivilität, und sind unbefriedigend. Übersehen wird, daß die
Öffentlichkeit erst dann irritiert zu reagieren begann, als die Frage auftauchte: Ob Kampusch – am
Ende auch noch freiwillig! - Sex mit Priklopil gehabt haben könnte.
Unter bestimmten Umständen befällt uns offenbar das
dringende Bedürfnis, Opfer im alltagssprachlichen Sinn, so etwa das Entführungsopfer
Natascha Kampusch, nachträglich, in einem imaginären Akt zum - rituellen - Opfer zu weihen.
Die Erklärung der Trivialpsychologen, Kampusch
schlage blanker Hass entgegen, weil sie sich nicht wie ein „reines“ Opfer
verhalte, macht Sinn, wenn wir „rein“ anders verstehen als jene Psychologen es
meinen: „Rein“ nicht im Sinne von „ausschließlich“, sondern im Sinne von
„rituell rein“: Geweiht, heilig „unschuldig“. Im Fall Kampusch heißt das: „Rein
von sexuellem Begehren“.
Die Reihenfolge im Procedere des rituellen Opferns
- ein Objekt wird zuerst geweiht, und
durch den Akt der Weihe heilig, und ist erst dann opferwürdig – wird hier umgedreht: Zuerst wird jemand – im
alltagssprachlichen Sinn und ohne rituelle Weihe – zum Opfer, also zum Geschädigten.
Erst dann wird die oder der
Geschädigte in einem Akt nachträglicher, imaginärer Weihe zum Opfer im
rituellen Sinn - zum Ritualwert produzierenden Opfer.
Jenen „blanken Hass“ zog Natascha Kampusch auf
sich, weil sie unserem Bedürfnis, sie als reines, heiliges Opfer zu imaginieren, zuwiderhandelte: Indem sie, so jedenfalls der Verdacht der Öffentlichkeit, (freiwillig!) Sex mit Priklopil hatte.
wird fortgesetzt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen