Ich
begegnete dem Übersetzer beim Tai Chi im Wald. In der Betonlichtung. Tai Chi
ist einmal die Woche. Der Sportwart war krank. Ich vertrat ihn. Er ist vermutlich
nebenbeschäftigt.
Die
Betonlichtung ist eine Lichtung im Gefängniswald, und das Werk Namwars. Noch unter dem Kaiser hatte sich die Verwaltung
bei Vater und den Behörden über das Dickicht
zu beschweren begonnen. Nicht über das Dickicht der Bäume, vielmehr über die Rucksack- und Schubladenzellen und Baumhäuser und die künstlichen Inseln im Teich - aber vor allem über das Baumhäuser, Inseln, Rucksack- und Schubladenzellen
untereinander und mit dem Boden verbindende Netz aus (zum Teil ein- und ausfahrbaren)
Treppen, Strickleitern Rampen und (zum Teil beweglichen) Brücken.
Fünf Jahre
nach der Revolution - der Justizapparat hatte wieder zu funktionieren begonnen, auch abseits der Revolutionsgerichte - erreichten die Gefängnisbürokraten
die Errichtung der Lichtung. Den Aufrtag erhielt wieder Namwar. Ohne auf Bäume,
Baumhäuser, Brücken, Rampen, Treppen Rücksicht zu nehmen, ließ er in der Mitte
des Waldes eine quadratische Fläche roden, genau genommen ist es
ein Kubus.
Sie verkleinerten
den Teich, reduzierten die Anzahl der Inseln, und betonierten den Waldboden im
Bereich der Lichtung, weshalb sie die Lichtung, die – wie bei Bosketten in der Gartenarchitektur
des Barock - durch geometrisch exakt geschnittene Bäume eingefaßt wird, Betonlichtung nennen.
Ein paar
der schönsten Baumhäuser fielen der Rodung zum Opfer. Das Spiegelbaumhaus verschonten sie aber, wegen der Touristen wahrscheinlich.
Der
Übersetzer gehört zu einer Gruppe Älterer, die regelmäßig Tai Chi praktizieren. Die Jüngeren trainieren im Studio oder
spielen Tischtennis. Oder Fußball. Nach dem Ende der Einheit, ich hatte bloß zugesehen,
und war in Gedanken woanders, steht er abseits, zwischen zwei Kiefern, am Rande
der Lichtung. Ich reiche ihm einen Bic-Kugelschreiber, und ein auf ein
Clipboard befestigtes Formblatt. Die Inanspruchnahme einer Turneinheit muß vom
Häftling bestätigt werden. So will es die Verwaltung.
Der
Übersetzer nimmt den Kugelschreiber, einen orangen Bic mit blauer Schriftfarbe,
unterschreibt aber nicht, sondern hält ihn mir vor die Nase, als hätte nicht ich ihm
den Kugelschreiber gereicht, sondern er
sei im Begriff, ihn mir zu reichen, steckt
ihn in die Hosentasche seiner Trainingshose, nimmt aus der Brusttasche
seiner Trainingsjacke einen zweiten Bic – der sich von dem Kugelschreiber, den ich ihm gereicht habe,
nicht unterscheidet - zieht dessen Stöpsel heraus, mit der Leichtigkeit eines Tänzers
oder Tai Chi-Meisters (aber eigentlich erinnert
mich diese Leichtigkeit an Pan Tau, einen
aus der Zauberwelt stammenden, distinguierten Herrn, in einer
tschekoslowakischen Serie der 1970er Jahre. Den liebten ich und meine Schul-
und Straßenkameraden über alles) und mit rhythmischen Bewegungen des
Zeigefingers zeigt er auf das Innere des Bics, und steckt den Stöpsel wieder
hinein.
Daß er das
Formblatt nicht unterschrieben hatte, fiel mir erst im Büro auf, woraufhin ich
den Stöpsel wieder aus dem Bic herauszog, weniger elegant als der Übersetzer, im Inneren des Kugelschreibers fand ich, um die
Miene gewickelt, ein Papier. Das überraschte mich nicht, etwas derartiges hatte
ich erwartet – worauf ich noch zurückkommen werde. Das Papier ziehe ich mithilfe
einer Pinzette heraus und entfalte es, ein kleines Blatt, natürlich, darauf ist
folgendes zu lesen, d.h. zunächst ist gar nichts zu lesen, die Schrift ist außerordentlich
klein, ich muß eine Lupe benützen:
Ich werde keine
Drehbücher schreiben.
wird fortgesetzt
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