„ ... sollten
wir uns, noch bevor wir nach Lösungen suchen, fragen, ob wir wissen – oder
wissen wollen -, was überhaupt das
Problem ist. Sie übersehen, daß sich das ‚Zeitproblem’ nicht in allen Situationen zeigt, in denen die
Analysandin mit sogenannten Vater-Figuren konfrontiert ist. Zur Analyse kommt
sie regelmäßig zu spät. Während der psychiatrischen Behandlung hingegen ist sie
- und das bei ein und derselben ‚Vaterfigur’ - stets pünktlich gewesen, genauso wie unter dem alten Chef, oder
früher in der Schule, aber im Gegensatz zu den Teambesprechungen unter dem
neuen Chef, und zu den Klarinettenstunden: Da ist sie - bzw. war sie – unpünktlich.“
Bevor wir die
Theoretikerin weiterreden lassen, sollten wir erwähnen, daß der Analytiker zu
Beginn dieser Gruppensitzung zum ersten Mal genaueres von der Partnerkrise der
Analysandin berichtet hat, jenes andere Problem, das sie neben der beruflichen
Problematik veranlaßt hat, sich in Analyse zu begeben.
Ihr „eheliches
Sexualleben“, habe sie so die Analysandin wörtlich, „als halbwegs o.k.“ empfunden, wenn
auch nicht als „überwältigend“, bis sich ihr Mann ihren Wunsch nach
mehr sexueller Experimentierfreude zu eigen gemacht hätte - oder umgekehrt, sie
seinen? So genau wisse sie das nicht mehr. Seither würden sie im Bett sexuelle Phantasien
austauschen. Ihr Mann nenne das Kreativsex.
Am erregendsten fänden sie beide die Phantasie, daß sie Sex mit einem anderen
Mann hätte. Aber es sei wie verhext. Seit sie „Kreativsex“ habe, sei sie wie
blockiert. Jedes Mal, wenn sie mit ihrem Mann schlafen wolle, passiere etwas. Sie
bekomme Kopfschmerzen oder Brechreiz, habe auf einmal – auch wenn sie die
Initiative ergriffen hätte – keine Lust, vor kurzem hätte sie sogar „mitten im
Sex“, und zum ersten Mal seit langem, wieder eine Panickattacke gehabt.
Behalten wir
dieses „neue Material“ im Gedächtnis – und lassen wir die Theoretikerin
weiterreden.
„Wir müssen also
nach spezifischen Bedingungen
suchen, die dieses Zeitproblem manifest werden lassen. Und von wegen ‚Zeitproblem’: Ich frage mich, ob wir dem ‚Zeitproblem’ der Analysandin
gerecht werden, wenn wir es als ‚Zeitproblem’ der Analysandin auffassen, statt als ‚Zeitproblem’ in einem ganz
anderen Sinn: Als ein Problem der Zeit,
unserer Zeit, will sagen, unserer – heutigen - Gesellschaft. Freud sei, sagt
Adorno, ‚paradoxerweise in den
innersten psychologischen Zellen auf Gesellschaftliches gestoßen’ - aber eins
nach dem anderen. Die Analysandin sagt, sie habe das Gefühl, daß sie das, was
ihr Vater von ihr will, nicht nur befolgen,
sondern auch wünschen müsse. Wo
Befehl ist, soll also Wunsch werden.“
wird fortgesetzt
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