Sonntag, 20. April 2014

Warum uns Psychotherapie nicht weiterhilft – Pädoyer für Psychoanalyse (8)



„ ... sollten wir uns, noch bevor wir nach Lösungen suchen, fragen, ob wir wissen – oder wissen wollen -, was überhaupt das Problem ist. Sie übersehen, daß sich das ‚Zeitproblem’ nicht in allen Situationen zeigt, in denen die Analysandin mit sogenannten Vater-Figuren konfrontiert ist. Zur Analyse kommt sie regelmäßig zu spät. Während der psychiatrischen Behandlung hingegen ist sie - und das bei ein und derselben ‚Vaterfigur’ - stets pünktlich gewesen, genauso wie unter dem alten Chef, oder früher in der Schule, aber im Gegensatz zu den Teambesprechungen unter dem neuen Chef, und zu den Klarinettenstunden: Da ist sie - bzw. war sie – unpünktlich.“

Bevor wir die Theoretikerin weiterreden lassen, sollten wir erwähnen, daß der Analytiker zu Beginn dieser Gruppensitzung zum ersten Mal genaueres von der Partnerkrise der Analysandin berichtet hat, jenes andere Problem, das sie neben der beruflichen Problematik veranlaßt hat, sich in Analyse zu begeben.

Ihr „eheliches Sexualleben“, habe sie so die Analysandin wörtlich, „als halbwegs o.k.“ empfunden, wenn auch nicht als überwältigend“, bis sich ihr Mann ihren Wunsch nach mehr sexueller Experimentierfreude zu eigen gemacht hätte - oder umgekehrt, sie seinen? So genau wisse sie das nicht mehr. Seither würden sie im Bett sexuelle Phantasien austauschen. Ihr Mann nenne das Kreativsex. Am erregendsten fänden sie beide die Phantasie, daß sie Sex mit einem anderen Mann hätte. Aber es sei wie verhext. Seit sie „Kreativsex“ habe, sei sie wie blockiert. Jedes Mal, wenn sie mit ihrem Mann schlafen wolle, passiere etwas. Sie bekomme Kopfschmerzen oder Brechreiz, habe auf einmal – auch wenn sie die Initiative ergriffen hätte – keine Lust, vor kurzem hätte sie sogar „mitten im Sex“, und zum ersten Mal seit langem, wieder eine Panickattacke gehabt.

Behalten wir dieses „neue Material“ im Gedächtnis – und lassen wir die Theoretikerin weiterreden.

„Wir müssen also nach spezifischen Bedingungen suchen, die dieses Zeitproblem manifest werden lassen. Und von wegen ‚Zeitproblem’: Ich frage mich, ob wir dem ‚Zeitproblem’ der Analysandin gerecht werden, wenn wir es als ‚Zeitproblem’ der Analysandin auffassen, statt als ‚Zeitproblem’ in einem ganz anderen Sinn: Als ein Problem der Zeit, unserer Zeit, will sagen, unserer – heutigen - Gesellschaft. Freud sei, sagt Adorno, ‚paradoxerweise in den innersten psychologischen Zellen auf Gesellschaftliches gestoßen’ - aber eins nach dem anderen. Die Analysandin sagt, sie habe das Gefühl, daß sie das, was ihr Vater von ihr will, nicht nur befolgen, sondern auch wünschen müsse. Wo Befehl ist, soll also Wunsch werden.“

wird fortgesetzt

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