Dre Traum der französischeen Bonne in Freuds "Traumdeutung" |
Von den drei Kategorien Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft,
stünde uns, so Kluge, bloß die Vergangenheit zur Verfügung: Die Zukunft
existiere nur als Möglichkeit, die Gegenwart sei ein unfaßbar kurzer, geradezu
inexistenter Moment, bliebe nur - die Vergangenheit. Die Zukunft müsse daher „in
den Vergangenheiten enthalten“ sein.
Ob es sich um die Planung eines Abendessens oder die Gründung eines
Unternehmens handelt - kein Schritt in die Zukunft, ohne Anlauf in der
Vergangenheit, ohne Rückgriff auf die in ihr enthaltenen Erfahrungen und Fehler.
Das scheint selbstverständlich. So selbstverständlich, daß uns die
Kostümierungen der Revolutionäre, ihre Beschwörung der „Geister der
Vergangenheit“ nicht mehr rätselhaft vorkommen – sondern banal.
Allerdings handelt es sich bei jenen revolutionären Regressionen in die
Vergangenheit um alles andere als um die rationale Berücksichtigung vergangener
Erfahrungen. Offenbar haben wir es mit Prozessen zu tun - irrationalen Prozessen -, die den revolutionären Subjekten eher
passieren, als daß sie sie planend in Szene setzen würden. Und über die sie genauso wenig zu verfügen scheinen – wie
Träumende über ihre Träume.
*
Zwischen Freuds Theorie des Traums und dem Begriff der Regression existiert eine für unseren Zusammenhang interessante Beziehung. Im allgemeinen, und von fachspezifischen Verwendungen in Geologie, Mathematik etc. abgesehen, verstehen wir unter „Regression“ (und dieses „wir“ meint die breite Öffentlichkeit, aber auch die meisten Psychoanalytiker) den Rückfall in eine frühere, primitivere Entwicklungsstufe.
Aber Regression meint ursprünglich etwas anderes. Freud verwendet
den Begriff erstmals im Kapitel VII der Traumdeutung (1900), um die
„Psychologie der Traumvorgänge“ - so die Überschrift des Kapitels - zu
erklären.
Ausgehend vom physiologischen Reiz-Reaktionsmodell des Reflexbogens faßt Freud jegliche psychische Tätigkeit als eine gerichtete auf: Innere oder äußere Reize würden zu Erregungen im
Wahrnehmungssystem führen. Diese Erregungen würden dann verschiedene Systeme innerhalb
des „psychischen Apparats“ (der hier eigentlich „psychophysischer Apparat“
heißen müßte) in einer bestimmten Reihenfolge durchlaufen und schließlich über das „System Bewußtsein“1 das
„motorische Ende“ des psychischen Apparats erreichen – also zur Muskeltätigkeit
führen. Beispiel: Mein Bewußtsein nimmt ein Hungergefühl als inneren Reiz wahr.
Dieser von meinem Bewußtsein wahrgenommene Reiz mündet über Gedanken wie „Ich habe
Hunger. Ich sollte jetzt kochen“ in motorische Tätigkeiten: Aufstehen, in die
Küche gehen, Kochen etc.
Soweit die Situation im Wachzustand. Im Traum kommt es nach Freud zu einer Übersetzung von Gedanken - sogenannten
Traumgedanken - in sensorische Bilder, so als hätten wir reale Sinneswahrnehmungen. Der Traum hat den
Charakter einer Halluzination. Und diesen halluzinatorischen
Charakter der Träume erklärt Freud wie folgt: Im Traum ist unseren Gedanken der
Zugang zur Motorik (also zur Muskeltätigkeit) versperrt. Wenn ich hungrig
zu Bett gegangen bin, und mir im Traum der Gedanke kommt, in die Küche zu gehen
und zu kochen, kann ich - solange ich schlafe und träume - nicht aufstehen, in
die Küche gehen und kochen. Daher durchläuft die - durch Gedanken an die Küche
und ans Kochen erzeugte - Erregung die Systeme des „psychischen Apparates“ in umgekehrter Richtung: Nicht „vorwärts“ (von der Wahrnehmung des Hungergefühls zum Gedanken, in die Küche zu
gehen und zu kochen – und von dort aus zu den motorischen Handlungen des Aufstehens,
In-die-Küche-gehens und Kochens) sondern „rückwärts“:
Vom Gedanken ans Kochen zum System Wahrnehmung - zum Beispiel zum „halluzinatorischen“
Traumbild eines opulenten Mahls.
Der Begriff Regression, wie
ihn Freud in der Traumdeutung verwendet, meint diese Richtungsänderung.
wird
fortgesetzt
1 dem Bewußtsein sind in diesem Modell u.a. die
Systeme „Vorbewußt“ und „Unbewußt“ vorgeschaltet.
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