Mittwoch, 3. September 2014

Warum wir immer dümmer werden (4)



Spontan reagieren wir auf solch traumatisch wirkende Anachronismen mit dem Impuls, sie ungeschehen machen zu wollen - indem wir das Unzeitgemäße an ihnen als zeitgemäß zu denken versuchen. 

Lieber als vom Islam sprechen wir vom Islamismus1, um zu betonen, daß dieser eine moderne, mit dem traditionellen Islam keineswegs identische Ideologie darstelle. Auch Etikettierungen wie Islam-Faschismus oder Umma-Sozialismus – die den sogenannten politischen Islam mit spezifischen modernen Ideologien in Verbindung bringen und deren Urhebern nichts ferner liegt, als dessen Verharmlosung – folgen letztlich jener Strategie des Ungeschehen-machens des Unzeitgemäßen durchs „Zeitgemäß-machen“2.

So zutreffend die Klassifizierung des islamischen Fundamentalismus als eine Reaktion auf die Moderne – innerhalb der Koordinaten der Moderne - auch sein mag, und so sehr in Bezeichnungen wie Islam-Faschismus und Umma-Sozialismus Momente der Wahrheit mitschwingen mögen - bei all diesen Verortungen und Etikettierungen handelt es sich um Abwehroperationen im strengen psychoanalytischen Sinn.

Abgewehrt werden soll die Phantasie, daß wir es bei Phänomenen wie dem Völkermord im Islamischen Staat, jenen theologisch motivierten Vergewaltigungen in den Gefängnissen Irans und anderen Erscheinungsweisen des sogenannten politischen Islams - buchstäblich, und nicht nur metaphorisch – mit der Wiederkehr einer barbarischen Vorzeit  zu tun hätten.

Und es fragt sich, ob eine solche surreale Phantasie nicht mehr Wahrheit enthält, als unser Versuch, sie rational zu bewältigen, indem wir den politischen Islam – gedanklich - in ein modernes, zeitgemäßes Gewand kleiden.

Die „zeitgemäße Verkleidung eines Unzeitgemäßen“ erinnert übrigens an jene „Verkleidungen“, die Marx im Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte den Subjekten revolutionärer Umwälzungen zuschreibt. So habe sich die französische Revolution „abwechselnd als römische Republik und [unter Napoleon, Anm. von mir] als römisches Kaisertum drapiert“, Luther habe sich als Paulus maskiert“, während sich Cromwell mit den Propheten des Alten Testaments identifiziert habe3

Während aber die „revolutionären Subjekte“, von denen bei Marx die Rede ist, sich als Gestalten vergangener Epochen kostümierten, „verkleiden wir - umgekehrt – „Jihadisten“, die uns als Gestalten einer Vorzeit erscheinen, als Zeitgenossen.

wird fortgesetzt

1 So erscheint – um ein beliebiges Beispiel zu wählen - in einem Artikel der online-Ausgabe der österreichischen Tageszeitung Der Standard vom 
2. September 2014 das Bild einer Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammad ist sein Prophet“. Der Untertitel dazu: „Heimische Jugendliche halten stolz eine Fahne mit ‚islamistischer Symbolik’ (!) in die Kamera“.

http://derstandard.at/2000004876852/Im-Netzwerk-der-oesterreichischen-IS-Fans

2 Dazu Matthias Küntzel: ... das Schlagwort vom Islamo-Faschismus [ist] nicht nur ungenau: Indem man die islamistische Rebellion unter eine Chiffre subsumiert, die am vertrauten Europa klebt, wird die Spezifik islamistischer Ideologie und Praxis geradezu verharmlost und das schier Unbegreifliche dieser Bewegung – die Absolutheit des religiösen Wahns oder die Archaik der weiblichen Unterjochung – semantisch zum Verschwinden gebracht.

Gemessen an der Bedeutung, die Islamisten dem Koran beimessen, war der Stellenwert von Hitler’s Mein Kampf für die Nationalsozialisten geradezu peripher. Hitlers Text war korrigierbar. So wurden in der arabischen Übersetzung von Mein Kampf dessen antiarabische Tiraden mit Zustimmung des Autors eliminiert. Der Koran ist für Islamisten hingegen sakrosankt. Er gilt als das unmittelbar von Gott stammende Wort.

http://interventionen.conne-island.de/08.html#f1

3 Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Frankfurt am Main 2007, S. 10 ff

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